Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will durchaus auch ein paar Worte sagen zu den im Alternativantrag der CDU angesprochenen, inzwischen sieben Monate alten Telefonumfragen unter 2.012 Thüringer Wahlberechtigten des auslaufenden Jahres 2016.
Sie waren damals eine Momentaufnahme nach der im November 2016 gestarteten Kommunikationskampagne. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Umfragen sind seit dem 24. Mai online verfügbar und für jeden auch nachlesbar.
Ebenso stehen auf der Internetseite zur Gebietsreform die maßgeblichen Gesetze, Informationen, sogenannte FAQ, Newsticker und vieles mehr bereit. Ergänzt wurde dieses Informationsangebot durch eine Facebook-Plattform, welche jeder Thüringerin und jedem Thüringer darüber hinaus zur Diskussion zur Verfügung steht.
Die beiden Umfragen gingen inhaltlich deutlich über die Umfrage der CDU-Fraktion im April 2016 hinaus, welche – wie Sie wissen – lediglich auf das Für oder Dagegen einer Reform gerichtet war. Für die Umfragen meines Hauses stand im Vordergrund der Befragung unter anderem, welcher Informationsstand bzw. welche Informationsdefizite in der Bevölkerung herrschen, welche Maßnahmen die Bürgerinnen und Bürger mit Blick auf die wirtschaftlichen Fakten und Prognosen für sinnvoll erachten, welchen Kontakt sie zu Behörden pflegen oder welche Alternativen sie zum Beispiel zur klassischen Verwaltungsbehörde sehen, um hieraus Rückschlüsse für das weitere Tun der Landesregierung ziehen zu können.
Die Ausgangslage der Landesregierung zur Umsetzung und Kommunikation der Gebietsreform war schwierig, da diese lediglich von einer Minderheit der Bevölkerung als notwendig eingestuft wird. Dies war indessen nicht überraschend. An verschiedenen Stellen der Umfragen wurde aber deutlich,
dass die bis dato recht kurze Informationskampagne bereits Wirkung zeigte. Befragte, die die Informationskampagne kannten, stuften die Gebietsreform überdurchschnittlich häufig als notwendig ein, fanden einzelne Argumente deutlich überzeugender als diejenigen, die die Kampagne nicht kannten, und stuften einzelne Maßnahmen überdurchschnittlich häufig als positiv ein.
Es war auffällig, dass nach dem Vortrag der Argumente für die Gebietsreform während des Telefonats die Zahl der Befürworter anstieg. Dies zeigt, dass mit einem wirklich inhaltlichen Informationsangebot das Verständnis für Reformen da ist. Genau darum geht es.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Ergebnis der Umfragen war und – ich hoffe auch – ist die Mehrheit der Befragten mit der Bearbeitung ihrer Anliegen durch die Verwaltung zufrieden, was einen positiven Rückschluss auch auf die Arbeit unserer Kommunalverwaltungen zulässt. Es ist deshalb wichtig, dass wir auch in Zukunft die Struktur erhalten können, die vor allem in der Fläche verwaltungstechnische Angebote ermöglicht. Ich priorisiere, wie bereits angemerkt, die bekannten Bürgerservicebüros.
