Protokoll der Sitzung vom 11.11.2016

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Thüringer wollen die Menschen, die verfolgt sind, aufnehmen und nicht wieder wegschicken, sondern ihnen hier auch eine Bleibeperspektive geben. Die Thüringerinnen und Thüringer wollen ein Gesetz, mit dem man das ermöglicht. Dieses Gesetz, so wollen wir, soll nicht nur ein Gesetz für die Schlauen und Guten sein, sondern es soll für jedermann

wirken, weil jedermann ein Recht hat zu entscheiden, wo sie oder er leben will.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Viele Thüringerinnen und Thüringer wollen Politiker, die gute und gerechte Entscheidungen treffen und sich um wichtige Dinge kümmern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das muss für uns eine große Verpflichtung sein und wir wollen das auch machen. Aber eines muss man auch erklären: Demokratie ist nicht die Diktatur der Mehrheit über eine Minderheit, sondern ein Diskussions- und Aushandlungsprozess, den wir jeden Tag hier wieder erneut führen müssen, und wir wollen das auch tun. Wir alle müssen aufpassen, wie wir miteinander reden, und Gemeinheiten sollten wir hier unterlassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir müssen uns auch, um in der Debatte wieder vorwärtszukommen und uns nicht nur Dinge vorzuwerfen, an die Fakten halten und natürlich aushalten, dass wir diese Fakten unterschiedlich bewerten. Wir Grüne wollen in Thüringen mit den Thüringerinnen und Thüringern reden und dafür wollen wir die Möglichkeit schaffen, dass die Menschen in Thüringen mehr entscheiden können, und das ist die Freiheit, die wir meinen. Wir Grüne wollen auf die Regeln im Zusammenleben achten und das auch starkmachen und das heißt auch, dass es eine gute Polizei, aber auch diejenigen gibt, die diese Regeln vermitteln, nämlich Lehrerinnen und Lehrer.

(Beifall DIE LINKE)

Wir Thüringer Grüne wollen mit Ihnen diesen Weg gehen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es lohnt sich, über all das zu sprechen, in einfachen Sätzen zu versuchen, auch komplizierte Sachverhalte zu erklären und die Menschen damit zu befähigen, an dieser Debatte teilzunehmen. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt weitere Wortmeldungen. Zunächst hat Prof. Hoff von der Landesregierung das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ich habe in einer anderen Rede hier vor einiger Zeit, da saß die NPD noch im Landtag Mecklenburg-Vorpommern, der AfD und insbesondere ihrem Fraktionsvorsitzenden gegenüber deutlich ge

macht, warum Herr Höcke in der einen oder anderen Rede rechts an der NPD in Mecklenburg-Vorpommern vorbei argumentiert hat. Davon war heute wieder ein Beispiel zu hören. Wenn Herr Köckert von Thügida, also dem gewalttätigen, rechtsextremen Bündnis, das hier vor der Tür demonstriert, parallel zu der Rede des AfD-Fraktionsvorsitzenden die AfD als parlamentarischen Arm von Thügida bezeichnet, ist das …

(Zwischenruf Abg. Wolf, DIE LINKE: Hört, hört!)

ich zitiere Herrn Köckert dort draußen.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Dafür kön- nen wir doch nichts!)

Sie können nichts dafür?

(Unruhe DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Außer dass Sie den Eindruck erwecken, dass Sie der parlamentarische Arm seien, denn das nimmt er ja in Anspruch und nur Herrn Köckert habe ich zitiert.

(Zwischenruf Abg. Henke, AfD: Provokation!)

Herr Höcke hat hier in seiner gesamten Rede ideologische Scheuklappen kritisiert und eine Rede voller Ideologismen gehalten. Er behauptete – ich zitiere wörtlich –, Soziologie und Politologie seien begriffsgetragene Wissenschaften und stünden dadurch auf tönernen Füßen. Nun habe ich häufiger Studenten im ersten Semester, die auch unverständige Fragen stellen – aber sie stellen Fragen. Aber Herr Höcke steht hier und stellt Behauptungen auf ohne Kenntnis von Soziologie und den Methoden der empirischen Sozialforschung.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat – als er eine rhetorische Figur strapazierte, er machte es nämlich so, dass er den Begriff „Ethnozentrismus“ nahm und den dann seziert hat – versucht, den Eindruck zu erwecken, er würde seine Behauptungen belegen. Das war aber keine Auseinandersetzung mit dem Begriff, sondern es war erst mal nichts weiter als eine rhetorische Figur, indem er nichts weiter versucht hat, als anhand dieser rhetorischen Figur eine Delegitimierung von dem vorzunehmen, was im Thüringen-Monitor steht. Ich kenne diese rhetorische Figur, die ist mir nämlich aus der DDR gut vertraut. Die finden wir aber auch in anderen Staaten illiberaler Demokratien, Ungarn etc. Dort werden Studien zurückgehalten, Institute geschlossen, kritische Meinungsforschungsinstitute wie in Russland nicht mehr zugelassen, weil es das Instrument jedes Demagogen ist, der eine Behauptung aufstellt, aber die Fakten, die möglicherweise eine kritische Auseinandersetzung mit der demagogischen Behauptung möglich

