Protokoll der Sitzung vom 30.05.2002

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 3/4325

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der DVU und gebe der Abgeordneten Hesselbarth das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gewalt ist Gift für Kinderseelen, auch Gewalt durch die Medien. Wir müssen uns fragen, ob Amokläufer auch oder vor allem unter dem negativen Einfluss der Medien ihre schrecklichen Taten verüben. Die Bundesregierung hat angekündigt, energischer gegen Gewalt in den Medien vorzugehen. Kanzler Schröder gibt dies zu Wahlkampfzwecken in einer ganzseitigen Annonce der “Bild”-Zeitung bekannt.

(Die Abgeordnete hält die Annonce hoch.)

Sie befinden sich doch im Wahlkampf, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion. Oder etwa nicht?

Es wurden auch seitens der Bundesregierung Unterredungen mit den Intendanten der großen Fernsehanstalten geführt, um auf eine Begrenzung der Gewaltdarstellungen auf freiwilliger Basis hinzuwirken. Hier im Landtag haben wir dieses Thema bei der gestrigen Sitzung während der Aktuellen Stunde ausführlich behandelt, doch jetzt müssen einfach den vielen Worten Taten folgen.

Im Bundestag wurden die Folgen des Amoklaufs von Erfurt diskutiert. Auch der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, hat erst kürzlich in einem “Spiegel”-Interview die Gewalt im Fernsehen hervorgehoben. So sagte er wörtlich:

“Es gibt jedes Wochenende eine Hand voll Horror- und Zombiefilme im Fernsehen, die Zuschauer durch extreme Gewalt zu gewinnen versuchen. Solche Filme müssen runter vom Bildschirm.”

Unsere DVU-Fraktion fragt allerdings, warum den genannten Politikern erst jetzt diese Erkenntnis kommt.

Kurt Beck sagte dazu weiter:

“Wir hätten schon vor Erfurt mehr bewegen können, wenn mehr öffentliche Aufmerksamkeit da gewesen wäre.”

Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, Sie haben es heute in der Hand, dem Thema wesentlich mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, indem Sie sich dazu durchringen, den Antrag unserer Fraktion anzunehmen.

Ministerpräsident Beck schlägt als Antwort auf Erfurt eine regelmäßige Konferenz aller im Mediengeschäft Beteiligten

vor. Dieses Gremium soll nach seiner Vorstellung jährlich tagen; seine Mitglieder müssten sich auf verbindliche Regeln für weniger Gewalt in den Medien festlegen.

Meine Damen und Herren, wir haben bereits die Landesmedienanstalten, die eigentlich die Programme überwachen sollen, aber in Wirklichkeit doch zahnlose Tiger sind. Im Übrigen werden diejenigen, die die Macht im Fernsehen ausüben, immer sagen: Beweisen Sie doch, dass Gewaltszenen in diesem oder in jenem Film bestimmte Straftaten ausgelöst haben!

Die DVU-Fraktion vertritt die Auffassung, dass die Politik das Thema Gewalt in den Medien bisher verdrängt hat. Schon zu Beginn dieser Legislaturperiode hat unsere Fraktion einen Antrag zu diesem Thema eingebracht. Ich hatte damals wörtlich erklärt:

“Gewaltdarstellungen in den Medien gefährden die Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden in unserem Land. Gewaltdarstellungen schaffen Nachahmungstäter und führen zu einem Anstieg der Kriminalität, besonders unter Jugendlichen und Heranwachsenden.”

Inzwischen sieht sich unsere Fraktion durch eine Langzeitstudie in den USA bestätigt. Bei täglichem Fernsehkonsum mit Gewaltszenen von mehr als einer Stunde pro Tag neigen Jugendliche und Heranwachsende eher zu Gewalt als Jugendliche, die weniger fernsehen. Diese Studie umfasste einen Zeitraum von 17 Jahren. Bei den Untersuchungen stellte sich heraus, dass Aggressivität nicht nur gefördert wird, wenn Kinder im frühen Alter medialen Gewaltdarstellungen ausgesetzt werden, sondern dass dies auch für ein höheres Alter gilt.

