Protokoll der Sitzung vom 02.10.2020

Darüber hinaus tritt die Parlamentarische Kontrollkommission den Ausführungen im Evaluierungsbericht ausdrücklich bei, soweit dort auf die Notwendigkeit einer ausreichenden personellen Ausstattung des Amts für Verfassungsschutz hingewiesen wird. Der Aufgabenmehrung, die die Novellierung des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes beim Amt für Verfassungsschutz mit sich gebracht hat, ist personell entsprechend Rechnung zu tragen, damit der Vollzug des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes effektiv gestaltet werden kann.

Soweit der durch aktuelle Gefährdungslagen bestehende Personalbedarf nicht durch organisatorische Maßnahmen abgemildert werden kann, wären nicht hinnehmbare Beobachtungslücken zu befürchten, sollte eben kein ausreichendes Personal im Amt für Verfassungsschutz vorhanden sein. So weit in der gebotenen Kürze der Inhalt unserer Stellungnahme.

In diesem Zusammenhang möchte ich erneut Kollegen Fiedler besonders danken, der stets eindringlich auf den bestehenden Personalbedarf hingewiesen hat. Dieser Dank geht ebenso an Herrn Minister Maier, der nicht nur zuletzt im Rahmen der Erstellung des Landeshaushalts 2021 mehrfach eindringlich einen Personalaufwuchs beim Thüringer Verfassungsschutz angemahnt hat.

(Beifall SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die beschriebene Problematik zum Weitergabevorbehalt war auch in den weiteren Sitzungen Gegenstand intensiver Beratung. Eine zufriedenstellende Lösung, die den Kontrollaufgaben nach unserem Verständnis gerecht wird, konnte bislang leider noch nicht gefunden werden. Seitens des Bundes wird nach wie vor die Auffassung vertreten, dass sich das

Kontrollrecht der hiesigen Parlamentarischen Kontrollkommission und damit die Auskunftspflicht des Amts für Verfassungsschutz nur auf die Informationen beschränkt, die durch das Amt für Verfassungsschutz selbst erhoben werden.

Fakt ist: Dies schränkt die Kontrollmöglichkeiten jedoch ein, das Problem der Nachvollziehbarkeit bei Informationslücken besteht weiter. Die Kontrolle kann nicht umfassend gewährleistet werden, da jede Kontrollkommission lediglich das Wissen des eigenen Amts erhält, obwohl die zu kontrollierende Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden nur auf der Grundlage der Informationen aller Verfassungsschutzbehörden vollumfänglich sein kann. Seitens des Amts für Verfassungsschutz muss somit vor jeder Berichterstattung zunächst die Genehmigung der erhebenden Verfassungsschutzbehörde eingeholt werden und es gibt keinen Automatismus des Weitergabevorbehalts, sondern es ist eine ausdrückliche Erklärung notwendig.

Die Parlamentarische Kontrollkommission ist jedoch gerade nicht eine Stelle außerhalb des Verfassungsschutzverbundes, nein, die parlamentarische Kontrolle legitimiert gerade den Verfassungsschutz von Bund und Ländern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Verfassungsschutzberichte bieten einen Überblick über die Entwicklungen in den beobachteten Phänomenbereichen und zu den möglichen Gefährdungstendenzen in Thüringen, sie beschreiben die Arbeitsund Beobachtungsschwerpunkte der Landesregierung. Natürlich wissen wir, dass ein Verfassungsschutzbericht nicht tagesaktuell sein kann. Wer diese Informationen sucht, bedient sich der digitalen Angebote der Nachrichtendienste der Bundesregierung sowie der Landesregierung. Aber ein Verfassungsschutzbericht ist ein erster Einstieg für die interessierte Öffentlichkeit und bietet nicht zuletzt in der parlamentarischen Arbeit auch bei der Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrollaufgaben gegenüber der Landesregierung ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel. Gerade vor diesem Hintergrund kritisiert die Parlamentarische Kontrollkommission, dass der Verfassungsschutzbericht im letzten Jahr verspätet vorgelegt wurde und auch der aktuelle Bericht trotz mehrfacher Ankündigung nach wie vor auf sich warten lässt.

