Walter Momper

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir auf die letzten 15 Jahre zurückblicken, können wir immer noch sagen – das möchte ich auch an die Spitze stellen –, dass wir ein wirklich glückliches Volk sind. Wann hat je ein Volk in seiner Geschichte so friedlich und gewaltfrei die Einheit und die Freiheit gewonnen? Mir sind kaum andere Völker bekannt. Wir Deutschen haben das geschafft, einfach indem die Deutschen in der DDR damals mit protestantischer Ethik und preußischer Disziplin so friedvoll diese große politische Bewegung zustande gebracht haben.
Wenn wir von dem Mut und der Tapferkeit der Bürgerbewegung in der damaligen DDR sprechen, wollen wir nicht vergessen, dass es der Vorlauf des tapferen polni      ! "#$%– unter Kriegsrecht und unendlichen Entbehrungen – gewesen ist und dass darüber hinaus auch die mutige ungarische Regie
rung, die bereits im Sommer die Grenzen geöffnet hat, es überhaupt erst möglich gemacht haben, dass der Durchbruch so kommen konnte, wie er dann gekommen ist.
Wenn wir über die Freude am 9. November, über den 9. November und die wieder gewonnene Einheit sprechen, dann wollen wir nicht vergessen, welches Elend und unendliches Leid Mauer, Stacheldraht, Stasi- und SEDHerrschaft, die Teilung Berlins, Deutschlands und Europas über unser Volk gebracht haben. Dieses Leid darf niemand vergessen, auch wenn heute zu meinem Entsetzen Ostalgie und Nostalgie angesagt sind. Auch wenn man im Palast der Republik spielt – wogegen ich nichts habe, warum soll das Gebäude nicht bespielt werden? –, darf man nicht vergessen, dass auch dieses Gebäude Teil des Machtsystems gewesen ist. Mauer und Stacheldraht dürfen nicht vergessen werden!
Wenn wir überlegen, dass von den 3,4 Millionen Einwohnern Berlins ungefähr ein Drittel in den letzten zehn Jahren 18 Jahre alt geworden oder zugezogen sind und sie Mauer und Stacheldraht nicht unmittelbar erlebt haben –, weder von der Ost- noch der Westseite – wissen wir, dass wir um so mehr für Aufklärung, Erklärung, Bildung und Geschichte sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Unterricht tun müssen, damit auch die Zugezogenen und Jüngeren erfahren, wie es gewesen ist. Die vergangenen fünfzehn Jahre sind erfolgreich gewesen. Aber es hat auch viele Enttäuschungen gegeben. Ich erinnere daran, dass das Versprechen der blühenden Landschaften so verstanden worden ist, als stünden sie bald vor der Tür. Wir alle haben uns geirrt. So gut wie jeder hat in den vergangenen 15 Jahren erfahren müssen, dass alle Prozesse im Zusammenhang mit der deutschen Einheit viel länger dauern, als alle es zuvor eingeschätzt haben, dass es nicht eingehaltene Versprechungen gegeben hat, dass manche damals davor gewarnt haben, dass die deutsche Einheit nicht quasi aus der Portokasse zu bezahlen sei – ich erinnere daran, mit welcher Häme Oskar Lafontaine bedacht wurde, als er sagte
lassen Sie mich doch erst einmal ausreden –, das Ganze werde 100 Milliarden DM kosten. Mit dieser Schätzung war er weit von dem entfernt, was die Einheit zu Recht an solidarischem Ausgleich bislang gekostet hat. Aber er war der Wahrheit näher als alle anderen – das darf nicht vergessen werden.
Ich bin der Auffassung, dass bei allen Fehlern, die gemacht worden sind – beispielsweise im Zusammenhang mit der Treuhand –, es sich letzten Endes um eine Erfolgsgeschichte handelt. Aber die psychologische Ausgangssituation für uns alle, für das gesamte Volk wäre eine andere gewesen, wenn man von vornherein gesagt
hätte: Die deutsche Einheit wird eine außerordentliche Anstrengung für uns alle werden. – Dann wäre es uns leichter gefallen, all das zu leisten, was geleistet worden ist und was noch geleistet werden muss.
Wir sind jetzt in den Mühen der Ebene, schon seit 15 Jahren: Arbeitslosigkeit, die Abwanderung der jungen Menschen aus den neuen Bundesländern. Es gehört auch zur Wahrheit, dass die Produktivität in den neuen Bundesländern im Durchschnitt bei 77 % der Produktivität in den alten Bundesländern liegt.
