Ich bin jedenfalls der Fraktion der Grünen dankbar, dass sie am heutigen Welttag der Pressefreiheit hier die Aktuelle Stunde zum Thema „Pressefreiheit“ eingereicht hat, dankbar deshalb – das ist auch in den Vorreden so ein bisschen angeklungen –, weil es Normalität bzw. scheinbare Normalität nicht nur verdient hat, in ihrer Wirkung und Ausstrahlung einmal in den Vordergrund oder wieder einmal in den Vordergrund des gesellschaftlichen Diskurses und hier im Thüringer Landtag gestellt zu werden, sondern gleichzeitig dabei auch deutlich gemacht wird, dass weder in Deutschland, geschweige denn weltweit Pressefreiheit und damit verbundene Meinungsfreiheit Normalität sind. Mit Blick auf die Fundamente von Demokratie und menschlicher Entwicklung sind Menschen- und Bürgerrechte existenzielle Bestandteile. In Vergangenheit und Gegenwart gab und gibt es eine Vielzahl von Vorgängen und Beispielen, wie Pressefreiheit beschnitten, journalistische Arbeit behindert und Aufklärung unterdrückt wird, die es gilt mit Blick auf Demokratie und deren Stärkung öffentlich zu kritisieren und zu benennen.
Ich möchte hier nur zwei Beispiele benennen, die eigentlich für sich reden. Das ist die berühmt-berüchtigte Spiegel-Affäre aus der Nachkriegszeit 1962 und das ist die besagte Watergate-Affäre. Diese beiden Beispiele zeigen, wie wichtig die gesellschaftliche Kontrollfunktion von Medien, wie wichtig der Journalismus heutzutage als Gegengewicht von Machtvorgängen in der Gesellschaft ist.
Freie und unabhängige Medien: Die Organisation Reporter ohne Grenzen ist nun schon mehrmals angesprochen worden, auch der jüngste Bericht. Ich möchte mich hier auf einen weiteren Teil dieses Berichts berufen, es ging um die Frage der weltweiten Situation, der Arbeitsmöglichkeiten bzw. der Behinderung bis hin zur Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten. Und dies nur, weil diese sich kritisch bzw. regierungskritisch geäußert haben. Jüngstes Beispiel von über hundert eingesperrten Journalistinnen und Journalisten ist Deniz Yücel. Die Fraktion Die Linke schließt sich der Forderung der Organisation Reporter ohne Grenzen an, die Einschränkung, die Behinderung, die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten weltweit zu beenden.
„Die Zahl der Angriffe, Drohungen und Beleidigungen gegen Journalisten und Redaktionen ist in Deutschland sprunghaft gestiegen. Mindestens 39 gewalttätige Übergriffe zählte Reporter ohne Grenzen [...]. Zu Gewalt [...] kam es meist auf Demonstrationen [...]“ – das ist auch schon zitiert worden – „rechtsradikaler Gruppen oder auf Gegendemonstrationen [...]. Auch Fälle verbaler Bedrohung, Beschimpfung und Beleidigung von Journalisten nahmen [im letzten Jahr] rapide zu. Die aggressive Stimmung gegen die Medien wird von prominenten Köpfen rechter Bewegungen geschürt.“ – Ich bin immer noch im Zitat. – „Die Partei Alternative für Deutschland schließt Journalisten immer wieder von Veranstaltungen [und Parteitagen] aus.“
Wie ich schon in meiner Rede in der Aktuellen Stunde im September 2015 formulierte – ich wiederhole mich –: „[...] wer Journalisten verbal bedroht und tätlich angreift, [sie ausgrenzt,] stellt sich gegen die Pressefreiheit, gegen das Grundgesetz und gegen Demokratie.“ Dafür werden wir uns einsetzen, dass Journalistinnen und Journalisten ungehindert ihre Arbeit tun können, ihre Meinung kundtun können und demzufolge die Kontrolle auch über uns weiterführen können. Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen, meine Herren, Pressefreiheit ist ein sehr hohes Gut und ein Markenzeichen unserer Demokratie und verdient deshalb am heutigen Tag der Pressefreiheit auch eine besondere Aufmerksamkeit. Ob die Pressefreiheit und dieser Gedenktag im Rahmen einer Aktuellen Stunde allerdings ausreichend gewürdigt werden können, das mag dahingestellt sein.
Schauen wir mal, ob dann am 31. Mai 2017 der Weltnichtrauchertag oder der Welt-MS-Tag behandelt wird. Doch die Randbemerkungen beiseite und hin zur verfassungs- und fachgesetzlich geschützten Pressefreiheit.