Bis vor einigen Jahren hat das Amt für Verfassungsschutz zudem die Periodika „Nachrichtendienst“ herausgegeben. Diese Publikation wurde seinerzeit aufgrund kritischer Hinweise aus dem parlamentarischen Raum eingestellt, aber eine neue Publikation, ein Verfassungsschutzbrief – so der damalige Arbeitstitel – angekündigt. Dieser sollte sich weniger als ein Kalendarium von Gescheh

nissen begreifen, als vielmehr thematisch ausgerichtet sein. Es bleibt daher zu überlegen, eine solche Publikation mit geändertem konzeptionellen Ansatz auf den Weg zu bringen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie ein roter Faden zog sich die unzureichende Personalausstattung des Amts für Verfassungsschutz durch die Kommissionssitzungen. Es wurde deutlich, dass zu keinem Zeitpunkt alle Planstellen und Stellen auch tatsächlich besetzt waren. Dieser missliche Umstand darf aber eben nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Amt für Verfassungsschutz nach über Überzeugung der Parlamentarischen Kontrollkommission insgesamt über zu wenig Personal verfügt, um seine Aufgaben zufriedenstellend erfüllen zu können. Zu nennen sind hier insbesondere die Beobachtungen des Rechtsextremismus und des Islamismus sowie der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene, aber auch die vielfältigen Informationszulieferungen für andere Behörden, wie beispielsweise die Waffenbehörden. Auch die Unterstützung der Kommission zur Datenüberprüfung, das Berichtswesen gegenüber dem Ministerium sowie der Parlamentarischen Kontrollkommission und der G 10-Komission banden und binden Personal in nicht unerheblichem Umfang.

Die Parlamentarische Kontrollkommission hat sich aus diesem Grunde im Januar dieses Jahres an die Öffentlichkeit gewandt und ihre große Sorge um eine angemessene personelle Ausstattung des Amts für Verfassungsschutz nach außen kommuniziert – ein ungewöhnlicher Vorgang. Sie bekräftigte ihre Forderungen nochmals eindringlich im Juli dieses Jahres, indem sie erneut die Öffentlichkeit über die Personalsituation im Amt für Verfassungsschutz informierte.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist ein ernst zu nehmendes Problem, wenn die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Amts für Verfassungsschutz gefährdet ist. Eine infolge Personalmangels notwendige Priorisierung bestimmter Phänomenbereiche und eine damit einhergehende Vernachlässigung anderer Bereiche, wie sie in der Vergangenheit bereits zu beobachten waren, hält die Parlamentarische Kontrollkommission auf Dauer für einen unhaltbaren Zustand. Die vom Amt für Verfassungsschutz zu bewältigenden Aufgaben werden nicht weniger – ganz im Gegenteil, ich hatte es bereits gesagt. Um den Anforderungen in ihrer Breite und auch in ihrer Komplexität dauerhaft und nachhaltig gerecht zu werden, bedarf es adäquat beschulten Personals in ausreichendem Umfang und ausgestattet mit den notwendigen technischen und sonstigen sächlichen Mitteln, mögen bestimmte

Aufgaben kurzfristig auch nicht von speziell ausgebildetem Personal zu erledigen sein.

Die Parlamentarische Kontrollkommission bat wiederholt auch das Ministerium für Inneres und Kommunales, durch geeignete Personalmaßnahmen zumindest die im Haushalt vorgesehenen Sollstärken zu besetzen und darüber hinaus die Möglichkeit des Haushaltsvollzugs zum Beispiel durch weitere Abordnungen auszuschöpfen. Dies gilt auch und insbesondere für den Haushalt 2021 und wir sehen den Landtag als Haushaltsgesetzgeber da in einer besonderen Verantwortung, aber auch in der besonderen Pflicht, die Anzahl der Stellen im Verfassungsschutz angemessen aufzustocken und dem tatsächlichen Personalbedarf anzupassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun zu den einzelnen Phänomenbereichen. Die Berichterstattung des Amts für Verfassungsschutz orientiert sich in den Kategorien Rechtsextremismus, Linksextremismus, Ausländerextremismus und Islamismus. Diese Gliederung greift auch dieser Berichtsteil im Grundsatz auf. Uns ist dabei bewusst, dass die dem Amt für Verfassungsschutz vorgegebene gesetzliche Handlungsgrundlage den Extremismusbegriff nicht kennt. Die gesetzliche Pflicht zur Erfüllung seiner Aufgaben besteht für das Amt für Verfassungsschutz vielmehr unabhängig davon, aus welcher politischen, weltanschaulichen oder religiösen Richtung die Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung droht.

