Protokoll der Sitzung vom 22.06.2017

nicht funktionierende Selbstwahrnehmung der AfD – alternativ, um im Sinne der Alternative für Deutschland zu bleiben, eine besondere Form des braunen Humors. Denn die allseits bekannten Verfechter der Meinungsfreiheit rechts außen hier von uns legen einen Gesetzentwurf vor, mit dem sie sich als vermeintliche Vorreiter und Frontkämpfer gegen die angebliche Zensur im Internet stellen wollen, fabulieren dann in ihrem Gesetzentwurf – wobei ich ehrlich gesagt hinterfrage, inwieweit die uns hier vorliegenden Seiten überhaupt die hohe Begrifflichkeit „Gesetzentwurf“ verdienen, denn meines Erachtens steckt in jedem Tweet von mir mehr Arbeit als in diesen uns vorliegenden Seiten der AfD –,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

schwafeln jedenfalls oder fabulieren davon, dass oppositionelle Meinungen in Deutschland unterdrückt und oppositionelle Autoren geächtet würden. Das ist sozusagen Zitat aus diesem Gesetzentwurf.

(Heiterkeit DIE LINKE)

(Minister Dr. Poppenhäger)

Ich will einmal versuchen, darzustellen, was die AfD oder – besser gesagt – wen die AfD mit solch oppositionellen Autoren höchstwahrscheinlich meint, nämlich meines Erachtens Personen wie Ursula Haverbeck, eine mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin – bisher achtmal verurteilt –, die unter anderem ausgeführt hat, der Holocaust sei „die größte und nachhaltigste Lüge der Geschichte“. Verurteilungen gab es unter anderem, weil sie meinte, dass es sich bei dem Konzentrationslager in Auschwitz nicht um ein Konzentrationslager, sondern um ein Arbeitslager gehandelt habe und es dort keine Vergasung von Menschen gegeben hätte.

Warum ich Ursula Haverbeck anführe, ist, weil im Oktober 2016 der Fraktionsvorsitzende der AfD Bernd Höcke in Gera auf einer Kundgebung der AfD ausgeführt hat: „Fast zeitgleich, liebe Freunde, ist in Deutschland eine 87-jährige Seniorin zu elf Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden, weil sie öffentlich einen historischen Sachverhalt leugnet. Für die sogenannten Meinungsdelikte, da wandert man manchmal jahrelang in diesem freien demokratischen Rechtsstaat hinter Gitter. Diese Unverhältnismäßigkeit hat nicht mehr viel von einem funktionieren Rechtsstaat. Das, liebe Freunde, ist nichts anderes mehr als schreiende Ungerechtigkeit.“ Herr Höcke hat hier gesagt, das Ganze – also Holocaust-Leugnung, Holocaust-Relativierung – wäre ein Meinungsdelikt.

Das ist das, worum es der AfD in ihrem Antrag nämlich auch geht, diffamierende, rassistische, antisemitische und ähnliche Äußerungen auf Twitter, auf Facebook oder auch sonst irgendwo in der Welt des Internets zu legitimieren und zu legalisieren. Das ist Ziel und Hintergrund des heute vorliegenden Gesetzentwurfs,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

weil Sie unter Meinungsfreiheit in Wirklichkeit die uneingeschränkte Lizenz verstehen, andere zu beleidigen, zu diffamieren, an den Pranger zu stellen, so Giovanni di Lorenzo in seiner Dresdner Rede vom Februar 2016.

Ich will aber auch noch auf einige andere Punkte eingehen. Die AfD will ja Zensur untersagen lassen. Sie meint, dass es Zensur gebe. Hier kurz, was die AfD in den letzten Monaten gemacht hat und wo sie überall versucht hat, selbst zensorisch tätig zu sein:

Ein Beispiel: April 2016 – ein grüner Abgeordneter im rheinland-pfälzischen Landtag äußerte, Zitat: „Es gibt in der AfD Menschen, die gegen Juden hetzen und den Holocaust leugnen. Sie sind nicht ausgeschlossen worden.“ Die AfD wollte das per Unterlassungsklage zensieren, das Landgericht Mainz hat das verhindert.

Im Mai 2016 unterstützt ein AfD-Richter am Landgericht Dresden die NPD bei der Zensur von kriti

schen Äußerungen eines Wissenschaftlers. Die Entscheidung wurde zum Glück am Ende durch andere Richter wieder gekippt.

Im Januar 2017, nach der berühmt-berüchtigten Rede im Dresdner Brauhaus des hiesigen Fraktionsvorsitzenden der AfD, kündigte dieser an, mit rechtlichen Schritten kritische Äußerungen zu zensieren: „Bösartige und bewusst verleumderische Behauptungen zu meiner Dresdner Rede.“

März 2017: Die AfD versucht, die Äußerung einer nordrhein-westfälischen Kommunalpolitikerin, wonach ein Ortsverband rechtsradikal und rassistisch sei, zu zensieren. Die Klage am Amtsgericht wird abgewiesen.