In diesem Zusammenhang verweise ich nur stichwortartig auf die Freiheit der Berichterstattung, das Zensurverbot, das Zeugnisverweigerungsrecht, die Auskunftspflicht und vieles andere mehr. Trotz die
ses rechtlichen Schutzes ist, wie eine überregionale Zeitung heute schrieb, global betrachtet der Kampf um die Wahrheit voll entfacht. Unsere Pressefreiheit ist durchaus keine Selbstverständlichkeit mehr – für meine Fraktion und für mich zumindest ein hart erarbeitetes und eminent schützenswertes Privileg unserer Gesellschaft sowie eine große Errungenschaft der letzten Jahrzehnte.
Meine Damen, meine Herren, dieses Privileg unserer Pressefreiheit gilt es auch künftig in der heutigen weltpolitisch spannungsgeladenen Zeit uneingeschränkt zu schützen. Dieses gilt aber meines Erachtens nicht nur für Parlamente, auch die journalistische Arbeit ist gefordert, zumal die gesetzlich verankerte Pressefreiheit für Journalisten beinhaltet, Verantwortung für das eigene Tun und Unterlassen zu übernehmen, wie ein heutiger Leitartikel beschrieb – zurückhaltend ausgedrückt eine nicht ganz einfache öffentliche Aufgabe und journalistische Verantwortung. Darüber hinaus hat Pressefreiheit einen ganz praktischen Nutzen für jeden Einzelnen unserer Gesellschaft. So soll Presse Nachrichten beschaffen, produzieren und verbreiten, Stellung nehmen, Kritik äußern, an der Meinungsbildung mitwirken sowie einen wichtigen Beitrag zur Bildung leisten. Dies alles, um jeder Person sein ganz individuelles Leben in unserer pluralistischen Gesellschaft zu ermöglichen und zu gestalten. So viel in der gebotenen Kürze zu dem Soll.
Nun zu dem Ist der Pressefreiheit: Dass gegenwärtig mehr oder minder ein Gefährdungspotenzial der Pressefreiheit vorliegt, belegt auch der vor wenigen Tagen, genau am 26.04.2017, von der Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen vorgelegte Bericht, kurz ROG-Bericht 2017 – m eine Vorredner wiesen darauf hin. Wie die Studie zeigt, kam es 2016 weltweit selbst in demokratischen Ländern aufgrund medienfeindlicher Rhetorik, restriktiver Gesetze und parteilicher Einflussnahme zu einer Einschränkung der Pressefreiheit. Zwar hat Deutschland den Platz 16 von 18 Ländern erzielt und somit den Vorjahresrang verteidigt, dennoch waren auch bei uns Journalisten tätlichen Angriffen, Drohungen und Pöbeleien ausgesetzt.
Meine Damen, meine Herren, nach dem Wortlaut der Antragsbegründung – ich zitiere – gilt es, in „Zeiten populistischer und diffamierender Anfeindungen [...] insbesondere für uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die wichtige Arbeit unserer Thüringer Journalistinnen und Journalisten anzuerkennen und zu unterstützen“. Dieses ist sicherlich richtig und wichtig, dennoch meines Erachtens nur eine sektorale Betrachtung. Vielmehr sind wir alle – unsere gesamte Gesellschaft – gefordert, das hohe Gut der Pressefreiheit einschließlich der Journalisten, der Verlage und Medienunternehmen sowie natürlich unserer Parlamente zu erhalten, zu schützen und weiterzuentwickeln. Unsere Fraktion schließt sich dem an. Vielen Dank.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, parallel zu dieser Aktuellen Stunde diskutieren die Medientage Mitteldeutschland über ein ähnliches Thema, wie wir es hier aufrufen. In einem bestbesuchten Panel dieser Medientage Mitteldeutschland wird nämlich darüber gesprochen, wie Medien über Medien berichten. Dort wird auch über Medienfreiheit gesprochen und über den Zustand der Pressefreiheit geredet. Insofern glaube ich, dass wir heute am Tag der Pressefreiheit ein sehr aktuelles Thema aufrufen.
