Protokoll der Sitzung vom 21.09.2000

(Zuruf der Abgeordneten Frau Kaiser-Nicht [PDS])

Das ist die Entwicklung des so genannten „Blauen Netzes-, bei dem es uni den weiteren Ausbau. die Qualifizierung von Bundesstraßen geht. Da werden wir bei neuen Straßenabschnitten in der Tat - auch aus Gründen der Verkehrssicherheit und die dürfte auch für Sie nicht ganz ohne Bedeutung sein - einen entsprechenden Abstand wählen. Es kann hei Neutrassierungen auch vorkommen. dass wir parallel oder in etwa parallel zu alten Alleebäumen eine neue Straße anlegen und die alte Allee dann für touristischen Verkehr bzw. für langsam fahrende Fahrzeuge nutzen.

Es ist Inhalt und Absicht unserer gemeinsamen Richtlinie. den Alleenbestand in Gänze nicht zu gefährden. Also stimmt sowohl das. was der Mitarbeiter meines Hauses in Augsburg gesagt hat. als auch das, was der Minister Ihnen hier in der Bütt gesagt hat.

t Beifall des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD])

Zum Zu eiten. zum Schutzstatus.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Und Beteiligungsrechte von Bürgern! )

Schauen Sie, wir haben zwei Ministerien. die sehr verantwortungsbewusst mit dieser Frage umgehen. die das nicht nur einseitig betrachten, sondern eben auch die Fragen der Verkehrssicherheit mit einbinden - einbinden müssen -, und wir haben etwa vor drei Wochen den Zusammenschluss von 15 Verbänden. Verbünden. Initiativen usw. gehabt. Wenn diese dann mit einer Summe reden, soll nur das recht sein. Wir werden sehr genau abwägen. oh wir ihre Vorschläge mit aufnehmen. Aber grundsätzlich ist es nun einmal so, dass die Richtlinienkompetenz im Land Brandenburg bei dem zuständigen Minister liegt. Schönen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke auch. - Damit hat die Abgeordnete Frau Richstein Gelegenheit. ihre Frage 391 (NPD-Verbot) zu formulieren.

Aufgrund der anhaltenden rechtsextremistischen Übergriffe bundesweit entstanden Überlegungen, einen Antrag vor dem Verfassungsgericht in Bezug auf ein Verbot der NPD zu stellen.

Ich frage die Landesregierung. wie sie diese Forderung nach einem Verbot der NPD beurteilt.

Herr Minister Schönbohnt. Sie haben erneut das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Riehstein. die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD. wurde 1964 gegründet und sie hat bundesweit 6 000 Mitglieder. Im Land Brandenburg hat sie 200 Mitglieder. Die Mitgliederzahl stagniert. wobei wir von 1998 bis 2000 eine leichte Zunahme von 150 bis 200 Mitgliedern hatten.

Die NPD verfolgt - das ist durch die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte eindeutig bestätigt - verfassungsfeindliche Ziele. So sieht sie z. B, in einem nationalen Sozialismus die höchste Form der Volksgemeinschaft verwirklicht und will als sozialrevolutionäre Erneuerungsbewegung auf den Trümmen des Liberalkapitalismus ein neues Deutschland errichten.

Das kollektivistische NPD-Modell der Volksgemeinschaft ist unmittelbar gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Landes gerichtet. Die NPD propagiert eine aggressive. rassistisch geprägte Fremdenfeindlichkeit. Sie agitiert konsequent antisemitisch und leugnet die Verbrechen des NS-Regimes. Sie sucht entgegen ihren Bekundungen konsequent Kontakt zum militanten rechtsextremistischen Milieu, insbesondere zur Skinhead-Szene. Sie stellt der Szene z. 13. ihre Infrastruktur für Veranstaltungen mit rechtswidrigen Inhalten zur Verfügung. z. B. für die Skinhead-Musik. organisiert Aufmärsche unter starker Skinhead-Beteiligung. Es gibt eine enge Zusammenarbeit zwischen der NPD und der am 14. September dieses Jahres bundesweit durch Verfügung des Bundesinnenministers verbotenen Skinhead-Vereini gung..Blood & Honour".

