Protokoll der Sitzung vom 07.05.2021

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dann behaupten Sie, Videoüberwachung würde zu mehr Sicherheit führen. Frau Henfling ist darauf eingegangen: Der größte Teil der Straftaten, die dem Anger zugerechnet werden, findet ja gar nicht auf dem Anger statt. Es sind zehn umliegende Straßen, die damit gemeint sind, es sind Ladengeschäfte damit gemeint, auch Gewaltstraftaten, die beispielsweise in Wohnungen stattfinden, die in diesem Großraumbereich liegen, werden dem Anger

zugeordnet. Der größte Teil der Straftaten findet bereits in videoüberwachten Räumen statt, nämlich in Geschäften oder beispielsweise in der Straßenbahn. Da sage ich Ihnen ganz ehrlich: Der rassistische Übergriff in der vergangenen Woche in Erfurt wurde nicht durch Videokameras verhindert,

(Zwischenruf Abg. Walk, CDU: Hat die Video- überwachung zur Aufklärung beigetragen?)

ganz im Gegenteil, Menschen fühlen sich dadurch überhaupt nicht mehr beeinträchtigt in ihrem Tun, Herr Walk. Ich erinnere Sie auch an den Terroranschlag in Berlin: 15.000 Kameras in Berlin haben nicht dazu geführt, dass der Terroranschlag in Berlin verhindert worden ist, ganz im Gegenteil: Der Täter hat die Kameras sogar noch für seine Öffentlichkeitsarbeit genutzt. Ich kann Ihnen die Beispiele auch noch weiter fortsetzen: 50.000 Kameras in Paris und sage und schreibe 670.000 Kameras zur Überwachung des öffentlichen Raums in London – weder in London noch in Paris wurden damit Terrorstraftaten verhindert.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will noch ein weiteres Beispiel anfügen und das vielleicht auch erklären, denn deswegen sind wir auch so sensibel bei diesem Thema: In Moskau existieren 100.000 Kameras im öffentlichen Raum. Und wissen Sie, wozu die zuletzt genutzt worden sind? Das ist nämlich auch eine Gefahr dieser Technologie, wenn immer weiter der Ruf nach immer besseren und weiteren Befugnissen und Technologien einhergeht. Diese Kameras wurden genutzt, um Bewegungsprofile von Mitarbeitern von Nawalny zu erstellen, um sie dann nach einer Teilnahme an friedlichen Demonstrationen bei ihrem Heimweg tatsächlich festzunehmen.

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Ty- pisch kommunistische Methode! Gibt es in China schon lange, Racial Profiling!)

Das ist nämlich eine Gefahr, die damit einhergeht, Herr Voigt, und der müssen Sie sich nämlich auch argumentativ stellen,

(Beifall DIE LINKE)

dass diese Videos nicht nur für eine spätere, nachträgliche Auswertung angefertigt werden, sondern natürlich auch mit den Möglichkeiten der Technologie geeignet sind,

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Zwi- schen Demokratien und Autokratien besteht ein Unterschied, das kennen Sie vielleicht nicht!)

Bewegungsprofile herzustellen, Gesichtserkennung durchzuführen und eine flächendeckende Überwachung einzelner sich bewegender Menschen

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: De- mokratie und Autokratie ist ein Unterschied!)

