Protokoll der Sitzung vom 26.02.2015

Die Freiheit, die Demokratie bietet, und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung sehe ich nicht als Widerspruch.

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Glau- ben durchsetzen!)

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Herr Ra- melow, setzen Sie fort!)

Unser Land braucht Menschen, die mehr Demokratie wagen, denn Demokratie braucht Menschen, die sich beteiligen, sich in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft einbringen und sie gestalten wollen. Verunsicherung und Unzufriedenheit bei den Bürgern resultieren zum einen aus Sorgen und Ängsten, zum anderen aber auch aus dem Gefühl, keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung nehmen zu können. Aktive Teilnahme der Menschen an der Gestaltung der Gesellschaft durch direkte oder parlamentarische Instrumentarien wirkt dieser Unzufriedenheit entgegen.

Zur Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements der Bürgerinnen und Bürger und zur Erhöhung der Akzeptanz der Demokratie wollen wir deshalb das Wahlrecht und die parlamentarische Demokratie weiterentwickeln, Vorschläge zur direkten demokratischen Mitwirkung diskutieren und prüfen sowie die im Rahmen der Verfassung bestehenden Möglichkeiten zur Mitwirkung voll ausschöpfen. Wir wollen mehr direkte Demokratie, beginnend in den Kommunen. Wir haben uns vorgenommen, das Wahlalter in den Kommunen und für den Landtag auf 16 Jahre abzusenken.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich lade alle hier im Parlament ein, an diesem Vorhaben mitzuwirken.

53 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer geben laut Thüringen-Monitor ihre Ablehnung gegenüber Langzeitarbeitslosen zu Protokoll. Keine Gruppe wird nach diesen Zahlen stärker stigmatisiert. Dieser Befund ist erschreckend und erhellend. Ihm muss sich auch die Politik stellen. Über so einen Befund brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir Gesetze haben, die Arbeitslose dem ständigen Verdacht aussetzen, nicht arbeiten zu wollen oder gar wählerisch bei der Jobsuche zu sein.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass immer mehr Menschen dem Versprechen des Sozialstaats, die großen Lebensrisiken abzusichern, keinen Glauben mehr schenken. Nichts anderes heißt es ja, wenn laut dem Forschungsinstitut Emnid 69 Prozent der Menschen damit rechnen, dass ihre Rente nicht zum Leben reicht. Die Politik darf

(Ministerpräsident Ramelow)

nicht der Illusion erliegen, Freiheit und soziale Sicherheit hätten nichts miteinander zu tun.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Armut, Abstiegsangst und erlebte soziale Unsicherheit gehören zu den ärgsten Gefahren, denen die Demokratie ausgesetzt ist. Wer ein demokratisches und weltoffenes Land will, muss auch Ja sagen zu gerechten Löhnen für gute Arbeit, Ja zu Renten, von denen man leben kann, Ja zur sozialen Absicherung der großen Lebensrisiken, Ja zu guter Bildung für alle Lebensphasen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Landesregierung hat sich dem Leitbild einer demokratischen, sozialen und ökologischen Modernisierung verpflichtet. Wir wollen eine Politik machen, die den sozialen Zusammenhalt stärkt und den Raum für demokratische Beteiligung schafft. Deshalb werden wir noch in diesem Jahr ein Arbeitsmarktprogramm auflegen, mit dem künftig – in diesem Jahr – rund 500 Langzeitarbeitslose einen gemeinwohlorientierten Arbeitsplatz mit einem existenzsichernden Lohn bekommen sollen. Deshalb nimmt es diese Landesregierung nicht einfach schweigend hin, wenn ein profitables Unternehmen wie Siemens auch in Thüringen Stellenabbau will, und wir suchen das Gespräch mit Siemens genau über diesen Punkt. Deshalb stimmen wir nicht in das Gejammer aus einem anderen Freistaat über die angebliche Überbürokratisierung beim Mindestlohn ein, sondern sagen: Ein Mindestlohn ohne effektive Kontrollen ist ein zahnloser Tiger.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden alle Beteiligten Anfang März zu einem „Runden Tisch Mindestlohn“ einladen und beraten, was gemeinsam getan werden kann. Und schließlich machen wir deshalb Druck in Berlin für eine Beschleunigung der Ost-West-Rentenangleichung. Ich meine, die Ost-Länder sollten dabei mit einer Stimme sprechen und sagen: Dieses 25. Jahr nach der Vollendung der Einheit sollte nicht zu Ende gehen, ohne dass sich Bund und Länder auf ein verbindliches Datum für ein einheitliches Rentensystem geeinigt haben. Die Renteneinheit muss spätestens 2019 vollendet sein.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, noch immer besorgniserregend sind die rechtsextremen und neonazistischen Einstellungen. Zwar zeigt der Befund für das Jahr 2014 eine geringfügige und erneute Abnahme des Anteils der als menschenfeindlich bzw. als rechtsextrem identifizierten Personen auf rund 10 Prozent der Befragten. Dies markiert den Tiefst