Das kann man nicht von heute auf morgen ändern. Aber die Infrastrukturinvestitionen, die Verbesserungen, die ein ganz praktisches Stück Lebensqualität für die neuen Bundsländer sind, die fallen jedem, der dorthin fährt, ins Auge. Das ist eine große solidarische Leistung, die innerhalb unseres Landes für die neuen Bundesländer erbracht worden ist.
Problematisch wäre es aus meiner Sicht, wenn es auf der einen Seite in den neuen Bundesländern hieße: Das hat alles nichts genützt. Was ist denn besser geworden? – und auf der anderen Seite in den alten Bundesländern: Das viele Geld, das als innerdeutscher Solidarausgleich und als Ersatz für die Reparationen, die die ehemalige DDR zahlen musste, tut uns Leid. – Wir müssen die Geduld aufbringen, diesen Weg fortzusetzen. Wir werden uns noch länger gedulden müssen, das ist heute absehbar. Es wird auch noch 10 bis 15 Jahre dauern, bis diese Prozesse, die sehr langwierig sind – beispielsweise der Aufbau eines Mittelstandes in den neuen Bundesländern –, abgeschlossen sind und das Volk die Situation als gleichwertig empfindet.
Ich glaube, eines wird uns zusammenschweißen – es sind immer die großen Herausforderungen, die dies tun, so, wie die Flut eine gewesen ist –: Die gesellschaftlichen Reformen, die in der ganzen Bundesrepublik angesagt sind, in Ost und West, die Veränderung des Sozialsystems, die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, aber auch des Bildungssystems, werden die Menschen zusammenschweißen. Wir werden uns gemeinsam anstrengen müssen, um zu neuen Lösungen zu gelangen. Diese große Aufgabe liegt vor uns allen. Diese große Aufgabe wird das Zusammenwachsen beschleunigen und letzten Endes vollenden.
Ich möchte noch eine zweite große Aufgabe benennen. Nachdem die Einheit Deutschlands und Europas so friedlich erkämpft worden ist, brauchen wir ein politisch einiges und handlungsfähiges Europa. Das bisher Vorhandene reicht für ein politisch handlungsfähiges Europa und ein Wiedererstarken des alten Kontinents nicht aus. Seit dem 1. Mai und dem Beitritt der zehn Länder aus Ost- und Mitteleuropa zur EU sind wir dabei einen gewaltigen Schritt vorangekommen. Hätte jemand vor 15 Jah
ren prophezeit, dass diese Länder heute Mitglied des westlichen Bündnisses seien, dass sie in der EU seien, dass ihre ökonomische Leistungsfähigkeit entsprechend groß ist, wir hätten es nicht für möglich gehalten. Dies ist der zweite Schritt, nachdem die Einheit unseres Landes hergestellt worden ist. Viele Aspekte gilt es aber noch zu besprechen: Was wird mit Russland? Wie gestaltet sich das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten?
Die Einigung Europas und die Reformen im eigenen Land, diese Aufgaben liegen vor uns. Ein Volk, das so glückliche Stunden und Jahre erlebt hat, wird auch dieses meistern. Aber wir müssen uns allen klar machen, dass es dazu außerordentlicher Anstrengungen bedarf. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über die Hauptstadt sprechen, freue ich mich persönlich darüber, dass die besten Botschafterinnen und Botschafter Berlins diejenigen sind, die hier als Besucher waren, die die Stadt gesehen haben, die in ihre Heimatstädte und -gemeinden zurückfahren und sagen: In Berlin ist etwas los. Berlin ist kreativ. Berlin ist lebendig. In Berlin wächst etwas heran, was uns alle in Deutschland angeht. – Diese Besucherinnen und Besucher sind die besten Interessenvertreter für unsere Stadt und für die Hauptstadt Berlin.
Die Besucherinnen und Besucher haben die Hauptstadt längst angenommen, und ich freue mich darüber, dass Politiker in anderen Bundesländern regelrecht Druck aus der Bevölkerung bekommen und Berlin auch als Hauptstadt zu akzeptieren, Berlin auch im Interesse aller Deutschen so auszustatten, dass diese Aufgabe erfüllt werden kann. Diese Menschen haben durch ganz praktische Erfahrungen die Ängste, die ohne Frage Anfang der 90er Jahre vor dem Moloch Großstadt da warent, vor einer vielleicht gravitätisch oder gar wilhelminisch einherkommenden Hauptstadt verloren. Das hat sich gegenüber den frühen 90er Jahren verändert, und das ist gut so. Man kann durchaus sagen, dass viele Deutsche, die zu Besuch in Berlin waren, auf ihre Hauptstadt Berlin stolz sind – auf diese Bühne der Nation, die vieles von dem widerspiegelt, was sich in den verschiedenen Ländern und Regionen, in den Städten und Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland tut.
