Protokoll der Sitzung vom 09.06.2022

zumindest, nachdem Sie jetzt im Schulgesetz gemeinsame Sache mit der CDU machen. Wenn das, so wie Sie sich das vorstellen, das Schulwesen des 21. Jahrhunderts ist, dann ist das keine Entwicklung, es ist kein Fortschritt, es ist kein Mehr an Chancen für Kinder und Jugendliche. Das ist einfach, Herr Tischner, ein Rückschritt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Baum, das ist ein Rückschritt. Das kann nicht in Ihrem Sinne sein.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf stellt keinen Entwurf für gute Bildung dar, sondern er ist eine Rückkehr zum Schulrecht des letzten Jahrtausends. Thomas Hartung, du bist schon darauf eingegangen. Nehmen wir nur mal den § 2 Ihres Gesetzentwurfs. Da schleifen Sie das Recht auf einen lernzieldifferenten Gemeinsamen Unterricht, also das, was man unter Inklusion gemeinhin versteht. Damit gehen Sie auf einen Stand von 1992 – nicht 2011, 1992 – zurück.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen einen dreißigjährigen erfolgreichen Weg beenden. Thomas, du hast darüber gesprochen. Das ist doch irgendwie absurd. Erinnern Sie sich doch an Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger hier in diesem Parlament.

(Beifall SPD)

Ich kann nur daran anknüpfen und das dick unterstreichen, was Thomas Hartung hier zum Ausdruck gebracht hat.

Ja, es geht nicht darum, zurück in die Vergangenheit, sondern es geht darum, Inklusion zu gestalten.

(Beifall DIE LINKE)

Es geht nicht darum, sie zu interpretieren. Das erstaunt mich schon, dass hier einzelne Rednerinnen und Redner – auch Sie, Frau Baum, auch Sie, Frau Bergner – die UN-Konvention herangezogen haben. Natürlich muss man sie heranziehen. Aber sie sagt eben nicht, dass es darum geht, am allgemeinen Schulwesen teilzunehmen – dazu gehören unsere Förderschulen –, sondern sie sagt – und das möchte ich jetzt mal zitieren –: „Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden.“

(Beifall DIE LINKE)

Ich könnte jetzt noch weiter zitieren. Das ist der Auftrag. Der Auftrag ist nicht Separierung in die Förderschule.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Durchläs- sigkeit!)

Nein, nein, nein.

(Unruhe CDU)

Der Auftrag ist, alle – Herr Tischner – Menschen sind gleich. Alle Menschen haben das gleiche Recht, am öffentlichen Schulsystem teilzunehmen

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Richtig!)

und an allen Schulen: in der Grundschule, in der Regelschule, am Gymnasium, in der Gemeinschaftsschule.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Ausnahme ist die Förderschule – die Ausnahme. Sie wollen die Förderschule zur Regelschule machen, also Regelschule im Sinne von, dass die Menschen mit Behinderungen an diese Schule gehen. Das ist nicht unser Weg.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Sie ma- chen die Förderschule zur Regelschule!)

Das ist auch nicht das Verständnis der Vereinten Nationen im Sinne der Konvention, die ich hier noch mal zitiert habe. Wir haben schon mehrfach darüber diskutiert. Bitte interpretieren Sie die UNBehindertenrechtskonvention nicht in dem Sinne, dass wir die Förderschulen stärken müssen, son

(Minister Holter)

dern wir müssen den Gemeinsamen Unterricht stärken in den allgemeinbildenden Schulen. Das kann nur das Ziel sein.

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Dann stellt mal ein paar Lehrer ein!)

Ja, meine Damen und Herren, wir brauchen eine Diskussion darüber, was moderne Schule ausmacht, was die Schule des 21. Jahrhunderts ausmacht. Dann höre ich hier auch von Herrn Tischner, er will Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Dazu haben wir jetzt hier nicht die Zeit, aber darüber würde ich im Ausschuss sprechen wollen, was denn wer unter Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit versteht. Ist das tatsächlich die Separierung, die Selektion und auch die Entscheidung nach der 4. Klasse, welchen Schulweg, welche Schullaufbahn ich einschlage, oder ist es nicht das Prinzip, was ich vertrete, des längeren gemeinsamen Lernens und des inklusiven Lernens, um allen die gleiche Chance zu geben, einen erfolgreichen Schulabschluss zu machen?