Ich bin der Grünen-Fraktion dankbar, dass sie, da heute auf diesen Tag des Plenums der internationale Tag der Pressefreiheit fällt, auch uns im Landtag die Gelegenheit gibt, mit Reporter ohne Grenzen und anderen Institutionen eine Bilanz zu ziehen. Die Bilanz, die wir uns am internationalen Tag der Pressefreiheit zu vergegenwärtigen haben, ist durchaus auch mit dem Wort „erschütternd“ zu bezeichnen. 61 Journalistinnen und Journalisten, acht Medienassistentinnen und Medienassistenten, neun Online-Aktivisten – kurz Blogger genannt – wurden aufgrund ihrer Tätigkeit im vergangenen Jahr 2016 getötet. In Haft sind 179 Journalistinnen und Journalisten, 12 Medienassistentinnen und -assistenten, sowie 157 Bloggerinnen und Blogger weltweit. 426 Personen, für die das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf faire Berichterstattung und freie Ausübung ihres Berufs nicht gilt, die Einschränkungen ihrer Bürgerrechte oder den Verlust körperlicher und seelischer Unversehrtheit in Kauf nehmen mussten, weil sie vom Recht der Pressefreiheit Gebrauch gemacht haben.
Der heutige Tag und diese Aktuelle Stunde sind Anlass, an diese 426 Einzelschicksale zu erinnern und an Deniz Yücel, der hier schon angesprochen worden ist, der seit dem 14. Februar 2017 in der Türkei in Haft sitzt, weil er einem Redaktionsnetzwerk angehört, das kritisch über die türkische Regierung berichtet und deshalb von der türkischen Regierung als „Terrornetzwerk“ denunziert und verfolgt wird.
Insgesamt ist die Weltkarte der Pressefreiheit, wie Reporter ohne Grenzen bilanzieren, dunkler geworden. 21 Länder werden so eingeschätzt, dass dort eine sehr ernste Lage für Pressevertreter besteht; im vergangenen Jahr sind drei Länder zu dieser
Gruppe hinzugekommen. Für 51 Länder wird eine schwierige Lage festgestellt; zwei Länder sind hinzugekommen. Und alles in allem hat sich die Situation in beinahe zwei Dritteln aller 180 Länder verschlechtert. Verletzungen der Medienfreiheit nehmen also weltweit zu, so die Bilanz von Reporter ohne Grenzen in ihrem entsprechenden Pressefreiheitsbarometer.
Sehr geehrte Damen und Herren, mit dem Ende des Staatssozialismus in Mittel- und Osteuropa, das wir hier zutreffend als friedliche Revolution bezeichnen, ab 1989 war ebenso wie mit dem Arabischen Frühling die Hoffnung verbunden, dass es zu einer Renaissance der demokratischen Kultur von Meinungsfreiheit und Zivilgesellschaft kommt. Heute müssen wir gemeinsam mit Institutionen wie Reporter ohne Grenzen bilanzieren, dass wir an einem Scheideweg der demokratischen Entwicklung stehen, auch in den traditionellen und den jüngeren Demokratien.
Der US-amerikanische Präsident Donald Trump denunziert seit seinem Amtsantritt in einem Trommelfeuer von morgendlichen Tweets gestandene Zeitungen und News Corporations als „Fake-News“. Er insinuiert nicht nur, sondern behauptet klar und unmissverständlich in seiner Funktion als Präsident der Vereinigten Staaten, dass Journalisten, Blogger und Medieninstitutionen das Geschäft der Lüge betreiben würden. Einen Beweis bleibt er schuldig. Das Ziel ist einzig und allein die Delegitimierung all derjenigen, die zunehmend mehr Mut aufbringen müssen, das Selbstverständlichste zu tun, was die Aufgabe von Journalismus ist: Fakten zu ergründen, Fakten darzustellen und Fakten zu bewerten.
Renate Köcher vom Allensbach-Institut bringt es auf den Punkt, wenn sie feststellt – ich zitiere mit Einverständnis –: Das Novum ist nicht eine neue Aversion oder Missachtung von Fakten in der Öffentlichkeit – das ist das Geschäft der AfD –, sondern ein Spitzenpolitiker, der den Anspruch erhebt, allein über Wahrheit und Unwahrheit zu entscheiden, und entsprechend alle, die sich diesem Anspruch widersetzen, zu diskreditieren. Dies bedeutet in einem Land mit einer freien Presse zwangsläufig einen heillosen Konflikt mit den Medien und mit allen, die von der Existenz belastbarer Fakten überzeugt sind. – Dadurch verändert sich aus meiner Sicht das Normalitätsverständnis dessen, was wir für einen demokratischen Umgang mit Presse und kritischer Meinungsäußerung für selbstverständlich halten.