Im März 2017 hat eine „Spiegel“-Reporterin ein Buch über die AfD veröffentlicht. Die AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch versucht, per Abmahnung die ihr zugeschuldete Äußerung zum Schießbefehl zensieren zu lassen. Frau Storch hatte vorher behauptet, mit der Maus abgerutscht zu sein.

Im März 2017 versucht die AfD, die Äußerung der Bundesvorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping, zu zensieren, die der AfD vorgeworfen hatte, dass sie junge Geflüchtete sterilisieren wolle. Das Landgericht Köln hat diesen Zensurversuch der AfD unterbunden.

(Beifall DIE LINKE)

Im April 2017 versucht AfD-Bundesvorstandsmitglied Markus Frohnmaier, einen Bericht des Ulmer Lokalportals per Klage zu zensieren, der kritisch berichtet hatte. Auch dieser Versuch der Zensur wurde vom Landgericht Köln als unbegründet abgewiesen.

Ich glaube, wir alle haben erst kürzlich den Versuch der AfD mitbekommen, die Satire-Sendung zensieren zu lassen, Äußerungen in der Satire-Sendung „extra 3“. Auch das ist ja dann glücklicherweise durch das Landgericht Hamburg untersagt worden.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicht zuletzt ist es so, Sie treten ja hier als die großen Verfechter der Meinungsäußerung, der freien Meinungsäußerung und dem Recht auf Meinungsfreiheit auf und meinen auch noch, sich schützend vor Journalisten stellen zu müssen. Wissen Sie, auf fast allen Parteitagen der AfD werden unliebsame Journalisten nicht zugelassen, teilweise gibt es auch einen Komplettausschluss von Journalisten, um eben eine freie Berichterstattung zu unterbinden, weil man Angst hat, dass die Presse, Zitat, „negative Momente“ öffentlich wiedergeben könnte. Was die AfD probiert, ist, im Bundestag in viel zu viel Kürze und absolut fehlender Würze und vor allem zum Teil auch sehr fehlendem Inhalt dieses Netz-DG zu verhindern. Das Netz-DG: Ja, die

sem zuzustimmen wäre fatal für die Pressefreiheit, wäre fatal für die Meinungsfreiheit, wäre fatal für das, was wir zumindest den Versuch einer kritischen Auseinandersetzung nennen. Dafür trägt dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht. Dieser Bundesregierungsentwurf, dieses Gesetz muss abgelehnt werden, aber nicht auf der Grundlage des uns hier vorliegenden Gesetzentwurfs der AfD und auch nicht mit Ihren Argumentationen, die Sie probieren, uns hier unterzujubeln. Wissen Sie, Ihnen geht es darum, Hate Speech, also die klassische Form der Hetzrede, Rufmordkampagnen, die zum Teil im Internet stattfinden, darunter dann auch Volksverhetzung, rassistische Äußerungen, neonazistische Äußerungen, antisemitische Äußerungen, all das probieren Sie, letztlich legitimieren zu lassen. Sie sehen sich dabei als Opfer eines vermeintlich linken Meinungsterrors. Und Christian Bommarius hat dazu in der „Frankfurter Rundschau“ ausgeführt, Zitat: „Seit Hassbotschaften, Schmähungen, Diffamierungen, Rufmorde und Morddrohungen das Internet und soziale Netzwerke wie Facebook überschwemmen, seit rassistische Pöbeleien gegen Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer, gegen Politiker, Lehrer, Pfarrer, Journalisten etc., die Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer vor den Pöbeleien in Schutz nehmen, inzwischen fast zum guten Ton gehören, seit also immer mehr Rassisten, AfD- und Pegida-Anhänger, Rechtsradikale und Rechtsextremisten das Netz in eine Fäkaliengrube verwandeln, ist die Meinungsfreiheit in Gefahr wie nie zuvor – bedroht allerdings nur von allen, die dem Hass öffentlich entgegentreten.“ Die Höckes rufen Zensur, wenn Hass und Rufmord öffentlich zurückgewiesen werden.

Ich will ein paar konkrete Beispiele bringen, die AfD-Mitgliedern bzw. der AfD nahe stehenden Personen zugeschrieben werden können, die von diesen veröffentlicht wurden, um klarzumachen, worum es der AfD geht, wenn sie davon spricht, dass Meinungsfreiheit im Internet geschützt werden solle. Beispiel eins: „Ich befürworte zu 100 Prozent das Abfackeln dieser Asylunterkunft.“ „Geistesgestörtes minderwertiges Pack“ – Beispiel zwei. Beispiel drei: „Widerliche Muslimratten“. „Rattenplage, die wir bekämpfen müssen“ – Beispiel vier. „Ratten zusammenpferchen, vor einer Moschee ans Kreuz nageln und jedem mit der Lötlampe das Geschlechtsteil rausbrennen“ – Beispiel fünf. Das sind Äußerungen von einem Autor, einem Unterstützer der AfD aus Nordthüringen, der unter anderem mit mehreren von Ihren Abgeordneten auf Facebook befreundet ist.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Wer soll das sein?)