Und auch die Bundespolitikerinnen und Bundespolitiker haben den Wert der Stadt durch ihre eigene praktische Erfahrung erkannt. Es war damals Kalkül zu sagen: Es wird die Politik verändern, wenn der Bundestag erst in den Osten Deutschlands und nach Berlin kommt. Und umgekehrt werden auch der Osten Deutschlands und Berlin verändert, wenn die Bundespolitik hierher kommt. – Das ist auch eingetreten, das hat die Politik von Bundesregierung, Bundestag und auch Bundesrat verändert. Das ist eine gute Entwicklung für unser Land und auch eine gute Entwicklung für unsere Stadt.
Um unsere Rolle als Hauptstadt zu definieren, erwähne ich ein paar Stichworte, die nicht in Vergessenheit geraten sollen, auch wenn es vielleicht Selbstverständlichkeiten sind: Wir wollen eine liberale, eine tolerante, eine weltoffene, eine friedliche Metropole sein – Berlin.
Wir wollen eine europäische und eine westliche Metropole sein; ein Ort, wo preußisch-deutsche Geschichte mit allenHöhen und in Tiefen und die demokratische Gegenwart und die europäische Zukunft ganz eng beieinander liegen und wo wir auch Beiträge zu dieser Gegenwart und Zukunft leisten; keine Hauptstadt, die gravitätisch oder gar wilhelminisch daherkommt; eine Stadt, die mit der Vielfalt der deutschen Städte, auch der europäischen Städte, in einem friedlichen Wettbewerb steht; kein zentralistischer Moloch; keine Stadt, die alles und jedes an sich ziehen will.
Wir sind froh darüber, dass es in unserem Land eine Hauptstadtdiskussion gibt, nicht nur durch den Bundespräsidenten und die Föderalismuskommission angestoßen, sondern auch durch die Medien und die Nationalstiftung.
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf die Rede des Vorstandsvorsitzenden Döpfner vom SpringerKonzern aufmerksam machen, die er anlässlich der Eröffnung des neuen Verlagshauses gehalten hat. Man mag über manche Organe dieses Hauses denken, wie man will,
Sen Böger
aber man sollte sich ansehen, warum aus geschäftlichem Kalkül – nicht etwa aus irgendeiner Sentimentalität heraus – die Firma Springer ihren Hauptsitz an die Spree, an die Kochstraße, verlegt hat. Das muss man sich ansehen, dann versteht man etwas mehr, warum Teile der deutschen Wirtschaft zu Recht auf Berlin setzen.
Ich bin froh und dankbar dafür, dass Frau Bundesministerin Kühnast und der Kollege Ratzmann für die Grünen Thesen über „Berlin, eine Hauptstadt als föderaler Identifikationspunkt“ vorgelegt haben. Das trifft sich sehr gut und sehr passgenau – möchte man sagen – mit dem Vorschlag, den der Regierende Bürgermeister – zum richtigen Zeitpunkt übrigens – gemacht hat. Da muss kein Regierender Bürgermeister vor allen anderen vorweg marschieren. Er muss mit dem richtigen Vorschlag zur richtigen Zeit kommen, und das hat der Regierende Bürgermeister Wowereit mit seinem Vorschlag der Ergänzung des Grundgesetzes um den dazu gehörenden Artikel über die Hauptstadt Berlin auch sehr gut gemacht.
Da ist eine Diskussion in Gang gekommen, aber es gilt natürlich auch, dass Hauptstadtanforderungen an uns gestellt werden, dass wir uns hauptstadtmäßig verhalten müssen,
dass wir als Dienstleister für die auftreten müssen und wollen, die in unsere Stadt kommen oder unsere Stadt nutzen wollen. Das beginnt mit Offenheit und Toleranz für Migranten oder für Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, um hier vorübergehend oder für längere Zeit zu leben.