In unserem Nachbarland Polen, in Ungarn, aber auch bei uns in Ostdeutschland wurde vor gerade einmal einem Vierteljahrhundert die Pressefreiheit zurückerobert. In Polen wird seit dem vergangenen Regierungswechsel der öffentliche Rundfunk faktisch der Regierung unterstellt. Durch Personalpolitik und Zwangsmaßnahmen ist der öffentlich-rechtli
che Rundfunk Polens auf Regierungstreue getrimmt worden. Kritische Medien werden durch eine Politik der gesteuerten Reduktion von Werbeanzeigen ausgetrocknet. Wo andere Länder kritische Medien verbieten, wie zum Beispiel in der Türkei oder in Russland, vollzieht sich dieser Prozess in Polen durch die Hintertür. Diese Strategie hat sich die polnische Regierung vom EU-Partnerland Ungarn abgeschaut, dessen Regierung diese Politik der Austrocknung kritischer Presse seit Jahren praktiziert, mit traurigem Erfolg zulasten der freien Meinungsäußerung. Ich bin froh, dass Frau Staatssekretärin Dr. Winter bei Ihren Besuchen in Ungarn, mit dem wir eine Länderpartnerschaft haben, auch die Situation der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit offensiv anspricht und das zum Gegenstand unseres Partnerschaftsdialogs mit Ungarn macht, so wie wir dies auch dort tun, wo wir mit der Ukraine, wo wir mit Kleinpolen kooperieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, um es deutlich zu sagen, das habe ich hier an anderer Stelle im Plenum auch schon mal gesagt: Kritik an Zeitungen, an Rundfunk und Fernsehen ist in keiner Weise illegitim. Im Gegenteil, jedes gesellschaftliche Teilsystem, sei es Wirtschaft, Politik, Kultur oder eben Medien, muss sich in einem gesellschaftlichen Diskurs auch Kritik stellen und sich gegenüber Kritik legitimieren. Dass dies geschieht, zeigt eine fast unüberschaubar gewordene Zahl an Publikationen, die sich mit der Rolle von Medien in ihrer Tätigkeit auseinandersetzen. Kritik wird an den Medien geäußert, aber viel zu selten wird wahrgenommen, dass auch die Selbstkritik in den Medien groß ist. Um es jedoch klar zu sagen: Demokratie ist der politische Raum, der uns das Recht gibt, Fragen zu stellen und zu prüfen. In der Demokratie beugt sich die Macht dem Argument, nicht umgekehrt. Diese Klammer demokratischen Diskurses wird aber unterminiert durch die Infragestellung von kritischer Berichterstattung in Form von offenen Vorwürfen der „Lügenpresse“ oder der subtilen Kritik durch Begriffe wie sogenannte „Qualitätsmedien“. Aber auch das Dauerfeuer gegenüber den öffentlichrechtlichen Medien empfinde ich als hoch problematisch, sei es durch eine populistische Instrumentalisierung des Rundfunkbeitrags seitens der AfD oder ebenso populistischen Forderungen der CSU, durch die Zusammenlegung von ARD und ZDF die Sendervielfalt zu reduzieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, nutzen wir den heutigen Tag der Pressefreiheit, uns mit denjenigen Pressevertreterinnen und Pressevertretern zu solidarisieren, die aufgrund ihrer Arbeit inhaftiert sind. Sprechen wir den Familien und Freunden der getöteten Journalistinnen und Journalisten unser Beileid aus. Machen wir als Landesregierung und als Landtag gegenüber der türkischen Regierung deutlich, dass wir uns für die Freiheit von Deniz Yücil und den mit ihm inhaftierten Journalistinnen und Jour
nalisten einsetzen. Setzen wir uns ebenso dafür ein, dass Journalistinnen und Journalisten ihrer Arbeit nachgehen können. Der Ausschluss von Medienvertretern von Parteitagen, wie dies die AfD notorisch praktiziert, weil sie Gefälligkeitsjournalismus statt kritische Berichterstattung wünscht, ist inakzeptabel. Setzen wir uns zugleich dafür ein, dass Journalistinnen und Journalisten gute Arbeitsbedingungen vorfinden. Dies bedeutet insbesondere gesicherte Arbeitsverhältnisse statt prekärer Beschäftigung. Dies bedeutet aber auch neue Unternehmensstrategien, um eine weitere Medienkonzentration und einen weiteren Abbau von Traditionsmedien zu verhindern, so wie dieser Landtag dies bereits in einer Aktuellen Stunde am 16. März des vergangenen Jahres diskutierte und forderte.