wert in der Zeitreihe und es kann darüber hinaus festgehalten werden, dass sich der Anteil der Rechtsextremen und Neonazis seit 2012 auf einem niedrigeren Niveau gegenüber den Jahren 2002 bis 2005 in etwa halbiert hat.

Aus diesen Umfrageergebnissen des ThüringenMonitors ergeben sich wichtige Schlussfolgerungen für das politische Handeln und für die historisch-politische Bildungsarbeit, die in Thüringen von mehreren qualifizierten Institutionen betrieben wird, darunter die in der Staatskanzlei angesiedelte Landeszentrale für Politische Bildung. Die Befunde unterstreichen den Zusammenhang von Geschichtsbewusstsein und heutigem Demokratiebewusstsein. Die von den Autoren des Thüringen-Monitors aufgezeigten Probleme, die aus der biografischen Distanz heutiger Jugendlicher zur NS-Zeit herrühren, beschäftigen die Landeszentrale seit Jahren in ihrer Bildungsarbeit und werden auch in Zukunft ein wichtiges Themenfeld sein.

Bestärkt werden durch die Umfrageergebnisse auch die Programmschwerpunkte der bildungspolitischen Arbeit zu dem Programmschwerpunkt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit/Rechtsextremismus“, die durch die Landeszentrale kontinuierlich bearbeitet werden. Der Thüringen-Monitor bestätigt alte Befunde über die weite Verbreitung diskriminierender Einstellungen beim sogenannten Durchschnittsbürger, der sich zugleich vom manifesten Neonazismus und Rechtsextremismus zu distanzieren vermag. Deshalb bedarf es nicht nur der Prävention, sondern auch Bildungsprojekte gegen spezifische diskriminierende Einstellungsmuster wie Homophobie oder Islamfeindlichkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Thema „Islam“ ist nach dem forciert auftretenden islamistischen Terrorismus – IS – ein neuer Schwerpunkt auf der Agenda der Landeszentrale.

Wir werden das Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit gemeinsam mit den zivilgesellschaftlichen Bündnissen weiterentwickeln, um den neuen Gefährdungen der demokratischen politischen Kultur Rechnung zu tragen. Der Verfestigung demokratiefeindlicher Einstellungen und Strukturen wird durch wirksame gesellschaftlich verankerte Konzepte entgegengewirkt. Projekte zur Stärkung der Demokratie und Bekämpfung des Neonazismus werden durch diese Regierung dauerhaft gesichert. Dazu stocken wir das Landesprogramm finanziell auf.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zivilgesellschaftliche Engagement der Thüringer Bevölkerung findet die uneingeschränkte Unterstützung der Thüringer Landesregierung. Vor wenigen Tagen hat die Weimarer Zivilgesellschaft mit

(Ministerpräsident Ramelow)

