Protokoll der Sitzung vom 09.12.2016

Warum können wir als Christlich Demokratische Union den Begriff „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nicht allein für sich stehen lassen? Weil sich dieser Begriff aktuell in einer stetigen wissenschaftlichen Weiterentwicklung befindet, weil er teilweise – dafür können aber die Wissenschaftler nichts – politisch instrumentalisiert wird und im wissenschaftlichen Diskurs nicht abschließend geklärt ist, wohin er sich entwickelt.

Herr Abgeordneter Tischner, es gibt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dittes. Gestatten Sie die?

Gern später.

Später.

Deshalb ist für uns eine Erweiterung des Titels und des Auftrags um den Bereich des politischen und religiösen Extremismus gerade in diesen Tagen und Zeiten notwendig.

(Beifall CDU)

Was das wissenschaftliche Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit betrifft, ist dies ein Begriff, der Einstellungsmuster in den Bereichen Rassismus, Rechtsextremismus, Diskriminierung und Sozialdarwinismus in einem verbindenden Ansatz aufzeigen will und unstrittig aus der Rechtsextremismusforschung stammt. Dabei wurden lange Zeit jährlich 3.000 Menschen telefonisch befragt, inwieweit sie Aussagen zustimmen, die Elemente von Rassismus, von Fremdenfeindlichkeit, von Antisemitismus, von Homophobie, Abwertung von Obdachlosigkeit, Abwertung von Behinderten, islamfeindliche, sexistische Dinge, Etablierungsvorrechte und die Abwertung von Langzeitarbeitslosigkeit enthalten. Alles schlimme Sachen! Abgesehen aber von dem grundlegenden Zweifel an standardisierten, quantitativen Forschungen im Rahmen von Bewusstseinsuntersuchungen vernachlässigt dieser Ansatz Elemente des Linksextremismus und des religiösen Extremismus völlig.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Sie hätten das mal zu Ende lesen sollen!)

Um ein umfassendes Bild von Extremismus zu erhalten, muss unter anderem aber auch nach Absolutheitsansprüchen, nach Dogmatismus, Fanatismus, antidemokratischen Ideen, nach fanatischer Intoleranz, Verschwörungstheorien, Freund-FeindStereotypen, Anarchismus, antireligiösen Einstellungen, Antiglobalisierung, Antiamerikanismus, Antizionismus usw. gefragt werden. Sie merken, die alleinige Verwendung des Begriffs verstellt den Anspruch an eine Enquete-Kommission. Trotz dieser Bedenken und auf Grundlage unserer parlamentarischen Überzeugung, die ich Ihnen gerade dargelegt habe, verweigern wir uns nicht einer EnqueteKommission zu diesen Fragestellungen, denn der Begriff ist sozialwissenschaftlich eingeführt. Wir wollen verdeutlichen, dass es am Ende darum geht, verschiedenste Einstellungen und Handlungen zu analysieren und zu bewerten. Und dazu gehören alle Diskriminierungen. Das sollte aus unserer Sicht im Titel zum Ausdruck kommen. Deshalb unser Ergänzungsvorschlag, den politischen und religiösen Extremismus mit im Titel und in der Enquete-Kommission aufzunehmen.

(Beifall CDU)

Wir empfehlen, den Arbeitsauftrag der EnqueteKommission am Diskriminierungsverbot in Artikel 3 des Grundgesetzes zu orientieren. Gegen das Grundgesetz kann ja nun wirklich niemand hier in diesem Haus etwas haben.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Da lacht jemand – aha, okay, Frau Berninger lacht über das Grundgesetz, das ist ja wirklich peinlich.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Weil es eine Farce ist!)

(Zwischenruf Abg. Henfling, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Unterstellungen! Das ist das Schlimme daran!)

Wir empfehlen, sich an Artikel 3 des Grundgesetzes zu orientieren.

Dass Sie da so nervös werden, wenn man das Wort „Grundgesetz“ in den Mund nimmt, ist echt verwunderlich.

Es geht in Artikel 3

(Unruhe DIE LINKE)

Sie werden ja immer lauter – des Grundgesetzes darum, den Schutz vor Ausgrenzung und Abwertung umfassend zu gewährleisten. Wir möchten Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, des Glaubens, religiöser und politischer Anschauung oder Behinderung klar benennen.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Sie verwenden wirklich den Begriff der Rasse?!)

Meine Damen und Herren, wenn es Ziel ist, die Abwehrhaltungen gegenüber Einstellungen und Handlungen zu stärken – für Demokratie und für Menschenwürde –, dann sollte man auch die Ursprünge solcher Einstellungen und Handlungen lückenlos nennen. Dazu gehört, politischen und religiösen Extremismus als eine wesentliche Ursache von Diskriminierung und Gewalt zu benennen.

Meine Damen und Herren, es ist bedauerlich, dass sich Rot-Rot-Grün nicht auf einen parlamentarischen Kompromiss einlassen will. Es mangelt an Bereitschaft, den einmal vorgeschlagenen Titel auch nur ein bisschen ergebnisoffen zu diskutieren. Deshalb stellen wir unseren Alternativantrag zur Abstimmung. Gern können wir noch einmal eine Auszeit nehmen, über einen Kompromiss verhandeln.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: So wie gestern!)

