Es ist nicht zuletzt die Wirtschaft selbst, die nach erneuerbaren Energien für die eigene Produktion verlangt und in eigener Initiative tätig wird. Die Firma Mubea in Weißensee will ihre Produktion auf die Nutzung regenerativer Energie umstellen und plant dafür den Bau von zehn Windkraft- bzw. einer großen Photovoltaikanlage. Drei davon werden sie selber nutzen, sieben weitere sollen Interessenten in der Region zur Verfügung gestellt werden. Ich nenne das ein vorbildliches unternehmerisches Verhalten, das jede Unterstützung der Politik verdient hat.
Um die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Kommunen bei Windenergieanlagen besser und vor allem zuverlässiger zu verankern, werden wir ein Windbeteiligungsgesetz vorlegen. Damit schaffen wir eine Win-win-Situation für Betreiber von Windparks, die Kommunen sowie Anwohnerinnen und Anwohner. Wenn so etwas entsteht, muss die Region auch davon profitieren. Man muss es spüren, auch im eigenen Portemonnaie, ob diese Anlagen dort stehen, und darf nicht das Gefühl haben, dass das Geld abfließt und woanders eingenommen wird.
Für Bürgerenergiegenossenschaften in Thüringen stehen in diesem Jahr 2,5 Millionen Euro zur Verfügung.
Zu uns kommen Menschen, die das Grundrecht auf Asyl in Anspruch nehmen, und Menschen, die sich aus anderen Gründen entscheiden, zuzuwandern. Das stellt uns vor Herausforderungen und eröffnet uns zugleich große Chancen. Die Gewerkschaften ebenso wie die Arbeitgeber in Thüringen haben diese Realität erkannt. Sie erwarten von der Politik die Schaffung von Rahmenbedingungen, die die Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften ermöglicht. Für die gelingende Integration derjenigen, die im Wege der Arbeitsmigration zu uns kommen, ebenso wie für die Menschen, die bereits bei uns leben.
Ich möchte jungen Menschen, die als Kinder und Jugendliche bei uns Asyl gesucht haben, ein Angebot für eine geordnete Arbeitsmigration machen, also keine pauschale Anerkennung, wie mir immer unterstellt worden ist. Ihnen sollten wir diesen Spurwechsel schon aus eigenem wirtschaftlichen Interesse ermöglichen. Es geht dabei um rund 9.500 Personen, Arbeitskräfte, die anpacken können und wollen, um unser Land weiter zukunftsfähig zu machen. Unbürokratische und schnelle Anerkennung von Berufsabschlüssen und Qualifikationen, eine frühzeitige Integration in den Arbeitsmarkt und umfassende soziale Teilhabe nutzen am Ende allen: den Behörden, unserer Gesellschaft, dem Arbeitsmarkt und nicht zuletzt den Menschen, die zu uns kommen.
Zugleich müssen wir auf allen Ebenen, von der EU bis zu den Gemeinden, für eine humanitäre Flüchtlingspolitik Sorge tragen: für menschenwürdige Unterbringung, ausreichende Versorgung und gelingende Integration. Hierzu haben wir als Thüringer Landesregierung wichtige Entscheidungen getroffen. Ich habe den kommunalen Spitzenverbänden und den Landräten und Oberbürgermeistern gestern ausführlich dazu schriftlich Bericht erstattet, und wir werden auch weitere Entscheidungen gemeinsam mit den Kommunen partnerschaftlich treffen.
Den Landtag bitte ich, die Beratungen zum Rechtskreiswechslergesetz mit der gebotenen Ausführlichkeit und notwendigen Geschwindigkeit zu führen, denn die 100-Prozent-Absicherung, die von den
Landräten und Oberbürgermeistern gefordert worden ist, kann über dieses Gesetz jetzt ermöglicht werden, sodass wir gegenüber der kommunalen Familie auch diese Themen gemeinsam partnerschaftlich erledigen und bearbeiten können. Deswegen meine Bitte, es gemeinsam voranzubringen.
