Protokoll der Sitzung vom 28.02.2001

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kaiser-Nicht, Ihre Frage zeigt, dass manche Gesetze zeitversetzt auch die Achtung ihrer Kritiker bekommen. Ich freue mich darüber außerordentlich, wie Sie sich vorstellen können.

(Zuruf der Abgeordneten Frau Kaiser-Nicht [PDS])

Es kommt aber leider auch unter den Voraussetzungen des geänderten Kita-Gesetzes immer wieder zu Problemen, wenn Eltern eine Betreuung ihres Kindes außerhalb ihrer Wohnortgemeinde im Land Brandenburg wünschen. Ich sehe das genauso kritisch wie Sie. Die Gründe für einen solchen Elternwunsch, der berechtigt ist und den wir im Gesetz das erste Mal geschützt haben, können sehr unterschiedlich sein, längere Betreuungszeiten, das Konzept einer Kita, bessere Erreichbarkeit und Ähnliches.

In einem konkreten Fall wird von der aufnehmenden Gemeinde eine Zustimmungserklärung der Wohnortgemeinde als Voraussetzung für den Abschluss eines Betreuungsvertrages verlangt. Der Rechtsanspruch richtet sich grundsätzlich an die Wohnortgemeinde. Deshalb muss eingangs darauf hingewiesen werden, dass ein in Ihrer Frage angesprochener Rechtsanspruch auf eine Kita-Betreuung außerhalb des Wohnortes der Eltern nicht besteht. Wünschen Eltern die Aufnahme eines Kindes in einer Einrichtung außerhalb der Wohnortgemeinde und ist eine Kita bereit, das Kind aufzunehmen, so besteht jedoch im Grundsatz eine Finanzierungsverpflichtung für diesen Platz durch die Wohnortgemeinde. Das, Frau Kaiser-Nicht, war eine der vielen Veränderungen im neuen Gesetz, die gut für die Kinder und die Eltern sind.

Der § 5 des Sozialgesetzbuches VIII bestimmt, dass dem Wunsch der Leistungsempfänger entsprochen werden soll, sofern dies nicht mit unverhältnismäßig hohen Mehrkosten verbunden ist. Die Regelungen dieses Paragraphen finden ihre landesgesetzliche Entsprechung in der Finanzierungsverpflichtung des § 16 unseres Kita-Gesetzes. Dort heißt es:

„Beanspruchen Kinder die Aufnahme in eine Einrichtung außerhalb des Zuständigkeitsbereiches des Leistungsverpflichteten, so hat dieser der aufnehmenden Gemeinde oder dem aufnehmenden Amt einen angemessenen Kostenausgleich zu gewähren.”

Der Ausgleich findet also zwischen der aufnehmenden Gemeinde und der Wohnortgemeinde statt. Sie können sich vielleicht noch an unseren Streit erinnern. Sie waren für Planungssicherheit, ich habe den Elternwillen verteidigt; heute tun Sie das Gleiche.

(Oh! bei der PDS)

Ich bin froh, dass es so gekommen ist.

Es besteht allerdings keine Aufnahmeverpflichtung für Kinder aus anderen Gemeinden. Eltern können also einen Aufnahmewunsch in einer Kindertagesstätte außerhalb der Wohnortgemeinde gegen den dortigen Träger nicht durchsetzen. Ist die aufnehmende Gemeinde selbst Träger der Einrichtung, kann sie die Aufnahme von Kindern aus anderen Gemeinden ablehnen. Sie kann auch von einem freien Träger verlangen, den sie gemäß § 16 bezuschusst, zuerst die Betreuung der eigenen Kinder sicherzustellen. Sie darf dann allerdings nicht die Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts verhindern und in die Gestaltungsfreiheit des freien Trägers, die durch § 4 des Sozialgesetzbuches VIII ausdrücklich geschützt ist, so weit eingreifen, dass sie dann diesen Träger wegen ungesicherter Ausgleichszahlungen der Wohnortgemeinde anweist, grundsätzlich keine Kinder aus anderen Gemeinden anzunehmen. Ich denke, es ist ihr zuzumuten, von dem in § 16 Abs. 4 vorgezeichneten Weg der Forderung eines Kostenausgleichs an die Wohnortgemeinde auch Gebrauch zu machen, eben im Interesse von Kindern und Eltern.