(Beifall CDU, FDP)

Laut der aktuellen Statistik zur politisch motivierten Kriminalität vom April dieses Jahres verzeichnete Thüringen mit fast 2.500 Straftaten 2019 die höchste Zahl politisch motivierter Straftaten seit Einführung der Statistik im Jahr 2001. Gegenüber dem Jahr 2018 war ein Anstieg um fast 40 Prozent zu verzeichnen. Zu den phänomenbezogenen Zahlen werde ich später noch ausführen.

Den größten Teil an der Phänomenberichterstattung nahm der Rechtsextremismus ein. Die angesprochene Statistik zur politisch motivierten Kriminalität zeigt in diesem Phänomenbereich auf, dass auch im Jahr 2019 erneut die große Mehrheit der registrierten Fälle dem Rechtsextremismus zuzuordnen ist. So stieg die Gesamtzahl auf 1.301 im Jahr 2019. Ein Jahr zuvor wurden 1.228 Fälle registriert, 2017 1.353, 2016 1.570 und 2015 1.412. Bei den Gewaltdelikten war hingegen ein Rückgang von 67 auf 49 Delikte zu verzeichnen, nachdem im Jahr 2017 78, im Jahr 2016 128 und im Jahr 2015 92 Delikte registriert wurden.

Im Mittelpunkt stand die Entwicklung der Konzertszene. Diese Veranstaltungen sind gekennzeichnet

durch Podiumsdiskussionen mit Volksverhetzungsdelikten, die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Verstößen gegen das Versammlungsrecht und das Betäubungsmittelgesetz. Es kam zu zahlreichen Strafanzeigen, aber auch die zahlreichen Versuche von Vertretern des rechtsextremistischen Spektrums, Immobilien zu erwerben, um diese für ihre politischen Zwecke zu nutzen, waren Informationsschwerpunkte. Deutlich wurde zudem die immer stärker werdende internationale Vernetzung rechtsextremistischer Strukturen. Und auch die Teilnahme von im rechtsextremistischen Bereich angesiedelten Parteien und Bündnissen an den Wahlen im vergangenen Jahr nahm einen breiten Raum ein.

Thüringen war – wie bereits erwähnt – auch in den letzten beiden Jahren ein Veranstaltungsschwerpunkt der bundesweiten rechtsextremistischen Szene, wobei allerdings das Verbot bzw. der Ausfall solcher Veranstaltungen zunehmend für Unmut in der Szene gesorgt hat und zudem die finanzielle Basis schmälerte. Im Jahr 2019 wurden acht solcher Veranstaltungen registriert, eine aufgelöst und eine verhindert. Ein Jahr zuvor waren es neun Konzerte, drei wurden verhindert. Im Juni 2018 fand im südthüringischen Themar erneut eines der größten Szenekonzerte statt. Die sogenannten Tage der nationalen Bewegung zogen insgesamt über 3.200 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet, aber auch dem europäischen Ausland an. Damit handelte es sich um die publikumsstärkste Rechtsrockveranstaltung 2018 in ganz Deutschland.

Die für den 25. August 2018 in Mattstedt von der „Bruderschaft Thüringen“ geplante Konzertveranstaltung „Rock gegen Überfremdung III“ wurde aus eigentumsrechtlichen Gründen behördlich verhindert und kurzfristig nach Kloster Veßra in die dortige Gaststätte „Goldener Löwe“ verlegt. An der verlegten Veranstaltung nahm trotz alledem eine dreistellige Personenzahl teil. Hierbei zeigte sich leider auch wieder der Vorteil einer für die Szene „sicheren“ Immobilie. Der Ausfall der Veranstaltung führte in der Szene gleichwohl zu einer großen Unzufriedenheit und erhöhte den Druck auf die Veranstalter, da sich deren Aufwendungen verdoppelten. Dies kann durchaus als ein Erfolg im Kampf gegen den Rechtsextremismus gewertet werden, wenngleich natürlich nach wie vor die politische Auseinandersetzung im Vordergrund stehen muss.