(Beifall SPD)

Das ist doch genau die Frage: Wie definieren wir moderne Schule und damit ein modernes Bildungssystem?

Wir haben aus der Coronazeit – der Antrag der Koalitionsfraktionen spricht auch darüber, die ist auch noch nicht beendet – unsere Schlussfolgerungen gezogen. Da geht es doch darum, darüber zu sprechen: Was bedeutet krisengestärkte Schule? Was bedeutet eigenverantwortliche Schule? Wie viel wollen wir der Schule vorschreiben und wie viel darf die Schule eigenständig entscheiden? Das hat etwas mit Eigenverantwortung zu tun. Das wird mir von Schulleiterinnen und Schulleitern gesagt: Gebt mir einen Rahmen vor, aber auch die notwendigen Freiheiten und die Möglichkeiten, meine Schule eigenständig selbst zu entwickeln und zu gestalten, damit der Unterricht entsprechend gestaltet wird, um auch den Kindern entsprechende Lernentwicklungen zu ermöglichen. Ja, es geht auch darum, Entlastungen zu schaffen, Strukturen zu stärken. Es geht auch um die BLF, Besondere Leistungsfeststellung; dazu haben wir uns jetzt alle in den Medien geäußert. Ja, ich bin offen dafür, wir sollten den Diskussionsprozess offen führen. Wenn wir aber zu der Entscheidung kommen – das ist auch wieder der Appell an alle –, diese Besondere Leistungsfeststellung abzuschaffen, dann müssen wir aber auch gesetzlich regeln, dass diejenigen, die von der 10. zur 11. Klasse am Gymnasium wechseln, einen gleichwertigen Schulabschluss haben. Ansonsten erfüllen wir unseren Auftrag nicht.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das gehört einfach dazu und das muss man hier dann auch feststellen.

Ja, meine Damen und Herren, wir brauchen Entscheidungen darüber, was moderne Bildung, modernes Lehren und Lernen bedeuten, um die Schulen insgesamt zukunftsfest und zukunftsgewandt zu organisieren und sie entsprechend auszurichten. Da gibt es eben Unterschiede. Die sind hier deutlich geworden. Das ist auf der einen Seite gut so, aber auf der anderen Seite müssen wir, wenn wir zu einem Ergebnis, zu einem Konsens, zu einem Kompromiss kommen wollen, genau diesen Weg gehen. Wir müssen kontrovers diskutieren – ganz klar –, aber wir brauchen am Ende auch eine Entscheidung, die dann hier mehrheitsfähig ist, sowohl im Ausschuss als auch im Parlament. Das kann nur das Ziel sein. Ich kann nur noch mal darauf hinweisen, mit dieser Fraktion wird eine zukunftsorientierte Politik nicht möglich sein. Und mit dem Tabubruch wollen wir erst gar nicht anfangen, meine Damen und Herren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu dem Thema „Inklusion“ haben die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen gesprochen. Es wurde auch der Thüringer Entwicklungsplan „Inklusion“ angesprochen. Ja, wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen zur Unterstützung, und wir haben auch klar gesagt, dass es wichtig ist, dass das Recht auf Bildung für alle Kinder, ob mit oder ohne Behinderung, ermöglicht werden muss. Der Entwicklungsplan 2021 bis 2025 liegt vor. Wir haben ihn im Juni 2021 im Kabinett verabschiedet – das ist alles in Ordnung so – und setzen ihn auch ganz systematisch um. Da gibt es auch Erfolge. Auch darüber können wir im Ausschuss gern sprechen.

