Protokoll der Sitzung vom 31.12.2000

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 9 und rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen im Pflanzenschutz - Sofortmaßnahmen zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln für die Pflanzenproduktion, insbesondere den Obst- und Gemüseanbau

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion der CDU

Drucksache 3/4141

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Antrag mit dem Beitrag der Fraktion der CDU. Herr Abgeordneter Helm, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser gemeinsame Antrag ist kein Antrag von Lobbyisten und er ist auch nicht als „Peanuts” abzutun.

Es geht um die Frage - dazu habe ich hier eine sehr schöne Zeitschrift -: Obst, Gemüse und Zierpflanzen aus Deutschland wie lange noch? Ich könnte das erweitern: Wie lange leistet sich Deutschland noch Gärtner, Obstbauern und Gemüsebauern?

Die Landwirtschaft, insbesondere der Gartenbau in Brandenburg und in Deutschland insgesamt, befindet sich in einer überaus schwierigen Situation. Dieses Mal ist es keine Tierseuche und es sind auch keine Witterungsunbilden, sondern es ist die unbefriedigende Tätigkeit der Bundesregierung, die viele Gartenbaubetriebe, Obstbauern und Landwirtschaftsbetriebe in Existenzschwierigkeiten bringt.

(Neumann [CDU]: Und zwar kräftig!)

Viele eindringliche Appelle der berufsständischen Vertretungen an die Bundesregierung, endlich für die jetzt beginnende Vegetationsperiode tätig zu werden, vor allem im Gartenbau den deutschen Betrieben die Produktion von Obst, Gemüse und anderen Kulturen zu ermöglichen, sind bisher ungehört verhallt.

Wie konnte es dazu kommen? - Ursache sind der Systemwechsel im deutschen Pflanzenschutzrecht auf der Grundlage eines EU-Beschlusses und das Fehlen der Harmonisierung in der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln innerhalb der EU. Fehlende Pflanzenschutzmittel bzw. unzureichend wirksame Pflanzenschutzmittel haben zur Folge, dass viele Kulturen nur noch eingeschränkt bzw. nicht mehr anbauwürdig sind.

Die Europäische Union hat bereits 1991 eine Umstellung in der Zulassung der Pflanzenschutzmittel von der Vertriebs- zur Indikationszulassung beschlossen und dafür eine zwölfjährige Übergangsfrist, also bis zum 15.07.2003, eingeräumt. Die Bundesregierung hat diese Übergangsfrist 1998 per Gesetz um zwei Jahre verkürzt und die Zulassung bestimmter Pflanzenschutzmittel einseitig für Deutschland auf den 30. Juni 2001 festgelegt. Damit wurde eine meiner Meinung nach falsche Entscheidung getroffen.

Mir ist bewußt, dass dies noch in Verantwortung der CDU/CSU-Regierung geschehen ist. Allerdings hat es die jetzige Bundesregierung in den zurückliegenden vier Jahren nicht geschafft, den Rahmen dafür zu schaffen, dass den Landwirten und insbesondere den Gärtnern geeignete Pflanzenschutzmittel zur Bekämpfung von Schädlingen und Krankheiten zur Verfügung stehen, um damit die Produktion von Äpfeln, Süßkirschen und Erdbeeren sowie die von Blumenkohl, Kohlrabi und Gurken, um nur einige Kulturen zu nennen, zu ermöglichen.

Den Brandenburger Obstbauern - gerade auch im Werderaner Obstanbaugebiet - stehen damit möglicherweise schwere Einnahmeverluste bevor. Der Ertrag von circa 450 Hektar Süßkirschen und 270 Hektar Erdbeeren droht damit als Sondermüll auf der Deponie zu landen, es sei denn, man entschließt sich kurzfristig zur Zulassung geeigneter Pflanzenschutzmittel wie des Mittels Lebaycid zur Bekämpfung der Kirschfruchtfliege.

Ich möchte einige Zahlen nennen: Der Gartenbau Deutschlands hat ein Produktionsvolumen von etwa 6 Millionen Euro. Für je 1 Million Euro werden allein Gemüse und Obst produziert. Wenn es nicht gelingt, diese 450 Hektar Kirschen und 270 Hektar Erdbeeren zu schützen, bedeutet dies einen Einnahmeausfall in Höhe von 15 Millionen Euro.