Im Juli letzten Jahres fand in Themar erneut ein Rechtsrockkonzert mit Musik- und Wortbeiträgen und mit insgesamt über 1.200 Teilnehmern statt. Die Teilnehmer kamen auch wieder aus dem europäischen Ausland. Durch das zuständige Gericht

wurden die verwaltungsseitig erteilten Auflagen bestätigt.

Die Parlamentarische Kontrollkommission begrüßt ausdrücklich die neue Strategie der Landesregierung und unterstützt sie in ihrem Vorgehen. Die Strategie ist erfolgreich, die beim Innenministerium eingerichtete Taskforce „Versammlungslagen“ hat sich bewährt. Über Auflagen und das konkrete Zusammenwirken der verantwortlichen Institutionen gelingt es zunehmend, dass das bisher erfolgreiche Geschäftsmodell der Konzertevents in Thüringen weiter an Attraktivität verliert. Damit werden größere Veranstaltungen wohl zurückgedrängt, dafür aber wohl auch mehr kleinere neu organisiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das von der NPD organisierte Format des sogenannten Eichsfeldtags, vor wenigen Jahren noch eine der größten Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene in Thüringen, hat an Zuspruch verloren. Dies spiegelte sich insbesondere an den weiter sinkenden Teilnehmerzahlen wider. Ursächlich hierfür scheint auch der Unmut in der Szene über den Ablauf der Veranstaltungen in der Vergangenheit zu sein.

Auch wurden bundesweite Großdemonstrationen mit rechtsextremistischen Bezügen von Thüringer Rechtsextremisten genutzt, um sich dort zu präsentieren, die Szene zusammenzuführen und zu festigen. Zu nennen sind hier die Demonstrationen in Chemnitz im Zusammenhang mit dem Tod eines 35-jährigen Deutschen oder diejenigen in Köthen im August und September 2018. Diese Demonstrationen zeichneten sich auch dadurch aus, dass in ihrem Rahmen Straftaten begangen wurden bis hin zu Bedrohungshandlungen für Leib und Leben.

Nicht zuletzt trat die sogenannte Identitäre Bewegung in Thüringen in Erscheinung. Am 4. März dieses Jahres, dem Tag der Ministerpräsidentenwahl, sorgte sie hier vor dem Thüringer Landtag für Aufsehen, als sie im Rahmen einer geplanten Protestaktion den Parlamentsablauf so störte, dass dies im Anschluss zu einer Sitzungsunterbrechung führte. Die Weiterführung der Protestaktion konnte anschließend in Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei von der Polizei schließlich verhindert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die Formate der Lieder- sowie Zeitzeugen- und Vortragsabende dienten dazu, die rechtsextremistische Szene zusammenzuführen und weiter zu festigen. Zu nennen sind hier insbesondere die Veranstaltungen im „Flieder Volkshaus“ in Eisenach, im ehemaligen Rittergut Guthmannshausen und im bereits erwähnten „Goldenen Löwen“ in Kloster Veßra. Im

Jahr 2019 wurden 13 solcher Liederabende registriert, einer wurde aufgelöst und ein Liederabend verhindert. Ein Jahr zuvor wurden neun Liederabende festgestellt.

Im parteipolitischen Bereich machte die Kleinstpartei „Der III. Weg“ insbesondere hier in der Landeshauptstadt Erfurt von sich reden. Ab dem Jahr 2018 war sie verstärkt im Objekt in der Stielerstraße im Süden der Stadt aktiv. Das Objekt hatte sich seither als zentraler Anlaufpunkt für die Partei in Thüringen und in Mitteldeutschland etabliert, galt seit Längerem als eine der wichtigsten Adressen der rechtsextremistischen Szene für Liederabende, Versammlungen sowie Parteitage und entwickelte sich zusehends zu einem Kampfsportzentrum. Ziel war es hierbei vor allem, Aufmerksamkeit und Zulauf zu generieren, die eigene Klientel weiter zu motivieren und natürlich auch Einnahmen zu erwirtschaften, um sich auf einen zukünftigen Kampf auf der Straße einzustellen. Dass auch Kinder in der Kampfsportschule trainiert wurden, machte die Entwicklung umso schlimmer. Beim „III. Weg“ scheint es zwischenzeitlich zu Strukturveränderungen in Erfurt gekommen zu sein. Zwischen dem Verein „Volksgemeinschaft“ und der Partei ist es zum Bruch gekommen. Der Verein „Neue Stärke Erfurt e. V.“, vormals „Volksgemeinschaft“, war zuletzt Mieter des Objekts in der Stielerstraße, muss dieses aber aufgrund eines Urteils des Amtsgerichts Erfurt bis zum 30. September 2020 verlassen. Mehr als bedenklich ist zudem die Initiierung einer sogenannten Bürgerwehr durch die Partei, die im Erfurter Stadtteil Melchendorf sogenannte Streifendienste durchgeführt hat.

