Protokoll der Sitzung vom 21.06.2001

nicht das Innenministerium. Es kann nicht sein, dass eine solche Regelung, die der Stärkung der gemeindlichen Selbstverwaltung dienen soll, dem Ziel einer zentralistisch geprägten Strukturreform geopfert wird. Das sind genug Anregungen, um die Diskussion im Innenausschuss fortzusetzen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Herr Abgeordneter Schippel, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Kollege Sarrach hat zum Schluss die Katze aus dem Sack gelassen. Ihm geht es nicht um eine Rechtsverordnung oder Ähnliches. Es geht wieder darum, die Gemeindereform dazu zu benutzen, den Bürgern zu sagen: Das ist Unsinn, das ist unsicher, das ist undemokratisch.

(Zurufe des Abgeordneten Prof. Dr. Bisky und der Abge- ordneten Frau Osten [PDS])

Diese Palette steht dahinter. Um mehr geht es nicht. Wenn ich den Antrag lese, sehr geehrte Frau Osten, dann steht dort, dass die Landesregierung aufgefordert wird, von dem Recht ihrer Ermächtigung Gebrauch zu machen.

(Zurufe des Abgeordneten Prof. Dr. Bisky und der Abge- ordneten Frau Osten [PDS])

Was ist denn das für ein Antrag? Sie stellen selber fest, dass es in der Ermächtigung der Landesregierung liegt, eine Verordnung auszuarbeiten oder nicht. Wenn sie dieses Recht nicht wahrnimmt, dann ist das Sache der Landesregierung

(Zuruf der Abgeordneten Frau Osten [PDS])

und nicht Sache des Parlamentes. Auf der anderen Seite beschweren Sie sich oft genug, Frau Osten, dass die Landesregierung uns über den Weg der Verordnung aushebeln will. Jetzt fordern Sie sie dazu auf. Irgendetwas stimmt da nicht. Es ist Sache des Innenministers, ob er dazu eine Verordnung herausgibt oder nicht. Es ist nicht Sache des Parlamentes.

(Frau Osten [PDS]: Besser wäre, er täte es.)

Es gibt keinerlei Forderung der kommunalen Spitzenverbände nach einer Verordnung. Sie sind alle zufrieden. Es liegt kein Gerichtsurteil vor, das irgendeine Verordnung fordert. Was wollen Sie denn eigentlich?

(Vogelsänger [SPD]: Unruhe stiften!)

Wir wollen Normen und Standards abbauen. Durch eine zusätzliche Verordnung bauen wir Normen und Standards nicht ab, im Gegenteil! Entscheiden Sie sich einmal! Es gibt in keinem anderen Bundesland entsprechende Rechtsverordnungen. Ich weiß nicht, woher Sie manche Dinge nehmen.

Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, um Sie zu beruhigen: In

Kürze soll irgendwann die Gemeindeverordnung überarbeitet werden. Wenn wir die Mosaiksteinchen zusammengetragen haben, dann sind wir eventuell bereit, Ihren Antrag mit in den Ausschuss zu nehmen.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Bisky [PDS])

Im Moment sehen wir überhaupt keinen Grund dazu und lehnen ihn ab.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an die DVU-Fraktion. Herr Abgeordneter Claus, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der PDS-Fraktion geht es offenbar in ihrem vorliegenden Antrag darum, der Einleitung und Durchführung von Bürgerentscheiden durch Erlass einer Rechtsverordnung einen festen Rahmen zu geben. Die DVU-Fraktion im Landtag Brandenburg stimmt diesem Antrag zu. Warum? Auch unsere Fraktion ist der Ansicht, dass der Erlass einer solchen Verordnung den Interessen der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande dient.

Angesichts der in der Aktuellen Stunde der letzten Sitzung dieses Hauses zum Thema Jugendarbeitslosigkeit von der SPDFraktion behaupteten gefährlichen geistigen Nähe von PDS und DVU ist allgemein wegen des Tatbestandes unserer Zustimmung an dieser Stelle erst einmal Folgendes klarzustellen: Auch diese Zustimmung ist nicht etwa Ausdruck dessen, dass unsere DVU-Fraktion von den sozialistischen Vorstellungen der PDSFraktion sozusagen bekehrt oder - umgekehrt - die PDS-Fraktion unsererseits von den Modellen der freiheitlichen und sozialen Bürgergesellschaft überzeugt wurde. Nein, die PDS-Fraktion ist und bleibt - Sie, Herr Abgeordneter Bisky, betonen das ja immer wieder - dem Sozialismus verbunden.