Die Höhe der Ausgleichszahlung ist im Kita-Gesetz mit „angemessener Kostenausgleich” beschrieben. Sollten einzelne Gemeinden - zum Teil auch in ihren Satzungen - den Kostenausgleich auf die Höhe der Landes- und Kreiszuschüsse pro Kind beschränken, so ist das nicht zulässig. Die Bezuschussung durch das Land stellt eine pauschale Unterstützung der Wahrnehmung der Aufgabe der Kindertagesbetreuung dar und ist weder systematisch noch in der Höhe mit den Platzkosten eines Kindertagesstättenplatzes in Verbindung zu bringen. Das war auch immer der Punkt, über den wir diskutiert haben: ob die Beitragserhöhung mit dem Gesetz in Verbindung steht oder nicht. Der angemessene Kostenausgleich richtet sich also nach der Höhe der Bezuschussung der Standortgemeinde für diesen Platz. Angemessen, denke ich, dürfte ein Kostenausgleich sein, der die gesamten notwendigen Betriebskosten eines Platzes für die entsprechende Altersgruppe in dem entsprechenden Betreuungsumfang umfasst, abzüglich der Elternbeiträge.

Wegen der weitgehend einheitlichen Kostenstruktur der Kindertagesstätten in Brandenburg sind bei der Erstattung unverhältnismäßige Mehrkosten wegen der Angemessenheit des Ausgleichs in der Regel ausgeschlossen.

Meinem Haus sind - wie Ihnen - Einzelfälle bekannt geworden, in denen das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern entgegen dem Gesetz, das wir hier im Landtag miteinander verabschiedet haben, unzulässig eingeschränkt worden ist. Daraufhin wurde mit der zuständigen Kommunalaufsicht und dem Jugendamt Kontakt aufgenommen. Um eine grundsätzliche Lösung zu erreichen, ist zurzeit in Zusammenarbeit mit dem Ministerium des Innern ein Runderlass in Arbeit, in dem die Kommunalaufsicht in den Landkreisen auf die rechtmäßige Anwendung des Wunsch- und Wahlrechts im Kita-Bereich - analog zu meiner heutigen Antwort - hingewiesen wird.

Frau Kaiser-Nicht, ich bin froh, dass Sie mittlerweile neben den schwierigen Änderungen des Kita-Gesetzes, die es fraglos auch gegeben hat, auch die Chancen, die Verbesserungen sehen, verteidigen und nutzen wollen und insofern auch zu einer An

wältin unseres Kita-Gesetzes geworden sind. Ich will Sie darin ausdrücklich unterstützen. - Vielen Dank.

(Lachen bei der PDS)

Ich würde auch gern die Mitglieder der Landesregierung unterstützen, damit die Antworten präzise - das waren sie - und vor allen Dingen kurz werden.

(Beifall bei der PDS)

Frau Kaiser-Nicht, Sie haben noch einmal für Zusatzfragen das Wort. Bitte!

Angesichts des Umstandes, dass Ihre Antwort auch außerhalb dieses Parlamentes verstanden werden sollte, und angesichts der Tatsache, dass ich es gern wissen würde, präzisiere ich meine Frage wie folgt: Können Sie Ihre Antwort noch einmal zusammenfassen?

(Heiterkeit)

Ist es prinzipiell ausgeschlossen, dass es Eltern durch ihre Wohnortgemeinde aufgrund von inhaltlichen, örtlichen und zeitlichen Kriterien - und diese hätte ich gern gehabt -, die die Tagesbetreuung ihres Kindes betreffen, grundsätzlich verwehrt wird, in einer anderen Wohnortgemeinde einen Platz zu beantragen?

Wenn Sie wieder all die Kriterien wissen wollen, dann wird die Antwort genauso lang wie soeben. Deshalb lautet meine ganz kurze Antwort zum Mitschreiben: Ja. Das neue Kita-Gesetz sichert ja gerade, dass das Elternwahlrecht Vorrang vor der Planungssicherheit der Kommune hat. Wir haben im Interesse der Kinder und der Eltern eine solche Verpflichtung im Gesetz verankert, damals übrigens gegen den Widerstand der PDS. Ich freue mich, dass Sie heute unsere Meinung teilen.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU - Unruhe bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Herr Minister Reiche. - Damit schließe ich den Tagesordnungspunkt 1, denn die entsprechende Redezeit ist ausgeschöpft.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Kürzungen der Landesmittel für Strukturanpassungsmaßnahmen und ihre Folgen, insbesondere in der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit

Antrag der Fraktion der PDS

Ich erteile für die einreichende Fraktion Herrn Abgeordneten Hammer das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Irren ist menschlich! In diesen Tagen konnten wir erfahren, dass die chinesische Mauer um über 500 Kilometer länger ist als bisher angenommen. Darüber hinaus konnten wir erfahren, dass das Land Brandenburg über 3 000 mehr Bedienstete hat als bisher angenommen. Und die Landesregierung musste erfahren, dass über SAM einige Hundert Menschen mehr im Jugendbereich beschäftigt waren und sind als bisher angenommen.

