Protokoll der Sitzung vom 12.07.2001

Um unsere wirtschaftliche Entwicklung wirksam voranbringen zu können, brauchen wir im Land ein Investitionsklima, ein Klima des sozialen Friedens, möglichst wenig ausgegrenzte, nichtbeteiligte Bürger im Land. Wir brauchen den zweiten Arbeitsmarkt.

(Zuruf von der PDS: Wir brauchen mehr Emotionen.)

- Wir brauchen positive Emotionen, ja, das ist völlig richtig. Es ist schon sehr erstaunlich. Wenn wir uns Umfrageergebnisse zu wirtschaftlichen Situationen angucken, dann haben wir insbesondere in den neuen Bundesländern den Effekt, dass die Mehrzahl auf die Frage, wie wird sich die wirtschaftliche Lage entwickeln, bedenklich den Kopf schüttelt und sagt: Na ja, ganz schwierig, ganz schwierig.

Auf die Frage: Wie geht es dir persönlich und deiner Familie?, antwortet die Mehrzahl der Befragten: Deutlich besser als früher.

(Zuruf von der PDS: Die sind bescheiden.)

Das ist positiv und eine gute Brandenburger Eigenschaft - ich weiß nicht, ob Primär- oder Sekundärtugend. Aber ich glaube, das hat auch noch andere Gründe. Das hat damit zu tun, dass die hohen Transferraten eine Abhängigkeit der neuen Bundesländer von den alten dokumentieren; teilweise auch der Bürger vom Staat. Dies führt zwar zu einer hinreichenden Ausstattung in den

Familien, aber auch zu einer Einschätzung der Gesamtlage, die aussagt: Wir haben Bedenken.

Dahinter steckt die vielleicht unterbewusste Erkenntnis: Diese Entwicklung trägt sich noch nicht selbst. Was wir brauchen, ist eben eine Entwicklung, die sich selbst trägt, eine Entwicklung, die den Bürgern dann auch die Sicherheit vermittelt: Die gesamtwirtschaftliche Lage geht nach oben. Vielleicht hat aber auch die Politik selbst ihren Anteil an dieser Denkweise der Bürger. Hat Politik vielleicht zu oft den Eindruck erweckt, sich um alles und jedes Detail im Leben der Menschen kümmern zu sollen, zu müssen und auch zu wollen?

(Frau Gregor [SPD]: Und zu können.)

Ich glaube, das hilft uns nicht. Zu viele geweckte Erwartungen lähmen die Eigeninitiative der Menschen. Stärkung der Selbsthilfe ist ein gutes Wort. Wir haben für manche Themen im Lande Selbsthilfegruppen. Ich will das Wort nicht bekämpfen. Dahinter steckt aber eigentlich nichts anderes, als dass sich Bürger in einem Ort zusammensetzen und sagen: Wir organisieren einmal die Lösung der Dinge, die wir für problematisch halten, selbst.

Das müsste eigentlich normal und überall die Ausgangslage sein. Selbsthilfe als Begriff vor diese Gruppe gesetzt, unterstellt ja, sie seien von irgendwem verlassen worden, das unterstellt indirekt aber auch von wem, nämlich vom Staat, verlassen worden. Ich spreche hiermit - ich will es nicht weiter vertiefen eine ganz schwierige Balance an zwischen der Verantwortung, die der Staat, die die Verwaltung wahrnehmen müssen, und den Spielräumen, die wir den Leuten lassen müssen, um ihre Probleme, ihre organisatorischen Fragen selbst zu lösen.

Wenn wir uns die Feuerwehren angucken, dann haben wir ein hervorragendes positives Beispiel. Dort gibt es ein Grundverständnis, dass die Hilfe für den Nachbarn, wenn es brennt, als völlig selbstverständlich betrachtet wird. Diese Einstellung würde ich mir in vielen anderen Bereichen auch wünschen.

Ein investitionsfreundliches Klima im Land beinhaltet aber mehr. Der Ruf Brandenburgs, gewalttätig und rechtsextrem zu sein, ist mindestens genauso schädlich. Auch hier kann der Staat Rahmenbedingungen setzen und Weichen stellen. Aber er kann es nicht verhindern, dass sich Bürger - und meistens sind es dann wieder Jugendliche - in die Haare kriegen und so verprügeln, dass sie krankenhausreif sind. Dahinter steckt keine Aufforderung der Politik.

