Fritz Behrens
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit unserer Großen Anfrage wollten wir eine grundsätzliche Debatte zur Zukunft von Kunst und
Kultur in unserem Land in Zeiten der Krise anstoßen. Ich denke, dass uns das gelungen ist und wir diese Große Anfrage zum genau richtigen Zeitpunkt gestellt haben.
Die Landesregierung hat nun beinahe bienenfleißig eine viele Seiten umfassende umfangreiche Antwort vorgelegt. Aber, so sage ich, meine Damen und Herren, eine überzeugende Antwort zur Zukunft der Kulturpolitik in Nordrhein-Westfalen ist sie uns schuldig geblieben. Zu den in der Überschrift unserer Anfrage angesprochenen „Perspektiven in der Krise“ findet sich in den Antworten der Landesregierung kein Wort.
Die Antworten sind inklusive der Anlagen, die der Antwort beigefügt sind, auf der anderen Seite ein in vielerlei Hinsicht ganz interessanter Fundus. Sie geben uns Auskunft über die Leistungen des Landes und vor allem der Kommunen für Kunst und Kultur.
Sie machen deutlich, wo das Land steht, nämlich, meine Damen und Herren, trotz der Verdoppelung des Kulturetats seit 2006, die wir natürlich ausdrücklich anerkennen und loben, mit Abstand an letzter Stelle im Ländervergleich bei den Pro-KopfAusgaben für Kultur.
Die Antworten stellen klar, dass es vor allem unsere Kommunen sind, die das Kulturangebot der unterschiedlichsten Art finanzieren und sicherstellen, aber auch – das finde ich besonders aufschlussreich –, wie groß das bürgerschaftliche und auch das mäzenatische Engagement für die Kultur mittlerweile in Nordrhein-Westfalen sind. 820 Stiftungen sind operativ oder fördernd für Kunst und Kultur tätig, und sie gaben im Jahr 2007 215 Millionen € aus.
Aber, meine Damen und Herren, die Antworten sind zugleich ein deutlicher Beleg dafür, wie sprach- und hilflos die Landesregierung der entscheidenden Schicksalsfrage für die Kultur in Nordrhein-Westfalen gegenübersteht: Wie soll es weitergehen mit den Finanzen der Kommunen und ihren Möglichkeiten, Kunst und Kultur auch künftig verlässlich zu finanzieren?
Äußerst gegensätzliche Nachrichten zur Situation der Kultur in unserem Land prägen in diesen Tagen das Bild und die Berichterstattung der Medien.
Da sind am Anfang einerseits die teils wunderschönen, teil euphorischen Bilder und Meldungen über die ersten Tage der Kulturhauptstadt „Essen für das Ruhrgebiet“ in Eis und Schnee; da gibt es aber auch Meldungen über erfolgreiche Inszenierungen, tolle Festivals, gut besuchte Ausstellungen, auch andernorts und nicht nur im Ruhrgebiet.
Andererseits häufen sich beinahe täglich die Hiobsbotschaften über notwendige Sparmaßnahmen bis hin zu bevorstehenden Schließungen von Kultureinrichtungen. Wuppertal und sein Theater ist
da nur das letzte Beispiel in einer langen Reihe von Einrichtungen, die von der Schließung bedroht sind.
Kommunale Spitzenverbände, Deutscher Kulturrat, Kulturpolitische Gesellschaft und mit ihnen viele andere warnen und mahnen mit eindringlichen Worten und fordern vor allem schnelle Hilfe vom Land. Ich habe gestern davon in einem Gespräch mit dem Sprecher der Theaterintendanten aus Nordrhein-Westfalen, Herrn Schmitz-Aufterbeck aus Aachen, noch einmal einen unmittelbaren Eindruck bekommen.
Die anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise hat die – ich sage: für einige bessere Jahre auch nur überdeckte – kritische Lage der Kulturfinanzierung in Nordrhein-Westfalen wieder offengelegt. Die letzten aberwitzigen Steuersenkungsentscheidungen der Bundesregierung werden die Lage noch einmal verschärfen: mit nahezu unausweichlichen Konsequenzen und weiteren Sparvorschlägen, auch bei der Kultur in den Kommunen.
Welche Folgen wird das alles für die kulturellen Einrichtungen, vor allem auch für die freie Szene, haben? Ich fürchte, dass hier eine fatale Abwärtsspirale in Gang gesetzt worden ist, die mancherorts zum Tod auf Raten von Kulturangeboten führen wird.