(Abg. Adams)

machen würden, denunziert oder den Leuten zum Beispiel vorwirft, sie würden nur eine Meinung vertreten, sie würden nicht objektiv sein, oder wenn das nichts hilft, die Institute einfach zumacht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Herr Höcke mir sagt, ich solle doch mal den Begriff „Ethnozentrismus“ googeln, sind wir genau beim Fakt, der ein Problem unserer gesellschaftspolitischen Diskussion ist. Kaeser sagt in der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Es schlägt die Stunde der Dogmatiker, Demagogen und Dummschwätzer“ – ich zitiere an dieser Stelle – und es gibt die „Bewirtschaftung von Launen“.

Die Rede von Herrn Höcke ist ein Beweis für das, was Kaeser mit „die Internetgesellschaft als ‚Nichtwissenwollengesellschaft‘“ meint. Es wird nicht gefragt, wie man objektives Wissen gewinnt oder wie man es begründet, sondern es wird gegoogelt und Google wird mit Wissen gleichgesetzt – Google als Wissensersatz. Das ist aber die Entfremdung von jeder Form kritischer Faktenbetrachtung. Es ist Vermutungswissenschaft oder eine eigene Blase, in der man sich seine Welt zusammenschreibt und zusammendenkt,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

aber eines auf jeden Fall nicht möchte, die Auseinandersetzung mit Fakten. Da sind wir bei dem Kernprinzip auch dessen, was der Thüringen-Monitor uns als Lehren vorgibt. Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung vorhin gesagt, ich zitiere ihn: „Die Politik beklagt, nicht verstanden zu werden. Die Bürger beklagen, nicht gehört zu werden [...]. Die richtige Antwort auf Angst und Misstrauen ist aber nicht Belehrung, sondern der Dialog.“ Aber zu einem Dialog, der ein tatsächlicher Dialog ist, gehört die Legitimität, die Akzeptanz unterschiedlicher Positionen.

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Das ma- chen Sie doch nicht!)

Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie kriegen bestimmt nachher noch mal das Wort. Jetzt lassen Sie mich reden und dann setze ich mich hin und dann höre ich Ihnen zu, ohne die ganze Zeit dazwischenzuquatschen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Hochkonjunktur des Vorwurfs der Lüge, die wir auch in der politischen Debatte in Thüringen erleben, ist der Tod des Arguments. Zur Infragestellung des Thüringen-Monitors durch Herrn Höcke will ich noch mal den Philosophen Kaeser zitieren: „Der Appell an die Wahrheit – so altväterlich er klingen mag – ist überlebenswichtig für demokratische Gesellschaften. Sie benötigen das Tribunal der Fakten, das heisst Institutionen, die stark und neutral

genug sind, dem Bürger eine tragfähige Basis für seine Entscheidungen zu garantieren. [...] Die Verdrossenheit gegenüber den Modellen, Analysen, Prognosen der Experten tendiert dazu, dass sich nun jeder zum Experten erklärt. Das Zeitalter des Postfaktischen“ – also die Zeit nach den Fakten – „ist auch eines des Postexpertentums“ – also eines nach den Experten. „Wenn aber jeder recht hat, hat niemand recht. Wo die Leitplanken des Faktischen demontiert werden, beginnt die Wildbahn der Stimmungsmache.“

Daraus müssen wir die Schlussfolgerung ziehen, dass aus der Verachtung gegenüber den Schmähungen rechter Populisten der argumentative Widerspruch entstehen muss und der Respekt gegenüber denjenigen, die sich gesellschaftlich ausgeschlossen fühlen.

Der Thüringen-Monitor zeigt uns, das Gefühl, gesellschaftlich auf der Verliererseite zu stehen, ist keine Frage des Einkommens oder der sozialen Situation. Auch Menschen, denen es objektiv und finanziell/wirtschaftlich gut geht, fühlen sich ebenso wie sozial Ausgeschlossene – so sagt der Thüringen-Monitor – in Thüringen als Ostdeutsche benachteiligt. Übrigens auch junge Leute, die die DDR überhaupt nicht mehr erlebt haben, fühlen sich in ihrer Beschreibung als Ostdeutsche nicht ausreichend gesellschaftlich anerkannt gegenüber denjenigen, die in Westdeutschland in gleichen Altersklassen sind. Das müssen wir ernst nehmen. Der Ministerpräsident sagte dazu, dass darüber zu reden der erste notwendige Schritt ist. Der zukünftige US-Präsident sagte in seiner Rede zur Annahme der Präsidentschaft: Der vergessene Mann und die vergessene Frau sollen nie wieder vergessen werden. – Wir haben zu akzeptieren, dass es auch in unserem Land Menschen gibt, die das Gefühl haben, vergessen worden zu sein. Denen Aufmerksamkeit zu schenken, ist eine Aufgabe. Was heißt freilich, Aufmerksamkeit zu schenken? Heißt Aufmerksamkeit zu schenken, jedes Argument von denjenigen oder jede Behauptung oder Position von denjenigen, die sich auf der Seite derjenigen, die sich vergessen fühlen, zu akzeptieren? Das sage ich nicht.