durchzuführen, zu realisieren. Und das ist eine Gefahr, die wir immer wieder erleben. Sie fordern ein Instrument der Überwachung des Grundrechtseingriffs, versuchen dann die Ausweitung mit immer weiteren Instrumenten und am Ende die Vernetzung dieser darzustellen. Da bewegen wir uns tatsächlich auf dem Weg hin in den Überwachungsstaat und diesen Weg werden wir nicht mit Ihnen gemeinsam gehen, sondern wir versuchen, diesen Weg aufzuhalten.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie haben in Ihren Antrag – und damit will ich vielleicht auch ganz kurz schließen –, das ist eigentlich gar nicht so relevant, behauptet, die Mehrheit der Thüringer Bevölkerung befürwortet die Anwendung der Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen als einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der inneren Sicherheit. Herr Montag, Sie sind auch schon auf andere Umfragen eingegangen, aber, Herr Voigt, da Sie sich ja sehr engagiert in dieser Debatte zeigen, das ist nicht nur gelogen, das ist auch Blödsinn. Das können Sie nämlich dieser sage und schreibe 1.379 Tage alten Umfrage von INSA überhaupt nicht entnehmen. Denn die Fragestellung, die dort von zwei Dritteln der Thüringerinnen mit Ja beantwortet worden ist, war: Sind Sie für eine verstärkte Überwachung von öffentlichen Plätzen mit Kameras? Ein Zusammenhang zu einer vermeintlichen Wirkung wurde überhaupt nicht hergestellt. Die behaupten und konstruieren Sie aber einfach in Ihrem Antrag,

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Nach Umfragen machen wir keine Politik. Sie viel- leicht!)

wird ja wohl keiner merken, wir können einfach mal was in den öffentlichen Raum hinein behaupten. Die Bürgerinnen und Bürger wurden auch nicht nach Alternativen gefragt, sondern es wurde einfach eine so unreflektierte Frage, die mit Ja und Nein zu beantworten ist, hingelegt und das entbehrt nun wirklich – das sollten Sie wissen – jeder wissenschaftlichen Grundlage. Und es ist eigentlich beschämend, dass Sie sich auch noch drei Jahre, neun Monate und drei Tage später darauf beziehen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Em- pirik, Herr Dittes!)

Und wenn wir die Diskussion über Sicherheitsgefühl und tatsächliche Sicherheitsentwicklung auch noch mal führen sollten, dann sollten wir auch über die reale Entwicklung reden. Dann verweise ich darauf, dass man hier natürlich trefflich über die Zahlen aus dem Jahr 2017 diskutieren kann. Der Rückgang der Straftaten auf dem Anger 2019 gegenüber 2018, der auch schon geringer war als 2017, betrug im Übrigen 20 Prozent. Aber dann sollten wir auch über die tatsächlichen Alternativen reden. Da, Herr Montag,

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.

muss ich Sie korrigieren. Die Koalition hat auch mit der Zustimmung der CDU 300 Anwärter bis zum Jahr 2025 bei der Polizei festgeschrieben. Das sichert tatsächlich bürgernahe Polizei. Sicherheit schafft dieser Antrag mit Sicherheit nicht. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächsten Redner rufe ich Herrn Abgeordneten Walk, Fraktion der CDU, auf.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor ich zu den einzelnen Punkten des Antrags komme, will ich noch mal darauf hinweisen, dass wir die Debatte heute hier mit mehreren Kleinen Anfragen zum Themenkomplex „Videoüberwachung Thüringen“ begleitet haben. Vorredner sind schon darauf eingegangen. Wir wollten unter anderem in der Drucksache 7/1839 wissen, welche Orte denn die Bedingungen des § 14 Abs. 1 Nr. 2 des Polizeiaufgabengesetzes in Thüringen erfüllen, also die besonders gefährlichen Orte sind.

Jetzt sind wir schon bei einem wesentlichen Punkt, lieber Kollege Montag, es geht nicht um flächendeckende Videoüberwachung, sondern nur um Videoüberwachung an besonders gefährlichen Orten, also ein Ausdruck auch der Verhältnismäßigkeit, die wir immer im Blick haben müssen, wenn wir das auch verfassungsrechtlich betrachten. Drei Orte sind es in Thüringen: Erfurt, der Willy-Brandt-Platz,

die Magdeburger Allee und eben der mehrfach erwähnte Anger.

