Protokoll der Sitzung vom 20.06.2001

Wir sind am Ende der Rednerliste. Ich schließe die Aussprache und wir kommen zur Abstimmung.

Die PDS-Fraktion beantragt die Überweisung des Gesetzentwurfes mit Drucksache 3/2777 an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen, der federführend sein soll, sowie an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport, den Ausschuss für Haushalt und Finanzen, den Ausschuss für Inneres, den Rechtsausschuss und den Ausschuss für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr. Wer diesem Überweisungsansinnen folgt, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Dann ist so beschlossen.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 4 und rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Ergebnisse der Gesundheitsreform 2000

Große Anfrage 21 der Fraktion der PDS

Drucksache 3/2303

Antwort der Landesregierung

Drucksache 3/2708

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der PDS-Fraktion. Frau Abgeordnete Birkholz, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gesundheitsreform 2000 sollte eines der wichtigsten Projekte der rot-grünen Bundesregierung werden. Die Ankündigungen waren durchaus viel versprechend: Stärkung von Gesundheitsförderung, Prävention und Selbsthilfe, Stärkung der Rolle der Hausärzte, Erweiterung von Patientenrechten, bessere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung, mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung und Einführung einer Positivliste. Positiv hervorzuheben ist auch die Aufrechterhaltung des Solidarprinzips sowie die Einführung eines gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs.

Hohe Erwartungen gab es daneben natürlich auch im Hinblick auf spezifische ostdeutsche Probleme wie die deutlich niedrigere Finanzbasis der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund niedrigerer Lohneinkommen und hoher Arbeitslosigkeit, das geringe Vergütungsniveau für ambulante ärztliche Leistungen - es liegt zurzeit bei ca. 77 % des Westniveaus -, die Benachteiligung der aus den Polikliniken hervorgegangenen Gesundheitszentren, um nur einiges zu nennen. Für eine Zwischenbilanz war es angesichts des Problemdrucks, den wir in den letzten Monaten immer wieder gespürt haben, wenn ich nur an die Protestaktionen von Ärzten und Ärztinnen denke, durchaus an der Zeit.

Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat alle Überlegungen ihrer Gesundheitspolitik einem Ziel untergeordnet: Stabile Beitragssätze in der GKV. Hier liegt auch das Dilemma des rot-grünen Reformansatzes. Viele der Reformschritte können nur langfristig ausgabendämpfend wirken. Strukturveränderungen benötigen Zeit und lassen sich nicht mit der Brechstange herbeiführen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wagner [CDU])

Um das Ziel stabiler Beitragssätze nicht zu gefährden, hat die Bundesregierung deshalb den Einspardruck auf das Gesundheitswesen weiter erhöht. Letztlich wird dieser Druck bei den Beschäftigten und den Patienten abgeladen. Natürlich ist auch der PDS die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge keineswegs egal. Das Ziel stabiler Beiträge darf aber nicht dadurch erreicht werden, dass die Leistungen der Krankenversicherung zurückgeschraubt werden und Versicherte und Patienten mehr aus der eigenen Tasche hinzufinanzieren müssen.

Es verwundert nicht, dass die CDU genau dies jetzt wieder propagiert. Unter ihrer Regierungsverantwortung haben Zuzahlungen bzw. Eigenanteil einen Anteil von knapp 9 % an den Gesundheitsausgaben erreicht. Zusätzlich zu ihren Kassenbeiträgen finanzieren die Versicherten damit schon mehr als die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen. Es ist zu befürchten, dass sich auch die Regierung Schröder in modifizierter Form auf einen Kurs der weiteren Privatisierung sozialer Risiken einlassen wird. Das Beispiel der Rentenreform belegt dies.

Die PDS hat klare Alternativen aufgezeigt. Oberste Priorität hat für uns die Stärkung des Solidarsystems. Die Finanzbasis der gesetzlichen Krankenversicherung sollte dadurch gestärkt werden, dass mehr Personen in die Versicherungspflicht einbezogen

werden, also Selbstständige und Beamte, und dass gut verdienende Angestellte im System bleiben, also Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze.

Zu den Vorschlägen der PDS gehört es auch, die Basis für die Arbeitgeberbeiträge zu ändern. Statt der Lohnsumme sollte die Wertschöpfung Beitragsgrundlage sein. Dies hätte den Vorteil, dass Unternehmen mit einem hohen Personalanteil gegenüber kapitalintensiven Betrieben besser gestellt werden.

Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion hat die Große Anfrage an die Landesregierung gerichtet, um neben den allgemeinen Wirkungen der Gesundheitsreform eine Reihe von Brandenburger Problemen zu thematisieren. Mit der vorliegenden Antwort bestätigt sich, dass die ambulante ärztliche Versorgung zu einem echten Sorgenkind wird. Regionen wie die Uckermark oder die Kreise Spree-Neiße und OberspreewaldLausitz sind mit Allgemeinmedizinern unterversorgt.

Damit sich diese Situation nicht weiter zuspitzt, lässt sich eine Debatte über die Vergütungssituation nicht länger verdrängen. Es muss darum gehen, für Ärztinnen und Ärzte wie für andere Berufsgruppen auch eine Perspektive für die Annäherung und Angleichung an die Situation in den westlichen Ländern zu eröffnen. Dies ist keineswegs allein eine Frage des Einkommens der Ärzteschaft, sondern auch ausschlaggebend für die Möglichkeiten, Personal zu beschäftigen und Investitionen zu tätigen und damit letztlich auch eine Frage der Versorgungsqualität. Nicht zuletzt geht es darum, angesichts schon bestehender Versorgungslücken eine Abwanderung in den Westen zu stoppen.

Eine von den Gesundheitsministern der neuen Bundesländer gestartete gemeinsame Initiative zur Entwicklung der Vergütungen ist deshalb zu begrüßen. Ob sie zum Erfolg führt, bleibt aber abzuwarten.

Teil der ambulanten Versorgungsstruktur sind in Brandenburg auch die so genannten Gesundheitszentren als eine nach meiner Auffassung sehr zukunftsträchtige Form der Kooperation. Gerade in mehr Kooperation - dies haben wir immer wieder betont - liegt eine der wesentlichsten Chancen, um bei gleicher Qualität die Wirtschaftlichkeit des Systems zu erhöhen. Es ist deshalb völlig unbefriedigend, wenn trotz des erklärten Willens auch der Bundesregierung immer noch Entwicklungsmöglichkeiten beschnitten bleiben und neue Stolpersteine gelegt werden - sei es durch die Politik oder auch durch die Kassenärztliche Vereinigung. Hierbei vermissen wir eine klare Unterstützung durch die Landesregierung.

Für die ambulante medizinische Versorgung hat das brandenburgische Gesundheitsministerium vor wenigen Tagen eine weit reichende Entscheidung getroffen, indem es das Arzneimittelbudget für das Jahr 1999 neu festgesetzt hat. Nach der Datenlage ist das Budget um 30 Millionen Mark überschritten. In Kenntnis dieser Zahlen hat das Ministerium das Budget um über 80 Millionen Mark erhöht. Ich bin nun wahrlich keine glühende Verfechterin der Budgetierung von Arzneimitteln. Aber warum die Landesregierung das Signal aussenden will, dass eigentlich noch zu wenig Geld ausgegeben worden ist, erschließt sich mir beim besten Willen nicht.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Wagner [CDU])

Für 1999 hat diese hohe Festsetzung keinerlei Folgen mehr. Die

negative Folge der kollektiven Regresse gegen die Ärzte, die in der Tat ein Unding sind, wäre auch bei einer geringeren Heraufsetzung vermieden worden.

Das Agieren des Ministeriums provoziert nun wiederum die Kassen, gegen das Budget zu klagen, und hat natürlich Wirkung auf die Ausgaben der Folgejahre. Also, meine Damen und Herren von der Landesregierung, Sie legen uns immer wieder so genannte Haushaltsstrukturgesetze vor, die zum einen jedes soziale Augenmerk vermissen lassen und zum anderen in ihrer tatsächlichen Sparwirkung oft umstritten sind. Aber wenn es nicht um die Landesfinanzen, sondern um Versichertenbeiträge geht, dann sehen Sie es offensichtlich ganz locker.

Nun noch zu einem anderen Fragenkomplex. Wenn wir auch im Land mehr Gewicht auf Prävention und Vorsorge legen wollen, dann müssen wir uns sehr dringend mit der Rolle und den Möglichkeiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes beschäftigen. Auch die Landesregierung erkennt zum Beispiel an, dass die gesundheitlichen Probleme und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern zunehmen. Das hat die Analyse zur gesundheitlichen und sozialen Situation von Schulanfängern gezeigt. Leider bietet die Landesregierung aber keine Antwort auf die von Fachleuten erhobene Forderung nach Reihenpflichtuntersuchungen weit vor dem Schuleintrittsalter.