Wer darauf Antworten, die wir ja nicht nur erbeten, sondern auch erhofft hatten, in der Antwort der Landesregierung sucht, wird nun bitter enttäuscht. Steine statt Brot – das ist alles. Da wird auf geltendes Recht verwiesen, mögliche Änderungen der Rechtsgrundlagen werden lapidar als nicht vorstellbar oder nicht beabsichtigt bezeichnet, und wörtlich – ich zitiere – mit dem Satz:
Es ist keine Aufgabe des Landes, sondern die Aufgabe jeder einzelnen Kommune selbst, die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass kulturelle Bildung stattfinden kann.
Antwort auf Frage 66 – den Kommunen eine schallende Ohrfeige verpasst.
Da findet man keinerlei konzeptionelle Überlegungen, wie es weitergehen soll, nur ein Ausweichen bei kritischen Fragen.
Wer in dieser Situation zum Beispiel wissen will, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, was Staatssekretär Grosse-Brockhoff, den wir alle schätzen, am 20. April des vergangenen Jahres gemeint hat, als er in Oberhausen von einem Pakt für die Kultur sprach, bekommt die wirklich weiterführende Antwort, dass er sich einer Diskussion nicht verschließen wolle. So werden vollmundig Hoffnungen geweckt, Taten aber bleiben aus. Meine Damen und Herren, Exzellenzförderung allein wird da nicht mehr reichen.
Diese Landesregierung lässt die Kommunen mit ihren Problemen allein; sie hat keinerlei Antworten auf die Schicksalsfrage für die Kultur in NordrheinWestfalen, im Gegenteil. Glaubt man beispielsweise Herrn Papke von der FDP, ist die Lage in den Kommunen ja gar nicht so schlimm. In welcher Wirklichkeit lebt er eigentlich?
Wo die Hilferufe aller Beteiligten fast täglich lauter werden, kommt von dieser Landesregierung die Aussage: Wir wollen nichts sehen und nichts hören. Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten heute war dafür wieder ein beredtes oder eben nicht beredtes Beispiel. Damit – so prophezeie ich Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, von der Regierung – werden Sie nicht mehr lange durchkommen.
Sie müssen endlich die Fragen beantworten, die in der aktuellen Diskussion, zum Beispiel von der Kulturpolitischen Gesellschaft, aber auch von anderen, immer lauter gestellt werden: Sind Sie für ein Substanzerhaltungsprogramm des Bundes und des Landes? Wollen Sie die Kulturfinanzierung der Kommunen durch das Land, zum Beispiel über das GFG, verlässlicher verankern? Unterstützen Sie den Vorschlag, die Kulturförderung, besonders aber die kulturelle Bildung, als eine Pflichtaufgabe, auch für die Kommunen, zu regeln und auszugestalten?
Meine Damen und Herren, wir, die NRW-SPD, haben zu all diesen und natürlich auch zu vielen anderen Fragen unsere Positionen im November beschlossen. In unseren kulturpolitischen Zielen und Leitlinien vom 8. November versuchen wir, den Auftrag in Art. 18 Abs. 1 unserer Landesverfassung zu konkretisieren und machen Vorschläge, die gerade die Anregungen aus der aktuellen Diskussion aufgreifen.
Die öffentliche Förderung von Kunst und Kultur ist für uns eine Kernaufgabe unseres demokratischen Gemeinwesens.
Auch für den Bereich der Kultur muss nach unserer Auffassung das Konzept der Daseinsvorsorge gelten. Kultur darf kein Luxus sein. Das meint eben ein flächendeckendes Kulturangebot, das zu erschwinglichen Preisen und mit niedrigen Zugangsschwellen breiten Teilen der Bevölkerung zur Verfügung steht.
„Kultur für ALLE“ bleibt die Leitidee, auch vor dem Hintergrund der auf absehbare Zeit fortdauernden Finanzkrise der öffentlichen Haushalte. Deshalb stehen wir den oben genannten Vorschlägen, zum Beispiel der Kulturpolitischen Gesellschaft, zur Veränderung des Systems der Kulturfinanzierung durch das Land aufgeschlossen gegenüber, wir befürworten sie. Wir wollen demokratische Kultur und kulturelle Demokratie.
Das erfordert zuerst einmal den Abbau von Bildungsbarrieren. Denn gute auch kulturelle Bildung ist der Zugangsschlüssel zu allen Formen von Kultur. Die ästhetische und kommunikative Erziehung in Kindergärten, Schulen und in der Berufsbildung ist eine unersetzliche Voraussetzung für den Zugang zu Kultur. Sie wollen wir deshalb in der ganzen Breite gezielt und vor allem für alle verbindlich und nicht nur in Modellprojekten weiter fördern.