Zum Pro und Kontra eines Verbots möchte ich einige wenige Anmerkungen machen:

Die NPD ist die aggressivste rechtsextremistische Partei Deutschlands. Wegen ihrer Sammelbecken- und Unterstützerfunktion für das gewaltbereite Spektrum ürde die Zerschlagung der Infrastruktur insbesondere die Militanz des Rechtsextremismus in Deutschland für eine Weile schwächen und ein Verbot hätte eine deutliche Signalwirkung an die internationale Öffentlichkeit. Es geht hierbei also uni eine politische Wirkung. Damit wird gezeigt. dass Deutschland konsequent alle Mitte! seiner Verfassung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus nutzt.

Aber es ist dabei auch zu berücksichtigen. dass die Anhänger und Mitglieder in großem Maße überzeugte Mitglieder sind. die unbelehrbare Rechtsextremisten sind. Bereits jetzt werden Strategien für ein abgestimmtes Ausweichen der NPD-Mitglieder in befreundete. nahe stehende Organisationen im Falle eines Verbotes diskutiert. Insgesamt könnte man einen Verdrän gungseffekt und eine vorübergehende Schwächung feststellen. aber die Signalwirkung wäre bedeutend.

Ich möchte. bevor ich auf die Risiken eingehe. nur noch einmal daran erinnern. dass wir in der Zeit, in der ich im Lande dafür Verantwortung habe, im Kampf gegen Rechtsextremismus auch vor dem Hintergrund der wieder begonnenen Diskussion eine erhebliche Verstärkung vorgenommen haben. Ich habe gerade angewiesen, die MEGA in ihrem Personalbestand zu verdoppeln. Ich habe im März. lange bevor die Diskussion anfing, angewiesen. dass wir alle rechtsstaatlichen Mittel nutzen. Wir haben dies in einem Erlass zusammengefasst. Ich glaube, alle Fachleute sind sich darüber einig. dass wir im Lande Brandenburg mit den Mitteln des Rechtsstaates und der Repression alles tun, was möglich ist. Darüber hinaus geht es auch um andere Ursachen, über die hier im Parlament schon verschiedentlich diskutiert wurde.

Dennoch muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass, bezogen auf die Auflösung der Partei. dies das letzte Mittel unserer Verfassung ist.

Das letzte Parteienverbot in Deutschland liegt 44 Jahre zurück. Im Jahre 1956 wurde die KPD verboten. Die in dem seinerzeitigen Urteil definierten Maßstäbe und Abwägungskriterien sind durch die zeitgeschichtlichen und geostrate gischen Rahmenbedingungen auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges geprägt und insoweit nur bedin gt übertragbar auf das Verbot einer rechtsextremistischen Partei unter den Bedingungen eines in den letzten Jahrzehnten gewachsenen Verfassungsverständnisses. Von daher gesehen sind bei der Abwägung der rechtliehen Risiken keine höchstrichterlichen Urteile aus den letzten Jahrzehnten verfügbar. Ich gehe davon aus, dass dies wohl eine der schwierigsten Entscheidungen werden wird.

Daher kommt es jetzt grundlegend darauf an. eine sorgfältige Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für einen Verbotsantrag vorzunehmen: denn ein Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht hätte unabsehbare Folgen für die gesamte Diskussion in unserem Lande und staatliche Maßnahmen gegen Rechtsextremismus würden auf lange Zeit diskreditiert.

Wo stehen wir jetzt? Aufgrund der öffentlichen Diskussion wurde unter Leitung des Bundesinnenministeriums am 11. August eine Arbeitsgruppe gebildet. die die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden aller Bundesländer und des Bundes zusammenträgt und im Hinblick auf die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzun gen eines Verbotsantra ges im Sinne des Artikels 21 Abs. 2 des Grundgesetzes prüft.

Ich möchte hinzufügen. dass wir dazu wichtige Beiträge geleistet haben. Aber wenn die Vertreter Bayerns sagen. sie hätten wichtige Erkenntnisse. die zu einem Verbot führen würden. hängt das auch damit zusammen, dass Bayern immer einen sehr leistungsfähi gen Verfassungsschutz gehabt hat, der in der Lage ist, sich mit den extremistischen Kräften auseinander zu setzen.

