Protokoll der Sitzung vom 04.09.2002

Ich bedanke mich. - Wir sind bei der Frage 1256 (Unterstüt- zung des Bombardierwerkes in Hennigsdorf), gestellt von Frau Tack. Bitte sehr.

Der Schienenfahrzeughersteller Bombardier in Hennigsdorf steckt mangels Produktionsaufträgen bzw. Stornierung von Aufträgen der Deutschen Bahn AG in einer Krise. Sollte es nicht gelingen, die Auftragsbücher des Unternehmens vor allem mit Aufträgen der Deutschen Bahn AG zu füllen, droht die Schließung des Produktionsstandortes Hennigsdorf und damit der Verlust von 1 500 Arbeitsplätzen.

In diesem Zusammenhang hat Ministerpräsident Platzeck dem Unternehmen Unterstützung in Form von bestmöglichen Rahmenbedingungen für das Hennigsdorfer Bombardierwerk und beschleunigter Fördermittelvergabe für den geplanten Bahntestring, Unterstützung bei der Einführung des „Hoffnungszuges Itino“ sowie ein Gespräch mit Bahnchef Mehdorn zugesagt. Das wissen wir alles aus Pressemeldungen vom 1. August 2002.

In diesem Zusammenhang frage ich die Landesregierung: Wie und mit welchen Ergebnissen wurden die einzelnen Zusagen gegenüber dem Bombardierwerk Hennigsdorf bis heute eingelöst?

Herr Minister Fürniß, Sie haben erneut das Wort. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Tack, die Unternehmensleitung von Bombardier-Transportation hat vor geraumer Zeit angekündigt, dass die von der Deutschen Bahn AG avisierten Kapazitätsanpassungen möglicherweise Auswirkungen auf die deutschen Bombardier-Werke haben werden. Damit ist selbstverständlich auch der Standort Hennigsdorf betroffen. Ich warne nur davor, davon zu sprechen, dass eine Schließung in der Diskussion ist. Von einer Schließung in Hennigsdorf war und ist nicht die Rede. Wir sollten keine Unruhe in die Region hineintragen, denn dies ist nicht gerechtfertigt.

Entscheidungen über einen eventuellen Stellenabbau sind laut Unternehmensleitung noch nicht gefallen. Wir haben intensive Gespräche geführt - sowohl in Montreal als auch hier mit der deutschen Leitung. Entscheidungen sind noch nicht gefallen. Die Landesregierung befindet sich in ständigem Kontakt mit der Unternehmensleitung von Bombardier.

Mit der Fördermittelvergabe für das Vorhaben „Errichtung eines Technologiezentrums für Bahntechnik, Projekt Prüfzentrum“ wird sich der Landesförderausschuss im September befassen. Derzeit werden die Antragsunterlagen bei der Investitionsbank bearbeitet. Das Wirtschaftsministerium hat eine Bewilligung bei Erfüllung der Fördervoraussetzungen in Aussicht gestellt, wobei es - ich will das noch einmal deutlich sagen - bei dem Projekt Prüfzentrum nicht in erster Linie um die Frage der Teststrecke geht, sondern um eine Bandbreite von Prüfmöglich

keiten im Rahmen der Produktion und der Forschung. Die Teststrecke ist ein Teil dieses gesamten Konzepts.

Die Bewilligung kann aus unserer Sicht erfolgen, wenn entsprechende Haushaltsmittel verfügbar sind. Das ist die einzige Einschränkung, die ich immer machen muss. Dies wird spätestens zu Beginn des nächsten Jahres der Fall sein.

Am 30. August hat ein Gespräch zwischen Ministerpräsident Platzeck und Bahnchef Mehdorn stattgefunden, bei dem auch Kollege Meyer und ich anwesend waren. Natürlich war Gesprächsinhalt auch die Frage der Bestellung seitens der Bahn und die Frage, wie es mit dem „Itino“ weitergehen kann. Der „Itino“ ist ein Produkt, das von der Entwicklung über die Komponentenfertigung und die Montage bis zur Inbetriebsetzung in Hennigsdorf verantwortet wird und wenn es in entsprechender Stückzahl verkauft wird, ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung des Standortes ist. Es hat bereits Signale aus Ländern im Westen gegeben, die eine Bestellung ins Auge fassen.