Wohl kein anderes Land in der Bundesrepublik Deutschland hat eine solche Vielfalt kulturellen Lebens aufzuweisen wie unser Land NordrheinWestfalen. Darauf sind wir, denke ich, alle stolz. Sozialdemokraten haben in den fast 40 Jahren ihrer Regierungsverantwortung auf Landesebene, aber auch auf kommunaler Ebene Kunst und Kultur in Nordrhein-Westfalen entscheidend mitgeprägt und mit vorangebracht – nicht allein, aber doch sehr maßgeblich. Von diesem sozialdemokratischen Erbe – ich nenne nur als ein Beispiel unter dem Stichwort Kulturhauptstadt die IBAProjekte im Ruhrgebiet –, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, zehren Sie heute vielerorts.
Aber dieses Erbe ist heute auch mehr denn je in Gefahr. Diese sozialdemokratische Hinterlassenschaft ist für uns vor allem mit dem Namen Johannes Rau verbunden. Er hat einmal den Satz geprägt – ich zitiere –: Kultur ist nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern die Hefe im Teig. – Das ist und bleibt richtig und wahr.
In dieser Situation sehen wir Sozialdemokraten vor allem zehn Kernaufgaben einer zukunftsweisenden Landeskulturpolitik, die ich Ihnen jetzt nicht alle vortragen werde. Nur zwei will ich nennen; ich bitte Sie, den Rest nachzulesen, wenn es Sie interessiert.
Erstens. Der Kulturauftrag der Kommunen muss durch eine verlässliche Finanzausstattung gesichert und ausgebaut werden. Dazu gehört ein ganzes Paket an denkbaren Maßnahmen: von einer Gemeindefinanzreform über Änderungen im Gemeindefinanzierungsgesetz bis hin zu der Diskussion über die Pflichtaufgabe Kultur.
Zweitens. Die zentrale Herausforderung für die Kulturpolitik der nächsten Jahre ist und bleibt der Ausbau der kulturellen Bildung. Denn sie ist die entscheidende Voraussetzung für eine aktive Teilnahme am kulturellen Leben und für die Ausbildung selbstbewusster Persönlichkeiten, auf die eine demokratische Gesellschaft angewiesen ist. Deshalb wollen wir zum Beispiel einen Kulturrucksack für jedes Kind in Nordrhein-Westfalen füllen.
Schlussendlich, das sei hier noch gesagt, wollen wir vor allem eines – nichts gegen Herrn Staatssekretär Grosse-Brockhoff, dessen Arbeit ich und
wohl wir alle schätzen, aber –: Es wird Zeit, dass hier oder da auf der Regierungsbank endlich wieder jemand Platz nimmt,
der auch als Minister mit Rederecht im Parlament und draußen Kultur und Kulturpolitik mit fachlicher Kompetenz und mit politischem Gewicht vertreten kann.
Der Ministerpräsident, Chef für das Ressort Kultur, hat nach meiner Erinnerung zu diesem Themenfeld bisher hier ein einziges Mal gesprochen, als die Kulturhauptstadt Europas verkündet wurde, dann nie wieder. Im zuständigen Ausschuss, den zu leiten ich die Freude habe, habe ich ihn nicht ein einziges Mal gesehen. Ich meine, das ist eine Missachtung der Kultur, des Parlaments und des zuständigen Ausschusses.
Wir sind, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, sehr gespannt auf Ihre Antworten und auf die der Landesregierung auf die brennenden Zukunftsfragen für die Kultur in NordrheinWestfalen. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst beginnen mit Genesungswünschen an den, wie ich heute las, erkrankten Kulturministerpräsidenten, Herrn Dr. Rüttgers. Alles Gute! Hoffentlich ist er bald wieder gesund.
Ich verbinde das mit dem Wunsch, dass er bei einer der nächsten kulturpolitischen Debatten im Landtag anwesend sein möge,
denn es fällt mir auf, dass wir diese Debatten immer ohne den zuständigen Ressortchef führen. Als Vorsitzender des Kulturausschusses erlaube ich mir den Hinweis, dass es angebracht wäre, gelegentlich dem Parlament in einer Frage, in der er zuständig ist, die Ehre zu geben.