(Prof. Dr. Bisky [PDS]: Das ist doch gut so!)

Wir als DVU-Fraktion hingegen formulieren unsere Politik auf den Grundlagen der freiheitlichen, demokratischen und sozialen Bürgergesellschaft, also der Freiheit des Einzelnen, der Achtung dieser Freiheit und der sozialen Verantwortung.

Das sind bekanntlich zwei völlig verschiedene politische Grundsätze des Menschenbildes und der Politik.

Nun aber zurück zum Bürgerentscheid: Die Freiheit des Einzelnen umfasst zugleich die Teilhabe an der Demokratie. Diese Teilhabe kann aber nur bedeuten, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nicht alle paar Jahre einmal zur Wahl aufgerufen werden. Sie bedeutet ebenfalls, dass die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzt werden, jederzeit zu Fragen, die sie betreffen und interessieren, Stellung zu beziehen, ja Entscheidungen durch die politisch Verantwortlichen herbeizuführen. Anders lässt sich die Kontinuität der erlebten Teilhabe der einzelnen Bürgerinnen und Bürger an der Demokratie und an der Gestaltung der Lebensverhältnisse in unserem Lande nicht gewährleisten.

Ein Instrument zur Verwirklichung dieser erlebten Teilhabe sind Bürgerrechtsentscheide. Damit kommt dem Instrument des Bürgerrechtsentscheids für die Entwicklung der Demokratie in unserem Lande eine wesentliche Bedeutung zu.

Die in § 20 Abs. 7 der Gemeindeordnung des Landes Brandenburg vorgesehene Rechtsverordnung zur Durchführung von Bürgerentscheiden fehlt allerdings seit ihrem In-Kraft-Treten im Jahre 1993. Die Landesregierung hat also bereits acht Jahre lang von ihrer Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht. Allerdings muss auch hier Rechtssicherheit herrschen. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes müssen wissen, wann, auf welchem Weg und in welcher Form sie ihr Recht wahrnehmen können. Damit besteht ein praktisches Bedürfnis für den Erlass einer solchen Rechtsverordnung seitens der Landesregierung. Daher ist es mehr als an der Zeit, dass die Landesregierung hier tätig wird, damit eine solche Rechtsverordnung erlassen werden kann, im Interesse der Teilhabe der Bürger und im Interesse der Rechtssicherheit.

Dem dient der vorliegende Antrag der PDS-Fraktion. Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes stimmen wir ihm zu. - Danke.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort geht an die CDU-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Petke.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es vorweg zu sagen: Wir lehnen den Antrag der PDS ab, und zwar aus folgenden Gründen:

Wir sind weder durch den Antrag noch durch die kommunale Praxis davon überzeugt, dass diese Rechtsverordnung notwendig ist. Gegenwärtig wird - das haben wir heute bei vielen Tagesordnungspunkten gesehen - über den Abbau von Normen und Standards, auch über den Abbau von ministeriellen Vorgaben für die kommunale Ebene, sozusagen über den Abbau von ministerieller Einmischung, geredet. Sie wollen sich hier im Hohen Haus ja immer zum Vorkämpfer der kommunalen Selbstverwaltung machen. Vor diesem Hintergrund ist es eben nicht einsichtig, dass Sie nun die Exekutive mit Ihrem Antrag dazu bewegen wollen, eine Rechtsverordnung zu erlassen.

Kollege Sarrach, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, Sie haben beklagt, das Gemeindereformgesetz sei nicht ausreichend diskutiert worden. Das Gemeindereformgesetz war ein Artikelgesetz. Wir haben in drei Gesetze eingegriffen: Gemeindeordnung, Amtsordnung und Kommunalwahlgesetz. Wenn es in der Praxis so unmöglich ist, in Brandenburg gegen die Allmacht unserer kommunalen Verwaltungen in den Ämtern und Kreisen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide durchzuführen, dann verwundert mich schon, warum Sie nicht schon damals im Wege des Antragsrechts oder im Innenausschuss dieses Problem thematisiert und es nicht schon damals auf die Tagesordnung gesetzt haben. Im Rahmen unserer damaligen ausführlichen Diskussion des Gemeindereformgesetzes hätten wir na

türlich auch darüber gesprochen, ob es notwendig ist, die Gemeindeordnung in diesem Punkt zu ergänzen.

