Protokoll der Sitzung vom 07.03.2002

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Ja, natürlich!)

und im weitesten Sinne sogar die Gesundheits- und Rentenpolitik einbeziehen. Ich würde dies gern tun, Frau Kaiser-Nicht, habe hier aber nur 15 Minuten Zeit dafür und meine, dass man, wenn man dieses Thema so komplex behandeln wollte, drei Aktuelle Stunden nacheinander durchführen müsste. Nicht vergessen werden dürfte dabei, dass die Höhe der Nebenkosten einen entscheidenden Anteil an der Schaffung von Arbeitsplätzen hat.

Reden wir also über Arbeitsvermittlung und damit über ein Thema, das in den letzten Wochen für gehöriges Aufsehen in der politischen Öffentlichkeit unserer Republik sorgte:

Die Bundesanstalt für Arbeit hat sich ihre Vermittlungsbemühungen schön gerechnet und ist mit dieser mathematischen Akrobatik aufgeflogen. Bernhard Jagoda und andere sind gegangen. Florian Gerster ist gekommen und es scheint so, als ob nun in der Behörde in Nürnberg kein Stein mehr auf dem anderen bleibt.

Ein moderner Dienstleister soll entstehen, der sich auf seine Kernaufgaben - mit der Arbeitsvermittlung im Zentrum - konzentriert und nach einem leistunsfähigen kundenorientierten

Unternehmensmanagement geführt wird. Von der Ausgliederung der Kindergeldzahlung und der Bekämpfung illegaler Beschäftigung ist die Rede.

Weitere, über die Regelungen des Job-AQTIV-Gesetzes hinausgehende Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsvermittlung stehen zur Diskussion. Für Qualität und Kundenorientierung soll die verstärkte Akquisition von Stellen in den Betrieben und ihre rasche Aufnahme in den Arbeitsämtern sorgen.

Durch Umschichtungen innerhalb der Bundesanstalt für Arbeit soll mehr Personal für die Vermittlungstätigkeit bereitgestellt werden und ein umfangreiches Qualitätsmanagement soll künftig die Leistungsfähigkeit der Behörde garantieren.

Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen: Die Debatte - so offen, wie sie jetzt geführt wird - ist richtig und wichtig. Wenn wir den Arbeitsmarkt wirklich reformieren wollen, sollten wir keine Denkverbote aussprechen; denn das Ja zu einer Diskussion bedeutet noch lange nicht, dass man auch mit allen Inhalten einverstanden sein muss.

(Beifall bei der SPD)

Es muss über alle möglichen Dinge gründlich diskutiert werden. Wir müssen diese Auseinandersetzung jedoch ausschließlich das sage ich hier ganz deutlich - im Interesse der Arbeitslosen führen; denn sie erwarten von den Arbeitsämtern zu Recht, schnell wieder in Arbeit vermittelt zu werden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Wie gesagt, besteht zwischen dem Angebot an Arbeitsplätzen und der Arbeitsvermittlung eine Wechselwirkung, die sich auf die Koordinierung eines der ältesten Funktionsprinzipien der Wirtschaft bezieht, nämlich auf Angebot und Nachfrage.

Arbeitslose bieten ihr Engagement und ihre Qualifikationen Unternehmen an, die danach suchen. Umgekehrt bieten Unternehmen Arbeitsplätze an, die von Arbeitslosen nachgefragt werden. Einen in Wirklichkeit komplexen Prozess habe ich jetzt in einem Satz natürlich sehr vereinfacht dargestellt. Klar ist, dass die Vorstellungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern von Voraussetzungen und Rahmenbedingungen abhängig sind, für die wir eine staatlich organisierte Arbeitsvermittlung brauchen, die effektiv und flexibel auf einen sich ständig verändernden Arbeitsmarkt reagieren muss.

Der Bedarf ist vorhanden. Laut einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung über die Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes wurden im Jahr 2000 gerade einmal 44 % der sofort zu besetzenden Stellen in ostdeutschen Unternehmen dem Arbeitsamt überhaupt gemeldet. Das heißt, mehr als die Hälfte aller Angebote wurde den Bemühungen der Arbeitsamtsvermittler von vornherein entzogen. Die Studie kommt des Weiteren zu dem Ergebnis, dass der Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes für den ostdeutschen Arbeitsmarkt eine weitaus höhere Bedeutung als für den Stellenmarkt der alten Bundesländer zukommt. 37 % der Arbeitslosen in den neuen Ländern haben über das Arbeitsamt von einer neuen Stelle erfahren, während es in Westdeutschland nur 19 % waren.