Darüber hinaus gibt es in Thüringen aktuell vier Gruppierungen mit rechtsextremistischen Bezügen, die sich als „Bürgerwehr“ bezeichnen oder bei denen ein vergleichbares Selbstverständnis angenommen werden kann. Erkenntnisse zu öffentlichen Aktivitäten der Gruppen liegen jedoch nicht vor. Lediglich in den sozialen Medien scheinen Aktivitäten vorhanden zu sein. Die NPD verfolgt mit ihrem sogenannten Schutzraumkonzept einen ähnlichen Ansatz wie die Partei „Der III. Weg“, so im „Flieder Volkshaus“ in Eisenach. Auch gab es vereinzelt als solche bezeichnete „Patrouillen“ in Sondershausen oder auch in Heilbad Heiligenstadt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die rechtsextremistische Szene verfügte auch im aktuellen Berichtszeitraum in Thüringen über zahlreiche etablierte Immobilien. Zum Teil befinden sich diese im Besitz oder Eigentum rechtsextremistischer Gruppierungen oder Einzelpersonen. So wurde das sogenannte Veranstaltungszentrum Erfurter Kreuz in Kirchheim für Veranstaltungen aus dem rechtsex

tremistischen Bereich genutzt. Die Räumlichkeiten des „Fachwerkhofes“ dienten bevorzugt für Vortragsveranstaltungen, interne Treffen und Schulungen und die sogenannte Erlebnisscheune diente für Rechtsrockkonzerte oder Parteiveranstaltungen. Im Sonneberger Ortsteil Haselbach wird das ehemalige Kulturhaus von der rechtsextremistischen Szene betrieben. Eine weitere Lokalität, das „Waldhaus“, eine ehemalige Gaststätte, befindet sich ebenfalls in der Südthüringer Stadt. Aber auch im ehemaligen Rittergut in Guthmannshausen fanden Veranstaltungen statt, so Sommerfeste und Herbstfeste des Gedächtnisstätte e. V. mit ausländischen Gästen und Rednern oder auch Kampfsportveranstaltungen in Form von sogenannten Mixed Martial Arts, die unter dem Vorwand einer gesunden Lebensweise der Festigung der NS-Ideologie dienen.

Das bereits mehrfach benannte „Flieder Volkshaus“ in Eisenach, in dem sich auch die NPD-Landesgeschäftsstelle befindet, ist ein weiteres typisches Beispiel für einen rechtsextremistischen Hotspot. Parteiaktivitäten, subkulturelle Veranstaltungen, Kampfsport und Wirtschaftsinteressen verschmelzen hier und verschiedene Strömungen des Rechtsextremismus vernetzen sich. In dem Objekt fanden Tagungen des NPD-Landesvorstands und NPD-Landesparteitage statt. Es wurden zudem diverse Musik- und Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Daneben sollten Veranstaltungen wie Tage der offenen Tür, Diskoabende, Familien- und Straßenfeste als Scharnier zum bürgerlichen Spektrum dienen. Das Gasthaus „Goldener Löwe“ in Kloster Veßra muss sicher als eine der bedeutendsten rechtsextremistischen Szeneimmobilien und Anlaufpunkt in Thüringen angesehen werden. Mit der Durchführung verschiedenster Veranstaltungen wie Konzerte, Lieder- und Balladenabende, Vortragsund Spendenveranstaltungen oder auch politischen Kundgebungen verfolgt der Inhaber eine intensive Vernetzungsstrategie der rechtsextremistischen Szene innerhalb und außerhalb von Thüringen. Das Gasthaus ist darüber hinaus regelmäßig Treffpunkt einer im Landkreis Hildburghausen kommunalpolitisch verankerten Vereinigung, die sich als „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ bezeichnet. Neue Szenelokale gibt es in der sogenannten „Baracke“, aber auch in Ronneburg sowie in Eisenach.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass Angehörige der rechtsextremistischen Szene nach wie vor versuchen, weitere Grundstücke und Gebäude zu erwerben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, am 2. Juni 2019 war ein weiterer schwarzer Tag in der Geschichte unseres Landes. An diesem Tag wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke vor