Meine Damen und Herren! Ein weiteres Problem bleibt mittelfristig die Entwicklung der Krankenhäuser. Die Landesregierung schätzt zwar zutreffend ein, dass noch ein erhebliches Bau- und Investitionsvolumen zu bewältigen sei. Bis zum Jahre 2004 wird dies vom Bund auch noch finanziell unterstützt. Würde jedoch vom Land jetzt bei der Kofinanzierung gekürzt, was angesichts aktueller Spardiskussionen keineswegs eine unrealistische Befürchtung ist, bliebe nach 2004 das Land allein in der Finanzierungspflicht. Dies kann man wohl nur als „Sparen um jeden Preis” bezeichnen.

Zusammenfassend kann ich sagen: In der Antwort auf die Große Anfrage vermisst die PDS-Fraktion in vielen Bereichen eine klare gesundheitspolitische Kursbestimmung der Landesregierung und des Gesundheitsministers. Ob beim Arzneimittelbudget, ob bei der Positivliste, die Sie, Herr Ziel, nun überhaupt nicht mehr wollen, ob bei der Unterstützung der Gesundheitszentren, beim Rettungsdienst - es sieht vieles mehr nach Durchlavieren und Aussitzen als nach der zielstrebigen Beseitigung von Problemen aus.

Meine Damen und Herren, ich denke, wir werden uns weiter sehr intensiv und kritisch mit der Entwickung der gesundheitspolitischen Versorgung zu beschäftigen haben. Schon in der nächsten Woche wird zur ambulanten Versorgung eine Anhörung der entsprechenden Gremien im Fachausschuss stattfinden. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Wir sind damit bei der SPD. Das Wort geht an den Abgeordneten Kallenbach.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das

deutsche Gesundheitswesen ist teuer und leistet, gemessen an seinen Kosten, nur Mittelmaß. - Das ist die Aussage des Rankings der WHO. Karl W. Lauterbach, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie der Universität Köln und Mitglied des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, umschreibt diesen Zustand sehr populär, wenn er behauptet, dass die Bürger einen Mercedes bezahlen, aber nur einen Golf fahren. Mit anderen Worten: Zwischen dem finanziellen Aufwand und der Bewertung der medizinischen Betreuung besteht in Deutschland eine erhebliche Diskrepanz.

Meine Damen und Herren, dieser Aussage haben sich in der Zwischenzeit Fachvertreter angeschlossen. Unbestritten ist für alle, dass die Qualität des Gesundheitswesens nicht Mittelmaß ist. Wir verfügen über ein innovatives, leistungsfähiges Gesundheitssystem, ein System, in dem hoch qualifizierte Ärztinnen und Ärzte, betreuendes und technisches Personal ihr Bestes leisten. Die Ausstattung der Krankenhäuser ist größtenteils vorbildlich und die Krankenkassen bemühen sich um optimalen Service.

Aber das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt alles noch zu unökonomisch und damit zum Teil ineffizient. Wirtschaftlichkeitsund Leistungsreserven liegen in diesem System brach. Diese gilt es zu erschließen.

Meine Damen und Herren! Alle eingeleiteten und alle künftigen Reformen im Gesundheitswesen basieren auf dem Bekenntnis zum Solidaritätsprinzip. Darunter verstehen wir Sozialdemokraten, dass jeder Mensch ein Recht auf die professionelle Behandlung seiner Krankheit hat, unabhängig von der Art und Dauer und vom Schweregrad und unabhängig davon, ob er seine Behandlung bezahlen kann.

Das Risiko, akut oder chronisch krank zu werden, kann jeden Menschen treffen. Es ist Ausdruck von Humanität, dass der finanziell Leistungsstärkere den Schwächeren unterstützen muss. Das heißt auch, dass der Gesunde durch seine Krankenkassenbeiträge die Behandlung des Kranken mitfinanziert.

Die brandenburgische SPD-Landtagsfraktion stimmt mit der Bundesgesundheitsministerin in der Auffassung überein, dass genau diese Akzeptanz unseres solidarischen Systems nur gefestigt werden kann, wenn mit den vorhandenen finanziellen Mitteln äußerst sparsam und effizient umgegangen wird.