Diese Zahlen verdeutlichen, wie wichtig eine Reform der Ar

beitsvermittlung ist. Sie ist erstens wichtig, weil die Menschen im Osten das Arbeitsamt als Partner bei der Jobsuche viel höher als die Bürger der alten Bundesländer einschätzen, und zweitens, weil das von mir beschriebene Angebots- und Nachfragemodell auf dem hiesigen Arbeitsmarkt empfindlich gestört ist. In diesem Punkte sind wir, Frau Schröder, in unseren Auffassungen sicherlich nicht weit voneinander entfernt.

Den vielen Arbeitswilligen stehen zu wenige unbesetzte Arbeitsplätze gegenüber, die in ihrer Mehrheit noch nicht einmal den Arbeitsämtern gemeldet werden. Eine bessere Arbeitsvermittlung könnte diese Potenziale zumindest teilweise erschließen. Dass sie das Arbeitsmarktproblem in Deutschland nicht lösen kann und auch nicht lösen soll, bedarf sicherlich keiner weiteren Erörterung.

Aus der erwähnten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung lasse ich eine weitere Erkenntnis in diese Debatte einfließen, die die Tätigkeit privater Arbeitsvermittler betrifft:

„Die Hoffnung, dass die vermehrte Zulassung privater Arbeitsvermittlungen die Probleme des Arbeitsmarktausgleichs nachhaltig mindern könnte, erscheint auf kurze Sicht illusionär. Der Weg der Privatisierung der Arbeitsvermittlung wird nur begrenzt weiterhelfen.”

Wer sich ein bisschen mit der gewerblichen Arbeitsvermittlung beschäftigt hat, wird wissen, dass es bei ihr hauptsächlich um Arbeitsuchende, aber selten um Arbeitslose geht, da diese sich nicht in jedem Fall für eine Vermittlung durch Gewerbliche eignen. Die Verantwortung der Arbeitsämter ist deshalb umso höher und die Vermittlung muss auch in Zukunft hauptsächlich von ihnen wahrgenommen werden.

Meine Damen und Herren, lange bevor die Schönfärberei der Bundesanstalt für Arbeit die öffentliche Meinung beherrschte und das Problem der Ineffizienz staatlicher Arbeitsvermittlung auch für nicht Eingeweihte offensichtlich wurde, hatte die Bundesregierung das Problem erkannt und mit einer umfangreichen Änderung des SGB III, dem Job-AQTIV-Gesetz, darauf reagiert. So wurden bei der Bekanntmachung des Gesetzes auch die Reformen besonders hervorgehoben, die die Vermittlungstätigkeit betreffen.

Nach dem Grundsatz „Fördern und fordern” werden künftig Eingliederungspläne für Arbeitslose und größere Entscheidungsspielräume für Arbeitsämter die Vermittlung in reguläre Arbeitsverhältnisse verbessern. Neu ist beispielsweise die Erstellung eines Bewerberprofils, das die Qualifikationen, die Berufserfahrung, die persönlichen Stärken und Schwächen sowie die Weiterbildungsfähigkeit und -bereitschaft des Arbeitsuchenden enthält. Sollte sich unter Umständen daraus die Notwendigkeit einer Qualifizierung ableiten, wird dies zukünftig auch ohne Einhaltung von Wartezeiten möglich sein. Neu ist auch, dass die Träger von ABM, SAM sowie von Maßnahmen zur Berufsausbildung und der beruflichen Weiterbildung mit der Vermittlung der geförderten Teilnehmer beauftragt werden können.

Meine Damen und Herren, schnelle und zielgenaue Vermittlungen werden dem brandenburgischen Arbeitsmarkt jedoch nur bedingt hilfreich sein. Ich habe es schon angesprochen: Das

strukturelle Arbeitsplatzdefizit in den neuen Bundesländern stellt uns vor das Problem, dass einfach nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden sind, in die vermittelt werden kann. Beispielhaft nenne ich Ihnen das Verhältnis im Arbeitsamtsbezirk Cottbus: Auf 100 Arbeitslose kommen genau 2,4 offene Stellen.