Ebenfalls gefährdet sind fast der gesamte Gemüseanbau im Freiland und bis zu 80 bis 100 % des Anbaus unter Glas. Wir werden uns von eigenen Tomaten verabschieden müssen. Beim Obstbau und im Beerenbereich ist ebenfalls mit bis zu 100 % Schaden zu rechnen und das vor dem Hintergrund steigender Insolvenzen und nicht hinnehmbarer Arbeitslosenzahlen - nur, um Ihnen einige Zusammenhänge oder Größenordnungen zu verdeutlichen.

Der Bundesgartenbauverband hat der Bundesregierung mittels entsprechendem Rechtsgutachten Mittel und Möglichkeiten aufgezeigt, den deutschen Gärtnern kurzfristig zu helfen. Die Verlängerung der Übergangsfrist bis zum 15.07.2003 wäre die einfachste Maßnahme, zumal sie von EU-Recht gedeckt ist, das die Umsetzung der Richtlinie zeitraum- und nicht zeitpunktbezogen fordert.

Dem Aufruf von Mitgliedern des Bundestages zum illegalen Einsatz kann ich nicht das Wort reden, denn im Falle von Sanktionen stehen diese Abgeordneten sicherlich nicht zur Verfügung.

Selbst die Überlegung, durch Nichtzulassung von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland einen höheren Standard des Verbraucherschutzes zu erreichen, greift zu kurz. Wenn deutsche Produkte wegen des Schädlings- und Krankheitsbefalls nicht auf dem Markt landen, hindert das die Franzosen, Holländer, Spanier oder Italiener nicht daran, mit ihren Produkten, die mit Mitteln behandelt worden sind, welche nach deutschem Recht nicht mehr eingesetzt werden dürfen, auf unserem Markt legal Handel zu treiben.

Um noch eine Zahl zu nennen: Für die Produktion von Porree sind in Deutschland acht Wirkstoffe zugelassen, in Belgien hingegen 29. Nun rede ich nicht der Vielzahl der Mittel das Wort, aber wenn, dann bitte schön in Belgien auch nur acht, damit die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt ist!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ein anderes Beispiel, das jeglicher Logik entbehrt: Kupferpräparate zum Schutz vor Pilzkrankheiten sind in Öko-Betrieben zugelassen, im konventionellen Anbau aber nicht. Das muss mir einmal jemand begründen!

Es muss auch die Frage erlaubt sein: Wie wird gesichert, dass ausländisches Obst und Gemüse, das auf dem deutschen Markt verkauft wird, deutschen Standards entspricht? Ich denke hierbei nicht nur an die EU-Länder. Wie lange sollen wir eigentlich noch zweierlei Recht im Rahmen der Rückstandshöchstmengen in Deutschland akzeptieren?

Es sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betont, dass sich die deutschen Obst- und Gemüsebauern, die deutschen Landwirte insgesamt, zu einem konsequenten Verbraucherschutz bekennen. Sie fordern aber genauso deutlich von der Bundesregierung faire Wettbewerbsbedingungen und eine gleichermaßen geregelte praxisgerechte Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln in allen Ländern der EU. Die gegenwärtige Situation trägt dieser Forderung nicht Rechnung.

Die Forderung an die Bundesregierung heißt deshalb, die Änderung des Pflanzenschutzgesetzes durch die 7. Verordnung zur

Änderung der Rückstandshöchstmengenverordnung möglichst sofort in Kraft treten zu lassen.

Der Landesregierung Brandenburg möchten wir mit unserem Antrag mit auf den Weg geben, ihre Möglichkeiten im Bundesrat zu nutzen, um unserer Intention entsprechende Änderungen zu erreichen. Es liegen ja Anträge vor, zum Beispiel der, die Frist zu verlängern, wobei dies bis zum 01.01.2005 schwer durchsetzbar sein wird. Aber ich denke, wenn man es will, kann vielleicht noch eine unseren Forderungen entsprechende Regelung im Bundesrat getroffen werden.