Die Politik muss hier helfen, dass dieses Problem als eines der Bürgerschaft insgesamt erkannt wird. Nicht wegsehen - hinsehen! Aufklären! Nicht immer nur auf die Jugendlichen schimpfen! Denn wo haben diese ihre Beispiele her? - Von der Erwachsenengeneration. Wer erzieht die Generation der Eltern? Für die Jugend sind ja die Lehrer zuständig, wie wir wissen. Diese haben damit eine schwierige Aufgabe. Aber die Vorbildwirkung müssen die Erwachsenen insgesamt zeigen. Hier sollte jeder Erwachsene sein eigenes Verhalten überprüfen. Verbreite ich um mich herum eine Atmosphäre von Toleranz, von Großzügigkeit, von Mitmenschlichkeit, dann werden auch „fremde”, dann werden auch auswärtige Investoren gern nach Brandenburg kommen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Der dem Osten inoffiziell, aber häufig gemachte Vorwurf, ein Fass ohne Boden zu sein, ist von uns eigentlich nie unwidersprochen geblieben. Aber es konnte schon das eine oder andere Mal der Eindruck erweckt werden, dass im Osten mitunter großzügig mit dem Gelde umgegangen wird. Wir haben gestern über die LEG debattiert. Ich denke, es setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass die bestellten Leistungen der vergangenen Jahre jetzt nachfinanziert werden müssen. Das ist auch nur fair. Man kann nicht Dinge in Auftrag geben, ohne die Finanzierung sicherzustellen. Wir holen das nach. Die Gegenwerte für die Ausgaben sind in der Brandenburger Landschaft vorfindbar. Es ist eben nicht alles in den märkischen Sand gesetzt, was die LEG gemacht hat. Das ist, glaube ich, neben aller auch berechtigten Kritik, die gestern geäußert wurde, festzuhalten und genauso richtig.

Mit der Zusage der Hilfen bis 2020 haben wir einen Vertrauensbonus erhalten, dessen wir uns würdig erweisen müssen. Wir müssen ihn einlösen. Wir haben die Möglichkeit, in den nächsten 19 Jahren zu beweisen, dass wir sehr wohl in der Lage sind, solidarische Hilfe effektiv einzusetzen und die zweite Hälfte des Weges der Angleichung der Lebensverhältnisse eigenverantwortlich zu bewältigen, eine eigenständige Entwicklung, die sich in die bundesdeutsche und europäische Entwicklung integrieren muss.

Dazu gehört auch das Thema Länderfusion mit Berlin. Ich bin froh, dass Klaus Wowereit an jeder Stelle betont: Wir bleiben bei den Absprachen. Wir bleiben beim Flughafenprojekt. Wir bleiben bei der Absicht, die beiden Sender zu fusionieren. An der Stelle würde ich noch einen Schritt weitergehen. Er sagt, vor 2009. Ich will ganz deutlich sagen, dieses muss vor 2006 passieren; denn dieses gemeinsame Heimatgefühl, das wir brauchen, kann ein gemeinsamer Sender gut unterstützen. Wenn uns das gelänge, könnten wir sagen: Das ist das, was wir uns gewünscht haben.

Meine Damen und Herren, mit dem endgültigen Auslaufen des Solidarpaktes II soll die deutsche Vereinigung innerhalb einer Generation vollzogen werden, nicht im Stil von blühenden Landschaften in fünf Jahren; diese Illusion haben wir schon lange nicht mehr. Wir werden innerhalb einer Generation trotz aller verbleibenden Unterschiede zwischen Nord und Süd und Ost und West die deutsche Einheit vollenden. Wenn es uns gelingt, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse trotz aller notwendigen Vielfalt in diesem Zeitraum zu schaffen, dann ist das immer noch eine historische Leistung der Solidarität unseres Volkes, die beispiellos in unserer Geschichte ist.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Fritsch und erteile jetzt der Fraktion der PDS das Wort. Frau Abgeordnete Osten, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Fritsch, ich muss jetzt nach Ihrer Rede erst einmal fragen: Wir sind jetzt bei der Aktuellen Stunde mit dem Thema „Solidarpakt II - Chancen für den Osten”? Ist das richtig? Das habe ich jetzt nicht mehr so ganz verstanden. Über die Vorbildwirkung der Erwachsenen

können wir immer reden, da stehe ich natürlich auch zur Verfügung.