Die nach dem schrecklichen Ereignis in Erfurt aufgeflammte Diskussion über das Versagen von Elternhaus und Schule muss um den Punkt Medien erweitert werden. Vielleicht stellt sich im Rahmen der von uns geforderten Langzeitstudie heraus, dass die Medien sogar die ganz entscheidende Rolle in Sachen Gewaltneigung und Gewaltdurchsetzung von Menschen spielen. Auf die Frage unserer Abgeordneten Birgit Fechner, ob es derartige Studien in Brandenburg gebe, antworteten Sie, Herr Speer:

“Nein, der Landesregierung ist keine Studie bekannt, für die in Brandenburg Erhebungen durchgeführt wurden.”

Zunächst bedanke ich mich.

(Beifall bei der DVU)

Auch Ihnen schönen Dank, Frau Hesselbarth. - Das Wort geht jetzt für die Koalitionsfraktionen an Herrn Abgeordneten Homeyer.

Ehe Herr Homeyer hier ist, möchte ich wieder Gäste begrüßen, und zwar den zweiten Teil der Gruppe von der Gesamtschule Forst. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir hatten gestern in unserer Aktuellen Stunde bei dem Thema

“Gegen Gewalt - Stärkung der Erziehungskraft in Familie und Gesellschaft” auch zu dem Problem Gewalt in den Medien hier in diesem Hohen Hause diskutiert. Ich meine, es war eine sehr gute und seriös geführte Debatte. Insofern möchte ich das gestern Gesagte jetzt nicht wiederholen, sondern auf den Kern des Antrages der DVU kommen, der da heißt: “Der negative Einfluss von Medien erzeugt Gewaltbereitschaft.”

Meine Damen und Herren, wenn für die antragstellende Fraktion das Ergebnis der Langzeitstudie, die sie fordert, schon feststeht, dann frage ich mich, weshalb wir eine solche Studie überhaupt in Auftrag geben sollen. Gehe ich hingegen davon aus, dass das Ergebnis noch nicht feststeht und wir unser Handeln vom Ergebnis der Studie abhängig machen sollen, dann, denke ich, dass - bei allem Respekt vor gründlichen Analysen und Abwägungen - nicht zehn Jahre Zeit ist, bevor wir handeln. Ich sehe auch keine Notwendigkeit für diese Studie. Denn solche Langzeitstudien liegen vor, vielleicht nicht in Brandenburg, aber in anderen Bundesländern und auch in anderen europäischen Ländern sowie darüber hinaus, wie Sie selbst festgestellt haben.

Alles in allem entspricht dieser Antrag der Fraktion, aus der er stammt, denn er ist diffus und auch widersprüchlich.

Meine Damen und Herren, psychische Fehlentwicklungen - eine solche liegt auch dem Massenmord von Erfurt zugrunde - werden nicht von den Medien hervorgerufen. Sie können höchstens durch diese verstärkt werden. Die Ursachen für solche Fehlentwicklungen liegen in aller Regel im familiären Umfeld begründet. Hier gilt es anzusetzen.

Die Vorstellung, meine Damen und Herren, dass der Staat alles zu regeln hat, mag zwar die der DVU sein, aber einen solchen Staat wollen wir nicht. Vielmehr müssen wir einerseits an die Familien appellieren, ihrer erzieherischen Verantwortung nachzukommen, andererseits gilt es auch die Erziehungskraft der Familien zu stärken.

In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und Herren, lehnen wir diesen Antrag ab. Wir werden ihn auch nicht überweisen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Homeyer, und gebe das Wort an die Fraktion der PDS, Herrn Abgeordneten Hammer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, habe ich bis 1999 ein Kinder- und Jugendzentrum geleitet. Dieses war und ist im Jahr von 10 000 bis 12 000 Kindern und Jugendlichen, also von 10 000 bis 12 000 Besuchern, frequentiert. Die Stammbesucher haben dieses Haus von Montag bis Sonnabend in aller Regel bis 22 Uhr besucht. Jeder kann sich ausrechnen, wie viel Zeit zum Fernsehen bleibt, also für die Medien schlechthin.