seinem Haus durch einen Kopfschuss regelrecht hingerichtet. Zahlreiche Anhaltspunkte belegen einen rechtsextremistischen Hintergrund und der ermittelte und festgenommene Tatverdächtige Stephan Ernst war in Thüringen bislang zumindest polizeilich nicht in Erscheinung getreten, gleichwohl in die extremistische Szene eingebunden, Mitglied der NPD gewesen, mit vermutlicher Zugehörigkeit zu „Combat 18“ und „Sturm 18“ sowie Verbindungen zur Artgemeinschaft im Südharz. Bei Durchsuchungen wurden mehrere Waffen gefunden, unter anderem auch die vermutliche Tatwaffe. Mögliche Verbindungen nach Thüringen konnten bislang unter anderem durch ein Kraftfahrzeugkennzeichen hergestellt werden. Die Hauptverhandlung vor dem OLG in Frankfurt begann am 16. Juni dieses Jahres und es bleibt abzuwarten, welche weiteren Erkenntnisse der Prozess zutage fördern wird.

Dieser Mord reiht sich ein in eine Reihe weiterer Anschläge mit rechtsextremistischem Hintergrund bzw. rechtsextremistischer Motivation, so am 9. Oktober des letzten Jahres in Halle an der Saale oder am 19. Februar dieses Jahres im hessischen Hanau. Aber auch das Verbot der Gruppierung „Combat 18“ oder die Exekutivmaßnahmen bzw. Ermittlungsverfahren gegen die mutmaßliche Terrorzelle „Der harte Kern“ oder die Gruppierung „Revolution Chemnitz“ gegen eine mutmaßliche Nachfolgeorganisation der bereits verbotenen Vereinigung „Blood & Honour“ und die kriminelle Vereinigung „National Socialist Knights of the Ku-Klux-Klan Deutschland“ zeigen die Gefährlichkeit auf.

Sehr geehrte Damen und Herren, bewahren wir den Opfern rechtsextremistischer Gewalt an dieser Stelle ein ehrendes Gedenken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im vergangenen Jahr fanden neben der Europawahl in Thüringen auch die Kommunalwahlen und die Landtagswahl statt. Die Partei „Der III. Weg“ beteiligte sich sowohl an der Stadtratswahl in Erfurt als auch an der Landtagswahl mit eigenen Kandidaten. Das „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ im Südthüringer Raum trat zu den Kommunalwahlen mit über 90 Kandidaten sowohl für den Kreistag als auch für die Stadt- und Gemeinderäte an und im Kreistag Hildburghausen hat „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ nunmehr drei Sitze.

Bis vor wenigen Jahren die führende parteipolitische Größe im rechtsextremistischen Spektrum führt die NPD seit geraumer Zeit nur noch ein Schattendasein. Auch die Neuwahl des Vorstands im November 2018 konnte keine neuen Impulse setzen. Im Ergebnis der Kommunalwahl verlor die NPD deutlich an Kommunalmandaten und verfügt nunmehr nur noch über insgesamt 24 Sitze in Thü