Als Landesregierung werden wir die Medienbildung an den Schulen verstärken, weil wir dies für eine Grundvoraussetzung für die Teilhabe am öffentlichen Diskurs halten. Wir unterstützen die Thüringer Landesmedienanstalt in ihrer Arbeit an diesem wichtigen Feld. Wir unterstützen die Arbeit von freien Radios und Bürgermedien als Ergänzung der Medienlandschaft und Förderung von Meinungsvielfalt und meinen, dass das die richtige Strategie ist, statt die Denunziation von denjenigen, die uns die Möglichkeit bieten, durch kritischen Journalismus die Welt mit den Augen zu sehen, wie sie zu sehen ist, nämlich durch Faktenbetrachtung und die Diskussion über die Fakten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister. Ich schließe damit diesen Teil der Aussprache der Aktuellen Stunde und eröffne den vierten Teil
d) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Investitionen in Thüringen stärken – Außenwirtschaftliches Ungleichgewicht ausgleichen“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/3838
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer auf der Tribüne und am Livestream, im letzten Jahr hat Deutschland laut einer Studie des ifo Instituts 297 Milliarden Dollar mehr durch den Export von
Waren und Dienstleistungen eingenommen, als es für Importe ausgegeben hat. Dieser Exportüberschuss bescherte Deutschland wieder einmal den Titel als sogenannter Exportweltmeister vor China und Japan. Das bietet zunächst einmal Grund zur Freude. Exportweltmeister sein bedeutet: Unsere Unternehmen sind wettbewerbsfähig, deutsche Produkte sind im Ausland gefragt und werden für ihre Qualität hoch geschätzt. Gleichwohl richten Medien, Politik und internationale Organisationen wie der IWF oder die OECD zu Recht ihren Blick auf die Kehrseite dieser Medaille, die wir auch heute in unserer Aktuellen Stunde thematisieren: Die Risiken eines langfristigen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts sind nicht zu unterschätzen. Den Exporten aufseiten der Überschussländer stehen zwangsläufig Importe aufseiten der Defizitländer gegenüber und tragen dazu bei, dass diese sich hoch verschulden. Die Folgen sind Vermögenspreisblasen bei den Überschussländern, die irgendwann zu platzen drohen oder Verschuldenskrisen in den Defizitländern, die wir in Europa erst vor wenigen Jahren beobachten konnten.
Es wäre fatal, sich allein auf die Marktmechanismen zu verlassen, um das außenwirtschaftliche Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Erfahrung zeigt, dass Marktkorrekturen größerer und langfristiger wirtschaftlicher Ungleichgewichte zu gravierenden Krisen und großen volkswirtschaftlichen Verlusten führen. Statt sich also nur auf den Markt zu verlassen, bedarf es präventiver wirtschaftspolitischer Korrekturen. Es ist nicht damit getan, den Defizitländern vorzuhalten, sie müssten nur ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, um ihre eigenen Exporte zu erhöhen.
Als wirtschaftlich starkes Land tragen wir eine besondere Verantwortung für die Weltwirtschaft und müssen als größtes Überschussland unseren Beitrag leisten. Dabei stehen wir vor der Herausforderung, den Exportüberschuss abzubauen, ohne Wachstum und Beschäftigung einzubüßen. Wenn wir das schaffen wollen, müssen wir uns darauf konzentrieren, den Investitionsbedarf in Deutschland anzugehen, der momentan hinter dem Notwendigen zurückbleibt und sich langfristig negativ auf unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auswirken wird. So benötigen wir dringend verstärkte Investitionen in dem Bereich der Verkehrsinfrastruktur, wie zum Beispiel Instandsetzungs- und Neubaumaßnahmen an Straßen, die Sanierung von Brücken und die Erweiterung des Straßen- und Wasserwegenetzes sowie des Schienenwegenetzes der Deutschen Bahn. Gleiches gilt für die Netzinfrastruktur in den Bereichen Energie, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung und vor allem im Breitbandausbau. Zudem brauchen wir mehr Investitionen in den Klimaschutz. Hier stehen wir mit dem Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien und den damit verbundenen Investitions
erforderungen im Bereich der Energieerzeugung und der Stromnetze vor großen Herausforderungen. Auch Investitionen in Gebäude zur Erhöhung der Wärmedämmung sollten berücksichtigt werden.
Ein gewichtiger Schwerpunkt staatlicher Investitionstätigkeiten sollte zudem auf den Bildungssektor gelegt werden. Der Ausbau des Bildungssektors in allen Bereichen, allen voran der frühkindlichen Bildung, aber auch der schulischen Bildung, des Universitäts- und Hochschulstudiums und der Forschung sowie der beruflichen Aus- und Weiterbildung, hat für uns in den kommenden Jahren oberste Priorität.