Sehr geehrte Damen und Herren, der ThüringenMonitor zeigt, dass im Bewusstsein der Thüringerinnen und Thüringer auch heute noch viele Erfahrungen der Nachwendezeit fortwirken. Wir wissen aus den Erkenntnissen der Vorjahre, dass eine große Zahl unserer Landsleute unabhängig von ihrer persönlichen sozioökonomischen Lage der Auffassung ist, dass es zwischen Ost und West in unserem Land nicht gerecht zugeht.
Diese Gerechtigkeitslücke muss geschlossen werden. Wir setzen uns als Landesregierung dafür ein, dass mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung die bestehenden Unterschiede bei Löhnen, Altersvorsorge wie auch der Möglichkeit zu erben bzw. zu vererben endlich überwunden werden.
Meine Damen und Herren, Thüringen und die ostdeutschen Länder sind in eine neue Phase der Entwicklung eingetreten. Knapp ein Viertel der Bruttowertschöpfung des Landes wird inzwischen in der Industrie erarbeitet, und mit 81 Industriearbeitsplätzen je 1.000 Einwohner liegt Thüringen deutlich über dem Bundesdurchschnitt und weit vor den anderen neuen Ländern.
Seit 2014 zeigen wir erfolgreich als rot-rot-grüne Landesregierung, dass der ökonomische und gesellschaftliche Wandel kein unabänderliches Naturereignis ist, sondern gestaltet und positiv entwickelt werden kann. Unser Anspruch, in allen Landesteilen gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen und niemanden zurückzulassen, wird auch zukünftig Maßstab unseres Handelns sein.
Sehr geehrte Damen und Herren, noch während sich dieser Wandel vollzieht, hat die nächste große Transformation begonnen. Der innovative und klimafreundliche Umbau der Wirtschaft, der ökonomische Strukturwandel insbesondere durch Digitalisierung und die Überwindung des demografisch bedingten Rückgangs der Zahl der Erwerbstätigen werden die zentralen Herausforderungen der kommenden Jahre sein.
Wissenschaftliche Projektionen der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklung unseres Freistaats sind zunächst lediglich Voraussagen.
Sie sind keine Vorwegnahme der Zukunft. Sie können politische Gestaltung erleichtern, aber nicht ersetzen. Wir nehmen die Zukunft Thüringens selbstbestimmt in die Hand und stellen auch heute bereits die Weichen für den Übergang in das nächste Jahrzehnt.
Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Thüringer Wirtschaft stärker ist als die Demografie. Wir werden die tiefgreifenden Veränderungsprozesse für einen weiteren Innovationsschub auf allen Ebenen nutzen. Die Lage unseres Landes in der Mitte Deutschlands ist und bleibt ein Standortvorteil, den wir noch stärker zur Geltung bringen wollen.
Genauso nutzen wir den bereits jetzt schon hohen Anteil erneuerbarer Energien an der eigenen Stromherstellung. In Thüringen ist das ein Standortvorteil, umso mehr wir selber an Energie produzieren. Die sauberen Energien sorgen für rund zwei Drittel des in Thüringen erzeugten Stroms und die Wertschöpfung wird in Zukunft mit jeder regenerativen Anlage hier in der Region bleiben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern Thüringens, den Gewerkschaften, Kammern, Verbänden und gesellschaftlichen Gruppen wird aus Wandel Fortschritt. Wir werden dazu beitragen, dass sie in diesem Prozess Partner und aktiv als Beteiligte dabei sind.
