Protokoll der Sitzung vom 07.03.2002

Meine Damen und Herren! Die Reformierung der Arbeitsvermittlung, das In-Kraft-Treten des Job-AQTIV-Gesetzes, das Landesprogramm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg” - all diese Bemühungen gelten der Senkung der Arbeitslosigkeit. Doch solange es nicht genügend Arbeitsplätze gibt, bleiben es eben nur Bemühungen. Wichtig ist und bleibt die Schaffung von Arbeitsplätzen; doch solange unsere Bundes- und Landesregierung die vorhandenen Gelder nicht vorrangig für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen einsetzen, wird sich die Zahl der Arbeitslosen hier im Land nicht wesentlich verringern.

(Zuruf von der CDU: Schwachsinn!)

Doch eines wird durch den Wegfall der Monopolstellung der Bundesanstalt für Arbeit im Hinblick auf die Arbeitsvermittlung demnächst hoffentlich besser: die Behandlung und Beratung der Arbeitslosen durch die zukünftigen privaten und staatlichen Arbeitsvermittler.

Für viele Arbeitslose war und ist der Gang zum Arbeitsamt sehr deprimierend, und zwar nicht nur deshalb, weil ihnen in den wenigsten Fällen eine Stelle vermittelt werden kann. Nein,

oftmals lässt die Kundenfreundlichkeit gegenüber den Arbeitsuchenden sehr zu wünschen übrig. Wenn mehr Wettbewerb in der Arbeitsvermittlung dazu führt, dass der Arbeitsuchende in Zukunft als Kunde angesehen und auch dementsprechend behandelt wird, dann wird es für die arbeitslosen Menschen hier im Land Brandenburg weniger Qual durch mehr Wahl geben. Ich danke.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Für die Fraktion der CDU erteile ich der Abgeordneten Schulz das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst konstatiere ich zumindest einen Unterschied zwischen der Opposition und mir. Ich quäle ganz gern mich selbst und auch andere, wenn es darum geht, gute Lösungen zu finden.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU sowie der Abgeordneten Frau Fechner [DVU])

Wir beschäftigten uns in diesem Hohen Hause bereits sehr oft mit dem Thema Arbeitslosigkeit. Das ist sozusagen der Dauerbrenner hier. Gestern wurden die aktuellen Arbeitslosenzahlen bekannt gegeben. Es ist zwar ein geringerer Aufwuchs an Arbeitslosen zu verzeichnen, aber die Arbeitslosigkeit hat den seit drei Jahren höchsten Stand erreicht. Das kann uns alle nicht beruhigen. Aus diesem Grund stehe ich jeder Diskussion offen gegenüber.

Fakt ist, dass die Mauscheleien in der Bundesanstalt für Arbeit deren Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Bürger in die Institutionen und auch in die Politik nachhaltig erschüttert haben. Von den angeblich 3,6 Millionen Vermittlungen pro Jahr sind real lediglich 1,2 Millionen erfolgt. Angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen wird es Zeit zu handeln, wenn die Chefsache Ost nicht eine Sprechblase bleiben soll.

Die gestrige Äußerung von Minister Ziel, dass im Arbeitsamt Frankfurt (Oder) eine Fehlerquote von nur 8,6 % festgestellt wurde, kann uns ebenfalls nicht beruhigen. Ich meine, hier ist eine grundlegende Reform erforderlich. Ich möchte nicht versäumen, mich bei den motivierten und wirklich hoch qualifizierten Mitarbeitern der Arbeitsämter für ihre fachlich gute und engagierte Arbeit zu bedanken. Wir dürfen nicht nur draufschlagen, sondern müssen auch deutlich sagen, dass in den Arbeitsämtern viele Menschen arbeiten, die sich außerordentlich mühen.

Hohe Arbeitslosenzahlen einerseits und unbesetzte Stellen andererseits, Karussellförderung im Bereich des zweiten Arbeitsmarktes, Umschulung für Bereiche, in denen es ohnehin schon Arbeitslose gibt, oder für Berufe, für die es keine Nachfrage gibt - all das sind Belege dafür, dass die Arbeitsämter noch immer nicht die modernen Dienstleister sind, die ihre Kunden zielgerichtet im Zusammenspiel mit Arbeitgebern beraten und qualifizieren.