Mut und Entschlossenheit gezeigt, wie aufrechte Demokraten in einem breiten Bürgerbündnis sich einem Aufmarsch von Neonazis entgegengestellt haben. Diese immer wieder gezeigte und gelebte Zivilcourage ist der Kitt, der unsere demokratische Gesellschaft zusammenhält.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie sich die Zahlen zum Rechtsextremismus und Neonazismus im Thüringen-Monitor angesehen haben, werden Sie feststellen, dass die Gutachter einige methodische Veränderungen vorschlagen und angewendet haben. Meine Amtsvorgängerin Christine Lieberknecht hatte auch nach Anregungen aus dem Hohen Haus gefragt und angekündigt, die Methodik des Thüringen-Monitors überprüfen und weiterentwickeln zu lassen und verschiedenen offenen Fragen, die die Ergebnisse aufwarfen, nachzugehen. Bereits im letzten Jahr wurden erste Ergebnisse präsentiert. Nun wurde Ihnen allen zusammen mit dem Thüringen-Monitor auch die bereits angekündigte Studie „Güte und Reichweite der Messung des Rechtsextremismus im Thüringen-Monitor 2001-2014“ übergeben. Die Forscher haben verschiedene Schritte zur Weiterentwicklung empfohlen und im Thüringen-Monitor 2014 bereits umgesetzt. Nach der neu vorgeschlagenen Skala liegt der gemessene Rechtsextremismus höher als bisher, die Entwicklung über die Jahre bleibt aber ähnlich. Ich möchte betonen: Es handelt sich nicht um eine Korrektur der bisherigen Werte, sondern, um mit den Worten der Gutachter zu sprechen, um ein „Update“. Die Empfehlungen sind das Ergebnis einer vertieften Analyse der vorliegenden Daten aus dem Thüringen-Monitor.

In dem vorgelegten Gutachten versuchen die Wissenschaftler auch, sich von einer anderen Seite, nämlich mit den Mitteln der Milieuforschung, der politischen Kultur in Thüringen zu nähern. Sie haben verschiedene Einstellungstypen identifiziert. Wenn wir uns die Gruppe, in der menschenfeindliche Einstellungen die meiste Zustimmung finden, näher ansehen, fällt auf, dass sie wenig Ähnlichkeit hat mit den verbreiteten Vorstellungen über Neonazis – viele Frauen oder politisch mehr apathische Persönlichkeiten. Neonazismus ist kein Randgruppenphänomen, das auf einige junge Männer in Springerstiefeln reduziert wäre.

Wir dürfen nicht nachlassen, wachsam zu sein. Vielmehr müssen wir uns vor Augen halten, dass die neonazistische Szene immer noch sehr aktiv ist. So ist es rechtsradikalen Aktivisten gelungen, in Suhl Montag für Montag die Sügida-Demonstrationen zu organisieren, zu unterwandern und am Laufen zu halten. Denn die Tatsache, dass die NSApologetik unter den jüngeren Jahrgängen zugenommen hat, ist besonders besorgniserregend.

Deshalb halte ich es für wichtig, dass Bürger sich beherzt engagieren. Wir müssen wieder mehr das Interesse der Menschen für Politik und Politikgestaltung wecken. Die Umfrageergebnisse zu Europa im ersten Teil des Thüringen-Monitors belegen eindeutig, dass die Menschen mehr eingebunden sein wollen. Immerhin interessierten sich laut Thüringen-Monitor im Jahr 2010 noch rund 50 Prozent für Politik – im Jahr 2014 waren es nur noch ein Drittel der Menschen. Auch der Anteil der politisch nicht Interessierten ist von einem Sechstel auf ein Viertel in den Jahren 2010 bis 2014 gestiegen.

Ich möchte die Mitglieder des Hohen Hauses gleichzeitig auffordern, dass wir alle gemeinsam überlegen, wie wir den Umgang miteinander verbessern. Oftmals wirkt das Bild, das wir Politiker in der Öffentlichkeit entstehen lassen, abschreckend. Auch wenn wir oftmals anderer Meinung und Ansicht sind, brauchen wir eine Kultur des Miteinanders. Das wäre ein wichtiger Beitrag, um Bürgerinnen und Bürger zum politischen Mittun zu ermuntern. Diese Ermutigung ist notwendig, denn knapp 70 Prozent der Befragten geben an, dass sie sich selbst nicht um ein Amt oder Mandat bewerben würden. Für viele Erwerbstätige – das wissen wir aus Erfahrung und das zeigen auch die Zahlen – ist politisches Engagement auch ein zeitliches Problem. Viele aber sagen auch, dass ihnen persönlich die Verantwortung als Politiker zu hoch wäre. Vor allem Frauen trauen sich diese Aufgabe offenbar nicht zu. Ich möchte alle ermutigen, sich zu engagieren. Eine große Verantwortung kommt hier auch den politischen Jugendorganisationen zu, junge Leute von Politik zu begeistern und zu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Deshalb ist es ein Ziel unserer Politik – das Ziel der drei Koalitionspartner –, die Politik in unserem Land demokratischer, sozialer und ökologischer zu gestalten. Wir wollen die Menschen vor Ort noch stärker einbinden und sie intensiver an Entscheidungsprozessen beteiligen. Demokratie lebt von Veränderungen. Demokratie lebt davon, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes mehr Gestaltungsspielräume bei der Aktualisierung ihres politischen Willens in ihrer Gemeinde, in ihrer Stadt, in ihrem Landkreis und in ihrem Land erhalten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Thüringen-Monitor wurde im Jahr einer Europawahl, aber auch vor dem Hintergrund europaweit wichtiger historischer Gedenktage im Jahr 2014 mit dem Schwerpunkt Europa in Auftrag gegeben. Es war der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, der 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs und der 25. Jahrestag der friedlichen Revolution. Angesichts der anhaltenden sozialen und ökonomischen Krise in vielen Mitgliedstaaten sowie mit Blick auf den Konflikt in der Ukraine fand

