Protokoll der Sitzung vom 30.05.2002

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Nun gebe ich das Wort an die Fraktion der CDU, an den Abgeordneten Dr. Wagner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir ist vor polnischen Ärzten nicht bange, Frau Fechner, genauso wie den Norwegern und Schweden vor deutschen Ärzten nicht bange ist. Lassen wir das Geschwätz!

(Beifall bei CDU, SPD und PDS)

Sie seien uns herzlich willkommen, wenn sie unsere Sprache sprechen, sich verständlich machen können, den deutschen Patienten verstehen. Das gleiche Mitgefühl haben sie mit Sicherheit. Also lassen wir das bitte und kommen wir zur Sache zurück!

(Dr. Hackel [CDU]: Dann müssen sie lateinisch spre- chen!)

- Auch das ist möglich, Herr Kollege Hackel.

Lassen Sie mich eingangs auf ein kaltschnäuziges Zitat aus dem so genannten G+G-Blickpunkt der Bundes-AOK eingehen, der von einem erdrückenden Überangebot - das ist dort nachzulesen von Ärzten in der Bundesrepublik spricht und zu dem Fazit gelangt, dass viele Ärzte automatisch viel Nachfrage erzeugten und somit kostentreibender Faktor seien.

Dieser Beitrag geht in keiner Weise auf die Probleme im Osten ein, er geht in keiner Weise auf die Probleme der peripheren Regionen der neuen Länder, zum Beispiel der Oder-Region, der Uckermark und Teile der Prignitz, ein. Damit ist wiederum der alte Grundsatz untermauert: Je weniger das Gehirn von Sachkenntnis geplagt wird, desto mutiger und überzeugender die Fehlinterpretation.

Meine Damen und Herren, zur Ehrenrettung unserer LandesAOK sage ich: Sie ist nicht so schlicht und hebt sich wohltuend vom Bundes-AOK-Getöse ab. Ganz kurz zur Situationsbeschreibung:

Im Land Brandenburg sind im niedergelassenen Bereich - das sind valide Zahlen - zurzeit 46 Hausarztsitze und 32 Facharztstellen nicht zu besetzen, wenn man von einer hundertprozentigen Versorgung ausgeht. Betrachtet man einige Altkreise im Land Brandenburg, so wird deutlich, dass es hier sehr große

Ungewichtetheiten gibt. Wenn man von einem durchschnittlichen Verhältnis “Hausarzt pro Einwohner” ausgeht, das bei 1 : 1 674 Einwohner liegt, hat zum Beispiel der Altkreis Angermünde im Ist ein Verhältnis von 1 : 3 370 - dahinter steht, was die Kollegen dort zu leisten haben -, der Altkreis Wittstock von 1 : 2 516 und der Altkreis Forst von 1 : 2 485.

Zu berücksichtigen sind des Weiteren der vergleichsweise hohe Rentneranteil und die damit verbundene höhere Morbidität, also Erkrankungshäufigkeit, ein ganz natürlicher Prozess, den man immer in Rechnung stellen muss.

Die Überalterungsrate unserer Allgemeinmediziner aber, meine Damen und Herren, ist zurzeit doppelt so hoch - und sie steigt noch - wie in den westlichen Bundesländern, wenn man sie im Durchschnitt betrachten will.

Nach Angabe der Landeskrankenhausgesellschaft sind extrapoliert circa 80 freie Arztstellen in Krankenhäusern unseres Landes zu verzeichnen. Besonders betroffen sind die Fachrichtung Anästhesie, die Subspezialisierung Kardiologie und die Fachrichtung Chirurgie. So fehlen zum Beispiel in der Stadt Cottbus, was mich besonders bedrückt, sieben Anästhesisten, sodass der chirurgische Chef an der dortigen Klinik darüber nachdenkt, auch am Sonnabend und eventuell auch am Sonntag zu operieren.

Auch der öffentliche Gesundheitsdienst - Frau Birkholz, da gebe ich Ihnen vollkommen Recht - hat Nachwuchssorgen sowohl im Bereich der Amtsärzte als auch im Bereich solcher Fachgebiete wie Kinder- und Jugendgesundheitsschutz. Hier sollte - Herr Minister Ziel, Sie brauchen da Schützenhilfe von der Frau Finanzministerin - die Hartleibigkeit aufgegeben und endlich darüber nachgedacht werden, der Akademie für öffentlichen Gesundheitsdienst in Düsseldorf beizutreten, um eine qualifizierte Weiterbildung und Nachqualifizierung von Kollegen zu ermöglichen.

Welche Maßnahmen halten wir für erforderlich? Ich versuche es ganz kurz zu machen, Herr Präsident.

Meine Damen und Herren! Während wir bei Problemen der Landwirtschaft - die Landwirte mögen mir bitte nicht böse sein wie starker Frost, frühzeitiger Schnee, viel Regen oder wenig Regen in diesem Land und in diesem Landtag stets zu fraktionsübergreifenden Betroffenheitskundgebungen in Form von Subventionen zurückgegriffen haben, hinterließen die Warnungen der Fachvertreter des Gesundheitswesens in diesem Parlament stets nur den Geruch eines Lobbyistengeheuls.