Bei der Auswahl der Themen für die Aktuelle Stunde ist in unserer Fraktion schon ein gewisses Schmunzeln vorgekommen. In der vergangenen Sitzung gab es von der SPD einen Antrag, um auf einen gerade erschienenen Bericht der Landesregierung reagieren zu können. Heute geht es um eine bundespolitische Entscheidung, nämlich zum Länderfinanzausgleich und zum Solidarpakt II. Es ist schon verwunderlich, was man so alles als aktuelle Themen versteht. Ich bin gespannt, ob Sie sich auch in dieser Aktuellen Stunde weiter darauf konzentrieren werden,

(Unruhe bei der SPD)

die eigenen Leistungen zu loben und die Visionen darzubieten,

(Klein [SPD]: Die LEG haben Sie uns ja weggenommen!)

ohne konkret zu sagen, was Sie machen wollen.

(Beifall bei der PDS)

- Mir scheint, in Ihrer Fraktion, Herr Klein, ist die Sicht auf aktuelle Probleme im Lande und vor allen Dingen auf die Problemlösungen in großem Maße abhanden gekommen. Wenn Ihnen dann einige Probleme - da können wir ruhig Bezug auf gestern nehmen - durch die PDS präsentiert werden, gibt es von Ihnen bald die Methode wie im Mittelalter. Die war nämlich so: Der Überbringer der schlechten Nachrichten wurde geköpft. Gut, wir wurden gestern nicht geköpft, aber wir wurden beschimpft und für schuldig erklärt.

(Klein [SPD]: Frau Osten, Sie haben vergessen, was ich gesagt habe. Wir hätten dieses Thema heute gebracht!)

- Ich kann mich jetzt leider nicht mit Ihnen unterhalten.

(Beifall bei der PDS)

Ich gestehe Ihnen auch einen gewissen Mut zu, denn wenn man mit Millionenverlusten im Rücken die Solidaritätsleistungen anderer feiert, das hat dann schon etwas, muss ich sagen.

Aber schließlich haben wir heute ein ernstes und Gott sei Dank auch erfreuliches Thema zu diskutieren: die Entscheidung der Ministerpräsidentenkonferenz zum Solidarpakt II. Zweifelsohne ist dieses Thema der Aktuellen Stunde eine Chance für den Osten. Da geben wir Ihnen natürlich Recht. Es muss eine Chance für den Osten werden.

Der Kompromiss beim Länderfinanzausgleich und auch zum Solidarpakt II ist ein Ergebnis, das viele so nicht mehr erwartet hatten und das keiner kleinreden will. Alle beteiligten Partner, die Nehmerländer sowieso, die in Karlsruhe klagenden Geberländer und auch der Bundeskanzler - allerdings vermute ich, dessen Finanzminister überlegt schon, wie er das „Verlorene” von den Ländern wieder zurückholt -, haben die Notwendigkeit zu diesem Kompromiss erkannt.

Mit dem Solidarpakt II sind Spekulationen und erhebliche Unsicherheiten über die künftige finanzielle Basis für die Entwicklung im Osten beendet. Die Anerkennung der alten Länder und des Bundes zur Notwendigkeit des Aufbaus Ost und die Pla

nungssicherheit, die wir auch in Brandenburg durch diese Vereinbarungen erhalten, sind in ihrer Bedeutung für die Entwicklung unseres Landes nicht zu unterschätzen. Herr Fritsch hat das schon gewürdigt.

Natürlich beseitigt dieses Ergebnis nicht alle Fragen, geschweige denn die Probleme. So habe ich das Gefühl, dass sich manche mit der Begrenzung auf das Jahr 2019 das leidige Problem Ostförderung endgültig vom Halse schaffen wollen. Auch meine Fraktion kann der Logik nicht ganz folgen, dass der Solidarbeitrag von 20,6 Milliarden DM im Jahre 2005 dann bis zum Jahre 2020 auf null gefahren werden soll. Ich erinnere auch daran, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West nicht nur ein frommer Wunsch von uns ist, sondern Verfassungsgrundsatz.

Wie Herr Fritsch heute und auch gestern schon ausführlich argumentiert hat, geht seit 1995/1996 die Schere zwischen Ost und West wieder weiter auseinander. Vor allem auch aus diesem Grunde hat sich die PDS auf Bundesebene für ein finanziell abgesichertes Sofortprogramm eingesetzt, mit dessen Hilfe im Zeitraum bis zum In-Kraft-Treten des Solidarpakts II sichtbare Veränderungen im Osten möglich wären, nicht nur bei der Verkehrsinfrastruktur, sondern auch bei so wichtigen Themen wie der Bildung.