Wir werden den Antrag der Koalitionsfraktion sicher im Kulturausschuss noch weiter und ausführlich diskutieren. Deshalb will ich mich auf einige Anmerkungen beschränken.
Ich spreche heute als jemand zu Ihnen, der persönlich in zahlreichen Vereinen und Gremien, vor allem im Kulturbereich, ehrenamtlich engagiert ist, beispielsweise in einer der von Ihnen, Herr Sternberg, erwähnten Organisationen, der Volksbühne
Düsseldorf. Ich spreche als Mitglied des Kulturausschusses wie auch als Mitglied des Sportausschusses, was Sie sicher gleich feststellen werden.
Es ist so, meine Damen und Herren von der Koalition, dass man auf den ersten Blick sehr schnell geneigt sein könnte, Herr Sternberg, Frau Freimuth, meine Damen und Herren, Ihrem Antrag ohne weitere Prüfung zuzustimmen und ihn zunächst für eine gute Idee zu halten. Ich meine jedoch, bei näherem Hinsehen – also auf den zweiten Blick – stellen sich einige Fragen, die Zweifel aufkommen lassen, ob mit Ihrem Vorschlag der Auslobung eines Geldpreises das an sich sehr lobenswerte Ziel der Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements in unserer Gesellschaft wirklich erreicht werden kann. Ich glaube, dass Ihr Ansatz zu kurz gesprungen ist, dass er – das ist das Mindeste, worüber wir diskutieren müssen – der Ergänzung um einen breiteren Ansatz bedarf.
Dazu zunächst einige wenige grundsätzliche Anmerkungen: Wer mich, meine Damen und Herren, ein wenig näher kennt, der weiß, dass ich ein Anhänger – ja, hin und wieder sogar ein Propagandist – der Idee des sogenannten aktivierenden Staates bin. Ich habe mich in dieser Frage auch schon als Schriftsteller betätigt. Das heißt, ich bin dafür – um es zu erklären –, dass in den gegenwärtigen und künftigen gesellschaftlichen Reformdiskussionen in unserem Land die Forderungen nach einem starken handlungsfähigen Staat ergänzt werden um eine bewusste Stärkung und Förderung der gesellschaftlichen Kräfte, und zwar in allen relevanten Politik- und Gesellschaftsfeldern in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Wir müssen also weg vom sogenannten schlanken Staat der 90er-Jahre hin zu einem modernen und zeitgemäßen Staats- und Gesellschaftsbild, das den künftigen Herausforderungen besser gerecht wird. Ergänzt wird dieses Leitbild des von mir so genannten aktivierenden Staates um die Idee der „Bürgerkommune“, dem bewussten und gewollten arbeitsteiligen Zusammenwirken von öffentlicher Hand, öffentlicher Verantwortung und Bürgerschaft vor allem auf kommunaler Ebene. Das ist nicht nur, aber vor allem auch im Bereich der Kultur von Bedeutung. Gerade unsere Kommunen sind mehr denn je so etwas wie – ich nenne es einmal so – eine „Schule der Bürgergesellschaft“.
Vor allem auf dieser Ebene gibt es nicht nur viele ehrenamtlich Tätige in allen nur denkbaren Bereichen – Herr Sternberg, Sie haben sie aufgezählt; ich wiederhole das jetzt nicht –, denen wir alle zu
Dank verpflichtet sind, den wir auch einmal von dieser Stelle aus aussprechen sollten.
Es gibt – daran liegt mir auch – auch in unseren Räten in den Kommunen und Kreistagen engagierte Kommunalpolitiker, die sich im Bereich der Kulturpolitik Tag für Tag einbringen und deren Einsatz allzu oft vergessen und übersehen wird. Das sind auch Ehrenamtliche, denen wir von hier aus als Kollegen einmal Dank sagen sollten.
Keine der großen Herausforderungen, vor denen wir heute in Politik und Gesellschaft stehen, meine Damen und Herren, wird sich ohne das freiwillige Engagement von aktiven Bürgerinnen und Bürgern bewältigen lassen. Zu Recht hat sich deshalb eine Enquete-Kommission in der letzten Legislaturperiode des Bundestages ausführlich mit diesem Thema befasst. Schnell ist man sich dann einig – im Grundsätzlichen jedenfalls –, dass solche Entwicklungen zu fördern sind.