Nach dieser Selbstbesinnung lassen Sie mich noch konkreter werden. Nur in einer konzertierten Aktion - darauf stellt der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen ab; wir sagen nicht, dass der Antrag der PDS vollkommen falsch ist, um Gottes willen, dazu versteigen wir uns nicht - ist es möglich, der Situation halbwegs Herr zu werden.

Herr Kollege Dr. Kallenbach hat darauf hingewiesen, dass die Landesregierung durchaus im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht und Koordinationsfunktion gehandelt hat. Die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg hat Vorschläge gemacht, die meiner Meinung nach diskutabel sind: Gehaltsangleichung an die Gehälter der West-Ärzte, Imageverbesserung, vorübergehende

Frau Birkholz, vorübergehende! - Übernahme von Arztpraxen, denn man braucht im ländlichen Bereich den selbstständigen Arzt; das steckt schon im Wort: “selbst” und “ständig”. Das heißt, bei diesem Arzt ist Heiliger Abend, wenn die Arbeit geschafft ist und nicht um 16 Uhr nachmittags - ohne dass ich die angestellten Ärzte hier bekleckern will.

Im bundespolitischen Rahmen könnte sich die Landesregierung zum Beispiel dafür stark machen, dass der so verpönte praktische Arzt, den es einmal gab, für eine vorübergehende Zeit wieder eingeführt wird, damit fachübergreifend Hilfestellung geleistet werden kann. Es wäre auch denkbar, dass die Krankenkassen zum Beispiel bei der Versorgung Mittel finden, indem sie eine Art “Buschzulage” oder “Landzuschlag” finanzieren, um die Attraktivität der betreffenden Regionen zu steigern.

Machen wir uns nichts vor: Es ist nicht die gehaltliche Strecke, die so große Probleme bereitet, sondern es sind mentale Fragen, es sind Fragen der Infrastruktur. Für viele Kollegen auch aus den westlichen Ländern, die arbeitslos sind und die sich hier im Osten bewerben könnten, beginnt in Frankfurt (Oder) die Grenze zum Ural. Das muss überwunden werden. Erst wenn man dort ein bisschen Einsicht erreicht hat, kann sich hier eine Besserung einstellen.

Sprechen wir bitte auch eines an: die Verantwortung der Kommunen. - Herr Präsident, ich komme sofort zum Ende, wenn Sie mir das noch gestatten. - Kommunen haben eine Verantwortung im Rahmen der Daseinsvorsorge. Das heißt, sie müssen sich durchaus Gedanken darüber machen, wie sie in ihren Bereichen die Ansiedlung von Medizinern, die sie ja wollen, entsprechend begleiten und nicht verhindern.

Ein Wort noch an die PDS - davor stelle ich die Bitte, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, weil das, was darin steht, leistbar ist -: Wenn Sie sich, verehrte Frau Kollegin Birkholz ich schätze Sie persönlich sehr - nicht immer wieder im Ausschuss mit antiquierten Lösungsvorschlägen hervortun würden, wären wir heute vielleicht ein Stückchen weiter.

(Widerspruch bei der PDS)

- Ich sehe Ihre Betroffenheit und Ihr Verständnis. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihrer Fraktion; denn wir werden den Leistungskatalog einschränken müssen und wir werden in ländlichen Bereichen mit dem Konstrukt der Poliklinik, so sinnvoll diese im Städtischen sein mag, nicht die erwünschte Lösung herbeiführen.

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und bei Ihnen, Herr Präsident, für Ihre Geduld.

(Beifall bei der CDU)

Die PDS hatte in diesem Falle Recht, Ihre Redezeit war um, Herr Kollege. - Das Wort geht an die Landesregierung. Herr Minister Ziel, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gesundheit ist wohl für alle Menschen das höchste Gut. Deshalb

ist es auch so wichtig, dass wir Entwicklungen, wie wir sie jetzt in unserem Lande und wie wir sie insbesondere in den neuen Ländern haben - jedenfalls im Vergleich zu den alten Bundesländern -, sehr ernst nehmen. Ich nehme diese auch sehr ernst. Wir sollten aber die Situation auch nicht schlechter reden, als sie ist.

Wir haben Probleme mit dem Ärztenachwuchs, aber von einem Notstand zu sprechen, wie ich das in einigen Zeitungsüberschriften gelesen habe, scheint mir doch reichlich übertrieben zu sein. Wir haben jedenfalls bis jetzt noch keine Krankenhausabteilung aus Mangel an Ärzten schließen müssen. Wir haben aber sehr wohl auch in Krankenhäusern schon Bereiche, in denen wir feststellen müssen, dass uns Ärzte fehlen. Anästhesisten zum Beispiel fehlen uns in Cottbus, drei an der Zahl, glaube ich, von insgesamt 27, die dort sein müssten.

Ein Problem ist die Abwanderung der jungen Ärzte. Wir stellen fest, dass heute, obwohl deutschlandweit genauso viel Ärzte wie in den Vorjahren ausgebildet werden, weit mehr junge Ärzte in andere Berufe gehen, das heißt, dass sie auch lukrativere Jobs suchen und finden. Vor allem finden sie diese in der Pharmaindustrie.