Wir sind durch unsere Abteilung V - das ist die Verfassungsschutzabteilung - in dieser Arbeitsgruppe vertreten und haben umfangreiche Beiträge leisten können durch Erkenntnisse. die wir in der Parlamentarischen Kontrollkommission im Einzelnen erörtert haben.

Zu der Zeitplanung und zu den erzielten Zwischenergebnissen der Arbeitsgruppe wurde zwischen dem Bund und den Ländern Vertraulichkeit vereinbart. Wir halten jedoch fest, dass die politischen Gremien, die über einen Verbotsantrag zu befinden haben - als Antragsteller kommen die Bundesregierung. der Bundestag und der Bundesrat infrage im Laufe des nächsten Monats ein fundiertes Votum zu den Aussichten eines Verbotsverfahrens vorlegen werden. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten vier Wochen hierüber Klarheit besteht.

Meine Damen und Herren. ein Verbot der NPD wäre aus den dargelegten Gründen mit Sicherheit wünschenswert, aber nur dann. wenn die Erfolgsaussichten eindeutig positiv eingeschätzt werden. Oder anders gesagt: Mir wäre es lieber gewesen. nicht darüber zu diskutieren. sondern dann zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen dafür da sind, und nicht durch diese Diskussion die NPD bekannt zu machen und weiter in aller Munde zu bringen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Von daher gesehen wäre es besser gewesen - das habe ich auch meinem bayerischen Kollegen Beekstein, mit deni ich gestern Abend diskutiert habe. gesagt -. erst Sachverhalte zu klären und dann zu entscheiden. Über Parteienverbote diskutiert man nicht, Parteienverbote vollzieht man. wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen sind. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Herr Minister, es gibt noch Klärungsbedarf. - Frau Richstein, bitte!

In der vergangenen Woche wurde die rechtsextremistische Gruppierung.J3lood & Honour- verboten. Ich frage die Landesregierung, welche Erkenntnisse dieses Verbot im Lande Brandenburg gebracht hat.

1264 Landtag Brandünteurtr - 3_ Wahlporno& - Plenarprotokol 1 3'21 - 2t. Sepioniher 2000

Frau Abgeordnete Richstein. die Organisation _Blood & Honour- ist nach dem Vereinsgesetz verboten worden. im Zusannnenhang damit haben wir in Brandenburg sechs Untersuchungen vorgenommen. Bei diesen Untersuchungen haben wir umfangreiches Material sichergestellt. besonders indizierte Musik. also CDs und Kassetten. Wir haben erhebliche Geldbeträge und vor allen Dingen verbotenes Propagandamaterial sichergestellt.

Aus den Untersuchungen hat sich eindeuti g ergeben. dass es einen sehr engen Zusammenhang zwischen _Blood & Honourund der NPD gibt. sodass man sagen muss: Die Entscheidung des Bundesinnenministers. die mit den Ländern abgestimmt worden ist. war richtig und wird weiter konsequent durch gesetzt.

Herzlichen Dank. - Wir sind damit am Ende der Fragestunde. [eh schließe Tagesordnungspunkt I und rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: 10 Jahre Wiedervereinigung

Antrag der Fraktion der CDU

Die Aktuelle Stunde wird mit deni Beitrag der beantragenden Fraktion. der CDU, eröffnet. Frau 131echinger. bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ani 22. August 1990 hat die erste frei gewählte Volkskammer der DDR den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes zum 3. Oktober 1990 beschlossen. Die deutsche Teilung fand ihr Ende und es ist insbesondere dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl gelungen, die damit verbundenen Ängste unserer Nachbarn in Zustimmun g zu verwandeln.

(Beifall bei der CDU sowie der Abgeordneten Schippe' und Kulmen [SPD])

Viele erinnern sich sicherlich noch an die spannungsreichen. emotional bewegenden Wochen und Monate, die diesem Beschluss vorausgegangen sind, an die Gefühlslage aus Hoffnung. Freude. Erwartung und Erleichterung. Gerade weil die Erinnerungen vielfach unter der Last von zehn Jahren begraben liegen, will ich noch einmal deutlich machen. was damals in der DDR zu dieser Entscheidung geführt hat.