Aber die Schaffung von Rahmenbedingungen, die bürgerschaftliches Engagement stärken sollen, darf sich nicht allein darauf beschränken, die persönliche Einsatzbereitschaft zu erhöhen. Noch wichtiger scheint es mir zu sein, insgesamt das gesellschaftspolitische Ziel einer Stärkung der Bürgergesellschaft umfassend zu verfolgen, zum Beispiel durch bessere Beteiligungschancen bei der Gestaltung und Entwicklung unseres Gemeinwesens. Da sind dann viele politische Fragen, die auch hier im Landtag zu diskutieren sind, betroffen.
Dabei muss man alle vier Formen des Engagements im Blick behalten: Mitgliedschaft, Beteiligung, Spenden und aktive Mitarbeit. So hat es auch der Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages vorgeschlagen.
Entgegen manchen negativen Entwicklungen in unserer Gesellschaft kann das bürgerschaftliche Engagement in Deutschland in den letzten Jahren auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken. Auch wenn wir zum Beispiel die USA, die hier weit führend sind, noch lange nicht erreicht haben, liegen wir nach neueren Untersuchungen international doch mittlerweile im guten oberen Mittelfeld.
Noch nie waren so viele Menschen bürgerschaftlich tätig wie heute – in allen nur denkbaren Bereichen, Formen und Organisationen. Bürgerschaftliches Engagement ist vielfältig und facettenreich. Es reicht in alle Bereiche unserer Lebenswelt hinein. Sowohl Vereine wie auch Stif
tungen, boomen wie nie zuvor, auch hier in Nordrhein-Westfalen. Mehr als ein Drittel der Bundesbürger engagieren sich regelmäßig bürgerschaftlich. Auf 100.000 Einwohner – so hat einmal jemand ausgerechnet – kommen in unserem Land 725 Vereine.
Kurzum: Bürgerschaftliches Engagement – das ist das Spenden von Zeit und/oder Geld im Dienste der Allgemeinheit und des Allgemeinwohls, dem sich viele, viele in unserem Land verschrieben haben.
Ist es, meine Damen und Herren, da nicht zu kurz gesprungen, nur einen kleinen Teil bürgerschaftlichen Engagements, nämlich den Kulturbereich, für den ich ja sonst alles zu tun bereit bin, herauszugreifen und besonderen Einsatz nur hier mit einer Urkunde und einem Preisgeld von 5.000 € zu belohnen?
Was ist zum Beispiel in dem gesellschaftspolitisch sicherlich mindestens ebenso bedeutsamen Bereich des Sportes? Da gibt es zwar die Sportplakette, die seit 1959 insgesamt – so las ich kürzlich – 730 Mal vom Ministerpräsidenten verliehen worden ist. Aber ein Geldpreis beispielsweise ist damit nicht verbunden.
Oder ist Mitarbeit im Kultursektor wichtiger, lobenswerter, förderungswürdiger als soziales Engagement oder etwa die Hilfe für andere, die ja oft nicht nur allein, sondern auch in Gruppen stattfindet? Tut man sich denn wirklich einen Gefallen, einen Bereich herauszugreifen und andere dadurch automatisch geringer zu erachten?
Und, meine Damen und Herren von der Koalition, wie passt Ihr Antrag eigentlich dazu, dass der Topf für Ehrenamtsförderung, den es ja im Einzelplan 02, beim Ministerpräsidenten, gab und gibt, von Ihnen in den letzten Haushaltsberatungen gekürzt worden ist?
Mir gefällt da die hessische Lösung auf den ersten Blick besser. Das Land Hessen zeichnet mit einer sogenannten Ehrenamtscard Menschen aus, die mindestens fünf Stunden pro Woche ehrenamtlich, und zwar in allen denkbaren Bereichen, tätig sind. Die Inhaber einer solchen Card genießen in Hessen eine Reihe von Vergünstigungen, zum Beispiel Ermäßigungen bei Eintritten.
Zu Recht werden jedes Jahr viele Bürgerinnen und Bürger auch aus Nordrhein-Westfalen vom Bundespräsidenten mit dem Bundesverdienstkreuz auch und besonders für ehrenamtliches
Engagement ausgezeichnet. Der Ministerpräsident dieses Landes würdigt die Verdienste von Ehrenamtlern in allen Bereichen durch die Verleihung des Landesordens.
Auch zahlreiche private und gesellschaftliche Organisationen loben Preise für ehrenamtliches Engagement aus. Nicht zuletzt viele Kommunen haben entsprechende Preise ausgesetzt. Sie bewegen sich übrigens mit ihrem Preisgeld oft auch in der von Ihnen für das Land vorgesehenen Höhe. Mal ehrlich, meine Damen und Herren von der Koalition: Wenn schon ein Landespreis, sind dann nicht 5.000 €, wenn auch dreimal im Jahr, wirklich zu kurz gesprungen?