Beim Solidarpakt II geht es nicht nur um eine große Menge Geld, die bis 2019 in die neuen Länder fließen soll, sondern es geht, und zwar viel stärker als bisher, um den effizienten Einsatz der Mittel. Die PDS findet es gut, dass die neuen Länder künftig Fortschrittsberichte erstellen müssen. Die Ostländer dürfen tatsächlich nicht - da stimmen wir mit Ihnen, Herr Fritsch und Herr Ministerpräsident, voll überein - den Eindruck entstehen lassen, dass hier ein Fass ohne Boden da ist. Zur Transparenz gehört dann aber auch, dass die Rechenschaftslegung über die konkreten Vorhaben und die Verwendung der Mittel des Solidarpaktes eingehalten wird. Eigenverantwortung heißt dann vor allen Dingen, dass die Landespolitiker in der Lage sind, Prioritäten zu setzen, die eine künftige strukturelle Entwicklung in diesem Lande möglich machen. Darin sehe ich eigentlich das größte Problem. Denn Chancen durch den Solidarpakt II zu haben heißt noch lange nicht, dass die Chancen hier in Brandenburg auch genutzt werden. Ich erinnere ungern an Pleiten, Pech und Pannen der Landesregierung, die uns allen in den letzten Jahren bereits Milliarden gekostet haben.

Wir fordern erneut, deutliche Prioritäten im Rahmen der Haushaltsdebatte zur Sicherung zukünftiger, höherer Einnahmen zu setzen und ein konkretes Programm der Landesregierung zur Angleichung von ost- und westdeutschen Lebensbedingungen als dringende Voraussetzung für die Umsetzung dieses Solidarpaktes II zum Vorteil der Brandenburgerinnen und Brandenburger vorzulegen. Diese Hausaufgaben, Herr Ministerpräsident, sind hier im Lande zu erledigen. Nur gute Worte reichen nicht. Ihre Regierung muss kompetente Politikziele und Wege zu ihrer Umsetzung formulieren. Ich fordere Sie deshalb auf: Benennen Sie endlich Ihre Schwerpunktvorhaben zur Angleichung der Lebensverhältnisse, und zwar nicht nur als Vorsitzender des Ostforums so allgemein für alle Länder, sondern sehr konkret als Ministerpräsident in Verantwortung für dieses Land zum Wohle der Menschen in diesem Land! - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Osten. - Das Wort geht an die Fraktion der CDU. Frau Abgeordnete Blechinger, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits 1999 war erkennbar, dass es eines neuen Solidarpaktes bedarf. Die Situation war aber 1999 eine andere als 1992. Die ostdeutschen Länder mussten eine qualifizierte Begründung erarbeiten, um die Größenordnung für einen Solidarpakt II zu benennen. Deshalb wurden von den ostdeutschen Ländern mehrere Wirtschaftsinstitute beauftragt, den teilungsbedingten Sonderbedarf zu ermitteln, um den nach 2004 weiter bestehenden Anspruch der neuen Länder auf eine Sonderfinanzausstattung qualifiziert zu begründen.

Der bereits im März 2000 vorgelegte erste Zwischenbericht zeigte, dass trotz aller erreichten Fortschritte auch nach dem Jahr 2004 teilungsbedingter Sonderbedarf der neuen Länder weiter bestehen wird. Als Schwerpunktbereich wurde hierbei die Infrastruktur benannt. Der Sonderbedarf der neuen Länder wurde auf etwa 300 Milliarden DM geschätzt.

Die Regierungschefs der ostdeutschen Länder verständigten sich auf der Basis der Gutachten zu gemeinsamen Grundsätzen für den weiteren Abbau der teilungsbedingten Sonderlasten, um diese gegenüber der Bundesregierung zu vertreten.

Zähe, langwierige, monatelange Verhandlungen, die parallel mit den Neuregelungen zum Länderfinanzausgleich liefen, brachten die nunmehr vorliegende Einigung zustande.

Zum Abbau der Nachholbedarfe erhalten die neuen Länder von der Bundesregierung im Zeitraum bis 2019 insgesamt 206 Milliarden DM. Hinzu kommen Leistungen in Höhe von insgesamt 100 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt.

Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse der Verhandlungen zum Solidarpakt II und zum Länderfinanzausgleich haben gezeigt, dass der Aufbau Ost weiterhin von allen Ländern und dem Bund solidarisch mitgetragen wird. Damit ist es gelungen, bis zum Jahre 2020 wichtige Eckdaten für unseren Landeshaushalt verlässlich festzustellen. Ich möchte an dieser Stelle der Landesregierung, besonders aber Ihnen, Herr Ministerpräsident, im Namen meiner Fraktion herzlich danken.

(Beifall bei CDU und SPD)