Auch war den Bürgerinnen und Bürgern wichtig, die Gebietsreform mit Infrastrukturmaßnahmen zu verknüpfen, um trotz des erwarteten Bevölkerungsrückgangs auch perspektivisch wichtige Leistungen der Daseinsvorsorge zum Beispiel im Gesundheitsund Verkehrsbereich weiterhin erbringen zu können. Diese Themen können wir nur gemeinsam mit allen Ressorts angehen und insoweit ist hier auch die Landesregierung in der Pflicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will auch an dieser Stelle noch mal sagen: Im Ergebnis auch der Umfragen habe ich den Eindruck gewonnen, dass es den Thüringerinnen und Thüringern vor allem auch darum geht, Liebgewonnenes – an der Gewohnheit oder Tradition – festhalten zu wollen, denn Veränderungen bringen meist Unsicherheit und Unruhe, aber auch neue Anforderungen mit sich, die neue Lebensstrategien und Tagesabläufe erfordern oder auch nur mehr Kraft. In diesem Zusammenhang will ich ein Zitat des italienischen Schriftstellers Giuseppe Tomasi di Lampedusa wiedergeben. Der hat nämlich klugerweise gesagt: „Es muss sich alles verändern, damit alles so bleibt, wie es ist.“
Er hat verstanden, dass – wenn man nichts unternimmt – es dennoch nicht so bleibt, wie es ist, weil Veränderungen – insbesondere die demografischen Prozesse – auch ohne unser Zutun geschehen. Es bleibt daher die Frage, wie wir die Situation der Veränderung beeinflussen können. Hier liegt
eben auch unsere Verantwortung. Und ich sage: Ja, wir können solche Prozesse steuern, und ja, wir können auch neue Wege küren, wir können vorausschauend handeln oder wir können unsere Chancen verpassen. Mit Blick auf unser Land, unsere Bürgerinnen und Bürger, weiß ich, dass die Zukunft auch gestaltet werden muss. Hier sind wir, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, alle gleichermaßen in der Verantwortung. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister. Als Nächster hat sich Abgeordneter Adams, Bündnis 90/Die Grünen, zu Wort gemeldet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident, ich zitiere aus dem Bürgergutachten: „In Bürgerbeteiligungsverfahren engagieren sich häufig Betroffene in besonderem Maße. Sie haben gute Gründe, sich zu Wort zu melden. Auch die von Verbänden organisierten Interessen sind in der Öffentlichkeit meist präsent. Das verzerrt die öffentliche Wahrnehmung, denn die schweigende Mehrheit kommt nicht zu Wort.“ Diese schweigende Mehrheit soll mit Bürgergutachten aktiviert werden und deren Ansichten einfließen. Deshalb ist das Werkzeug so wertvoll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger haben vieles in das Gutachten hineingeschrieben und sie haben es auch gewertet – danach, wie häufig es gefordert wurde oder wie hochrangig es eingestuft wurde. Auf Rang 1 liegt hier das Leben in der Familie, „Kinder, Jugend und Familie fördern“ ist die Forderung der Bürgerinnen und Bürger mit ganz großem Abstand – 50 von 307 Teilnehmern fordern das. Bürgerservicebüros sind ebenso gefordert worden als Orte, wo man kommunale, aber insbesondere staatliche Verwaltung antreffen, ansprechen, anfragen und auch die Serviceleistungen entgegennehmen kann. Die Vertretung der Ortschaften – wie sind unsere Ortschaften dann in den neuen Gemeinden organisiert, welche Mitspracherechte haben sie, welche Kompetenzen haben sie – lag auf Rang 3 und auf Rang 4 schon der Punkt „Vereine und Ehrenamt“, wie kann das gefördert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies zeigt für mich in eindrücklicher Weise, dass wir sehr werthaltige Informationen bekommen – gerade wenn man die Bürger in qualifizierter Weise befragt, zuhört und ihnen mehr Zeit gibt, als nur Ja oder Nein zu sagen, Pro oder Contra auszudrücken –,
und das ist um einiges wichtiger für die Zukunft als die grundsätzliche Blockadepolitik der CDU bei diesem Thema, meine sehr verehrten Damen und Herren.
In den Runden, an denen ich teilnehmen durfte und konnte, hat man das auch gespürt. Natürlich haben die Bürgerinnen und Bürger danach gefragt: Wie ist das denn mit unserer Identität? Wie verändert sich das? Wie wird mein Ort nach einer Gebietsreform aussehen? Was ist eigentlich mit dem ländlichen Raum? Hat er noch eine Zukunft? – Das alles waren natürlich auch Fragen. Es wurde in den intensiven Gesprächen dann auch konkreter und praktischer, zum Beispiel: Wie werdet ihr das mit den Wahlen machen? Wie sichert ihr die Teilhabe der Ortschaften in der Gesamtgemeinde? Solche Fragen sind dort diskutiert worden. Mich hat das sehr gefreut und auch sehr angespornt.
Eine Sache ist mir an der Stelle auch noch wichtig, auf die man hinweisen kann und muss. Wenn man gefragt hat: „Warum sind Sie jetzt mit dabei? Warum haben Sie sich mehrere Tage frei genommen, um mitzuarbeiten?“, hat kaum jemand gesagt: „Na ja, ich will das jetzt irgendwie parteipolitisch, oder ich will das verändern.“ Sondern sie haben ganz klar gesagt: „Die Chance mitzugestalten, die Chance mitzubestimmen, diese Chance, gehört zu werden, war es mir wert, diese zwei Tage Zeit zu investieren.“ Man kann an dieser Stelle nur allen Bürgerinnen und Bürgern, die daran teilgenommen haben, die sich in so einem intensiven Prozess die Zeit genommen haben, danken, einen herzlichen Dank aussprechen für die Arbeit, die sie am Gemeinwohl hier verrichtet haben.