Wir haben erfolgreiche Bündnisse innerhalb der Wirtschaft – das Nachhaltigkeitsabkommen Thüringen – und zwischen Land und Kommunen – den Klimapakt – etabliert. Aufbauend auf diesen Erfahrungen wollen wir insbesondere mit Gewerkschaften, Verbänden, Kammern, Wissenschaft, Kommunen und Kirchen ein Thüringer Zukunftsbündnis etablieren. Das Zukunftsbündnis soll bestehende Netzwerke bündeln. Es soll ein Ort sein, an dem wir unsere Ideen und Konzepte mit den klugen Köpfen unseres Landes diskutieren und den Wandel voranbringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Besonderheit hinweisen, die mir immer wieder auffällt. Wenn über Thüringen geredet wird, habe ich manchmal das Gefühl, als wenn wir nur eine verlängerte Werkbank seien. Volkswirtschaftlich zeigt sich das auch im Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner gemessen. Da werden die Wertschöpfungsgutschriften, die in hervorragenden Produkten sich hier darstellen lassen, am Ende in der Finalproduktion bei der Konzernzentrale abgerechnet, die meistens im Westen liegt. Das ist ein statistisches Problem, das wiederum auch zum emotionalen Problem wird. Wenn ich aber sage, dass gestern Herr Tiefensee,
Herr Stengele und ich bei der Firma JAT – Jenaer Antriebstechnik – waren und dort sehen konnten, dass dort Produkte hergestellt werden, die für Weltmarktführer von entscheidender Bedeutung sind, dass Produkte, die Sie alle einstecken/haben, im Kern Technologie beinhalten, die aus Thüringen kommt, wenn ich auf ASML in Eindhoven hinweisen darf, die Firma, die 95 Prozent aller Chipfabriken der Welt baut – 100 Prozent der Schlüsseltechnik kommt aus Thüringen, kommt aus der Region um Jena; 300 Zulieferer allein für die Firma ASML sind Thüringer Betriebe –, zeigt das, dass in den Produkten, die wir alle brauchen, Chips oder Digitaltechnologie, auch Thüringer Technologie vorhanden ist. Ich bedauere es, dass das Glas an der Stelle dann immer wieder halb leer ist, weil dieser Teil nicht wahrgenommen wird, welche Stärke wir darstellen für die gesamte Produktion der Bundesrepublik Deutschland und dass Thüringen dort ein großer innovativer Träger und ein großer Produzent ist.
Deswegen, meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr habe ich vorgeschlagen, den Thüringen-Monitor in einem geänderten Format zu diskutieren. Ich war und bin überzeugt, dass wir durch die eingespielten Formen der parlamentarischen Debatte über eine Regierungserklärung zwar Öffentlichkeit herstellen, aber nicht die Tiefe erreichen, die dem Thüringen-Monitor und auch den Thüringer Verhältnissen, den Thüringer Realitäten angemessen wäre. Ich unterbreite deshalb erneut den Vorschlag, neben der Regierungserklärung eine öffentliche Anhörung im Thüringer Landtag durchzuführen.
Diese Anhörung sollte in den sozialen Medien und wünschenswerterweise auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk übertragen werden. Denkbar wäre es, dass zufällig ausgewählte Thüringerinnen und Thüringer zu dieser Anhörung als Beteiligte und Fragende eingeladen werden.
Lassen Sie uns gemeinsam dazu beitragen, dass die Bürger unseres Landes noch stärker zu aktiven Partnern des demokratischen Gemeinwesens werden, und lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir sehr deutlich sagen können, das Glas ist nicht halb leer. Dieses Glas ist das Fundament, auf dem wir die Zukunft des Landes gestalten können. In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Gemäß § 29 Abs. 2 Satz 3 der Geschäftsordnung werden Beratungen zu Regierungserklärungen grundsätzlich in langer, also doppelter Redezeit verhandelt. Diese Redezeit steht auch unter Berücksichtigung des Ältestenratsbeschlusses zur Halbierung der Redezeit zur Verfügung, nachdem die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen um Behandlung in doppelter Redezeit gebeten hat.
Der Ministerpräsident hat seine Redezeit mit 2 Minuten 30 Sekunden etwas überschritten. Das wird dann auf die entsprechenden Redezeiten der Fraktionen und Gruppen und fraktionslosen Abgeordneten dazukommen.