Das LKA Thüringen hat auf richterlichen Beschluss im letzten Jahr seine Wohnung durchsucht. Unter anderem der Büroleiter von Herrn Höcke oder auch jetziger Kandidat für die Bundestagswahl auf

Platz 2 oder auch der Abgeordnete Herr Rudy sind – Wie nennt man das? – Freunde auf Facebook. Freunde sind ja normalerweise auch diejenigen, die eine ähnliche politische Meinung teilen.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Wer soll denn das sein?)

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Sagen Sie doch mal, wer das sein soll!)

(Zwischenruf Abg. Kalich, DIE LINKE: Bitte mal lesen, wenn ihr das könnt!)

In Thüringen hatten wir, das hat eine Anfrage von mir ergeben, in den letzten zwei Jahren 800 Fälle von Hasskriminalität.

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Vor allem von Linken!)

Worum es geht, ist, in dem Moment dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit entgegenzutreten, wenn die Rechte anderer verletzt werden und wenn die Rechte anderer infrage gestellt werden,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder auch das Recht auf Privat- und Intimsphäre aufs Schändlichste unter anderem durch Mitglieder der AfD, Unterstützer der AfD,

(Beifall DIE LINKE)

Neonazis oder auch sonstige Menschen – es ist mir egal, woher die kommen – öffentlich diffamiert bzw. öffentlich infrage gestellt werden. Darum geht es uns.

Und eine kurze letzte Sache noch: In dieser Woche wurde ein WhatsApp-Chat der AfD aus SachsenAnhalt öffentlich. Für 6.000 Gespräche ist mittlerweile bestätigt worden, dass es real wäre. Es wurde sozusagen durch die AfD in Sachsen-Anhalt bestätigt. In diesem WhatsApp-Chat heißt es unter anderem: Mit der Machtübernahme muss ein Gremium alle Journalisten und Redakteure überprüfen und sieben, Chefs sofort entlassen, volksfeindliche Medien verbieten. Das heißt, missliebige Berichterstattung wollen Sie untersagen. Die wollen Sie zensieren, darum geht es Ihnen!

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hingegen Äußerungen, die in Ihre politische Kampagne der Teilung der Gesellschaft, der Unterscheidung der Gesellschaft, der Freiheit der Gesellschaft, die darin reinpassen, da wollen Sie sozusagen rassistische Äußerungen und Ähnliches mehr legitimieren.

Ein AfD-Abgeordneter hat in diesem WhatsAppChat sogar Stimmung gegen einen konkreten Deutschlandfunk-Landeskorrespondenten gemacht,

indem er äußerte: „Irgendwann sollte man Herrn R. vom Deutschlandfunk den Schlips mal etwas enger ziehen.“ Was ist das denn, wenn nicht eine Bedrohung oder eben auch eine klare Ansage an Journalisten, wenn sie nicht entsprechend der AfD berichten würden, hätte das eben Konsequenzen?! Und Konsequenzen, ich sage mal, den Schlips enger ziehen, da geht es dann darum, jemandem die Luft zu nehmen, jemandem die Luft zum Atmen zu nehmen, bis dahin möglicherweise, jemanden auch zu töten.

Dass Sie sich hier hinstellen, einen Gesetzentwurf vorlegen, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verteidigen, vermeintlich verteidigen, und versuchen, uns dazu zu bekommen, dem Ganzen auch noch zuzustimmen, ist, ehrlich gesagt, lächerlich.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist nicht nur lächerlich, sondern es ist zynisch angesichts dessen, was ich Ihnen hier in den letzten Minuten vorgehalten und was ich Ihnen erklärt habe. Wir lehnen dieses Gesetz, was auf Bundesebene verabschiedet werden soll, ab. Wir haben uns dazu auch schon mehrfach öffentlich erklärt. Aber wir werden hier Ihren Antrag und Ihre Zielstellung, bei der es um nichts anderes geht als die Legitimierung von Volksverhetzung, Verletzung von Persönlichkeitsrechten und Diffamierung anderer Menschen, ablehnen. Ich denke, ich habe das auch ausführlich genug begründet. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Abgeordnete König-Preuss, für Ihre Aussage wiederum an Herrn Höcke, er heißt nicht Bernd Höcke, sondern Björn Höcke, erteile ich Ihnen im Auftrag von Herrn Carius eine Rüge.

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Wie heißt er denn?)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Bernd Hitler heißt er!)

Herr Abgeordneter Kuschel, für diese Äußerung erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf, denn das ist wirklich ein Überschreiten der Normen in diesem Hause. Ich mache noch mal darauf aufmerksam, wenn die Namen von Abgeordneten hier nicht ordentlich ausgesprochen werden, verunglimpft werden, dann wird das Präsidium reagieren.