Ein erster Schritt in dieser Richtung heißt, Gesundheitspolitik dort anzusetzen, wo Krankheiten in status nascendi sind, also im Bereich der Prävention. Es geht um gezielte Vorbeugung, um Gesundheitserziehung, Aufklärung und Selbsthilfe.

Experten gehen davon aus, dass im Bereich der Prophylaxe ökonomische Reserven liegen, die in die Milliarden gehen. Das trifft insbesondere auf die großen Volkskrankheiten im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems, des Stütz- und Bewegungsapparates, der Stoffwechselkrankheiten, vor allem des Diabetes, oder die Abhängigkeitserkrankungen zu. Hier setzen bereits die lobend hervorzuhebenden Bemühungen der gesetzlichen Krankenkassen an.

Aber auch das Land nimmt seinen Auftrag zur Gesundheitsförderung in vielen Bereichen wahr. Ich erinnere an die vielfältigen Präventionsmaßnahmen auf kommunaler Ebene, wie die be

kannten Vorbeugungsuntersuchungen in Kindertagesstätten, schulärztliche Untersuchungen oder systematische Zahnuntersuchungen. Eine herausragende Stellung nimmt die Zentralstelle für Suchtprävention mit ihren sechs überregionalen Koordinationsstellen ein.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Landesregierung hat die Große Anfrage der PDS-Fraktion umfangreich und mit gebotener Sachlichkeit beantwortet, trotz aller Spitzfindigkeiten der Fragesteller. Auf der Grundlage der Ihnen vorliegenden Antwort möchte ich mich daher auf einige Schwerpunkte und Konfliktbereiche der medizinischen Versorgung in den neuen Bundesländern und speziell in Brandenburg konzentrieren. Anzumerken ist dabei, dass wir in diesem Politikfeld wie kaum anderswo von der Bundesgesetzgebung abhängig sind.

Mit der Landesregierung stimmt die SPD-Fraktion darin überein, dass die Qualität der medizinischen Versorgung in Brandenburg weitestgehend den Stand der alten Bundesländer erreicht hat. Nach einer Studie des Bundesgesundheitsministeriums trifft diese Aussage auch für die ambulante Versorgung zu. Im stationären Bereich gibt es allerdings noch Defizite in Bezug auf Bausubstanz und die apparativ-medizinische Ausstattung.

Mit dem Abschluss des Krankenhausinvestitionsprogramms im Jahre 2004 wird sich dieser Zustand zwar deutlich verbessert haben; der Finanzbedarf für Sanierung und Neubau wird dann aber immer noch über dem der alten Bundesländer liegen. Deshalb unterstützt die SPD-Fraktion nachdrücklich die Bemühung der Landesregierung, eine Verlängerung der Förderung von Krankenhausinvestitionen im Rahmen des Aufbaus Ost zu erreichen.

Objektive Probleme gibt es im Bereich der ambulanten Patientenversorgung im Land Brandenburg aufgrund einer inhomogenen territorialen Arzt-Patienten-Relation. Während in den Ballungsgebieten eher eine haus- und fachärztliche Überversorgung stattfindet, müssen unsere Bürger in den ländlichen Randgebieten vereinzelt sehr große Mobilität entwickeln, um in den Genuss einer medizinischen Behandlung zu kommen.

Es muss Aufgabe der Politik sein, gemeinsam mit den berufsständischen Vertretungen Modelle zu entwickeln und Anreize zu schaffen, damit die Patienten in den ländlichen Regionen optimal versorgt werden können. Die Politik muss und kann Hilfestellung geben, um zu vermeiden, dass immer mehr junge Mediziner es vorziehen, sich wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten in den alten Bundesländern niederzulassen.

Nur wenn es gelingt, in absehbarer Zeit eine Angleichung der Honorare Ost an die Honorare West zu erreichen, wird diese verhängnisvolle Entwicklung aufzuhalten sein. Die Bundesgesundheitsministerin hat dieses Problem aufgegriffen und erste Schritte zur Erhöhung der Honorareinnahmen eingeleitet. Die Einführung des Wohnortprinzips lässt für die ostdeutschen kassenärztlichen Vereinigungen eine Vermehrung des Honorars um jährlich 130 Millionen DM erwarten.

Auch die für dieses Jahr noch geplante Anpassung der Gebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte an die Besoldung im öffentlichen Dienst und die Bezugnahme auf eine optimierte Grundlohnsummenentwicklung für Honorare sind erste positive Schritte.