Toleranz ist ein Wert, der immer neu erarbeitet werden muss. Ich bin stolz, dass in unserer Stadt wieder nicht nur die größte jüdische Gemeinde Deutschlands ist, sondern jüngst die erste jüdische Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland, das Touro College, eröffnet worden ist.
Aber es gehört auch ein investorenfreundliches Klima dazu. Das heißt, dass diejenigen, die bei uns Geld investieren wollen, sich nicht nur durch die Bauverwaltung, sondern auch durch die Bezirksämter gut empfangen und aufgehoben fühlen müssen. Es muss ebenso die Offenheit für den Wettbewerb mit anderen Städten hinzukommen. Man kann über Elite-Hochschulen denken, wie man will, wenn die Bundesregierung einen solchen Wettbewerb macht, sollten wir als Berlinerinnen und Berliner mit unseren Universitäten daran teilnehmen. Unsere Universitäten brauchen diesen Wettbewerb überhaupt nicht zu fürchten.
Berlinidentifikation – eine Identität der politischen und gesellschaftlichen Kräfte, so etwas wie Corporate Identity. Das sagt nichts darüber, dass wir uns intern nicht kritisch bewerten und eine scharfe Diskussion führen. Aber nach außen deutlich zu machen, dass die, die in unsere Stadt kommen wollen, dass die hier auch willkommen sind. Jedes größere Bauprojekt und jedes größere wirtschaftliche Vorhaben immer von vornherein, ehe überhaupt klar ist, was passiert, als Pleiteprojekt zu denunzieren, das vermittelt keine Offenheit, sondern das wird in Berlin als Kleingeistigkeit und Ängstlichkeit empfunden.
Man kann – glaube ich – ziemlich gelassen abwarten, wie aus reiner Zweckmäßigkeit weitere Zentralinstanzen von Regierung und Wirtschaft nach Berlin kommen. Wir müssen etwas dafür tun, aber wir können auch mit Geduld abwarten. – Dazu zähle ich sowohl den Bundesnachrichtendienst als auch das Bundeskanzleramt. – Ich finde es – was das Bundeskanzleramt anbelangt – manchmal ein bisschen kleinkariert, wenn immer so getan wird – –
Entschuldigung! Das Bundeskriminalamt! – Was den BND angeht, finde ich es kleinkariert, wenn gefragt wird, ob wirklich die grüne Durchwegung in der Mitte des Blocks hergestellt wird. – Nach allem, was ich darüber weiß, wird sie hergestellt werden. – Und ich finde es genauso kleinkariert, wenn andere Orte ausgesucht werden. Es erweckt immer nur den Eindruck, als wolle man diese Institution insgesamt nicht da haben.
Und mein Verdacht bei Einzelnen ist, dass das tatsächlich auch dahinter steht.
Im Übrigen kann man denen sagen, die bei solchen Umzügen dagegen mobilisieren, dass weder in Wiesbaden noch in Meckenheim die Welt untergeht, wenn eine Behörde selbstverständlich dorthin geht, wo sie in allen Hauptstädten der westlichen und östlichen Welt hingehört, in die Nähe der Regierung. Man sieht ja, wie vital Bonn trotz des Regierungsumzuges ist. In diesem Zusammenhang möchte ich nicht vergessen, darauf hinzuweisen – weil es das Gesetz Bonn-Berlin gibt –, dass es immer noch mehr Bedienstete der Bundesregierung im Großraum Bonn als im Großraum Berlin gibt.
Das ist ein Merkposten, das löst sich mit der Zeit von allein, aber vergessen wollen wir das nicht.
Nein! Ich würde gern die Rede zu Ende bringen, indem ich noch einmal auf Folgendes hinweise: Den Rang Berlins als Hauptstadt zu erarbeiten, das
ist keine Tat von heute auf morgen, sondern es ist ein politischer Prozess. Wir müssen uns diesen Rang als Hauptstadt politisch erarbeiten. Da können wir etwas tun, da können wir nach außen hin wirken und unsere Offenheit deutlich machen. Es geht um einen Aneignungsprozess der übrigen Deutschen und der Länder, dass sie Berlin selbst als ihre Sache, die Hauptstadt als die Bühne der Nation, begreifen. Wir sind auf einem guten Weg, wenn wir so weiterarbeiten, wie wir das bis jetzt gemacht haben, wie der Regierende Bürgermeister, wie Frau Bundesministerin Kühnast, wie Herr Ratzmann und die anderen, die an diesem Feld arbeiten, es bereits vorgemacht haben. – Danke schön!
