Protokoll der Sitzung vom 17.05.2001

Erstens: Wie oft haben sie beim Arbeitsamt vor verschlossener Tür gestanden, obwohl Sprechzeit war? Zweitens: Wie viele Wochen müssen sie warten, um überhaupt ein Gespräch beim Berufsberater zu erhalten? Ehe es nämlich dazu kommt, sind meist schon alle Messen gelesen. Hier wird sozusagen im Postkutschentempo gearbeitet.

Apropos Sprechzeiten: Frau Abgeordnete Hesselbarth, Ihre ist vorbei.

Wir wissen sehr wohl, dass die Arbeitsämter dem Bund unterstellt sind. Aber vielleicht können Sie hier als Minister in Brandenburg kraft Ihres Amtes tätig werden. Es würde Ihnen jedenfalls im Moment sehr gut zu Gesicht stehen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hesselbarth. - Das Wort

geht in der ersten Runde für die Koalitionsfraktionen an den Abgeordneten Homeyer. - So steht es zumindest bei mir. Oder sind sich die Herren wieder einmal nicht einig?

(Homeyer [CDU]: Wir sind uns eigentlich immer einig; aber wir haben uns hierbei darauf geeinigt, dass zunächst die SPD und dann die CDU spricht!)

- Dann muss man mir das auch deutlich sagen. - Bitte schön, Herr Abgeordneter Homeyer, Sie sprechen für die Fraktion der CDU!

Ehe Herr Homeyer bei mir ist, möchte ich Gäste im Landtag begrüßen, und zwar Schüler aus den Gesamtschulen Gartz und Prenzlau. Herzlich willkommen!

Bitte schön, Herr Homeyer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat absolut nichts dagegen einzuwenden, die aktuelle Ausbildungssituation in Brandenburg hier und heute zu thematisieren - allerdings nur, wenn dies in sachlicher und wahrheitsgemäßer Form geschieht.

(Beifall bei der CDU)

Die Begründung, die die DVU-Fraktion zu ihrem Antrag geliefert hat, nährt den Verdacht, dass es ihr eher um populistische Panikmache als um eine sachgerechte Situationsbeschreibung geht.

(Frau Hesselbarth [DVU]: Immer dasselbe, Herr Homey- er! Lassen Sie sich doch Ihre Reden einmal von jemand anderem schreiben!)

Die CDU-Fraktion weist Formulierungen wie „alljährlich dieselbe Misere” oder „Jugendliche werden in Warteschleifen geparkt oder erhalten ersatzweise eine überbetriebliche Ausbildung und werden danach vielfach in die Arbeitslosigkeit entlassen” als unseriös und letztendlich wahrheitswidrig zurück.

Auch die von Ihnen behauptete große Perspektivlosigkeit der Jugend vermögen wir nicht nachzuvollziehen - jedenfalls nicht für die Jugend generell, auch und insbesondere nicht in Brandenburg. Wir werden es nicht zulassen, dass Sie von der DVUFraktion den Standort Brandenburg weiter schlecht reden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, die wirkliche Situation auf dem Ausbildungsmarkt kurz darzustellen und mich dabei an die Tatsachen zu halten.

Das Land Brandenburg stellt sicher, dass jeder Jugendliche - ich betone: jeder - eine Berufsausbildung bekommt bzw. bekommen kann.

Nach aktuellen Zahlen, die am 25. April 2001 dem Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen vorgelegt wurden, waren im März dieses Jahres insgesamt 503 Bewerber nicht vermittelt. Es gab aber noch 610 offene Ausbildungsstellen.

(Zuruf von der DVU)

Das sind Zahlen, meine Damen und Herren von der DVU, die Sie kennen müssten - selbst, wenn Sie an der genannten Ausschusssitzung nicht teilgenommen haben.

Es war eine Entscheidung der Jugendlichen, diese offenen Stellen nicht anzunehmen. Das müssen wir so hinnehmen.

Die im Frühjahr bis Sommer des Jahres 2000 noch vorhandene Ausbildungsplatzlücke wurde jedenfalls durch die gezielte Förderung des Landes und der Arbeitsämter geschlossen. Ich gehe davon aus, dass das auch für dieses Jahr gelingen wird.