Arbeitsvermittlung gehört in die Betriebe, zu den Arbeitgebern,

zu den Gründern, zu denen, die die Kunden und die Akteure sind. Dazu wird es notwendig sein, über die Aufgaben der Bundesanstalt grundlegend nachzudenken und die Krise tatsächlich als Chance zu begreifen. Es ist nicht sozial, an den Statistiken herumzudoktern; sozial ist es vielmehr, grundlegend im Sinne einer effektiveren Vermittlungstätigkeit zu handeln und die Institution umzubauen. Über die Strukturen muss nachgedacht werden, also darüber, ob wir noch eine Bundesanstalt, Landesarbeitsämter und regionale Arbeitsämter benötigen, ob deren Aufgaben und Leistungen, die nicht immer originär zum Aufgabenspektrum der Arbeitsämter gehören - ich denke hier zum Beispiel an die Auszahlung des Kindergeldes -, künftig strukturell unverändert bleiben sollen oder ob umorganisiert werden muss.

Uns allen in diesem Hause ist aber klar, dass dies nicht die Lösung für die Probleme am Arbeitsmarkt ist.

Ziel muss es sein, die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik noch stärker als bisher mit denen der Wirtschaftsförderung zu verknüpfen und an den realen Notwendigkeiten auszurichten. Deshalb gehören für mich Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftspolitik nach wie vor zusammen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ebenso müssen die komplizierten Mechanismen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einem durchschaubaren Instrument der Hilfe werden. Aber wir haben ein zentrales Problem: In unserem Land müssen Arbeitsplätze geschaffen werden. Immer mehr Menschen, die arbeiten können und dies auch wollen Letzteres möchte ich betonen -, leben von staatlicher Alimentierung.

Die Stagnation auf dem Arbeitsmarkt hat viele Gründe. Es sind dies nicht zuletzt der mangelnde Wille zu wirklichen Reformen und das Fehlen eines einfachen und übersichtlichen Steuersystems mit wenigen, notwendigen Ausnahmen. Wir brauchen weniger Regulierung, weniger Bürokratie - ich verweise auf das 630-DM-Gesetz -, eine Senkung der Lohnnebenkosten und mehr Übernahme von Verantwortung durch den Einzelnen für sich selbst, aber auch für das Ganze. Was nutzen Regelungen, wenn die Menschen nicht in Arbeit kommen?

Wenn wir nach Lösungen suchen, dann haben wir meist andere Ansatzpunkte als die Opposition. Frau Dr. Schröder, an dieser Stelle zitiere ich aus der Haushaltsdebatte:

„Überwunden werden müssen die geringe Bezahlung und die Kurzfristigkeit von Arbeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt.”

Verehrte Frau Kollegin, Sie möchten zementieren, was ursprünglich nur eine Brückenfunktion übernehmen sollte und bislang nicht zur Entkrampfung der Situation geeignet war.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Das ist aber keine Brücken- funktion! Das wissen Sie doch so gut wie wir!)

Sie fordern de facto eine Verstaatlichung. Das ist nicht in unserem Sinne.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit favorisieren wir das so genannte 3-Säulen-Modell, das am 8. Februar 2002 auf der Bundespressekonferenz vorgestellt worden ist. Ich gestatte mir diesen kleinen Ausflug. Die ehemaligen 630-DM-Jobs müssen eine günstigere Regelung erfahren. Im Niedriglohnbereich müssen die Belastungen durch Sozialabgaben für die Arbeitnehmer gesenkt und Anreize zur Arbeitsaufnahme geschaffen werden.

Speziell im Hinblick auf das Land Brandenburg erinnere ich an die Erprobung des Mainzer Modells, das im Wesentlichen einen Zuschuss zu den Sozialabgaben beinhaltet.

Verehrte Damen und Herren der Opposition, wir haben für die Erprobung dieses Modells gestimmt und werden es selbstverständlich kritisch überprüfen. Jedoch stehen uns nur 100 Angebote zur Verfügung, während es 1 000 Bewerber gibt. Es fehlt an den richtigen Stellen und den Arbeitgebern für dieses Projekt. Dieses Modell wird in Brandenburg nur punktuell zu nutzen sein. So ehrlich muss man in der Debatte sein. Das geben wir unumwunden zu. Wir verschließen uns durchaus nicht der Diskussion.

Sehr verehrte Frau Kollegin, man muss auch ehrlich über die Löhne diskutieren. Wenn ein Familienvater - natürlich weit entfernt von Potsdam - als ausgebildeter Schlosser 1 700 DM für 40 Stunden Arbeit pro Woche erhält, dann geht er zum Sozialamt, weil er seine Familie nicht ernähren kann. Also müssen wir über Modelle zur Lösung einer solchen Situation nachdenken. Ich erinnere an unser Modell des Familiengeldes. Es kann doch nicht sein - schon gar nicht, wenn Kinder im Spiel sind -, dass wir die Menschen, die arbeiten, am Ende zum Sozialamt schicken! Dazu muss uns etwas Intelligentes einfallen!