Nun kommt der Abgeordnete Stadtkewitz an die Reihe. – Sie haben das Wort!
Herr Senator Strieder!
Das waren zwei Zwischenfragen. – Bitte, Frau Pop!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gewiss, Hindenburg ist eine umstrittene Persönlichkeit. Wenn man allerdings auf die Ehrenbürgerliste blickt, findet man viele andere, die zu Lebzeiten oder etwa auch in anderen Ländern hoch umstritten waren und sind. Ich möchte dafür plädieren, dass man die gesamte
Ehrenbürgerliste in ihrer Zusammensetzung auch als ein Dokument der Geschichte nimmt. Es gibt keinen allgemein gültigen Maßstab für Ehrenbürgerschaften. Wir, die wir heute in Kenntnis der Geschichte leben, wissen sowieso immer alles besser, weil wir den Ausgang der Geschichte kennen. Das konnten die, die damals gehandelt haben, nicht in jedem Falle.
Die Ehrenbürgerliste unserer Stadt repräsentiert eben Glanz und Schatten der Geschichte. Gewiss, wir kommen vom Rathaus, wir wissen es besser.
Aktuell ehren wir nicht jeden, der auf der Ehrenbürgerliste steht. Wir hatten vor kurzem in diesem Saal das Vergnügen, Rudolf Virchow, diesen bedeutenden Liberalen, Wissenschaftler, Arzt, Humanisten und Politiker zu ehren. Bei anderen lassen wir das. Natürlich bin ich auch der Meinung, dass man Mörder und Menschenschinder oder Leute, die auf diese Liste nicht gehören, weil die besondere Leistung nicht ersichtlich ist, darauf nicht dulden sollten. Aber mit Zufallspunkten den einen oder anderen herauszugreifen und für etwas haftbar zu machen, wofür er eigentlich nicht steht, halte ich politisch für falsch.
Ich persönlich werde mich gern dafür einsetzen, dass wir – nicht nur im Ausschuss – mit einigen Wissenschaftlern, mit Historikern, Symposion über die Bedeutung von Ehrenbürgerlisten und wie man damit umgeht, veranstalten, um eine objektivere und distanziertere Beurteilung zu ermöglichen.
Ich will vier oder fünf Anmerkungen zu Hindenburg machen: Natürlich war das ein Monarchist, wie er im Buche steht – Chef des Generalstabes, stockkonservativ, aber er war sehr populär, weil er der Verteidiger Ostpreußens gegen die zaristische Armee 1914/15 gewesen war. Er war populär, deshalb wurde er Chef der Heeresleitung.
Ein Punkt betrifft den November 1918 – wenn man über die Wahrheit spricht, dann muss man – der Blick ins Geschichtsbuch hilft manchmal – bei der Wahrheitsfindung auch alles sagen: Er ist es gewesen, der Wilhelm II. gesagt hat, an der Spitze des Heeres von Spa aus zurück ins Reich zu marschieren, gibt es nicht. Das hat er mit Groener seiner Majestät gesagt, das hat unserem Land den Bürgerkrieg in der Situation erspart.
Zweiter Punkt – 1925, die Kandidatur: 1925 haben die Rechten zum zweiten Wahlgang – –
Lassen Sie mich doch mal ausreden, verehrte Frau Ströver! – 1925, zum zweiten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl haben die Rechten, weil sie sahen, mit Dr. Jarres können sie die Wahl nicht gewinnen, Hindenburg nominiert. Daraufhin wurde nicht Otto Braun, der im ersten Wahlgang 8 Millionen Stimmen bekommen hatte, sondern von den demokratischen Parteien, also von Zentrum, DDP und von den Sozialdemokraten, der ehemalige Reichskanzler Marx nominiert. Marx ist es nicht geworden, sondern, weil die Bayerische Volkspartei zu Hindenburg gegangen ist, wurde es Herr Hindenburg. Darüber war allgemeines, ziemliches Entsetzen. Aber wo liegt der Vorwurf gegen Hindenburg? – Dass er kandidiert hat? Liegt der Vorwurf dagegen, dass die Rechten ihn nominiert haben? – Wenn überhaupt, dann hat in der Situation die Kandidatur von Thälmann die Wahl des demokratischen, oder, wenn Sie so wollen, des linken Präsidenten vereitelt.