Gern können wir aber auch weiter Anträge an einen Ausschuss überweisen, um dort vielleicht einen Kompromiss zu finden. Für den Fall, dass eine Ausschussüberweisung möglich ist, würden wir sagen,

dass sich der Bildungs-, Jugend- und Sportausschuss und der Ausschuss für Inneres damit befassen könnten. Wir hoffen auf Ihre Vernunft und auf ein gemeinsames parlamentarisches Wirken. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Danke schön, Herr Tischner. Als Nächste hat Abgeordnete Henfling für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident, liebe Schülerinnen und Schüler! Ich muss erst einmal kurz in den Bauch atmen. Herr Tischner, ich finde es echt schwierig, was Sie hier gerade gemacht haben.

(Unruhe CDU)

Sie fangen schon an, bevor wir hier eine Debatte geführt haben, uns quasi zu unterstellen: Wenn wir Ihrem Antrag nicht zustimmen, dann sind wir gegen das Grundgesetz. Das ist unglaublich!

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Nein, nein, das habe ich nicht gesagt!)

Dann verlangen Sie von uns, dass wir mit Ihnen ordentlich zusammenarbeiten. Was ist denn das für eine Herangehensweise?

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kompromiss – das haben wir gestern in der Diskussion mit Ihnen gemerkt – heißt für Sie doch ausschließlich: Wenn wir dem nicht zustimmen, was Sie als CDU uns auf dem Tablett servieren, dann ist das kein Kompromiss. So läuft aber ein Kompromiss nicht. Sie haben „Demokratie“ anscheinend nicht verstanden. Kompromiss heißt, dass sich alle bewegen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus meiner Sicht gibt es einen Kompromiss. Es ist Ihr Problem, wenn Sie nicht in der Lage waren, den NSU-Abschlussbericht richtig zu lesen. Sie haben diesem Bericht zugestimmt; Sie haben genau diesem Punkt zugestimmt und haben gesagt: Wir wollen so eine Enquete-Kommission einrichten. Ich verstehe nicht, warum wir nach diesem Kompromiss noch einen Kompromiss heraushandeln sollen, das müssen Sie mir mal erklären, was Sie davon für ein Verständnis haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Ha, ha, der war gut!)

Ich sage Ihnen mal, warum wir zum Beispiel den Artikel des Grundgesetzes darin nicht stehen haben: weil wir nämlich das Konzept von Rassen ablehnen, weil wir das Konzept von Rassen für deutlich überholt halten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann Ihnen dazu gern mal ein Zitat aus einer Publikation von 2005 vorlesen: „Trotz erheblich erscheinender morphologischer Unterschiede sind die genetischen Distanzen zwischen den geographischen Populationen des Menschen gering. Sichtbare Unterschiede zwischen Menschen täuschen uns über genetische Differenzen. Einige wenige Merkmale überbewerten wir – nur aus dem Grunde, weil sie besonders auffallen. […] Der größte Anteil der genetischen Unterschiede zwischen Menschen befindet sich nicht zwischen, sondern innerhalb der geographischen Populationen. Mindestens 90 % der genetischen Unterschiede befinden sich innerhalb lokaler oder eng benachbarter Populationen, die Unterschiede zwischen den geographischen Gruppen umfassen höchstens 10 % der genetischen Verschiedenheit. […] Angesichts dieser Ergebnisse muss der Versuch scheitern, die Menschen in mehr oder weniger voneinander unterschiedliche Gruppen zu trennen. Auch statistisch signifikante Unterschiede in Merkmals- oder Allelverteilungen sind deshalb nicht hinreichend, um Populationen als ‚Rassen‘ zu klassifizieren.

(Unruhe CDU)

Selbst die traditionelle Gliederung in drei geographische Großrassen (Europide, Negride, Mongoli- de) ist durch diese Befunde obsolet geworden […].“

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ja, das Grundgesetz ist ein ziemlich gutes Ding. Aber auch das Grundgesetz ist vor einigen Jahren entstanden und wir sind in vielen Fragen schon weiter gekommen. So viel dazu.

Das heißt aber nicht, dass es nicht auch Rassismus gibt. Das sehen wir auch immer wieder von der AfD-Fraktion, das hat sie ja auch heute hier wieder bewiesen. Wenn sie sozusagen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit unter dem Label „Meinungsfreiheit“ abtut, sagt das viel über sie und wenig über unseren Antrag aus, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kollegin Berninger hat es hier schon ausgeführt: Wir wollen mit der Einrichtung einer Enquete

(Abg. Tischner)

Kommission die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses aus der vergangenen Legislaturperiode umsetzen. In der Kommission wollen wir uns mit den Erscheinungsformen des Rassismus und der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Thüringen und der daraus resultierenden Gefährdung für die demokratische Kultur auseinandersetzen und auf der Grundlage dieser Analyse Handlungsempfehlungen zur Zurückdrängung rassistischer Einstellungen erarbeiten.