Aus diesem Grund ist es für Brandenburg von höherer Bedeutung, dass durch das Job-AQTIV-Gesetz auch die aktive Arbeitsmarktpolitik neu ausgerichtet werden kann. Mit der Einführung des neuen Förderinstruments „Beschäftigung schaffende Infrastrukturmaßnahmen” können Kommunen vom Arbeitsamt projektorientierte Kostenzuschüsse für Arbeiten zur Verbesserung der Infrastruktur erhalten. Auch für den Ersatz von SAM ist mit der Gesetzesänderung die Beschränkung auf bestimmte Infrastrukturmaßnahmen weggefallen. Diesen richtigen Schritt hat Brandenburg schon lange vom Bund gefordert; mit dem Job-AQTIV-Gesetz ist dies nun umgesetzt worden.

Natürlich kann ich heute, am 7. März 2002, also zwei Monate nach In-Kraft-Treten des Job-AQTIV-Gesetzes, noch nicht sagen, ob sich dieses Gesetz bewährt hat. Das wird noch niemand tun können. Dies müssen auch die Damen und Herren der PDS zugestehen, die das in ihrem Antrag gefordert haben. Dafür benötigen wir im Übrigen auch die Ergebnisse der Wirkungsforschung, die ebenfalls Bestandteil des Job-AQTIV-Gesetzes ist.

Neben den Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur hebe ich das Regelinstrument der Jobrotation hervor. 50 bis 100 % der Lohnkosten werden dem Arbeitgeber erstattet, wenn er Arbeitslose für den Zeitraum einstellt, in dem der Beschäftigte an einer Weiterbildung teilnimmt. Dieses Verfahren hat gleich zwei Vorteile: Es ermöglicht dem Arbeitslosen, die für ihn so dringend benötigte Berufserfahrung zu sammeln und nahe am Arbeitsmarkt zu sein, in dem er künftig arbeiten möchte. Für das Unternehmen bedeutet es, durch die Weiterbildungsmaßnahme für den Beschäftigten auch das eigene Humankapital zu erhöhen, ohne für die zwischenzeitliche Besetzung der Stelle aufkommen zu müssen.

Darüber hinaus müssen wir jedoch weiterdenken und uns mit neuen Lösungsansätzen auseinander setzen, die eine Beschäftigungsbrücke für den Osten bauen. Ich denke hier zum Beispiel an eine Jugend- oder Einstiegsteilzeit, durch die in den Betrieben das Arbeitsvolumen auf mehrere Schultern verteilt werden kann und zugleich sichergestellt werden kann, dass die in Zukunft benötigten qualifizierten Fachkräfte vorhanden sind. Solche Gedanken hat Minister Ziel bereits vor einiger Zeit geäußert. Wir werden sie in der Ausschussdiskussion aufnehmen.

Meine Damen und Herren, ich hatte nicht die Absicht, mit meinem Beitrag die Arbeitsplatzsituation in unserem Lande schönzureden oder Ihnen einzureden, man habe den Königsweg gefunden; denn eine schnellere und zielgenauere Vermittlung wird die Probleme des brandenburgischen Arbeitsmarktes nicht lösen. Wenn jedoch durch die Maßnahmen des Job-AQTIV-Gesetzes und durch die Ideen, die sich momentan in der öffentlichen Diskussion befinden, der Wirkungsgrad der Arbeitsvermittlung erhöht wird, kann dadurch zumindest punktuell ein Beitrag dazu geleistet werden, die Situation der Arbeitslosen zu verbessern. Ich betone erneut, was ich schon zu Anfang sagte: Lassen Sie doch Diskussionen in der Öffentlichkeit zu; denn aus jeder Diskussion und aus allen Beiträgen, die wir liefern, kann etwas Positives herauskommen. Wirklich in den Griff bekom

men wir die Arbeitslosigkeit allerdings nur, wenn endlich der viel zitierte und von vielen erwartete Ruck durch unser Land geht. Damit meine ich nicht allein das Land Brandenburg, sondern die ganze Bundesrepublik.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU - Zurufe von der PDS)

- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich jetzt aufregen. Genau das ist auch Ihre Forderung.

In der Öffentlichkeit muss endlich der Eindruck entstehen, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften, Parteien und Interessenverbände wirklich mit dem Ziel an einem Tisch sitzen, sich im Interesse der Menschen zu einigen. Ich meine hier nicht nur das Bündnis für Arbeit, sondern denke, um ein Beispiel aus einem anderen Politikfeld zu nehmen, auch an den Runden Tisch zur Reform des Gesundheitswesens. Die Menschen sehen, dass immer nur an Symptomen herumgedoktert wird und aus Reformen Reförmchen werden. Deswegen sage ich, dass durch dieses Land ein Ruck gehen muss.