Eine Haltung – da klatscht die CDU vielleicht ein bisschen zu früh –, die übrigens das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale auch kritisiert hat, die nämlich aufgefordert hatten, sich mit der SPD zusammenzusetzen, aber die linksradikale KPD hat es in der Situation nicht gewollt.
Fast alle wichtigen Historiker sagen, dass sich Hindenburg in den sieben Jahren seiner ersten Präsidentschaft absolut legalistisch und demokratisch verhalten hat. Er hat sieben Jahre lang ohne jede Notverordnung regiert, was zum Beispiel sein Vorgänger, der von uns allen vermutlich verehrte Friedrich Ebert, in seiner Amtszeit nicht getan hatte.
1932 wollte Hindenburg nicht kandidieren – auch wegen seines Alters; immerhin war der Mann 85 Jahre alt, er fühlte sich persönlich überfordert. Es ist dann so gewesen, dass Brüning und alle anderen demokratischen Parteien, d. h. wiederum Zentrum, SPD und auch die Deutsche Demokratische Partei, versucht haben, ihn zu beknien, damit er kandidiert, um Hitler zu verhindern. Denn alles andere hätte bedeutet, Hitler wäre Reichspräsident geworden. Und sie haben es erst geschafft, nachdem der Oberbürgermeister Sahm innerhalb weniger Wochen drei Millionen Unterschriften im ganzen Reich für Hindenburgs Kandidatur gesammelt hatte. Die Zahlen – ich will sie jetzt nicht nennen – zeigen dann auch, ohne Hindenburg wäre Hitler es geworden. Gewiss, Thälmann kandidierte auch wieder und verhinderte dadurch vielleicht andere Mehrheiten, die möglich gewesen wären. Nur frage ich Sie: Was ist der Vorwurf?
Nun komme ich kurz zu dem letzten Punkt, die Ernennung Hitlers: Es war ja gerade die legalistische Haltung von Hindenburg, dass er einen Reichskanzler ernennen wollte, der auch die Mehrheit des Parlaments hatte. Und das war unter den gegebenen Umständen nicht mehr Brüning, es war nicht von Papen, es war nicht Schleicher – Hitler hatte die Mehrheit im Reichstag, und da sind wir bei dem eigentlichen Punkt. Und deshalb bin ich auch dagegen, zu sagen, Hindenburg ist schuld. – Das deutsche Volk hatte – leider, das müssen wir doch einbekennen – die Hitler-Mehrheit von DNVP und Nationalsozialisten gewählt. Damit hatte Hitler die Mehrheit im Parlament.
Und alles, was dann kommt, auch der Vorwurf, er habe die Notverordnung unterzeichnet – also, was hätte denn der Reichspräsident machen sollen, wenn der Reichskanzler, der mit demokratischer Mehrheit des Parlaments ausgestattet war, ihm die vorlegte? – Natürlich war der Mann überfordert, überhaupt gar keine Frage. Es war die Herrschaft der Kamarilla, die ihn beriet. – Auch das ist alles richtig. Aber bitte urteilen Sie selber, ob man einer historischen Persönlichkeit mit allen Einschränkungen, allen Grenzen, allem, was dann Verhängnisvolles über die deutsche Geschichte daraus folgte, nicht vielleicht etwas gerechter werden kann.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Es geht heute nicht darum, Wahlkampf zu machen.
In kleiner und billiger parteipolitischer Münze wollen wir das Thema hier nicht abhandeln. Es geht darum, ein paar Grundsätze in unserem Staatswesen und in unserem Parlament klarzustellen, die uns – jedenfalls bisher – als Berliner Parlament immer geeint haben.
Ich möchte die FDP ausdrücklich einladen und auch bitten – ich möchte fast sagen, im Berliner Parlament sogar beschwören – zu überlegen, ob nicht der Grundkonsens, der in diesem Lande immer gegolten hat, auch weiterhin gelten sollte, nämlich, dass man Antisemitismus in diesem Lande keinen Raum bietet.
Ich möchte einige Punkte vorausschicken, damit darüber Verständigung herrscht und dass nicht an falschen Fronten gekämpft wird, die gar keine Fronten sind.
Das Existenzrecht des Staates Israel und das Recht auf gesicherte Grenzen für Israel ist für uns unantastbar. Das ist die Grundlage der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik war immer ein zuverlässiger Partner für Israel – seit Konrad Adenauer, seit Scheel und Genscher, und dabei soll es auch bleiben.
Wir treten aber auch dafür ein, dass das palästinensische Volk in einem eigenen Staat selbstbestimmt und in Würde leben kann.
