Protokoll der Sitzung vom 26.06.2002

Meine Damen und Herren! Nach der Jubiläumsfeier anlässlich des 10-jährigen In-Kraft-Seins unserer Landesverfassung mit einem sehr, sehr eindrucksvollen Festvortrag des früheren Botschafters der Republik Polen in Deutschland darf ich Sie nun zur 58. Sitzung des Landtages Brandenburg in seiner 3. Wahlperiode herzlich begrüßen. Ich begrüße Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, ich begrüße die Vertreter der Medien, ich begrüße die Dauergäste, etwa von den großen Kirchen, aber auch die aus den Organisationen und Vertretungen und viele andere, die heute unter uns sind.

Es ist Ihnen nach Überlegungen - diese waren aufgrund der entstandenen Situation notwendig - kurzfristig über die Einladung hinaus der Entwurf einer neuen Tagesordnung zugegangen und ich frage Sie: Gibt es von Ihrer Seite diesbezüglich Anmerkungen? - Wenn dies nicht der Fall ist, dann bitte ich um Ihr zustimmendes Handzeichen, dass wir dem letzten Entwurf entsprechend verfahren können. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Es gibt ein paar Stimmenthaltungen. Dann verfahren wir so, weil mehrheitlich Zustimmung besteht.

Der Ministerpräsident hatte um das Wort gebeten. Herr Ministerpräsident, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch der kleinste Betrieb muss genauso wie die Spitze einer Landesregierung rechtzeitig über einen reibungslosen Generationswechsel nachdenken, sonst könnten die Unternehmen in Gefahr geraten. Das gehört, meine Damen und Herren, nach meiner Überzeugung wirklich auch zu verantwortlicher Aufgabenwahrnehmung und das wird hier wohl niemand bestreiten.

Bleibt natürlich die Frage des Zeitpunktes. Ich bin im 67. Lebensjahr, meine Damen und Herren, und ich habe mich entschieden, heute, in der Mitte der Legislaturperiode, zurückzutreten. Ein geeigneter Nachfolger ist bereit; er genießt hohes Ansehen im Lande und beide Koalitionsfraktionen unterstützen ihn.

Sie werden es mir nicht verargen, dass ich mich für einen Zeitpunkt entscheide, zu dem doch noch einige Leute im Land sagen: „Schade, dass er geht”, und nicht auf einen Zeitpunkt warte, zu dem die Stimmen lauter werden, die sagen: „Na, endlich”. Das ist wohl menschlich verständlich.

Aber, meine Damen und Herren, ich gehe während des Aufbauprozesses, nach meiner Überzeugung wirklich in der Mitte des Aufbauprozesses. Wohl ist die gute Hälfte geschafft, aber noch gibt es hohe Arbeitslosigkeit, Mangel an Ausbildungsplätzen im Lande, Schwächen der Infrastruktur, benachteiligte Regionen. Wir erleben bei den Menschen Stolz auf Erfolge, aber auch Enttäuschung über die Dauer des Prozesses. Die Länge macht wirklich die Last.

Der Osten Deutschlands - und auch Brandenburg - braucht zur Bewältigung aller Umbruchprobleme vielleicht noch zehn Jahre. Ich sage „vielleicht”, niemand kann es ganz genau sagen. Ich hoffe, nur maximal zehn Jahre. Noch lange also werden Erfolge

und Rückschläge nebeneinander liegen und es wird, meine Damen und Herren, weder heute noch in einem Jahr noch in zwei Jahren Tage des reinen Sonnenscheins geben, Tage, an denen man sozusagen im Glanz des Erfolges sagen kann: Jetzt kann man die Hände in den Schoß legen. Nein, auf absehbare Zeit werden gute und schlechte Nachrichten den Tag bestimmen.

So wird es nach meiner Überzeugung vorerst keinen besseren Zeitpunkt für einen Generationswechsel geben. Aber von einem bin ich überzeugt: Ein reibungsloser Generationswechsel und die Kontinuität in der Arbeit, das muss gewährleistet werden und das möchte ich gewährleisten. Das war auch für mich eine Hauptmotivation bei der Operation in den letzten Wochen und Monaten und ich hoffe sehr auf Ihr Verständnis.

So erkläre ich hiermit meinen Rücktritt als Ministerpräsident des Landes Brandenburg und reihe mich wieder bei den Landtagsabgeordneten mit ein. Ich freue mich, dass ich da offenbar auch willkommen bin. Die Lausitz, die mich gewählt hat, braucht Leute.

Ich danke Ihnen hier und vielen anderen Menschen im Lande für die Wegbegleitung beim Wiederaufbau des Landes Brandenburg. Lassen Sie mich noch eines sagen: Niemals vergessen: „Am Muthe hängt der Erfolg” - Ich danke Ihnen.

(Die Abgeordneten erheben sich von den Plätzen und spenden starken, lang anhaltenden Beifall.)

Ich erlaube mir, auch wenn ich von diesem Platz aus nicht zur Sache zu reden habe, ein paar Worte für das Parlament.