Die meisten dieser Stellen wurden nach dem so genannten Windhundprinzip vergeben - das ist auch die Sprache im Ministerium -, das heißt, wer zuerst kommt, frisst zuerst. Da die LASA auch nur Staat im Staate ist, gehe ich davon aus, dass weder Herr Minister Reiche noch Herr Minister Ziel wussten, dass ein Kontingent von 200 Stellen nicht einmal ein Viertel der bisherigen Förderung bedeuten würde. Dass es mit der Kommunikation zwischen den Ministerien nicht zum Besten bestellt ist, pfeifen in der Zwischenzeit die Spatzen von den Landesdächern. Wie aber lässt es sich erklären, dass ein Minister mehr Streetworker verlangt, um im selben Moment allen Streichungen im SAM-Bereich zuzustimmen?

(Beifall bei der PDS)

Herr Minister Ziel, reden bei Ihnen Yin und Yang noch miteinander?

(Heiterkeit bei der PDS)

Seit dem Weggang von Frau Hildebrandt haben wir es mit einem doppelten Strategiewandel zu tun: erstens mit einer massiven Sparpolitik nach dem Grundsatz „Spare jeden Pfennig, koste es, was es wolle!” und zweitens mit einer Umschichtung möglichst vieler Mittel in den Bereich des ersten Arbeitsmarktes.

Zum Ersten: Die Sparpolitik wird von den Bürgerinnen und Bürgern des Landes immer mehr als Entmündigungspolitik begriffen. Das hat vor allem mit Ignoranz gegenüber Protesten, aber auch mit Ignoranz gegenüber alternativen Gestaltungsvorschlägen zu tun. Stoisches Beharren ist an die Stelle von politischer Gestaltung getreten.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Zum Zweiten: Was die Unterstützung des ersten Arbeitsmarktes betrifft, so lassen die Erfolge auf sich warten, wie die aktuellen Arbeitsmarktstatistiken zeigen. Nach wie vor zeigt uns die Arbeitslosenquote von über 18 %, dass das Angebot an wertschöpfender, aber auch sinnstiftender Arbeit ausgesprochen knapp bemessen ist. Die Protestbewegung, die SAM-Streichung betreffend, ist in seiner Dimension durchaus mit den Kita-Protesten zu vergleichen. Auch von der relativ eiligen Erhöhung des SAM-Kontingents von 200 auf 410 Stellen haben sich die Men

schen im Land nicht beruhigen lassen, zumal sich die Lasten für die Kommunen am Ende doch erhöhen. Das hat mit Sicherheit auch mit der relativ schwachen Argumentation der Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung zu tun.

(Beifall bei der PDS)

Natürlich ist Jugendsozialarbeit Beziehungsarbeit und Kontinuität ist ein dringendes Erfordernis. Darauf wurde von Fachleuten tatsächlich immer hingewiesen. Aber einen kurzfristig arbeitenden Menschen durch keinen Menschen zu ersetzen, ist auch nicht die Lösung.

(Beifall bei der PDS)

Natürlich gibt es das 610-Stellen-Programm, aber ein Blick in die vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport in Auftrag gegebene Studie macht deutlich auf die Mängel dieses Programms aufmerksam. Wer die Studie Prozessverläufe und Prozessqualitäten im 610-Stellen-Programm aufmerksam gelesen hat, der weiß, warum Städte und vor allem Landkreise immer noch gezwungen sind, in Größenordnungen auf ABM und SAM zurückzugreifen.

Ich komme zu einigen aus meiner Sicht wesentlichen Mängeln.

Erstens: Die über das Programm finanzierten Schulsozialarbeiter stehen für Angebote der offenen Jugendarbeit nicht oder kaum zur Verfügung.

Zweitens: Viele Fachkräfte haben im Rahmen von Gesamtbeantragungen mehr mit bürokratischer Kleinarbeit denn mit Jugendarbeit zu tun.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Drittens: Theoretisch sollen sich Land, Kommune und freier Träger die Förderung teilen. Da aber die meisten freien Träger ihr Drittel der Förderung nicht aufbringen können, verbleibt die Gesamtlast wieder bei den Kommunen.

Viertens: Der gedeckelte Lohnkostenzuschuss von 57 700 DM Jahresgehalt liegt weit unter dem Qualifikationsniveau der Sozialarbeiter, ganz zu schweigen von Arbeitsbedingungen und Anforderungen.

Ich möchte an dieser Stelle deutlich die Frage stellen: Wer von Ihnen möchte diese Arbeit machen? Wer würde sich mit einem solchen Gehalt zufrieden geben? Das sage ich bewusst angesichts der aktuellen Diätendiskussion.