(Ministerpräsident Ramelow)

die Befragung zudem in einer Situation statt, in der sich die EU immensen Herausforderungen stellen musste. Die Umfrageergebnisse zeigen: Viele Thüringer sehen deutlich die friedensstiftende und stabilisierende Wirkung des europäischen Einigungsprozesses. Europa war bislang ein Garant des Friedens. Umso schmerzlicher sind die Ausnahmen – in Serbien, in Kroatien, im Kosovo und nun jüngst in der Ukraine. Der Frieden im Kerneuropa muss ein Frieden für ganz Europa werden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sind die Bemühungen der Bundeskanzlerin um eine friedliche Lösung des Konflikts im Osten der Ukraine gar nicht hoch genug einzuschätzen. Lieber hundert Stunden verhandeln als eine Minute schießen – dieser Satz stammt von einem ihrer Vorgänger, von Helmut Schmidt. Ich finde, es muss immer wieder versucht werden, dem Frieden eine Chance zu geben. Auch und gerade weil es ein Friedensprojekt ist, unterstützen die Thüringerinnen und Thüringer die grundsätzlichen Ideen und Ziele der europäischen Vereinigung. An dieser positiven Grundhaltung haben auch die Wirtschafts- und Finanzkrise und alle Versuche, diese für europafeindlichen Populismus zu instrumentalisieren, nichts geändert. Thüringen ist fester verankert in der Europäischen Union als jemals zuvor. Uneingeschränkte Europagegner bilden in Thüringen nur eine Minderheit. Dem widerspricht auch nicht der Umstand, dass sich lediglich 8 Prozent der Befragten in erster Linie als Europäer sehen. Eine starke Verwurzelung in der Region und eine proeuropäische Haltung schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Starke Regionen, die den europäischen Einigungsprozess gewissermaßen „von unten“ konstruktiv mitgestalten, verkörpern vielmehr das Motto der EU: „In Vielfalt geeint“. Auf dieser Basis regionaler Vielfalt baut auch die Europapolitik der neuen Landesregierung auf. Einer allgemein positiven Grundeinstellung zum Gedanken der europäischen Einigung steht aber offenbar auch ein kritischer Blick auf die politischen Realitäten in der EU gegenüber. Während die EU im Positiven mit Frieden, Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und wirtschaftlichem Wohlstand assoziiert wird, steht dem bei den Bürgerinnen und Bürgern eine ebenso eindeutige negative Assoziation mit mehr Bürokratie und Geldverschwendung gegenüber. Die Thüringer verdeutlichen damit, dass es für sie Bereiche auf der EU-Ebene gibt, in denen sie konkretes politisches Handeln und spürbare Verbesserungen nicht nur wünschen, sondern einfordern.

Wie stellen sich die Thüringerinnen und Thüringer die Zukunft der Union vor? Einerseits scheinen sie den Status quo zu bevorzugen. Neue Kompetenzen für die EU befürworten in dieser Allgemeinheit nur 16 Prozent der Befragten. Insoweit scheint Skepsis gegenüber einem Mehr an Europa zu herrschen.