Damit eröffne ich die Aussprache. Das Wort erhält Herr Abgeordneter Prof. Dr. Voigt für die CDU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zunächst mit einer privaten, persönlichen Bemerkung beginnen. Ich bin in einem 120-Einwohner-Dorf in der Nähe von Jena aufgewachsen. Das ist so ziemlich das, was Kernbestandteil dieses Thüringen-Monitors ist. Das ist für mich das Grüne Herz Deutschlands, das ist für mich Heimat und das ist für viele Thüringer mehr als nur ein Marketingbegriff. Wenn wir heute über die Frage reden, was unsere Heimat ausmacht, worauf viele Thüringerinnen und Thüringer von Sonneberg bis nach Nordhausen, von Altenburg bis nach Eisenach stolz sind, dann ist es im Kern genau das, was wir hier in diesem Hohen Haus thematisieren müssen, nämlich die Frage: Diese Menschen lieben ihre Heimat und die spüren, wenn etwas falsch läuft. Das diskutieren wir heute, weil der Thüringen-Monitor – danke, Frau Reiser – ganz offenlegt, wo die Schwierigkeiten in diesem Land liegen. Dafür bin ich sehr dankbar.
In wenigen Tagen begehen wir den 70. Jahrestag des Volksaufstands am 17. Juni 1953. Dieser Tag genauso wie der 9. November 1989 steht dafür – das meine ich nicht abwertend in Richtung Westdeutschland –, dass die Ostdeutschen im Unterschied zu den Westdeutschen ihre Freiheit und Demokratie in einem langen Weg selbst erkämpfen mussten, teilweise sogar mit Leib und Leben. Sie sind aufgestanden gegen Bevormundung, sie sind aufgestanden, weil sie sich ihr Leben nicht vorschreiben lassen wollten, sie wollten Freiheit und Demokratie.
Warum erwähne ich das zum Anfang der Diskussion über den Thüringen-Monitor? Ich sage das, weil ich bei mancher Betrachtung, die aus Berlin oder woanders manchmal auch als Belehrung herkommt, als selbstbewusster Thüringer, als selbstbewusster Mensch aus den neuen Bundesländern eines sagen will: Wir Thüringer, wir Ostdeutsche, brauchen keine Belehrung über die Frage, wie wir mit Demokratie umgehen, wir haben sie selbst erstritten und darauf können wir auch stolz sein.
Der Thüringen-Monitor zeigt eines: Der ThüringenMonitor zeigt, dass die Thüringer eine hohe Überzeugung zur Staatsform Demokratie haben. 85 Prozent sagen das, hat sich nichts geändert. Sie stehen zur Staatsform. Aber im selben Atemzug sagen sie, jeder zweite Thüringer ist unzufrieden mit der Demokratie, wie sie gerade läuft, und mit der Leistung der Landes- und der Bundesregierung. Herr Ramelow, der Thüringen-Monitor ist der wissenschaftlich begründete Misstrauensantrag gegen die Leistung Ihrer Regierung, und zwar ausgestellt durch die Menschen in diesem Freistaat, und das muss man hier auch sagen.
Wenn weniger als die Hälfte der Menschen in Thüringen mit der Demokratie zufrieden ist und sogar über 60 Prozent der Menschen kein Vertrauen mehr in Ihre Landesregierung haben,
dann ist das schlichtweg der Ausdruck von normalen Menschen, die sich nicht mehr mitgenommen fühlen. Dann ist das der Ausdruck von Frustration und Enttäuschung der fleißigen Menschen, die Sorgen und Ängste haben. Dann ist das der Ausdruck darüber, dass die Unzufriedenheit mit der Landesund der Bundesregierung, die es gibt, die politischen Ränder stärkt. Und ich kann es Ihnen nur sagen: Die haben sich nicht von der Demokratie abgewandt, die sind keine Extremisten.