Wir müssen uns aber auch der Kritik stellen, die von den Bürgerinnen und Bürgern geäußert wurde. Sie haben bemängelt, dass es viel zu spät angegangen wurde. Sie hätten sich ein solches Beteiligungsverfahren zu einem früheren Zeitpunkt gewünscht. Das ist eine Kritik, die wir annehmen wollen, die ich auch annehmen kann. Es wäre mit Sicherheit besser gewesen, an dieser Stelle früher aktiv zu werden.
Ich möchte die vier wichtigsten Punkte, die ich hier genannt habe, ein wenig untersetzen und auch einen Ausblick darauf geben, in welche Richtung wir schauen müssen, wie wir diese Forderungen – es sind ja Forderungen an uns – annehmen und bearbeiten können. Zum Beispiel sind das Leben in der Familie, Kinder und Jugend und die Familienförderung im ländlichen Raum bei den genannten Problemen und Forderungen ganz weit vorn.
Ich glaube, wir alle wissen, dass das Leben im ländlichen Raum ganz entscheidend davon abhängt, dass wir zunächst für junge Familien Arbeitsplätze, damit auch Zukunft und ein gutes Leben organisieren können. Es muss die wichtigste Aufgabe sein, den ländlichen Raum auch attraktiv zu halten – nicht nur als Lebensraum, sondern auch als Arbeitsort. Nur, wenn ich Leben und Arbeit gut miteinander verbinden kann, werde ich dort sesshaft und habe auch gar keinen Grund, darüber nachzudenken, von dort fortzugehen. Die darauf folgende Forderung ist natürlich die, dass wir dort auch eine gute Kinderbetreuung brauchen. Die Förderung von Kita-Plätzen muss ganz vorn stehen.
Weiterhin wurde gefordert, einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr zu organisieren. Alle, die sich in Landkreisen und im ländlichen Raum dafür engagieren, wissen, wie schwer es ist, einen ÖPNV zu organisieren, der den Bedürfnissen auch wirklich entsprechen kann, der nicht nur die Schüler zur Schule abholt, sondern auch Möglichkeiten schafft, den Arztbesuch, den Einkauf und Ähnliches zu realisieren. Es ist eine enorme Herausforderung an alle Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitiker in diesem Landtag, sich dem zu stellen und den ÖPNV im ländlichen Raum attraktiv zu halten – bei allen Schwierigkeiten und allen großen Aufgaben, die es damit zu bewältigen gibt.
Wir müssen uns aber auch alle der Kritik stellen, dass es in den Ortschaften, wie die Bürgerinnen und Bürger berichtet haben, eine massive Ausdünnung der Angebote für Jugendliche und Kinder gegeben hat. Wir müssen uns dem stellen und jenseits der Jugendhilfe Angebote in der Jugend- und Kinderpolitik machen, sodass der ländliche Raum, aber auch unsere Städte und Gemeinden immer attraktiv als Lebensort bleiben.
Der zweite Punkt – ganz wichtig – waren die Bürgerservicebüros. Dazu hatte der Minister schon etwas vorgetragen.
Ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist, ist, dass die Bürgerinnen und Bürger gesagt haben: Wir setzen wirklich darauf, dass E-Government eine ganz wichtige Position in der modernen Gemeinde einnimmt. Das könnte für uns zum Beispiel heißen, dass, wenn wir das E-Government-Gesetz als Landtag dann beraten, dass wir darauf achten, dass es verpflichtend für die Gemeinden sein wird, hier Angebote zu schaffen, um möglichst viel auch einlösen zu können, um möglichst viele Angebote für die Bürgerinnen und Bürger hier anbieten zu können. Das wird Aufgabe für uns sein. Die Vertretung der Ortschaften, meine sehr verehrten Damen und Herren, könnte zum Beispiel in besonderer Weise gestärkt werden, indem wir vielleicht bei der ersten Wahl, aber vielleicht auch in weiteren Zyklen, Wahlbezirke oder Stimmbezirke bilden, sodass jede neue Ortschaft, die vorher selbst Ge
meinde war, in der großen Gemeinde auch vertreten und mit mehreren Vertretern dort anwesend ist und damit diese neue Gemeinde zusammenwachsen kann, sodass man lernt, in A-Dorf und B-Dorf geht es uns allen doch darum, dass wir in unserer wunderbaren Region in der neuen Gemeinde gemeinsam gut leben können. Dieses Vertrauen kann entstehen, wenn wir uns alle darauf einlassen, kommunalpolitisch miteinander zu arbeiten.