Dann kommt das hinzu, was von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern auch angesprochen worden ist: In den alten Bundesländern gibt es 100 % Bezahlung für 100 % Arbeit. Mich erinnert das an an das Thema “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit”. Über dieses Thema muss man ja wohl auch reden können. Aber in den neuen Ländern bekommen die Ärzte für 100 % Leistung 77 % Bezahlung und in den meisten Fällen kommt man nicht mit 100 % Leistung davon. Es gibt Bereiche, in denen die Ärzte weit mehr als 100 % leisten müssen. 120 %, 130 % sind oft an der Tagesordnung. Das ist auf die Dauer wirklich nicht zu leisten, das kann man nur für einen bestimmten Zeitraum tun.

Nun ist gesagt worden, der Gesundheitsminister möge doch zum Kuckuck jetzt endlich aus seiner Moderatorenrolle heraustreten und in das System eingreifen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die meisten von Ihnen wissen es: Wir haben seit Jahrzehnten das preußische System der Selbstverwaltung und es hat sich bewährt.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Dieses System der Selbstverwaltung hat sich bewährt, obwohl wir feststellen müssen, dass wir jetzt Lücken haben. Der Sicherstellungsauftrag liegt doch nicht beim Gesundheitsminister, der Sicherstellungsauftrag liegt bei der Kassenärztlichen Vereinigung und dort will ich ihn bitte auch in der Zukunft sehen.

(Zuruf von der PDS: Ja, wir auch!)

Man kann natürlich darüber reden, ob die Krankenkassen da stärker ins Obligo kommen sollen oder nicht. Aber grundsätzlich ist diese Entscheidung doch richtig und auch die Kassenärztliche Vereinigung stellt sich diesen Fragen. Ich habe deutlich gemerkt, als ich alle Beteiligten am Tisch hatte - es ist von Herrn Dr. Kallenbach darauf hingewiesen worden -, wie sehr auch die Kassenärztliche Vereinigung bemüht ist, diese Situation zu überwinden. Ich komme noch zu den Punkten, die wir konkret angesprochen haben.

Aber deutlich ist auch: Das allerschwierigste Problem, das wir haben, ist die Nachbesetzung der Arztpraxen im äußeren Entwicklungsraum - wie wir immer sagen -, im ländlichen Raum. Das ist das größte Problem, das wir haben. Deshalb denken wir auch darüber nach, denkt die Kassenärztliche Vereinigung darüber nach, Arztpraxen, die wir dort haben, für eine bestimmte Zeit aufzukaufen, sie jungen Leuten zur Verfügung zu stellen, damit sie dort praktizieren können. Das wäre nach meiner Meinung eine vernünftige Lösung; denn die jungen Ärzte sagen mir insbesondere, sie sehen zwei Hindernisse. Ein Hindernis sind die Kosten, die Verschuldung, die sie eingehen, wenn sie eine Arztpraxis neu einrichten.

Sie schaffen ja Arbeitsplätze, wenn sie dies tun. Wenn wir alles andere fördern, dann sollten wir auch darüber nachdenken, ob wir so etwas nicht auch fördern. Es ist auch schon vom finanzpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion angeregt worden, darüber nachzudenken.

Ein zweiter Punkt ist die Bürokratie. Es ist für junge Ärzte ganz fürchterlich, damit zurechtzukommen. Oftmals ist es nicht nur die Verschuldung, sondern dann wird auch noch falsch abgerechnet und dann bekommt man von den Krankenkassen, von der Kassenärztlichen Vereinigung noch richtig eins drüber. Dann ist der Mut auch noch weg. Das müssen wir versuchen zu vermeiden.

Ich bin mit Herrn Dr. Wagner einer Meinung. Wir werden mit den Gesundheitszentren - ich sage lieber Ärztehäuser, weil die meisten das besser begreifen - im äußeren Entwicklungsraum nicht weiterkommen. Wir können diese - ich begrüße das auch - in bestimmten Regionen unseres Landes deutlich nach vorne bringen. Aber für den äußeren Entwicklungsraum müssen wir mit den Kommunen gemeinsam Konzepte schneidern. Die beiden Arbeitsgruppen, die wir jetzt eingesetzt haben, arbeiten daran. Sie werden auch demnächst die Ergebnisse vorlegen. Ich bin gerne bereit, darüber zu berichten. Im entsprechenden Fachausschuss, liebe Frau Kollegin Birkholz, habe ich das, denke ich, sehr umfassend getan.

Vielen Dank, meine Redezeit ist um.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Ihnen, Herr Minister Ziel. - Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe zuerst den Antrag der Fraktion der PDS zur Abstimmung auf, der Ihnen in Drucksache 3/4318 vorliegt. Wer dieser Drucksache seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der CDU in Drucksache 3/4392 auf. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich angenommen worden.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 6 und rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Der negative Einfluss von Medien erzeugt Gewaltbereitschaft

Antrag der Fraktion der DVU