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der PDS)

An dieser Stelle sind auch die Arbeitgeber gefordert; ich möchte sie nicht aus der Verantwortung entlassen. Dabei muss man jedoch stets die realen Bedingungen im Auge behalten.

In diesem Zusammenhang möchte ich Sie an das Tarifmodell bei VW in Wolfsburg erinnern. Dieser Konzern steht nicht in dem Verdacht, CDU-freundlich zu sein. Diese Vermutung nehmen Sie mir sicher ab. Das „5 000 mal 5 000”-Modell bedeutet im Wesentlichen die Schaffung von 5 000 Arbeitsplätzen für einen monatlichen Lohn von 5 000 DM. Wie verhielten sich die Gewerkschaften? Sie stellten sich quer. Erst nach schwierigen Verhandlungen konnte man sich einigen und die Gewerkschaften stimmten diesem Modell am Ende zu. Hier stimmt doch etwas mit den Relationen nicht mehr! Angesichts dessen muss doch ein Ruck durch die Nation gehen, wie es Roman Herzog treffend formuliert hat. Es ist die Frage zu stellen, ob unsere Ansprüche noch stimmen und mit der Realität in Einklang zu bringen sind!

(Beifall bei der CDU - Freese [SPD]: Das jetzige Modell, das die Gewerkschaften dort ausgehandelt haben, ist gut! Loben Sie es doch einmal!)

- Ich lobe das Modell und hätte es auch gern in Brandenburg.

(Freese [SPD]: Dann kritisieren Sie doch nicht die Ver- handlungen!)

Ich möchte damit nur zum Ausdruck bringen, dass auch die Gewerkschaften über ihr Selbstverständnis nachdenken müssen. Auf einem modernen Arbeitsmarkt, der neuen Anforderungen unterworfen ist und immer größer wird, müssen sie über neue und flexiblere Formen der Gestaltung des Arbeitsprozesses und der Arbeitszeit nachdenken. Die Gewerkschaften müssen innovativ mitgestalten und dürfen sich nicht stets als Verhinderer betätigen.

(Freese [SPD]: Dann gehen Sie doch einmal in das Kraft- werk Jänschwalde! Sehen Sie sich an, was dort gemacht wird!)

Ich scheue mich nie, einfache Wahrheiten auch einfach auszusprechen.

Meine Damen und Herren! An diesem Modell ist ein weiterer Aspekt interessant. Die Bewerbungen erfolgen via Internet. Damit sind wir bei den Mühen der Ebene angelangt. Stellen Sie sich vor, wenn der qualifizierte Schlosser beim Arbeitsamt erscheint und am Computer qualifiziert werden möchte. Fragen Sie einmal bei den Arbeitsämtern nach! Die Arbeitsplätze und die Arbeitswelt insgesamt haben sich grundlegend verändert. Heute muss auch ein qualifizierter Schlosser mit den modernen Medien umgehen können. Dies scheint mir bei manchen Arbeitsämtern noch nicht angekommen zu sein.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der PDS: Das klingt sehr einfach!)

- Das mag einfach klingen. Es ist aber kompliziert, sonst hätten wir die Probleme längst gelöst.

(Zuruf von der PDS: Das Einfache, das so schwer zu ma- chen ist!)

In den letzten Monaten ist eine Diskussion über die Mobilitätshilfe entbrannt. Dieser Zuschuss wird in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg gewährt und hilft dabei, arbeitslose Menschen in anderen Bundesländern in Arbeit zu bringen. Die gesamte Problematik ist sehr schwierig. Man ist hin- und hergerissen. Einerseits lässt man die Menschen nicht gern ziehen.

Frau Kollegin, auch ich bin hin- und hergerissen; denn Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Das bedaure ich außerordentlich.

Kommen Sie bitte zum Schluss!

(Freese [SPD]: Sie kommen mit der neuen Technik nicht klar! Sie können die Technik nicht deuten!)

- Ich habe versucht, die Technik zu ignorieren. - Man ist hin

und hergerissen, aber wir sind für eine Diskussion über die Mobilitätsprämie offen. So könnte man über die Gewährung eines Darlehens nachdenken, das bei einem Rückzug erlassen wird. Eine solche Regelung erinnert an die Familienkredite, die in der DDR gewährt wurden. Sie selbst haben von uns gefordert, offen zu sein. Man kann darüber nachdenken.

Frau Schulz, man kann auch leise nachdenken, nicht nur vom Podium aus.