Der Ministerpräsident sprach vom Generationswechsel und er sprach davon, dass der Aufbauprozess noch nicht beendet sei. Aber ich glaube, wir sind am Abschluss des Anfangs. Dieser Anfang war einer Generation vorbehalten, die wohl wusste, worauf es ankam. Der Ministerpräsident war einer von denen, die dies mit aller Hingabe, mit aller Kraft und unter Einsatz aller Energie, die ihm zur Verfügung stand, getan haben.

Ich erinnere daran, dass er die hiesige Bevölkerung beim Finden bzw. beim Beibehalten des aufrechten Ganges unterstützt hat, und dies war in der Zeit vor zwölf Jahren nicht die leichteste Aufgabe. Das Selbstwertgefühl der Menschen musste gestärkt werden und dazu bedurfte es sowohl der eigenen als auch der Kraft vieler, die das als gemeinsame Aufgabe empfunden und wahrgenommen haben.

Der Ministerpräsident ist neben seinen Begleitern Garant gewesen für eine politische Kultur, die sich in diesem Land durchaus wohltuend von mancher anderen in Ostdeutschland unterschieden hat. Ich glaube, die heute und die seit der 1. Wahlperiode in diesem Landtag sitzenden Abgeordneten wissen, wovon ich rede.

Seine tiefe Verwurzelung mit Land und Leuten hat wohl auch dazu geführt, dass er nicht müde wurde, auf die historische Dimension und die historischen Werte zu verweisen und sie jedem zu erschließen, der Wert darauf legte. Solche sind die traditionellen Tugenden, die sicherlich auch mit Preußen im

Zusammenhang stehen, auch wenn der Botschafter heute gesagt hat, er freue sich, dass er in der Hauptstadt Brandenburgs spreche und nicht in der Preußens. Aber Toleranz zu üben, wie das in Preußen zur Norm gehörte, und als höchster Diener des Staates und des Volkes tätig zu sein, das war eine Ehre, und davon ist auch der Ministerpräsident beseelt.

Seine Person betreffend, wurde er oft als der typische Pommer bezeichnet, was immer das heißen mag. Dies hat ja wohl auch mit Stetigkeit und Standhaftigkeit, vielleicht auch mit Dickköpfigkeit zu tun. Wenn es denn notwendig ist, Grundsatztreue zu pflegen, dann, glaube ich, ist auch die vielleicht etwas mit einem negativen Touch versehene Ausdrucksweise erlaubt.

Er stellte für mich den Prototyp eines Landesvaters mit ungewöhnlichen Stärken dar. Als Kirchenmann verfuhr er eben nicht alttestamentarisch „Auge um Auge, Zahn um Zahn”, sondern es kennzeichneten ihn Menschlichkeit und Wärme, aber ebenso Mut. Er verstand - und tat das gezielt -, den Menschen ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Und er hörte zu. Er war ausgleichend, verständnisvoll und beruhigend.

Wenn ich jetzt schmunzle, denke ich daran, dass ihm hier im Saal einmal vorgeworfen wurde, mit seiner sonoren Hollywoodstimme eine Wirkung zu erzielen, die manchem anderen versagt blieb. Aber es war auch Ausdruck einer Persönlichkeit, der man nicht alle Tage begegnet.

Er war eine Integrationsfigur in alle Himmelsrichtungen. Die osteuropäische Dimension ist heute sehr, sehr eingehend gewürdigt worden. Aber er ist auch einer von denen, die für Verständnis der Ostdeutschen für die Westdeutschen und umgekehrt geworben haben. Er fühlte sich hier zu Hause und verstanden, wie dies auch jenseits der Elbe der Fall war. Die Folge: ein in beeindruckender Weise akzeptierter Politiker, wie er wohl in Deutschland nicht allzu oft vorkommt.

Er war in stürmischen Zeiten - wenn man einmal die Nautik bemühen darf - immer an Deck. Seine Selbstlosigkeit ist beispielhaft. Und was seine Belastbarkeit betrifft, glaube ich, da schlägt er auch manches Pferd. Er hat sich nie gedrückt, auch wenn es kompliziert wurde. Ich sehe darin den besten Beleg dafür, dass er nicht vor schwierigen Aufgaben kneift, sondern dass er es ernst meint mit einem Generationswechsel. Damit ist auch eine neue Chance verbunden, denn zwölf Jahre harte Arbeit gehen an die Substanz.

Herr Ministerpräsident! Unsere besten Wünsche begleiten Sie weiter sowohl in Ihrer parlamentarischen als auch in Ihrer Arbeit, wo immer Sie sie wählen. Herzlichen Dank!

(Allgemeiner Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Entscheidung über die Selbstauflösung des Landtages Brandenburg

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 3/4536

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der antragstellenden Fraktion. Bitte sehr, Herr Prof. Bisky.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident a. D.! Sie haben sich entschieden, nach zwölf Jahren Ihr Amt aufzugeben. Diese Entscheidung respektiere ich. Diese Entscheidung respektiert auch meine Fraktion.

Sie haben gesagt: Am Mute hängt doch alles. - Deshalb stelle ich jetzt die Frage: Ist damit alles gesagt, was zu sagen ist, und kann man damit einfach zur Tagesordnung übergehen? Da sage ich: Nein, das kann man nicht.