Die wahrscheinlich größte Herausforderung – denke ich –, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird das attraktive Vereinsleben und Ehrenamt in unseren Gemeinden und Städten sein. Wir haben vor Kurzem, um ein Beispiel aus dem Innenausschuss hier zu bringen, mit dem Feuerwehrverband darüber diskutiert, wie das Ehrenamt gestärkt werden kann. Wir müssen uns alle eingestehen, wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der das Ehrenamt die Stellung hat, die es früher einmal hatte. Früher war es häufig auch eine große Ehre und viele haben mitgemacht, heute ist es eher ein partielles, ein projekthaftes Sich-Engagieren. Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Zum Beispiel ein Vorschlag aus dem Feuerwehrverband, der gesagt hat: Wir haben so viele Ehrenamtler, die auch etwas tun wollen und die auch gute Projekte vor Ort umsetzen; jetzt müssen wir uns einfach darum kümmern, dass wir die Stelle eines Hauptamtlichen haben, der diesen Ehrenamtlichen hilft, der diesen Ehrenamtlichen einen Support dafür liefert, dieses Ehrenamt auch ausführen zu können. Wir können nicht lauter Hauptamtliche haben, zum Beispiel in den Feuerwehren, um das überall flächendeckend zu ermöglichen, aber wir haben genug Ehrenamtliche, die allerdings eine Unterstützung brauchen. Hauptamtliche Unterstützung für unser Ehrenamt, das ist ein Schlüssel, meine sehr verehrten Damen und Herren, den wir angehen können.
Weitere Ideen, die hier hilfreich sein können, haben die Kollegen aus unserem Sportausschuss schon erarbeitet. Wir diskutieren über ein Sportfördergesetz. Das wird auch für den ländlichen Raum, nicht nur für den ländlichen Raum, sondern für unsere Städte und Gemeinden, ein wichtiger Ansatzpunkt sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir dieses Projekt, die Zukunftsfähigkeit Thüringens zu sichern, gemeinsam angehen. Deshalb ist es mein großer Appell an die CDU, aus der Blockade herauszukommen. Kommen Sie mit Ihren – ich bin mir sicher – guten Ideen, wie wir dieses Projekt voranbringen können, bringen Sie sich ein! Wir sind offen dafür. Wir wollen mit Ihnen gemeinsam Thüringens Zukunft gestalten. Unsere Hand ist und bleibt dazu weit ausgestreckt. Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich grüße die Restverbliebenen auf den Rängen über uns. Wir haben heute den Punkt „Umsetzung der Ergebnisse des Bürgergutachtens zur Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform“ auf der Tagesordnung. Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform – das ist schon der erste Fakt, der hier zu bedenken ist, weil natürlich alle Wissenschaftler und alle, die Ahnung haben, gesagt haben, man muss erst die Verwaltungs- und Funktionalreform angehen und dann das andere.
Ich habe es von dem Pult, glaube ich, schon zweimal gesagt: Selbst Prof. Dr. Hesse hat in der Anhörung damals gesagt, dass es ein sehr, sehr ambitioniertes Vorhaben ist, was die Koalition hier auf den Weg bringt.
Zwischen Ihnen und uns ist der Unterschied, dass Sie von oben alles bestimmen wollen, und wir sind für Freiwilligkeit.
Jawohl, Herr Dittes, das ist wie früher bei Ihnen: Wir oben sagen dem Volk, wo es lang geht. Das ist der Unterschied, da gebe ich Ihnen recht.
Meine Damen und Herren – und da muss doch eigentlich nicht erst ein Verfassungsgericht kommen, um in das Stammbuch der Koalition und der Regierung zu schreiben, dass das Vorschaltgesetz nicht rechtens ist. Es muss erst ein Verfassungsgericht kommen und muss das feststellen, um zu sagen: Landesregierung und die sie tragende Koalition, dieses Gesetz ist nicht rechtens.