Was die Ausschreibungen anbetrifft, so - das wissen Sie - ist das Land nur für die Ausschreibung der Regionalverkehrsdienstleistungen zuständig. In diesem Zusammenhang besteht aktuell ein Bedarf von 20 Fahrzeugen für Strecken in Ostbrandenburg. Es obliegt dann, wenn die Voraussetzungen durch uns geschaffen worden sind, dem Verkehrsunternehmen, das den Zuschlag erhält, die Beschaffung der Fahrzeuge vorzunehmen. Im Moment wird auch über eine entsprechende Rahmenvereinbarung des Landes Brandenburg mit der Deutschen Bahn verhandelt. Auch in diesem Paket spielt diese Frage natürlich eine Rolle.

Das, was der Ministerpräsident angekündigt hat, arbeiten wir im Moment mit Bombardier und mit der Bahn Stück für Stück ab. Ich denke, dass wir, sowohl was die Rahmenbedingungen als auch was die Umsetzung anbetrifft, ein gutes Stück vorangekommen sind. Es ist sehr wichtig, dass in Hennigsdorf auch in Zukunft - neben Ingenieurleistungen Produktion erhalten werden kann. Es ist das Ziel unserer Bemühungen, darauf hinzuarbeiten, dass beides miteinander geschieht.

Ob der Standort Hennigsdorf von den Reduzierungsmaßnahmen ausgenommen werden kann, lässt sich im Moment nicht sagen. Die Evaluierung von Bombardier soll Ende September abgeschlossen sein; dann wissen wir mehr. Aber wir sind mit Bombardier - jetzt, im Vorlauf, wo man noch Argumente auf den Tisch legen kann - intensiv im Gespräch.

Frau Tack, bitte.

In diesem Zusammenhang habe ich eine Nachfrage, will dieser aber voranschicken, dass wir Ihre Bemühungen, den Standort Hennigsdorf für die Schienenfahrzeugindustrie zu entwickeln und damit zu erhalten, sehr unterstützen. Ich will noch fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass sich mittlerweile die Situation am Standort Hennigsdorf verschärft hat. Die Geschäftsführung hat bestätigt, dass sie an den geplanten Verlagerungen von Produktionsumfängen aus dem Werk Hennigsdorf - in diesem Fall nach Berlin - festhält und dass das natürlich zu einem weiteren Kapazitätsabbau führen wird. Ist auch das schon Bestandteil

Ihrer Überlegungen und Verhandlungen mit den Partnern, die Sie angesprochen haben?

Es gibt solche Ankündigungen, aber die Größenordnungen sind noch nicht bekannt. Vor allen Dingen ist für uns die Frage wichtig: Wenn Verlagerungen, welche? Denn es macht nur Sinn - ich sage das ganz offen -, viel Geld an Fördermitteln für ein solches Prüfzentrum auszugeben, wenn dann in Hennigsdorf auch die Bandbreite dessen vorhanden ist, was geprüft und getestet werden kann. Wir machen also unsere Entscheidungen für den Testring auch abhängig von der Entscheidung vor Ort und davon, was dort an Möglichkeiten vorhanden ist.

Herr Dellmann, bitte.

Herr Minister, Sie sprachen das aktuelle Verfahren der Fördermittelantragstellung für das Testzentrum Bahn an. Daraus ergeben sich zwei Fragen.

Frage 1: Wie schätzen Sie die Qualität des vorliegenden Antrages ein; wird er genehmigungsfähig sein?

Frage 2: Gehen Sie angesichts der Tatsache, dass für sehr viele, auch größere Vorhaben in Brandenburg ein erheblicher Fördermittelbedarf vorhanden ist, davon aus, dass zum Zeitpunkt der möglichen Bewilligung von Fördermitteln in Ihrem Haushaltsplan für das wichtige Projekt tatsächlich Fördermittel bereitgestellt werden können?

Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, dass wir diesen Antrag für bewilligungsfähig halten und dass er die Voraussetzungen erfüllt. Es ist für uns auch deswegen ein gutes Konzept, weil es ein mittelstandsorientiertes Konzept ist. Denn wir wollen dort nicht für Bombardier ein Testzentrum aufbauen, sondern Bombardier wird einer der Kunden sein. Es ist eine mittelständische Lösung mit einer ganzen Reihe von kleinen Firmen, die sich dort mit Nischen, mit Fachwissen konzentrieren werden. Das Konzept ist gut.

Ich gehe davon aus, dass der Förderausschuss im September einen positiven Bescheid erlassen wird. Die Mittel für dieses Projekt haben wir langfristig schon bereitgestellt. Das wird natürlich - wie das immer im Leben ist - zulasten anderer gehen. Wir haben nicht unbegrenzt Mittel zur Verfügung und müssen uns auf Schwerpunkte konzentrieren. Es wird uns gemeinsam in den nächsten Jahren beschäftigen, dass wir in Brandenburg nicht mehr in der Situation sind, mehr Geld als Anträge zu haben. Vielmehr ist die Situation umgekehrt: Wir haben viel mehr Anträge als Geld. Deswegen müssen wir Prioritäten setzen und in diesem Fall - für Hennigsdorf - haben wir die Prioritäten so gesetzt.

Danke sehr. - Wir sind damit bei der Frage 1257 (Umstellung

auf digitales Fernsehen), gestellt vom Abgeordneten Dellmann. Bitte schön.

Laut Medienanstalt Berlin-Brandenburg kommen durch die Umstellung vom analogen auf das digitale Fernsehen auf einige Haushalte Mehrkosten zu. Für Haushalte ohne Kabelanschluss bzw. Satellitenempfang ist dann für den Empfang der digitalen Sender die Anschaffung einer so genannten Set-Top-Box notwendig. Nach Medienberichten strebt die Berliner Sozialverwaltung an, diese Kosten für die Set-Top-Boxen für Sozialhilfeempfänger zu erstatten bzw. die Boxen kostenfrei zur Verfügung zu stellen.

In diesem Zusammenhang frage ich die Landesregierung: Wird im Laufe der Umstellung auf das terrestrische Digitalfernsehen auch in Brandenburg die kostenlose Bereitstellung der Set-TopBoxen für Sozialhilfeempfänger angestrebt?

Das ist ein Thema in der Zuständigkeit des Chefs der Staatskanzlei, dem ich hiermit das Wort erteile.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als erster deutscher Ballungsraum soll Berlin-Potsdam vollständig auf die digitale terrestrische Fernsehübertragung umgestellt werden. Dies haben ORB, SFB, ZDF, Pro 7, SAT.1 und RTL mit der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, kurz MABB genannt, im Februar dieses Jahres vereinbart. Mit dieser Vereinbarung haben sich die MABB und die beteiligten Sender verpflichtet, im Kontakt mit Dritten dafür einzutreten, dass sozial schwächere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Fernsehprogramme nicht über Kabel und Satellit empfangen, bei der Beschaffung dieser Zusatzgeräte unterstützt werden.

In diesem Zusammenhang gibt es bei der Medienanstalt Überlegungen bezüglich einer sozial verträglichen Begleitung des Analog-digital-Umstiegs in Berlin und Brandenburg, die auf die Finanzierung dieser so genannten Set-Top-Boxen für Sozialhilfeempfänger hinausläuft. Die derzeit Rechtsaufsicht führende Behörde - das ist die Berliner Senatskanzlei - hat mich gebeten, ihre Rechtsauffassung dazu zu teilen. Demnach ist die Verwendung nicht verbrauchter Mittel der Medienanstalt zur Begleitung der Sendeumstellung zulässig.

Ich teile die Auffassung meines Berliner Kollegen Schmitz und unterstütze auch die Überlegungen der Medienanstalt hinsichtlich der sozialpolitischen Begleitung der beabsichtigten Technikumstellung. - Vielen Dank.