Und überhaupt: Bedarf es neben den genannten Ehrungen und Auszeichnungen, die ich sicherlich nicht vollständig aufgezählt habe, wirklich noch eines eigenen Landespreises für den kulturellen Sektor? Wer bürgerschaftliches Engagement wirklich nachhaltig fördern will, der muss, so meine ich, mehr tun, als Preise ausloben.
Notwendig ist zum Beispiel der Abbau von staatlicher Gängelung und bürokratischer Überregulierung, die Schaffung eines ausreichenden Versicherungsschutzes gegen Risiken und Schadensfälle, wie wir das ja schon eingeleitet haben, und die Entwicklung eines neues Selbstverständnisses auch staatlicher Verwaltungen und der Politik auf allen Ebenen zur Zusammenarbeit mit bürgerschaftlichen Organisationen im Sinne von mehr Bürgerorientierung.
Zu einer Kultur der Anerkennung gehört auch, die Mitarbeit in Einrichtungen, Diensten und Organisationen zu erleichtern, ausreichende sachliche, personelle und finanzielle Ressourcen bereitzustellen, das Engagement in der Öffentlichkeit und in den Medien sichtbar zu machen und Fort- und Weiterbildung auch für Ehrenamtler zu ermöglichen.
Schließlich bedeutet Anerkennung auch, bei privaten wie bei öffentlichen Arbeitgebern – ich sage das auch selbstkritisch und meine ganz bewusst auch die Städte, Gemeinden und das Land – dafür zu werben, dass ehrenamtliches Engagement gefördert und nicht durch Verhalten von Arbeitgebern behindert wird.
Wichtig ist hier vor allem der Ehrenamtsnachweis, den wir ja in der letzten Legislaturperiode in Nordrhein-Westfalen eingeführt haben. Wir müssen wieder dahin kommen, meine Damen und Herren, dass beispielsweise bei der Stellensuche, im Le
benslauf, bei Bewerbungsgesprächen die Ausübung eines Ehrenamtes Vorteile verspricht,
unter anderem weil es einem Bewerber soziale Kompetenz bescheinigt.
Ganz besonders wichtig ist es, nun endlich das Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht zu reformieren. Ich bin ganz froh, dass Bundesfinanzminister Peer Steinbrück im Rahmen der Koalition dazu weitreichende Vorschläge vorgelegt hat, die tatsächlich ein großer Schritt nach vorne wären, wenn sie denn vom Bundestag und gegebenenfalls vom Bundesrat verabschiedet würden.
Seine Initiative „Hilfen für Helfer“, wie das Programm heißt, ist ein Plädoyer für Ehrenamt und Engagement und eine echte Unterstützung für die viel gelobten „Helden des Alltags“. Sie sieht eine bessere steuerliche Förderung, mehr Freiräume durch Bürokratieabbau und mehr öffentliche Anerkennung für die 23 Millionen engagierten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in mehr als 600.000 Vereinen und Organisationen vor.
Peer Steinbrück will weitere steuerliche Vergünstigungen einführen und die komplizierte Rechtsmaterie des Gemeinnützigkeits- und Stiftungsrecht einfacher und transparenter gestalten. Das kann man alles nachlesen. Ich trage es nicht im Einzelnen vor.
Meine Damen und Herren, dieses Programm hätte – wenn es umgesetzt würde – ein Volumen von insgesamt – man höre und staune – 400 Millionen €. Das ist wahrlich mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Auch wenn wir also – ebenso wie Sie – dafür sind, die Anerkennungskultur für bürgerschaftliches Engagement weiterzuentwickeln, halten wir doch einen sehr viel breiteren Ansatz dafür für erforderlich, als Sie ihn in Ihrem Antrag formulieren.
So lobens- und fördernswert die Mitwirkung von Bürgern in der Kulturarbeit auch ist, so erscheint uns die Beschränkung eines Preises nur auf diesen Bereich eher kontraproduktiv, jedenfalls eine ungerechtfertigte Zurücksetzung und Geringschätzung nicht weniger wichtiger anderer gesellschaftlicher Bereiche.
Meine Damen und Herren, ein gesteigertes bürgerschaftliches Engagement, das den sozialen Zusammenhalt und die solidarische Gesellschaft fördert, nutzt dem Staat und gleichzeitig auch der Gesellschaft. Wir sollten deshalb alles tun, um es
umfassend zu fördern. Indem der Staat seine Bürgerinnen und Bürger stärkt, stärkt er letztlich sich selbst. – Vielen Dank.