ringen. Erfolgreich konnte sie lediglich dort sein, wo sie mit bekannten Personen antrat. So gelang es ihr beispielsweise in Eisenach, ein Mandat hinzuzugewinnen. Die höchsten Stimmenanteile verbucht die Partei im Wartburgkreis und in Eisenach sowie im Kyffhäuserkreis. Aus der Landtagswahl ging die NPD mit 0,5 Prozent der Zweitstimmen hervor. Andere Parteien des rechtsextremistischen Spektrums nahmen nicht teil. Die Ergebnisse zeigen, dass die genannte Partei zumindest bei diesen Wahlen zu marginalisieren ist. An den Europawahlen im vergangenen Jahr nahm aus dem rechtsextremistischen Spektrum neben der NPD auch „Der III. Weg“ und die Partei „DIE RECHTE“ teil. Auf die NPD entfielen in Thüringen 1,0 Prozent der Stimmen, auf den „Dritten Weg“ und „DIE RECHTE“ jeweils 0,1 Prozent.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit März dieses Jahres bestimmt ein Thema maßgeblich die Agenda: die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Begleiterscheinungen. Zunehmend verstehen es auch hier rechtsextremistische Gruppierungen, bürgerliche Protestveranstaltungen gegen die staatlich verordneten Beschränkungsmaßnahmen für sich zu nutzen und die Veranstaltungen für ihre Ziele zu instrumentalisieren. War es vor einigen Jahren die sogenannte Gelbwestenbewegung, die von Frankreich auch nach Deutschland getragen wurde und zunehmend auch Zulauf aus dem extremistischen Bereich erhielt, so sind es heute Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungsmaßnahmen wie zuletzt in Berlin, die instrumentalisiert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die sogenannte Reichsbürger- und Selbstverwalterszene trat in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit, der Arbeit von Polizei, Justiz und insbesondere auch der Nachrichtendienste. In der Vergangenheit allenfalls am Rande Beachtung findend, wurden sie als Spinner oder Querulanten abgetan. Die Sichtweise auf die Szene hat sich aber in der jüngeren Vergangenheit grundlegend geändert. Im Jahr 2016 wurde sie zum bundesweiten Beobachtungsobjekt erklärt und in Thüringen erfolgte die Bearbeitung des Phänomens bereits seit Jahren zuvor als sogenannter Verdachtsfall.

Gegenwärtig gehen die Verfassungsschutzbehörden bundesweit von etwa 19.000 sogenannten Reichsbürgern aus. Davon werden 950 dem rechtsextremistischen Spektrum zugerechnet. In Thüringen sind derzeit 710 Reichsbürger bekannt, davon 30 im rechtsextremistischen Milieu verhaftet. Zudem gibt es 50 Prüffälle des Amts für Verfassungsschutz, die noch andauern. Von ihrer Persönlichkeitsstruktur werden sie so charakterisiert, dass es

sich überwiegend um männliche Personen handelt mit höherem Lebensalter und im ländlichen Raum wohnend. Zum Wesen und zu den Merkmalen der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene wurde im letzten Tätigkeitsbericht ausführlich informiert, weshalb ich an dieser Stelle auf die seinerzeitigen Ausführungen verweisen möchte.

Wie real die Gefahr jedoch nach wie vor ist, zeigen einige Beispiele der letzten Zeit. Im Ergebnis einer Durchsuchung im September 2018 in Guthmannshausen wurden im Rahmen der Vollstreckung eines Waffenbesitzverbots insgesamt 50 legale Waffen und daneben auch illegale Waffen, Reizstoffsprühgeräte, Elektroschocker oder auch eine Flachgranate aufgefunden. Im Oktober des gleichen Jahres wurde in Schlotheim bei der Vollstreckung eines Haftbefehls die Vorrichtung einer USBV entdeckt, einer unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung. Bei der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe im November letzten Jahres gegen einen Reichsbürger in Steinbach-Hallenberg hat sich dieser massiv seiner Festnahme widersetzt und in Saalfeld wird ein Restaurant betrieben, dessen Grundstück als „Königreich Deutschland“ deklariert ist.

Aber auch im Internet treten Reichsbürger immer stärker in Erscheinung, so mit einem sogenannten Global Common Law Court, einer Art Phantasiegericht für privatrechtliche Streitigkeiten oder einem Verzeichnis „Global Public Register Offenders Debtors“, in dem mehrere Tausend Vor- und Familiennamen von Justizmitarbeitern unter dem Vorwurf veröffentlicht wurden, sie würden unrechtmäßig Justiz betreiben. In diesem Zusammenhang sei auch auf ein sogenanntes Bundesstrafregister hingewiesen, in dem allgemein zugängliche Steckbriefe veröffentlicht sind.