Brandenburg hat durch die Förderung betrieblicher Ausbildungsplätze - ferner der Förderung von Ausbildungsverbünden, der überbetrieblichen Lehrunterweisung im Handwerk, des internationalen Jugendaustausches sowie der schulischen Berufsausbildung im dualen System - die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze mit allen der Politik zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützt.

Durch Berufsausbildungsbeihilfen, ausbildungsbegleitende Hilfen, Ausbildungszuschüsse für Behinderte sowie durch die Übernahme von Kosten, die bei der Aufnahme der Berufsausbildung entstehen, sind auch die Arbeitsämter bei der Schaffung bzw. der Vermittlung von Ausbildungsplätzen aktiv tätig geworden. Was kann der Staat eigentlich mehr tun, meine Damen und Herren?

Einige Jugendliche haben in anderen Bundesländern einen Ausbildungsplatz gefunden. Sie haben das bewiesen, was wir von ihnen verlangt haben, nämlich Mobilität und Flexibilität. Das ist Normalität in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist übrigens auch Normalität in der Europäischen Union. Ich nenne das Stichwort Freizügigkeit. Daran sollten wir uns gewöhnen.

Meine Damen und Herren von der DVU: Wer reisen will, der muss auch Reisende willkommen heißen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Allerdings muss ich aus meiner Erfahrung darauf hinweisen, dass die sehr vielfältigen Hilfsangebote der verschiedenen Institutionen offensichtlich noch nicht genügend genutzt werden. Vielleicht sind sie aber auch nicht hinreichend bekannt, trotz der Fülle von Publikationen und Initiativen.

Als ein positives Beispiel in diesem Zusammenhang möchte ich die von meinem Kollegen Uwe Bartsch in Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister der Stadt Bernau, Herrn Hubert Hanke, und dem Schulleiter der Bernauer Realschule, Herrn Ottmar Nickel, organisierte „Bernauer Ausbildungsbörse 2001" nennen. Hier wurde, meine Damen und Herren, über 1 000 Schülern und Eltern die Möglichkeit eröffnet, sich über Ausbildungsplätze zu informieren und mit den Unternehmen in einen ersten Kontakt zu treten. Auf dieser Veranstaltung präsentierten über 45 regionale und überregional ansässige Unternehmen ihre Ausbildungsplätze. Ich denke, das ist eine Initiative, die Mut macht.

(Beifall bei CDU und SPD)

Meine Damen und Herren, unsere Politik - die Politik der Koalition - ist auf eine selbst tragende Wirtschaftsstruktur ausgerichtet. Unser Ziel ist nicht nur, dass Arbeitsplätze in ausrei

chendem Maße auf dem ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden, sondern eng damit verbunden ist auch, dass die Wirtschaft Brandenburgs entsprechend der Nachfrage Ausbildungsplätze anbieten kann.

Wir brauchen unter anderem leistungsfähige Großprojekte, zum Beispiel den Flughafen Schönefeld. Wir brauchen Großprojekte wie die Chipfabrik in Frankfurt (Oder). Derartige Ansiedlungen schaffen nicht nur zusätzliche Arbeitsplätze, sondern bringen auch für den Ausbildungsmarkt positive Impulse mit sich.

Die CDU-Fraktion sieht es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, die Ansiedlungspolitik von Minister Fürniß auch weiterhin positiv zu begleiten. Das bisher Erreichte stimmt uns nicht nur wegen der zusätzlichen Ausbildungs- und Arbeitsplätze optimistisch, es ist auch ein deutliches Zeichen dafür, dass Firmen der internationalen Spitzentechnologie Vertrauen in den Standort und die hier lebenden Menschen und ihre Ausbildung haben.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Großprojekte - ob bereits vorhanden oder neu anzusiedeln - reichen bei weitem nicht aus, um die Probleme Brandenburgs zu lösen. Wir brauchen darüber hinaus - sozusagen als Herzstück unserer Wirtschaft - eine breit gefächerte und leistungsstarke sowie ausbildungswillige mittelständische Wirtschaft. Da hapert es, wie wir alle wissen, zum Teil noch ganz erheblich.