Ich denke, wir haben mit der heutigen Debatte noch mal eins deutlich gemacht: Alle – das einigt nach meiner Auffassung alle – wollen das Beste für die Schülerinnen und Schüler, alle wollen, dass die Schülerinnen und Schüler erfolgreich die Schule absolvieren, um dann ihren zukünftigen Lebensund beruflichen Weg gehen zu können. Die Wege dorthin unterscheiden uns, das ist auch gut so, das ist Demokratie, dass wir unterschiedliche Positionen haben. Wenn wir aber wirklich wollen, dass die Schulen Planungssicherheit haben, dass wir auch ein Stück Ruhe in die Schulen bringen über einen längeren Zeitraum, dann haben wir jetzt die Chance, mit Ihrem Gesetzentwurf, Herr Tischner, aus der Fraktion der CDU und der Bereitschaft der demokratischen Fraktionen aus der Koalition den

(Minister Holter)

Weg gemeinsam zu gehen, ein solches Konzept zu entwickeln, was dann auch wirklich Zukunftsfähigkeit und Zukunftsorientierung ermöglicht. Darum bitte ich Sie. Ich bin gern dabei auch mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Ministerium und aus der Schulpraxis, auch aus der Wissenschaft, Herr Tischner, dass wir dann das Beste für Thüringen weiterentwickeln, damit man sagen kann: Diese Debatte hat nicht zu einem Stillstand geführt oder zu einer Rolle rückwärts, sondern es ist ein Schritt nach vorn, um dieses Schulwesen, die Schulen in Thüringen so zu entwickeln, dass Schülerinnen und Schüler sagen, ja, ich gehe gern hier zur Schule, und dass junge Leute, die Lehramt studieren sollen, nicht nur Lehramt studieren, sondern sagen, ja, ich möchte in Thüringer Schulen in Zukunft arbeiten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. Gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Abgeordneten? Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zu den Abstimmungen.

Es ist beantragt, den gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktion der CDU und der Gruppe der FDP an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport zu überweisen. Wer dieser Ausschussüberweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind alle Fraktionen des Hauses, die fraktionslosen Abgeordneten und auch die Gruppe der FDP. Gibt es Gegenstimmen? Gibt es Stimmenthaltungen? Beides nicht. Damit ist diese Überweisung so beschlossen.

Weitere Ausschussüberweisungen waren nicht beantragt.

Dann kommen wir zu dem Antrag der Parlamentarischen Gruppe der FDP, Kinder in den Mittelpunkt stellen – für starke Förderschulen und hochwertigen gemeinsamen Unterricht. Auch hier war Ausschussüberweisung beantragt. Wer möchte dieser Ausschussüberweisung zustimmen? Den bitte ich um das Handzeichen. Auch hier sehe ich Stimmen aus den Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und CDU, der Gruppe der FDP und der fraktionslosen Abgeordneten. Wer ist gegen diese Ausschussüberweisung? Das ist niemand. Wer enthält sich der Stimme? Das sind die Mitglieder der AfD-Fraktion. Auch damit hat dieser Antrag auf Überweisung eine Mehrheit gefunden.

Dann kommen wir zum dritten Antrag, Inklusive Schulentwicklung in Thüringen weiter unterstützen, ein Antrag der Fraktionen Die Linke, der SPD

und Bündnis 90/Die Grünen. Auch hier wird Ausschussüberweisung gewünscht. Wer stimmt der Ausschussüberweisung dieses Antrags zu? Das sind erneut die Mitglieder der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und der CDU sowie die Gruppe der FDP und die fraktionslosen Abgeordneten. Gegenstimmen? Die Fraktion der AfD. Gibt es Stimmenthaltungen? Keine. Dann ist auch dieser Antrag zur Weiterberatung an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport überwiesen.

Jetzt kommen wir zur Mittagspause. Es ist jetzt 13.55 Uhr. Wir würden um 14.25 Uhr fortsetzen und haben dann wieder Wahlen auf dem Programm, bevor es nach den Wahlen in die Fragestunde geht.

Ich eröffne die Sitzung wieder und wir kommen vereinbarungsgemäß jetzt zum Aufruf der Tagesordnungspunkte 14 und 17 bis 21. Das sind insgesamt sechs Wahlgänge, die wir wieder in verbundener Wahl durchführen. Die Tagesordnungspunkte 15 und 16 wurden von der Tagesordnung abgesetzt.

Tagesordnungspunkt 14

Wahl eines Vizepräsidenten des Thüringer Landtags Wahlvorschlag der Fraktion der AfD - Drucksache 7/5626 -