Jeder in diesem Land, ob Politiker oder ganz normale Bürgerinnen oder Bürger, kann die Politik Israels kritisieren, wenn er sie für falsch hält. Und in den Medien dieses Landes kann man das auch in den letzten Wochen und Monaten in durchaus unterschiedlicher Ausprägung lesen. Die Politik – Außenminister Fischer, Präsident Chirac, der UN-Sicherheitsrat, die Europäische Union, selbst der US-Präsident – haben in unterschiedlichen Ausprägungen und Facetten die Politik Israels in Bezug auf die Palästinenser kritisiert. Das ist durchaus normal. Es muß, weil wir solche Diskussionen vor kurzem hatten, gerade unter Freunden möglich sein, gerade wenn man ganz grundsätzlich das Existenzrecht Israels in gesicherten Grenzen bejaht und für eine enge Freundschaft und Partnerschaft eintritt, dass man unter Freunden etwas kritisieren kann, was man für falsch hält.
Ich möchte auch noch hinzufügen, dass wir jede Form des Terrorismus verabscheuen und dass es keine Rechtfertigung für Terrorismus, wo auch immer, geben kann.
Die Mehrheit der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten halten Scharons Politik schon allein deshalb für falsch, weil sie dem Ziel Israels, nämlich in gesicherten und anerkannten Grenzen zu leben, erkennbar nicht nützt.
Das ist sehr bedauerlich. Die Politik der israelischen Regierung bewirkt sogar das Gegenteil. Sie bietet, bei allem Verständnis für manche Grundbefindlichkeit dort, leider keinen Schutz vor Terrorismus, in meinen Augen überhaupt gar keinen Schutz.
Das alles war der anerkannte Konsens in Deutschland. Jetzt haben wir mit Bedauern und mit Betroffenheit gesehen, dass eine Partei wie die FDP, mit so großen liberalen Traditionen, aber auch den Traditionen von Leuten wie Ignatz Bubis und anderen, die der gleichen Glaubensrichtung angehörten, die in dieser Partei gearbeitet haben, glaubt, Tabubruch begehen zu müssen, wo es des Tabubruchs gar nicht bedarf.
Das weiß ich eben nicht. Darüber herrscht gerade Unsicherheit.
(A) (C)
(B) (D)
Den Namen Karsli will ich gar nicht nennen. Darüber rede ich gar nicht. Ich rede über einen Ihrer Landesvorsitzenden, ich glaube sogar Ihres größten Landesverbandes, jedenfalls eines Landesverbandes, der auch in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine große Rolle gespielt hat. Ich rede nicht nur über Herrn Möllemann, der mag seine arabischen Vorlieben haben, das mag alles sein, aber es ist mir nicht verständlich, wie Herr Westerwelle einiges rechtfertigt, was da in der FDP gesagt worden ist.
Also, Tabubruch, Israel kritisieren, Terror rechtfertigen, das kann es doch wohl nicht sein.
Wenn aber gesagt wird – und da beginnt der Bruch des Grundsatzes, keinen Antisemitismus zuzulassen und ihm auch keinen Vorschub zu leisten –, dass jemand wie Michel Friedman, den man gut finden kann oder nicht, der seine spezielle Art von Fernsehsendung macht, der in seiner ganzen Art sicherlich vielen sehr nahe tritt und in seiner Argumentation auch so scharf ist, wie sonst ganz wenige im deutschen Fernsehen, der und auch Scharon habe in Teilen selbst Schuld am Antisemitismus, dann findet eine Umkehrung statt. Dann verstehe ich nicht, dass Möllemann so etwas mitmacht, und auch nicht, dass Westerwelle so tut, als sei da gar kein Problem. Ich wäre Ihnen dankbar und würde mich für Berlin freuen, wenn Sie in diesem Parlament dazu klar auf Distanz gehen. Mit Verlaub, Sie müssen sich Möllemann klar anrechnen lassen – und Westerwelle erst recht. Wir müssen uns auch unsere Landesvorsitzenden und Parteivorsitzenden anrechnen lassen.
Bitte bedenken Sie, was es für Berlin bedeutet, diese Einigkeit bisher im Parlament und in der Öffentlichkeit gehabt zu haben. Ich würde mich freuen, wenn die FDP wieder unzweideutig dabei wäre. Ich danke Ihnen!
Jawohl, Herr Präsident!