Ich betone ausdrücklich, dass wir die Bemühungen der Landesregierung, einen Weg zur Unterstützung der betroffenen Betriebe zu suchen, anerkennen und auch unterstützen. Ihren Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren von der PDS, können wir jedoch nicht mittragen, da bei nachgewiesenen Schäden nicht das Land, sondern der Bund zuständig ist. Intention unseres Antrages ist aber, dass wir es so weit nicht kommen lassen wollen; denn das ist doch die entscheidende Frage, wenngleich ein Ausgleich für wirtschaftliche Nachteile immer gut ist.

Ich bitte um Zustimmung für den Antrag der Koalition. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Helm und gebe der Fraktion der PDS das Wort. Frau Abgeordnete Wehlan, bitte.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Rede deutlich sagen, dass die PDS diesem Antrag der Koalition zustimmen wird. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen im Fachausschuss, hätten sich wohl auch darüber gewundert, wenn es anders wäre. Wir haben diese Problematik bereits vor drei Wochen im Fachausschuss thematisiert und uns dort auch mit Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern übergreifend zu dieser Frage verständigt.

Auch in Gesprächen mit Vertretern des zuständigen Landwirtschaftsreferates haben wir die Notwendigkeit eines aktuellen Signals aus dem Brandenburger Landtag deutlich gemacht. Ich wurde um Zurückhaltung in dieser Sache gebeten. Sie haben die parlamentarische Initiative ergriffen und das ist auch gut so.

Warum ist das gut so? Weil Sie, verehrte Damen und Herren der SPD, hier im Land wie im Bund in Regierungsverantwortung stehen. Es geht hier um ein Problem, das, obwohl seit über einem Dreivierteljahr öffentlich debattiert, nach wie vor der Lösung harrt. Sie, verehrter Herr Dombrowski, erinnern sich sicherlich an den Landesgartentag im vergangenen Jahr. Dort wurde das auch thematisiert. Wir, Frau Hartfelder, Herr Bochow - er ist noch zur Kur - und Herr Nieschke, haben auf der Jahresversammlung des Kreisbauernverbandes Teltow-Fläming die Wirkung sehr plastisch dargestellt bekommen. Es gibt aufgrund der gegenwärtigen Situation zum Beispiel weder ein Gräserherbizid für Öllein noch für die Möhrenproduktion.

Eigentlich ist zu diesem Thema alles gesagt. Es gibt einen Be

schluss des Bundesrates vom 1. März 2002 und den Beschluss der Agrarministerkonferenz vom 22. März 2002. Es gibt eine genaue Ursachenanalyse, wie es zu den Wettbewerbsnachteilen insbesondere beim deutschen Obst- und Gemüseanbau gekommen ist. Herr Helm hat dies hier ausführlich dargelegt.

Es gibt einen genauen Handlungsauftrag an die Bundesregierung, den Ländern für die Anwendung der im Entwurf der 7. Änderung der Rückstandshöchstmengenverordnung aufgeführten neuen Rückstandshöchstwerte im Vorgriff auf die förmliche In-Kraft-Setzung der Verordnung unverzüglich nach Beschlussfassung durch den Bundesrat grünes Licht zu geben. Der Entwurf der 8. Verordnung ist so schnell wie möglich vorzulegen, die Wirkstoffprüfung nach EU-einheitlichen Kriterien ist zu beschleunigen sowie weitere Anstrengungen zur Harmonisierung der Zulassung und des In-Verkehr-Bringens von Pflanzenschutzmitteln in der EU sind zu unternehmen - wortgetreu mit dem Protokoll der Agrarministerkonferenz.

Was fehlt, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist nach wie vor das deutliche Ergebnis für den legalen Einsatz und - da unterstütze ich auch Ihren Ansatz, Herr Helm - von altzugelassenen, unbedenklichen Pflanzenschutzmitteln für den Übergangszeitraum vom Vegetationsbeginn 2002 bis zum In-Kraft-Treten der 7. Verordnung zur Änderung der Rückstandshöchstmengenverordnung in Verbindung mit einer Genehmigung im Pflanzenschutzgesetz.

Deshalb bitte ich Sie persönlich, Herr Ministerpräsident Stolpe, Ihr Buch der guten Taten aufzuschlagen und über Ihre Direkt- sprich - Parteikontakte zum Bundeskanzler dieses Problem kurzfristig einer Lösung zuzuführen. Spätestens seit der besagten Bundesratskonferenz im März dieses Jahres ist aber auch bekannt, dass sich Ministerpräsidenten zuweilen nicht gegen die Position ihrer Parteifreunde durchsetzen können.