Meine Damen und Herren, wir alle können uns mit unserer Tätigkeit als Landtagsabgeordnete an diesem Ruck beteiligen, damit unsere Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes eine Solidargemeinschaft wird. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Konzack. - Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, treffe ich drei kurze Feststellungen.

Erstens: Sie werden es kaum für möglich halten, aber auch ein Präsident kann sich irren.

(Klein [SPD]: Was?!)

Zweitens: Die Schüler aus Storkow, die ich vorhin begrüßte, waren gestern hier.

(Heiterkeit bei der SPD)

Drittens: Die Schüler, die jetzt zu Gast sind, kommen aus dem tiefen Süden unseres Landes, und zwar vom Echtermeyer-Gymnasium Bad Liebenwerda. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Ich erteile für die Fraktion der DVU der Abgeordneten Fechner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Wahl hat, hat die Qual, besagt ein altes deutsches Sprichwort. Doch wird es in Zukunft durch die geplante Reformierung der Arbeitsvermittlung weniger Qual durch mehr Wahl geben? Diese Frage hat die PDS-Fraktion heute hier zur Debatte gestellt. Fürwahr, wenn man unter Qual die Arbeitslosigkeit und unter Wahl die in Zukunft geplante Vielfalt der Anbieter von Arbeitsvermittlung

versteht, dann ist diese Frage durchaus berechtigt. Man sollte sich intensiver mit ihr auseinander setzen.

Nach Bekanntwerden der geschönten Vermittlungsstatistiken der Arbeitsämter findet das Thema Arbeitsamt bzw. Arbeitsvermittlung seit geraumer Zeit wieder mehr Beachtung. Wachgerüttelt durch die Medien, hat sich die zurzeit noch amtierende Bundesregierung der Problematik der geschönten Vermittlungsstatistiken angenommen und eine grundlegende Reform des Arbeitsvermittlungswesens in Aussicht gestellt. Vor wenigen Tagen wurde der Bevölkerung kundgetan, dass es in naher Zukunft durch die völlige Freigabe des Marktes für private Vermittler mehr private Arbeitsvermittlung geben soll. Nach den Plänen der Bundesregierung sollen private Arbeitsvermittler unbeschränkten Marktzugang erhalten. Die Zulassung durch die Bundesanstalt für Arbeit soll in Zukunft entfallen. Damit fällt die Monopolstellung der Bundesanstalt für Arbeit bezüglich der Arbeitsvermittlung hoffentlich bald weg.

Wir als Fraktion der Deutschen Volksunion begrüßen es außerordentlich, dass private Arbeitsvermittler demnächst unbeschränkten Marktzugang erhalten sollen und die Zulassung durch die Bundesanstalt für Arbeit wegfallen soll.

(Beifall bei der DVU - Bischoff [SPD]: Das ist doch schon seit fünf Jahren so!)

Doch was bringt das letztendlich den Arbeitslosen im Land Brandenburg? Wird es dadurch in Zukunft weniger Arbeitslose geben? Sicherlich wird es möglich sein, durch engagierte private Vermittlung einige Arbeitslose mehr in Lohn und Brot zu bringen, doch wird das nicht wesentlich zur Senkung der Arbeitslosigkeit beitragen; denn die dramatische Lage auf dem Arbeitsmarkt spitzt sich weiter zu. In diesem Jahr dürfte die Zahl der Arbeitslosen den seit der Wiedervereinigung höchsten Wert erreichen. Das ist das eigentliche, gravierende Problem, dem nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet werden kann. Was die Hoffnung auf einen baldigen Arbeitsplatz durch die Reformierung der Arbeitsvermittlung anbelangt, wird es nicht weniger Qual durch mehr Wahl geben.

Meine Damen und Herren! Die Reformierung der Arbeitsvermittlung, das In-Kraft-Treten des Job-AQTIV-Gesetzes, das Landesprogramm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg” - all diese Bemühungen gelten der Senkung der Arbeitslosigkeit. Doch solange es nicht genügend Arbeitsplätze gibt, bleiben es eben nur Bemühungen. Wichtig ist und bleibt die Schaffung von Arbeitsplätzen; doch solange unsere Bundes- und Landesregierung die vorhandenen Gelder nicht vorrangig für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen einsetzen, wird sich die Zahl der Arbeitslosen hier im Land nicht wesentlich verringern.