Da wären zuerst die massiven Einschränkungen der persönlichen Freiheit zu nennen, die Verlogenheit und die Heuchelei amtlicher Verlautbarungen, die rücksichtslose Zerstörung der Umwelt besonders in den Chemieregionen. der Verfall der Innenstädte. ein vor aller Augen verrottendes Wirtschaftssystem. die Absurdität der öffentlichen Sprache in Zeitung oder Fernsehen. die alle Lebensbereiche durchziehende Schizophrenie.

Wie wenig aussagefähig die so genannten Wahlen waren, wurde spätestens in dem Augenblick deutlich. als sich die ersten Löcher in der Mauer zeigten und die Menschen in Scharen die DDR verließen. Und als die Mauer endlich gefallen war, damals im November 1989. gingen ein tiefes Gefühl der Befreiung und eine Welle der Freude mit uns Deutschen um die ganze Welt.

Diese Hochstimmung ist heute weitgehend einer Ernüchterung. teilweise auch Enttäuschung gewichen. Das ist nur zu verstehen, wenn man sich bewusst macht. was es heißt. wenn von heute auf morgen ein ganzes Wirtschafts-, Gesellschafts- und Rechtssystem ausgewechselt wird. was es heißt, über Nacht eine völlige Veränderung der Lebensperspektiven. den Verlust eines sicher geglaubten Arbeitsplatzes. den Verlust erworbener Qualifikationen und Ansprüche. das Wertloswerden von Erfahrungsund Orientierungswissen verkraften zu müssen. Gerade das neue Rechtssystem hat dazu geführt. dass viele Ostdeutsche nicht über die notwendigen Erfahrungen und Qualifikationen für die Übernahme von Führungspositionen verfügten.

Auch wenn das dem Verstand einsichtig ist. hat das damit verbundene Gefühl der Minderwerti gkeit das Zusammenwachsen behindert. Sicherlich sind auch Erwartungen enttäuscht worden. ist mii fremden Kriterien die Lebensleistun g von Menschen bewertet worden. viel guter Wilfe nicht genutzt. sondern zurückgestoßen worden. Vor allem aber ist deutlich geworden, dass die 40 Jahre der Trennung. der unterschiedlichen Lebenserfaimmgen uns stärker geprägt und zu geistigen und mentalitätsmäßigen Unterschieden geführt haben, als wir das in den Jahren davor wahrgenommen haben. Gemeinsame Fernsehprogramme reichen zur Identitätsstiftung eben nicht aus.

Allerdings wurde auch eine andere Spaltung sichtbar, die nicht entlang der gefallenen Grenze existiert, nämlich zwischen jenen. die die Wiedervereinigung von Herzen wünschten. und jenen, denen die Idee der Vereinigung längst lästig geworden oder von vornherein zuwider war. Schließlich ging es nicht nur uni einen Wandel der Lebens- und Gesellschaftsordnung. sondern auch um die Rückgewinnung der nationalen Einheit. Nicht zufällig wurde der Ruf „Wir sind das Volk!" bald ersetzt durch „Wir sind ein Volk!". gewann die Passage vom _Deutschland. einig Vaterland" des Textes der Nationalhymne von Johannes R. Becher. die jahrelang nicht mehr gesungen werden durfte, während der Demonstrationen in Leipzig immer mehr an Gewicht.

Es ging vielen Menschen im Osten nicht nur 11111 Freiheit und Wohlstand, sondern auch um die Rückgewinnung einer Gemeinschaft, die ihnen etwas bedeutet hat. uni die Einheit ihres Vaterlandes.

( Beifall bei CDU und SPD)

Dass dieser damalige nationale Impuls für fortwährendes Unbehagen gesorgt hat, hat etwas mit den Schwierigkeiten der Deutschen zu tun, sich zu ihrer Geschichte mit ihren guten und schlimmen Teilen zu bekennen und sie anzunehmen. Selbst die Inschrift am Reichstag.,Dem deutschen Volke - scheint einigen suspekt.