Die Fraktion der PDS hielte es daher für unverantwortlich, in Anbetracht der fortgeschrittenen Vegetationszeit weiter über Verwaltungsabläufe oder Regierungsentscheidungen zu spekulieren. Wir fordern für die Anwender Rechts- und Betriebssicherheit.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang auch den Hinweis auf die Formulierung „Lösung für den legalen Einsatz” im Antrag der Koalition. Meine Damen und Herren, etwas anderes als eine legale Lösung kann und darf es nicht geben. Auch deshalb unser Antrag, Herr Helm, um dieses Problem deutlich zu thematisieren.

Ich möchte Sie an die Meldungen in den letzten Wochen über Pflanzenschutzmittelrückstände in importierten Erdbeeren, im Spargel oder über antibiotikabelasteten Honig erinnern. Ich meine, Sie stimmen mir zu, wenn ich sage, dass wir auf jegliche Schlagzeile über stoffliche Belastungen in Produkten unserer einheimischen Erzeuger verzichten können. Dabei werden sich die Kontrolleure und Kritiker weniger für die Gründe des Tohuwabohu interessieren, als vielmehr kompromisslos eine ganze Branche in Verruf bringen. Wir halten es für den ehrlicheren Weg, möglicherweise auftretende Schäden auszugleichen. Auch das kann ja ein deutlicher Anspruch an Bundespolitik sein, Herr Helm, soweit die Politik dafür Verantwortung trägt, und das haben wir eben deutlich reflektiert. Vielleicht können wir an diesem Beispiel für Politiker den Sinn und Zweck einer Mehr

gefahrenversicherung deutlich machen. Hätten wir diese, wäre die jetzige Situation möglicherweise mit mehr Gelassenheit zu bewältigen.

Meine Damen und Herren, erst mit der durch uns benannten notwendigen Ergänzung bekommt der Antrag der Koalition die notwendige Glaubwürdigkeit, so meinen wir, einer durch das ganze Parlament getragenen Initiative. Lassen Sie uns Nägel mit Köpfen machen! - Danke schön.

(Beifall bei der PDS und des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD])

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Wehlan. - Ich erteile das Wort der Fraktion der SPD, Herrn Abgeordneten Dr. Wiebke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich den Ausführungen meiner Vorrednerin und meines Vorredners in wesentlichen Punkten anschließen. Ich will das Thema auch nicht fachlich überfrachten, sondern noch etwas politisch beleuchten.

Darum möchte ich zum Anfang meiner Ausführungen überhaupt keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass der Weg der Europäischen Kommission richtig war und richtig ist, das europäische Pflanzenschutzrecht auf strenge Einzelindikationen auszurichten. Pflanzenschutzmittel sollen künftig nur noch zugelassen werden, wenn ihre Wirkungen auf die Kulturen und Schaderreger spezifisch begrenzt bleiben. Das ist aus Gründen des Verbraucherschutzes, aber auch des Naturschutzes und des Artenschutzes unverzichtbar und alternativlos.

Dieses Prinzip der so genannten Indikationszulassungen wurde folgerichtig schon 1991 mit einer mehrjährigen Übergangsfrist zur Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten festgeschrieben. Leider haben die Mitgliedsstaaten und auch die Erzeuger von Pflanzenschutzmitteln diesen Auftrag über ein Jahrzehnt verschlafen und ihn bisher nicht umgesetzt.

Der Deutsche Bundestag hat daher vom Grundsatz zunächst einmal richtig gehandelt, als er das deutsche Pflanzenschutzgesetz drastisch verschärfte und für über 800 Anwendungen die Zulassung auslaufen ließ. Verheerend allerdings in dieser Angelegenheit ist, dass für die landwirtschaftliche und gärtnerische Produktion mit der Anpassung des Landschaftsschutzgesetzes an die Vorgaben der EU rechtlich durchaus mögliche Übergangsfristen einseitig verkürzt wurden, ohne dadurch entstandene Indikationslücken zu schließen.