Das Subsidiaritätsprinzip manifestiert sich auch im Thüringen-Monitor: Gefordert wird mehr Handlungsspielraum für die unteren Ebenen statt einheitliche europaweite Regelungen. Dabei darf sich Europapolitik nach meiner festen Überzeugung nicht mit einem bloßen Neinsagen und in einem Abwehrkampf gegen Brüssel erschöpfen. Was wir brauchen, ist ein positiv verstandenes Europa der Regionen, in dem die unterschiedlichen Ebenen das machen, was sie am besten können und auf diese Weise den europäischen Einigungsprozess von unten voranbringen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Es zeigt sich aber auch ein widersprüchliches Bild. Im Konkreten befürworten die Befragten auch deutlich mehr Kompetenzen für die EU. Die vorliegenden Zahlen zeigen, dass sich die Thüringer durchschnittlich eine einheitliche Außenpolitik, ein gemeinsames System der sozialen Sicherheit, ein einheitliches Steuersystem und mehr Hilfe für Regionen in wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten als Perspektive für den europäischen Integrationsprozess wünschen. Hinter diesen Einschätzungen stehen Vorstellungen über einen europäischen Mehrwert in diesen Politikbereichen. Das zeigt sich ganz deutlich. Die Diskussion über ein Mehr an Europa sollte immer an konkreten Beispielen geführt werden unter Darstellung der konkreten Auswirkungen auf das Lebensumfeld der Thüringer. Dies ist für uns eine wichtige Erkenntnis für die Vermittlung von Informationen über Europa.

Ich komme damit zu dem wichtigen Bereich der europäischen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit. Vor allem auf die europapolitische Öffentlichkeitsarbeit muss sich unser Blick richten, wenn wir politische Konsequenzen aus dem aktuellen Thüringen-Monitor ziehen wollen. Die Ergebnisse des Thüringen-Monitors sind hier sehr aufschlussreich: Hier sieht man ein deutlich artikuliertes subjektives Informationsdefizit. Thüringer Bürger schätzen ihr Wissen über die EU selbst nicht als sonderlich hoch ein und trauen sich deshalb – wahrscheinlich – aus Unwissenheit häufig die Antwort auf spezifische Fragen im Thüringen-Monitor nicht zu. Gleichzeitig aber ist ihre Bereitschaft, mehr über die Funktionsweise und über die Rechte als EU-Bürger zu erfahren, sehr hoch. Was wir hier sehen, ist eine Kluft zwischen der Vielzahl der europapolitischen Informationsangebote und wie diese tatsächlich angenommen werden. Die Auswertung der Europawahlen hat beispielsweise gezeigt, dass umfangreiche Anstrengungen in den Ländern unternommen wurden, um die Bürgerinnen und Bürger über die Europäische Union zu informieren und zur Teilnahme an der Europawahl zu motivieren. Zumindest konnte dadurch das Niveau der Wahlbeteiligung in Thüringen gehalten werden. Dennoch scheinen diese Angebote nicht immer ihren Adressaten zu finden, auch wenn diese grundsätzlich offen dafür sind.

(Ministerpräsident Ramelow)

An dieser Offenheit gilt es anzusetzen. Sie ermöglicht es uns, zukünftig mehr Bürger zu erreichen, wenn wir unser Informationsangebot in Teilen neu ausjustiert haben. Dies ist unausweichlich: Denn der Thüringen-Monitor zeigt deutlich, dass das staatliche Informationsangebot derzeit nur von einer verschwindenden Anzahl der Thüringerinnen und Thüringer genutzt wird. Hier helfen nur eine gute Portion Selbstkritik und der Mut, neue Wege in der Öffentlichkeitsarbeit einzuschlagen. Dies gilt aber auch für alle anderen gesellschaftlichen Akteure; es ist eine gesellschaftspolitische Querschnittaufgabe.

Deshalb wird auch wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, die Arbeit des Europäischen InformationsZentrums unterstützt. Das EIZ ist ein wichtiger Baustein in der gesamten europapolitischen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit in Thüringen.

Die Staatskanzlei will bessere bürgernahe europapolitische Informationsarbeit leisten und entsprechende Veranstaltungen durchführen. Darüber hinaus wollen wir das Programmangebot und den Internetauftritt erweitern, neue Formate ausprobieren und mehr im ländlichen Raum arbeiten als bisher. Man könnte auch sagen: raus aus Erfurt, rein nach Thüringen! Wir können nicht erwarten, dass die Menschen aus ganz Thüringen nach Erfurt kommen. Dennoch gilt mein Wort: Jeder ist in die Staatskanzlei, ins Europäische Informations-Zentrum herzlich eingeladen. Das gilt für den einzelnen Bürger ebenso wie für Schulklassen, Studentengruppen, Vereine und Verbände sowie für alle, die sich über Europa informieren und austauschen möchten.