Ich richte die Frage an den Kulturministerpräsidenten. Herr Ministerpräsident, wir haben uns alle miteinander sehr darüber gefreut, dass Essen als Kulturhauptstadt 2010 nominiert wird. Haben Sie nicht auch wie ich die Befürchtung, dass die Ereignisse um die HandkePreisverleihung dem Kulturstandort NordrheinWestfalen erheblich schaden könnten?
Herr Präsident! Herr Ministerpräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Auch von meiner Seite zunächst einen ganz herzlichen und kräftigen Glückwunsch an Essen, an das Ruhrgebiet, an die Menschen, die dort leben und arbeiten, und sportliche Anerkennung für den erzielten Erfolg.
Das sagt jemand, der hier steht als Bürger aus einem anderen Landesteil, als Vorsitzender des Kulturausschusses, auch als jemand, der sich kulturell ehrenamtlich am Niederrhein in besonderer Weise engagiert und nun doch ein bisschen neidvoll nach Essen schaut. Aber so viel Anerkennung, so viel Lob muss ein. Wir werden natürlich aus allen Landesteilen, die wir kulturell engagiert
sind, das Event „Kulturhauptstadt Essen 2010“ unterstützen. Das ist gar keine Frage.
Essen ist nach Weimar 1999 endlich wieder eine deutsche Kulturhauptstadt Europas, wenn auch eine ganz andere. Das kam schon zur Sprache. Der Juryvorschlag, der zu dieser großen Freude Anlass gibt, ist ein wichtiges Etappenziel für die weitere Entwicklung des Ruhrgebiets, ein Signal zum neuen Aufbruch. Um eine Anleihe in der Fußballsprache zu nehmen: Jetzt geht’s erst richtig los. Ich denke, das ist eine Art Startschuss für weitere Entwicklungen in einem wichtigen Herzstück unseres Landes.
Um Herrn Kuhmichel, den Essener Kollegen im Plenum, der auch den Fußball bemüht hat, anzusprechen: Ich meine, es würde Zeit, meine Damen und Herren, dass das Ruhrgebiet auch wieder einmal Fußballhauptstadt – wenn nicht Europas, dann wenigstens Deutschlands – in Form einer Meisterschaft würde. Auch daran sollten wir weiter arbeiten und die Daumen drücken.
Dichteste Fußballlandschaft sind wir wahrscheinlich schon, genauso wie dichteste Kulturlandschaft. Das Wort von der dichtesten Kulturlandschaft ist oft bemüht worden. Es sagt sich so leicht, aber seien wir ehrlich: Wer im Lande Nordrhein-Westfalen nimmt das wirklich so wahr? Was gibt es hier noch zu tun, um das außerhalb des Ruhrgebietes, allein in unserem Lande, stärker ins Bewusstsein zu bringen? Auch hier ist die Kulturhauptstadt natürlich eine Chance.
Wenn man bedenkt – der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen –, dass das erste Theater im Ruhrgebiet 1892, also vor gut 100 Jahren, gegründet wurde, das Grillo-Theater in Essen, dass das erste Kunstmuseum 1902 in Hagen geschaffen und eröffnet wurde, das Folkwang-Museum, und dass es eine erste Universität erst Anfang der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts gegeben hat, dann wird einem bei einigem Nachdenken klar, was hier in etwas mehr als 100 Jahren wirklich erarbeitet und nicht ererbt worden ist. Sie haben es gesagt. Das ist in erster Linie ein Verdienst der Bürgerinnen und Bürger und ihres Engagements im Ruhrgebiet und seinen Städten und Gemeinden.
Auf dem, was erreicht wurde, kann man jetzt für 2010 aufbauen. Das ist, wenn wir uns den Bereich der Kultur anschauen, der kulturelle Humus der Region, wie jemand geschrieben hat. Den gilt es
nun fruchtbar zu machen. Dieser Humus ist das Ergebnis von Bemühungen von Gesellschaft und Politik über viele Jahre und Jahrzehnte. Der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen, dass es vor allem ein Verdienst der Städte im Ruhrgebiet und ihrer Bürgerinnen und Bürger ist. Das ist wahr. Es ist endlich einmal wieder ein verdienter Lohn für die Anstrengungen und Entbehrungen der Jahre und der harten Arbeit.
Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch – das ist gottlob auch von einigen aus den Regierungsfraktionen gesagt worden –, dass Landespolitik daran einen Anteil hat, nicht nur weil sie die Bewerbung unterstützt hat, sondern auch aus den Jahren und Jahrzehnten davor. Ich als jemand, der 1977 angefangen hat, im Lande Verantwortung zu übernehmen, unter anderem dann schnell für Teile des Ruhrgebietes als Regierungspräsident, erinnere an die Initiativen unter Heinz Kühn. Ich kam in die Staatskanzlei, da war er noch Ministerpräsident. „NWP 75“ war ein wichtiges Programm, das Wurzeln und Grundlagen gelegt hat. Es kam 1979 die Ruhrkonferenz von Johannes Rau, die man nicht vergessen darf, mit ihren Initiativen für das Ruhrgebiet, und schließlich die IBA Emscherpark 1989 bis 1999.
Ich will an dieser Stelle wenigstens zwei Namen nennen, die sich nach meinem Dafürhalten in der Landespolitik in jenen Jahren einen besonderen Verdienst um die Entwicklung des Ruhrgebietes erworben haben. Das sind Christoph Zöpel als seinerzeit zuständiger Minister, der den Mut hatte, die IBA zu schaffen, und auf dieser Grundlage schließlich Professor Dr. Karl Ganser, der die wesentlichen inhaltlichen Ideen eingebracht hat. Es sind einzigartige Veranstaltungsorte entstanden. Nach meiner Beobachtung ist auch eine neue Identität der Region im Entstehen. Die Kulturhauptstadt 2010 wird die konsequente Fortsetzung dieses Weges sein.
Das Ruhrgebiet ist eine Region mit Tradition und Moderne, mit kultureller Vielfalt und Offenheit. Das Ruhrgebiet ist, wie es jetzt oft gesagt wird, eine Metropolregion. Dieser Beschreibung stimme ich ausdrücklich zu. Es ist keine Stadt im herkömmlichen Sinne. Deshalb hielt ich immer den Begriff Ruhrstadt, über den einige Zeit philosophiert worden ist, für falsch. Es ist ein dezentraler Großraum mit vielen Zentren, vielen Peripherien und mit phantastischen Entwicklungsmöglichkeiten in allen seinen Teilen – nicht nur in einem Zentrum, etwa Essen, sondern auch darüber hinaus.
Es ist die Keimzelle der industriellen Vergangenheit, auf die wir jetzt aufbauen. Sie ist auch kultu
relles Erbe, das wir jetzt in die Zukunft führen müssen. Das Ruhrgebiet ist – der Begriff ist schon gefallen – Schmelztiegel von Zuwanderern und Kulturen gewesen, und dies ist es heute noch. Wenn ich heutzutage manche Debatte über Integration von Zuwanderern in die deutsche Gesellschaft und weit darüber hinaus, bis in die USA, höre – nicht unbedingt im Landtag, sondern an anderen Stellen in der deutschen Gesellschaft –, dann kommt es mir so vor, als habe es die Erfahrungen, die Probleme, aber auch die Erfolge im Ruhrgebiet nie gegeben.
Europa, meine Damen und Herren, und wir alle können in dieser Frage vom Ruhrgebiet sicher lernen. Das Ruhrgebiet kann Beispiel für ganz Europa sein. Deshalb ist die Entscheidung richtig, auch aus europäischer Sicht. Es gibt noch viel zu tun. Meine Redezeit ist zu Ende; ich kann auf all das nicht mehr eingehen.
Ich hoffe sehr, dass die Kulturhauptstadt 2010 Motor ist, dass sie Treibstoff ist, dass sie Katalysator ist für eine gedeihliche Entwicklung der gesamten Region, nicht nur in kulturellen Fragen.
Überlegungen, die der Ministerpräsident hier vorgetragen hat, finden meine Zustimmung. Ich bin ebenfalls der Auffassung, dass wir jetzt aufpassen müssen, den Ruhrgebietlern das Heft nicht zu sehr aus der Hand zu reißen, sondern ihnen ihre eigene Verantwortung zu lassen und sie mit dem, was wir als Land organisatorisch, finanziell zu tun haben, zu unterstützen. Wir wollen das als Kulturausschuss dieses Hauses, sicherlich in großer Übereinstimmung über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg, tun.
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss sagen: Auch Sozialdemokraten werden in den Städten, Kreisen und Gemeinden und im Land engagiert mitmachen, wenn es darum geht, das Revier noch weiter nach vorne zu bringen. – Herzlichen Dank.