Eine vernünftige Lebensperspektive und ein gutes Freizeit

angebot regeln vieles von dem, was wir hier nicht weiter besprechen wollen. Einen Vorteil hat eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung auch: Die Kinder und Jugendlichen in solchen Einrichtungen müssen sich nicht mit DVU-Anträgen beschäftigen.

(Beifall bei der PDS - Lachen bei der SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Hammer und frage die Landesregierung, ob sie von ihrem Rederecht Gebrauch machen möchte. - Das ist nicht der Fall. Dann gebe ich noch einmal das Wort an die Fraktion der DVU, an die Abgeordnete Hesselbarth.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hammer, das war ja wohl voll daneben. Meine beiden Vorredner haben gezeigt, dass sie sich überhaupt nicht für dieses Thema interessieren - im Gegensatz zu uns.

Doch Journalisten, Herausgeber von Zeitungen und Verleger stehen nicht über den Gesetzen. Sie haben eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und eine Verpflichtung für das Ansehen der Medien.

Meine Damen und Herren, die Versuche der Landesregierung, Gewaltdarstellung nur aus dem Internet, aus Kinos oder Videofilmen zu verbannen, reichen bei weitem nicht aus. Nach Ansicht der erwähnten amerikanischen Wissenschaftler ist es unabhängig von Faktoren wie elterlicher Vernachlässigung, Familieneinkommen und -stand sowie psychologischen und psychischen Störungen - nachweisbar, dass übermäßiger Fernsehkonsum Aggressionen auslöst.

Zu kritisieren sind vor allem die Gewaltszenen in den Filmen. Jugendliche haben in Deutschland bis zu ihrem 14. Lebensjahr im Schnitt mehr als 10 000 Morde im Fernsehen gesehen. Produziert wird am laufenden Band: Perverses, Absurdes, Hässliches und Brutales. So ist es nicht verwunderlich, dass Kriminalität und Gewaltbereitschaft zunehmen.

Kürzlich schrieb ein Jugendforscher von der Universität in Potsdam, es gebe ein Wachsen von Gewalt an bestimmten Risikoschulen in Brandenburg, vornehmlich an Gesamtschulen. Der Potsdamer Wissenschaftler sieht bei Vorschulkindern einen Zusammenhang zwischen Gewaltdarstellungen und eigenem gewalttätigen Handeln. Auch wer zu viele Computerspiele, TV oder Videos konsumiert, verarmt an sozialen Kontakten mit den bekannten ruinösen Folgen.

Da die Meinungen über die Auswirkungen von Gewalt in den Medien auseinander gehen, ist es daher umso notwendiger, durch eine Langzeitstudie Klarheit zu schaffen.

Unsere DVU-Fraktion ist nicht der Auffassung, dass eine weitere Verschärfung des Waffenrechts Gewalttaten stoppt. Wir haben ohnehin das schärfste Waffengesetz der Welt. Fangen wir besser dort an, wo uns tagtäglich Gewalttaten vorgeführt werden! Ursachenbekämpfung ist besser als Repressionen.

Dazu leistet unser Antrag einen entscheidenden Beitrag. Unsere

Fraktion möchte in Studien alle Medien einbezogen wissen: Fernsehen, Rundfunk, Presse, private Netzanbieter, Internet, Videofilme etc.

Über die genauen Fragen, die in der Langzeitstudie genannt werden, sollte dann in den zuständigen Ausschüssen diskutiert werden. Wir brauchen endlich eine langfristige Untersuchung zur medialen Gewaltdarstellung. Hier kann Brandenburg eine Vorreiterrolle spielen. Deshalb werbe ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)