(Zuruf von der PDS: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Herr Kollege Sarrach, als Jurist sind Sie ja sozusagen mitten in der Materie. Sie sagen, die Leute hätten Angst, vor dem Verwaltungsgericht zu klagen. Für mich als Zuhörer hat sich das so dargestellt, als hätten die Leute Angst, ihr Recht nicht durchsetzen zu können.

Im Rahmen der Gemeindereform hat es zahlreiche Bürgerentscheide gegeben, die auch genehmigt worden sind. Mir ist nicht ein Fall bekannt, dass wir im Land ein Bürgerbegehren oder einen Bürgerentscheid mit einer Streitigkeit haben, die vor dem Verwaltungsgericht anhängig ist. Auch in der Hochzeit der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide - bei allen Gemeinden, die sich freiwillig zusammenschließen und 5 000 Einwohner nicht übersteigen, ist ja nach der Gemeindeordnung diese Form zwingend vorgesehen - hat es nirgends solche Streitigkeiten gegeben. Jedenfalls hat mich noch keine Nachricht erreicht, dass eine Klage vor dem Verwaltungsgericht anhängig ist.

Eine letzte Bemerkung an die PDS und an den Kollegen Sarrach: Natürlich besteht in der Freiwilligkeitsphase ein Spannungsverhältnis zwischen Bürgerbegehren und Bürgerentscheid auf der einen und der Gemeindereform auf der anderen Seite. Die Gemeindereform stimmt nicht immer mit dem überein, was Einzelne artikulieren, und vielleicht auch nicht immer mit dem, was an einigen Stellen des Landes mehrheitlich artikuliert wird. Aber die Gemeindereform wird nun einmal den Betroffenen im Lande ein Mindestmaß an Solidarität abverlangen, und auch das Gesetz, die Gemeindeordnung, trägt dem bereits Rechnung. Denn es gibt eben nicht nur den § 20, der von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid spricht, sondern es gibt im § 9 auch eine Passage, die besagt, dass das Ministerium des Innern freiwillige Gemeindezusammenschlüsse genehmigen muss. Der Gesetzgeber wird sich schon etwas dabei gedacht haben, hier einen solchen Genehmigungsvorbehalt einzuführen. Deshalb kann man auch nicht einfach sagen: Ihr müsst nur ein Bürgerbegehren oder einen Bürgerentscheid durchführen und dann werdet ihr letzten Endes euer Recht bekommen.

Hier besteht also ein Spannungsfeld. Im Gegensatz zu Ihnen stellen wir uns diesem Spannungsfeld in der Diskussion hier im Landtag, aber auch im Land selbst. Aber der Antrag ist aus unserer Sicht nicht zustimmungsfähig und wird deshalb von uns abgelehnt.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, noch eine Frage zu beantworten?

Bitte sehr!

Herr Kollege Petke, empfinden Sie es nicht als Armutszeugnis, dass Sie als innenpolitischer Sprecher nicht erfahren haben, dass in diesem Land beispielsweise das Verwaltungsgericht Cottbus, das Verwaltungsgericht Potsdam und das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) Unklarheiten im Umgang mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden hier in Brandenburg regeln müssen und dass nach wie vor eine große Unsicherheit im Umgang mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden herrscht?

Herr Kollege, eines habe ich lernen müssen, aber auch lernen wollen: dass man zuhören muss.

(Sarrach [PDS]: Das haben Sie eben wohl auch nicht!)

- Herr Kollege Sarrach, ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, Sie hätten etwas Falsches behauptet. Ich habe auch nicht gesagt, dass es keine Klagen gibt. Ich habe lediglich gesagt: Im Wege freiwilliger Gemeindezusammenschlüsse, in der Phase der Freiwilligkeit der Gemeindereform, sind mir keine Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten bekannt. Wir haben natürlich aufgrund der Gemeindereform und weil das Gesetz die Bestimmung enthält, für Gemeinden mit weniger als 5 000 Einwohnern müsse es die Möglichkeit eines freiwilligen Zusammenschlusses geben, mehr Bürgerbegehren und mehr Bürgerentscheide, als wir sonst möglicherweise im Lande hätten.

Dass es in der Vergangenheit bei anderen Fragen Klärungsbedarf gegeben hat, mag sein und das ist mir auch bekannt. Ich beklage dies aber nicht und ich denke, Sie als ausgebildeter Jurist können dies auch nicht beklagen. Wenn wir im Wege einer Rechtsverordnung alle Zweideutigkeiten abschaffen könnten, wäre ja Ihr Berufsstand überflüssig.

Für die Landesregierung hat nun der Herr Innenminister das Wort.