Man erinnert sich in Brandenburg daran, wie Sie, meine Damen und Herren, im Wahlkampf 1999 mit den Namen, den Bildern und den Persönlichkeiten Hildebrandt und Stolpe geworben haben und als stärkste Partei gewählt wurden. Nun geht auch Stolpe.

Wenn es nur ein Personenwechsel wäre, wenn nicht zwischendurch auch ein großkoalitionärer Politikwechsel stattgefunden hätte und wenn Sie nicht vor kurzem erst, nämlich am 18. April, eine Regierungserklärung abgegeben hätten, in der von einer erfolgreichen Koalition und einer überaus erfolgreichen Landespolitik die Rede gewesen ist, könnte man einfach zur Tagesordnung übergehen.

Da Sie, wie wir erst vor wenigen Tagen erfuhren, bereits am 02.12.2001 Ihren Rücktritt intern beraten haben sollen, frage ich mich, wieso Sie dann eine solche vom Hohelied auf die große Koalition durchtränkte Erklärung abgegeben haben, wiewohl Sie damals schon wussten, dass Sie kurz darauf - was heute geschehen ist - zurücktreten würden. Das wirft für die Opposition Fragen auf.

Eine Regierungserklärung mit einem so raschen Verfallsdatum ein Zeitraum von zwei Monaten - kann und wird die Opposition hier nicht einfach so hinnehmen, als wäre nichts geschehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS)

Zwischen der Regierungserklärung und Ihrer Rede in Wittenberge am letzten Wochenende, die ich mir dank des Fernsehens in wesentlichen Auszügen ansehen konnte, klaffen Welten in der Lagebeurteilung. Was von beidem stimmt denn nun? Beides? Alles? Nichts? Ich glaube, die Glaubwürdigkeit der großen Koalition ist erschüttert.

Deshalb stehen wir in einer ernsten Situation und deshalb fordern wir die Befragung des Souveräns. Und das heißt Neuwahlen.

(Beifall bei der PDS)

Doch bevor ich das begründe, meine Damen und Herren, lege ich Wert darauf, die Verdienste von Herrn Dr. Stolpe für das Land Brandenburg zu würdigen und nicht kleinzureden.

Sie haben an der Spitze des Landes, der Landesregierung viel getan - für die Landeskonstituierung, für die Verfassungsge

bung. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, eine neue Identität der Brandenburgerinnen und Brandenburger herauszubilden. Sie haben bundesweit um mehr Verständnis für ostdeutsche Biografien geworben. Ihren Einsatz für den Brandenburger Weg haben manche auch dann noch bemerkt, als sie, wie ich, meinten, dass er längst verlassen wurde. - Damit möchte ich nur einiges betonen. Auf Ihren Einsatz für Brandenburger Toleranz hoffe ich weiterhin. Das Land hat ihn nötig.

(Beifall bei der PDS)

Bei aller oppositionellen Kritik, von der ich nichts zurücknehmen möchte, meinen wir zu wissen, Herr Ministerpräsident a. D., was Sie in den vergangenen zwölf Jahren für dieses Land geleistet haben. Wenn wir eines nicht akzeptieren, dann ist es das, dass Ihre Entscheidung zurückzutreten an den Wählerinnen und Wählern vorbei getroffen wurde.

Selbstverständlich ist es nach der Landesverfassung möglich, dass ein Ministerpräsident zurücktritt und ein anderer nachgewählt wird. Wir stehen also nicht vor einem rechtlichen Problem. Nur stellt sich die Frage, ob ein solcher Schritt angesichts der Vorwahlkonstellationen von 1999 politisch und moralisch vertretbar ist.

Aus meiner Sicht gibt es für Neuwahlen drei Gründe: Erstens wurde damals ein anderer Wahlkampf mit anderen Inhalten geführt. Der zweite Grund sind die Differenzen zwischen der Regierungserklärung und der Rede in Wittenberge. Drittens habe ich den Eindruck, dass Sie das Datum 22. Juni mit dem 22. September verwechselt haben. Ich bin nicht damit einverstanden, dass jetzt in diesem Land - auch durch den Austausch des Ministerpräsidenten - ausschließlich noch Wahlkampf betrieben wird. Damit setzt sich die Entwicklung fort, dass wichtige landespolitische Probleme liegen bleiben; denn ab sofort kämpfen die einen für Schröder und die anderen für Stoiber.

Herr Schönbohm, wie Sie verstehen werden, beruhigt es mich auch nicht, dass Sie gestern gesagt haben - ich zitiere ddp -, "dass die Zusammenarbeit mit Herrn Platzeck sich bewähren muss". Ich gönne Herrn Platzeck einen Bewährungshelfer. Aber ich will eine andere Politik. Deshalb bin ich für Neuwahlen.

(Beifall bei der PDS)

Herr Abgeordneter, der guten Ordnung halber möchte ich darauf hinweisen, dass nach Artikel 85 der Landesverfassung der Ministerpräsident verpflichtet ist, die Geschäfte bis zum Amtsantritt seines Nachfolgers fortzuführen. Insofern ist er noch nicht „a. D.”.