Interessant war aber auch die Antwort der Landesregierung auf meine Frage, welche Studien der Landesregierung im Zusammenhang mit der Steigerung des subjektiven Sicherheitsempfindens, insbesondere auch mittels Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen vorliegen und ob sie die vorliegende Erkenntnislage – Kollege Dittes – als ausreichend hinsichtlich ihrer Entscheidungsfindung ansehe. Auf die Anfrage sind Sie nicht eingegangen. In der Drucksache 7/1843 sieht die Landesregierung allerdings keine Notwendigkeit für weitere Studien in Thüringen. Die Aussage finde ich schon spannend. Ich glaube, so eine Studie würde uns wirklich weiterhelfen, wenn doch alle hier auf bundesweite Studien abstellen. Ich glaube, in Thüringen würde uns eine solche helfen. Stattdessen sagt die Landesregierung Folgendes: Sie verweist auf eine bundesweite Dunkelfeldstudie „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“. Die soll Ende 2020 abgeschlossen sein und dann vorgestellt werden. Wir wissen inzwischen, Herr Staatssekretär, dass die Studie noch läuft und dass wir dort noch keine Erkenntnisse vorliegen haben. Deswegen will ich gern noch mal darauf abstellen und würde vorschlagen, wir werden es dann auch im Ausschuss diskutierten. Wir haben einen Landespräventionsrat. Ich finde die Einrichtung gut, dieser Landespräventionsrat war auch befürwortet. Das wäre doch ein lohnendes Projekt, sich genau mal mit diesem Thema zu beschäftigen, um dann auch aktuelle Erkenntnisse zu gewinnen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will auf unsere Punkte noch mal eingehen – nicht auf alle, aber auf die wesentlichen.

Erstens: Der Landtag möge feststellen, dass die Mehrheit der Thüringer Bevölkerung die Anwendung der Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen als einen wesentlichen Beitrag zur inneren Sicherheit befürwortet. Das ist mehrfach angesprochen worden.

(Zwischenruf Abg. Dittes, DIE LINKE: Ja, aber falsch.)

Auch laut „Thüringer Allgemeine“, die schon zitiert worden ist, hatten zwei Drittel gesagt, dass es ein konstruktiver Beitrag sein kann, nicht mehr und nicht weniger, und dass es auch zu einer Verstärkung des subjektiven Sicherheitsgefühls führt. Das ist drei Jahre her, das stimmt. Deswegen habe ich gesagt, eine neue, aktuelle Studie hilft uns weiter. Ich will aber auch die letzte aktuelle Studie bundesweit zum Thema ansprechen. Danach ist belegt: 77 Prozent befürworten den – und jetzt kommt es –

(Abg. Dittes)

flächendeckenden Einsatz der Videokameras an öffentlichen Orten, also nicht nur punktuell an Kriminalitätsbrennpunkten, sondern flächendeckend.

(Beifall CDU)

77 Prozent. Und in der Studie – damit alle noch mal nachlesen können, Kollege Dittes – „Digitale Technologien bei der Polizei in Deutschland“ ist es belegt. Klar ist uns aber auch – um das noch mal deutlich zu machen –, dass Videoüberwachung immer nur ein weiteres Hilfsmittel zur Prävention und auch zur Verfolgung von Straftaten sein kann, welches durch andere Maßnahmen selbstverständlich auch ergänzt werden muss. Wenn uns bei diesem Thema, wo wirklich völlig unterschiedliche Auffassungen hier von den Fraktionen vertreten werden, eines eint, dann ist es Folgendes – und das eint uns wirklich –: Die ausschließliche technische Überwachung für sich allein genommen kann natürlich keine Straftat verhindern und weder die sichtbare Präsenz von Einsatzkräften vor Ort noch Polizeibeamte in der Einsatzzentrale ersetzen. Genau das müssen wir natürlich auch im Verbund sehen.

(Beifall CDU)

Kurzum, Kollege Montag, Videoüberwachung ist eben kein Allheilmittel, jedoch ein Beitrag und ein Teil eines ganz komplexen Maßnahmenbündels in der kommunalen Sicherheitsarchitektur.