Wir alle wissen, dass es sich dabei um ein historisches Problem aus der DDR-Vergangenheit handelt, welches in den vergangenen zehn Jahren nicht vollständig aufgearbeitet werden konnte. Wir alle sind aufgerufen, das Vertrauen in einen gesunden Mittelstand zu stärken und für günstige Rahmenbedingungen, zum Beispiel für Existenzgründer, Sorge zu tragen. Für dieses Anliegen werden wir uns weiterhin einsetzen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Homeyer und gebe das Wort an die Fraktion der PDS, an die Abgeordnete Frau Dr. Schröder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

„Es geht doch darum, dass die Menschen in Brandenburg erleben müssen, dass hier etwas passiert.”

Den Worten des Ministerpräsidenten aus der gestrigen Aktuellen Stunde stimme ich ausdrücklich zu. Doch was erleben jugendliche Schulabgänger in unserem Land? Seit Jahren klafft eine große Lücke zwischen den betrieblichen Ausbildungsangeboten und der Zahl der Ausbildungsplatzsuchenden. Plötzlich verlieren Lebensläufe ihre Kontinuität, Berufsbiografien finden keinen gewünschten Anfang.

Jedes Jahr das gleiche Trauerspiel. Akt 1: Es wird gesagt, die Ausbildungsbilanz sei positiv. Akt 2: Für diese Entwicklung verantwortlich sind Bundes- und Landesregierung mit Initiativen im Rahmen des „Bündnisses für Arbeit” und Sonderprogrammen. Akt 3: Die Situation in den neuen Ländern ist unbefriedigend; an betrieblichen Ausbildungsplätzen mangelt es.

(Klein [SPD]: Satteln Sie nicht populistisch auf das auf, was die rechte Seite hier vorgeschlagen hat!)

Akt 4: Appell an die Wirtschaft, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen - mit Verweis auf den Ausbildungskonsens. Eben dieser vierte Akt sichert, dass bei nächster Gelegenheit im nächsten Ausbildungsjahr - das Trauerspiel erneut auf dem Spielplan steht; denn es gibt in Deutschland kein Instrumentarium, mit dem die Wirtschaft wirklich veranlasst werden könnte, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Dafür sorgt Klientelpolitik - Herr Homeyer ist wieder ein Beispiel dafür nach dem „Prinzip Hoffnung”, die Wirtschaft werde eines Tages doch noch ihren Verpflichtungen den Jugendlichen gegenüber nachkommen. Der Verzicht auf bindende Verpflichtungen hat Folgen, die von sehr großer Bedeutung für Ausbildungssuchende und ihre Familien sind, Folgen für unser gesellschaftliches Gefüge insgesamt, meine Damen und Herren.

Im Land Brandenburg sind 11 % der Arbeitslosen jünger als 25 Jahre. Nahezu 26 200 jugendliche Arbeitslose waren Ende des Vormonats registriert. Das ist absoluter Höchststand, es sind so viele wie in noch keinem April.

Im laufenden Berufsberatungsjahr 2000/2001 liegt der durchschnittliche Stellenandrang momentan bei 5,5. Das heißt, auf 100 gemeldete Stellen kommen zurzeit 550 registrierte Bewerber.

Meine Damen und Herren, nach wie vor ist im Osten die Zahl der Ausbildungsstellen für Jugendliche rückläufig. Im laufenden Ausbildungsjahr meldeten Brandenburger Unternehmen bisher ganze 6 900 Ausbildungsstellen. Dies bedeutet einen erneuten Rückgang um 7,2 % gegenüber dem Vorjahr. Angesichts höchster Jugendarbeitslosigkeit und beschriebener Ausbildungsmisere grenzt es schon an Zynismus, Herr Wirtschaftsminister Fürniß, wenn Sie laut Meldung der „MOZ” anlässlich der Eröffnung der Bernauer Ausbildungsbörse sagten:

„Junge Leute haben im Land Brandenburg hervorragende Beschäftigungschancen.”