Herr Dellmann, bitte.

Frage 1: Herr Staatssekretär Speer, gibt es Erhebungen, um wie viel Fälle es sich in Brandenburg voraussichtlich handeln wird?

Frage 2: Mit welchen Kosten für eine Box ist für die Betroffenen, für die Bürger, zu rechnen? Eine Ergänzung zu dieser zweiten Frage: Gibt es bereits eine Übersicht, mit welchen Gesamtkosten wir gegebenenfalls in Brandenburg zu rechnen hätten?

Die Erhebungen dazu laufen; es gibt keine abschließende Einschätzung. Es gibt eine Einschätzung der Medienanstalt, dass dieser Umstieg mit den zur Verfügung stehenden Mitteln in vollem Umfang begleitet werden kann. Konkrete Zahlen will ich hier nicht nennen, da dies derzeit in Abstimmung befindlich ist.

Ich bedanke mich. - Wir sind am Ende der Fragestunde und ich schließe den Tagesordnungspunkt 1.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Das „Hartz-Konzept“ - eine taugliche Vorlage für die notwendige Reform der Brandenburger Arbeitsmarktpolitik?

Antrag der Fraktion der PDS

Das Wort geht zuerst an die beantragende Fraktion. Frau Abgeordnete Dr. Schröder, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Morgen legt die Bundesanstalt für Arbeit die aktuelle Arbeitsmarktbilanz vor wahrlich wieder kein schöner Tag für Arbeitslose! Die düstere Prognose für den abgelaufenen Monat August lautet: bundesweit 4,04 Millionen Menschen ohne Arbeit und erneut Rekordarbeitslosigkeit im Land Brandenburg.

Es wächst die Ohnmacht gegenüber den Zahlen, es wächst die Wut über das dahinter stehende Leid der Betroffenen und es wächst die Ungeduld, dem Übel Arbeitslosigkeit endlich beizukommen. Ein Patentrezept gibt es nicht, heißt es immer. Dies gilt nicht in Wahlkampfzeiten. Hier schießen Konzepte wie Pilze aus dem Boden. Nun, wie bei den Pilzen gibt es auch unter den zahlreichen Konzepten genießbare und giftige. So muss es gestattet sein, sie vor dem Verzehr einer gründlichen Prüfung zu unterziehen.

Damit kommen wir zu den Hartz-Vorschlägen. Es kann nicht sein, dass Kommission und Bundesregierung die Vorschläge zur Reform der Arbeitsmarktpolitik allein als ein geschlossenes Gesamtkonzept bewertet wissen wollen - nach dem Motto: Ganz oder gar nicht. Es kann im Interesse einer zukunftsweisenden Arbeitsmarktpolitik nicht um das bloße Ja oder Nein zu den Reformvorschlägen gehen. Dazu sind die Ausgangsbedingungen und die Entwicklungen am Arbeitsmarkt viel zu kom

plex und zu problematisch. Als Arbeitsmarktpolitikerin der PDS sage ich: Eine differenzierte Bewertung der Vorschläge ist notwendig.

(Beifall bei der PDS)

Ich sage auch: Wir sind weder die Abnicker noch die Ablehner des vorgelegten Berichts der Hartz-Kommission.

Die SPD meint den Stein der Weisen gefunden zu haben; die Union will es als Gequatsche abtun. Was sollen eigentlich diejenigen, um die es geht, nämlich die 4 Millionen Arbeitslosen im Land, von solcher Art Spektakel halten? Sie fühlen sich, ja, sie werden für den Wahlkampf instrumentalisiert.

Wir erleben die maßlose Überforderung der Arbeitsmarktpolitik, von der abverlangt wird, Beschäftigungspolitik zu ersetzen. Arbeitsmarktpolitik soll richten, was verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Strukturpolitik in diesem Lande anrichten. Das, meine Damen und Herren, funktioniert so nicht; denn wir haben nicht vordergründig ein Vermittlungsproblem, nein, wir haben ein eklatantes Arbeitsplatzproblem.

(Beifall bei der PDS)