Wir haben aber – das zeigt uns auch der Thüringen-Monitor – die deutlich ambivalenten Haltungen in den Einstellungen der Thüringerinnen und Thüringer gegenüber asylsuchenden Flüchtlingen und der Asylpolitik zu akzeptieren. Die sind widersprüchlich und in den Widersprüchen der Aussagen der Befragten bilden sich objektive Ungewissheiten ab und auch die Offenheit der politischen und sozialen Situation.

Wenn Politik zugibt, dass sie auf die eine oder andere Herausforderung nicht immer sofort eine Antwort hat, und wir aufhören zu behaupten, dass wir jedes Problem sofort lösen können, sondern dass

(Minister Prof. Dr. Hoff)

komplexe Probleme eben auch Zeit für Debatte brauchen, dass man Widersprüche hat, aber sogar auch mal zu Gemeinsamkeiten in den politischen Auffassungen kommen kann, dann ist das ein ehrlicher Umgang mit Komplexität.

Bürgerinnen und Bürger nicht nur in unserem Freistaat haben eher inkonsistente politische Weltbilder und können deshalb auch mit Widersprüchen relativ souverän umgehen. Bei politischen Aktivisten, wie sie hier bei den Abgeordneten versammelt sind, ist die Akzeptanz von diesen Widersprüchen und Ambivalenzen in den Weltbildern nicht so ausgeprägt. Daraus entsteht der Hang, die Menschen belehren zu wollen, sie möglicherweise sogar für ein bisschen dumm zu erklären. Dagegen reagieren Bürgerinnen und Bürger mit einem absolut verständlichen Gefühl des Widerspruchs.

Die Alternative zur Belehrung ist das Zeigen von Haltungen, das Aushalten von Widersprüchen, der Verzicht, so zu tun, als ob komplexe Probleme einfach lösbar wären, aber auch die Forderung an Bürgerinnen und Bürger, Komplexität nicht mit Verweigerung und dem Lügenverdacht zu begegnen.

Das Klima in der gesellschaftlichen Debatte ist rauer geworden. Trumps Wahlkampf war, wie Jasper von Altenbockum heute in der FAZ schreibt: „Pöbelei am Rande der Gewaltbereitschaft“. Die AfD in diesem Hause praktiziert diese Methode ebenfalls und überschreitet die Grenze bei ihren Kundgebungen nicht selten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Unterstel- lungen!)

Das ist ein wesentliches Problem unseres gesellschaftlichen Diskurses. Wenn wir uns am Ende des Jahres 2016 im Vorfeld eines Bundestagswahlkampfs 2017 befinden, dann ist es die Frage, wie es uns gelingt, in diesem Bundestagswahlkampf die Fehler des US-amerikanischen Wahlkampfs zu vermeiden – Wahlkampfveranstaltungen, in denen zu einer Kandidatin „Sperrt sie ein“ gerufen wurde, in denen unter der Gürtellinie argumentiert wurde. Wie bekommen wir Grundmomente bürgerlichen Anstands in die gesellschaftspolitische Debatte zurück?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie gelingt es uns zu akzeptieren, dass es unterschiedliche Positionen gibt? Wir sollten aufhören, so zu tun, als ob in der Mitte für alle Parteien Platz sei. Wir sollten akzeptieren, dass es gesellschaftliche Widersprüche gibt, dass es gesellschaftlich unterschiedliche Auffassungen gibt, aber dass die Diskussion über die gesellschaftlichen Widersprüche diejenige Kraft entfaltet, die diese Bundesrepu

blik zu dem demokratischen und sozialen Rechtsstaat gemacht hat, der sie ist. Daraus entstand, wie der Fraktionsvorsitzende der CDU in seiner Rede heute sagte, der Moment, in dem die Ostdeutschen im Herbst 1989 sagten: Es ist der Moment, in dem wir unsere eigene Geschichte in die Hand nehmen und auf der Straße unsere Meinung frei sagen wollen. Aber auf der Straße seine Meinung sagen zu können, heißt eben auch zu akzeptieren, dass andere ihre Meinung sagen können wollen und dass der Vorwurf, dass jeder, der eine andere Meinung hat, Lügen oder Unwahrheit verbreitet, der Tod jeder argumentativen Auseinandersetzung und des demokratischen Diskurses ist.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das führt uns in einem nicht ganz so großen Sprung auf die Debatte, die wir gestern hier im Haus geführt haben. Dazu möchte ich abschließend zwei, drei Aspekte sagen. Lieber Herr Fraktionsvorsitzender der CDU, Sie wissen, dass ich Sie und Ihre politische Klugheit schätze. Der Ministerpräsident hat heute gegenüber der CDU-Fraktion die offene Hand ausgestreckt und gesagt: Ich biete Ihnen an, dass wir uns zusammensetzen und gemeinsam einen Prozess der Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform gestalten.