Zweiter Punkt unseres Antrags: Videoüberwachung von besonders gefährdeten öffentlichen Plätzen – hier kommt es immer wieder – kann der Prävention von Straftaten dienen und hilft auch bei der Aufklärung von Verbrechen und steigert auch das Sicherheitsgefühl. Ich gehe gleich noch mal auf aktuelle Studien ein. Denn eines stimmt auch, Kollege Dittes, wenn wir über dieses Thema hier streiten – so soll es auch sein –: Die Wirksamkeit der polizeilichen Videoüberwachung ist in Literatur, Forschung und Fachkreisen wirklich zum Teil erheblich divergierend. Deswegen will ich mal einen Blick nach Sachsen oder nach Hamburg werfen. Da haben wir nämlich aktuelle Studien – weil Sie das mehrfach angesprochen haben –, zum Beispiel aus Görlitz aus September 2020 oder aus Hamburg aus dem letzten Jahr. Diese Studien belegen, dass dort in den überwachten Bereichen die Kriminalität zurückging. Beispiel Hamburg: Am Hansaplatz, St. Georg 16 Kameras; dort geht die Kriminalität um die Hälfte zurück, Rückgang bei der Straßenkriminalität 53 Prozent, Rückgang beim Drogenhandel 60 Prozent, Rückgang beim Taschen- und Trickdiebstahl 73 Prozent. Jetzt ein Blick nach Hessen. Die hessische Landesregierung hat nach meinem Kenntnisstand die umfangreichsten Erfahrungen, denn die machen Videoüberwachung seit 2014, also seit sie

ben Jahren in insgesamt 19 Städten. Vielleicht sind inzwischen noch ein paar dazugekommen. Und dort kommt man, auch das ist nachzulesen in der Drucksache 20/1202 beim Hessischen Landtag, zu folgendem Fazit – und ich will gern zitieren –: „Videoüberwachung von öffentlichen […] Plätzen [kann] neben der Prävention von Straftaten auch einen erheblichen Beitrag zur polizeilichen Einsatzbewältigung sowie zur Aufklärung von Straftaten leisten. Als Teil der Gesamtkonzeption“ – da sind wir wieder bei dem Punkt – „polizeilicher Maßnahmen ist die Videoüberwachung ein geeignetes Mittel,“ zum einen „das Aufkommen von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten an öffentlichen […] Plätzen zu minimieren,“ zweitens „Kriminalitätsbrennpunkte zu entschärfen,“ drittens „Angsträume zu reduzieren und […]“ letzten Endes viertens „das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu erhöhen.“

(Beifall CDU)

So die Aussage der Landesregierung in Hessen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will nochmal auf II. eingehen: Die rechtlichen und tatsächlichen und auch finanziellen Aspekte der Videoüberwachung zu überprüfen, ist Aufgabe der Landeregierung. Das wollen wir mit auf den Weg geben.

Und letzter Punkt: Der Städte- und Gemeindebund hat in einer Pressemitteilung vom 8. August 2020 eine verstärkte Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten gefordert.

Damit komme ich zum Abschluss. Elmar Otto hat in der „Thüringer Allgemeine“ einen Kommentar verfasst, daraus würde ich auch gern noch mal zitieren: „Videoüberwachung auszuschließen hieße, aus ideologischen Gründen bei der Verbrechensbekämpfung nicht alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Das wäre fatal.“ – sagt er. Dieser Meinung kann ich mich nur anschließen. Ich freue mich auf die Diskussion im zuständigen Ausschuss und will noch mal in einem Satz zusammenführen: Videoüberwachung ist kein Allheilmittel, jedoch ein Beitrag, ein Teil eines komplexen Maßnahmenbündels in der kommunalen Sicherheitsarchitektur. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Erörterung im Ausschuss mit den Fachleuten und Experten. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Aus den Fraktionen liegen mir jetzt keine weiteren Redemeldungen vor. Für die Landesregierung Herr Staatssekretär Götze. Bitte, Sie haben das Wort.

(Abg. Walk)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, der Antrag der Fraktion der CDU erfordert die Feststellung des Landtags, dass die Mehrheit der Thüringer Bevölkerung die Anwendung der Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen als Beitrag zur Steigerung der inneren Sicherheit befürwortet und dass Videoüberwachung von besonders gefährdeten öffentlichen Plätzen unter anderem das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung steigert.