Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

Unsere Ansprüche an solch ein umfängliches Konzept liegen darin, noch einmal zu sagen, was man davon kurz-, mittel- und langfristig umsetzen kann. Alles zugleich zu tun wird nicht möglich sein.

Wie wir alle wissen, sind bestimmte Bestandteile und Handlungsfelder von dem, was ich eben nannte, was Sie auch genannt haben, bereits in Arbeit, zum Teil sogar schon umgesetzt.

Aber, Frau Große, Sie haben eben so getan, als hätten Sie davon noch nie etwas gehört. Ich kann das jetzt nicht ausführlich darlegen, denn ich habe nur fünf Minuten, Sie hatten zehn Minuten Zeit. Aber wir alle wissen doch, dass der Bildungsauftrag der Kitas in der Diskussion ist und dass daran gearbeitet wird. Sie wissen auch, dass die Stundenzahl in der Grundschule aufgestockt worden ist. Gerade weil wir wissen, dass es zu wenig Stunden waren, sind wir den Weg gegangen, mehr Stunden hineinzugeben. Wir wissen auch, dass jetzt in der Schule Evaluationssysteme eingeführt werden. Man kann sich darüber streiten, ob das alles richtig ist, aber es sind jedenfalls Dinge in Arbeit. Dass die Einzelschule gestärkt wird, ist auch Fakt. Auch ein neues Konzept der Lehrerbildung steht an.

Ich sage noch einmal: Es macht keinen Sinn, mit einem solchen Antrag so zu tun, als müsse man die Landesregierung, speziell den Bildungsminister, dazu bringen, nun endlich nach PISA irgendetwas zu tun. Wir werden sehr genau kontrollieren, ob unsere Anforderungen auf diesem Gebiet erfüllt werden. Ich schlage vor - dieses Recht haben wir im Ausschuss -: Nehmen wir uns doch diese Handlungsfelder vor! Setzen wir sie im Ausschuss auf die Tagesordnung und prüfen, auf welchem Stand sie sind und ob sie mit unseren Inhalten und unseren Ansprüchen übereinstimmen. Aber ein Antrag, dies zu fordern, ist meines Erachtens absolut überflüssig.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Frau Hart- felder [CDU])

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Siebke. - Ich erteile das Wort der Fraktion der DVU. Frau Abgeordnete Fechner, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Genossen der PDS haben die Landesregierung aufgefordert, bis zum nächsten Frühjahr ein Konzept für eine umfassende Bildungsreform zu präsentieren. Damit soll auf die peinlichen Ergebnisse der PISA-Studie und ähnlicher Untersuchungen reagiert werden.

Angesichts des Bildungsnotstands in unserem Lande ist eine solche Reform auch bitter nötig. Die Dringlichkeit einer Bildungsreform ist schließlich nicht erst seit PISA fast jedem bewusst. Besonders die ausbildungswilligen Unternehmer in unserem Land bekommen immer wieder zu spüren, wie mangelhaft unser Schulsystem ist, das ihre Lehrlinge durchlaufen haben.

Doch trotz dieser alten und weit verbreiteten Erkenntnis gibt es noch keine richtige Konzeption der Landesregierung für diese überfällige Reform, und das muss sich schleunigst ändern. Bei der Ausarbeitung dieser Reform sollte sich die Landesregierung ausgiebig mit den Beteiligten austauschen, also mit den Schülern, den Lehrern und den Eltern. Aber auch diejenigen, die sich nach der Schulzeit mit unseren Kindern beschäftigen, die Berufsschullehrer, die Ausbilder in den Betrieben und die Professoren an den Hochschulen, müssen gefragt werden, welche Anforderungen sie an die Schulabgänger haben.

Sehr geehrte Kollegin Große von der PDS, ich weiß ja, dass Sie ganz begeistert von Ihrem Besuch in Finnland zurückgekehrt sind. Aber Deutschland ist nicht Finnland. Sicherlich können wir vom Schulsystem dieses Spitzenreiters der PISA-Studie viele Anregungen übernehmen. Aber, wie Sie selbst richtig erkannt haben, kopieren lässt sich das Schulbildungssystem nicht. Was wir benötigen, ist ein eigenständiges Bildungssystem, das sich an den Gegebenheiten in unserem Land orientiert. In unserem Land haben wir nun einmal ein dreigliedriges Schulsystem, das sich über Jahrzehnte bewährt hat. Dies lässt sich nicht einfach vom Tisch wischen.

Selbstverständlich steht diese Schulstruktur auf dem Prüfstand. Denn bei einer Reform darf es keine Tabus, keine Denkverbote geben. Doch die PDS hat nichts Besseres zu tun, als neue Denkverbote zu erlassen, so wie sie es jahrzehntelang praktizierte, als sie noch SED hieß. Sie verlangt nämlich als Eckpunkt der Konzeption zur Bildungsreform beispielsweise die Überwindung des dreigliedrigen Schulsystems. Was soll das aber für eine Reform werden, wenn den Neomarxisten ihre eigenen bildungspolitischen Glaubenssätze wichtiger sind als das eigentlich wichtige Ziel dieser Reform,

(Beifall bei der DVU)

unseren Kindern die bestmögliche Bildung zu garantieren? Wir benötigen eine Bildungsreform, die sich an diesem Ziel orientiert und die parteipolitische Vorlieben außer Acht lässt.

Der vorliegende PDS-Antrag dient diesem Ziel nicht und deshalb wird er von uns abgelehnt.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Ich gebe das Wort der Fraktion der CDU. Frau Abgeordnete Hartfelder, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegin Große, Sie machen es einem nicht leicht. Sie legen einen Antrag mit der kurzen Überschrift „Bildungsreform“ vor, und erwarten dann ein vielleicht 500- bis 600-seitiges Konzept, das 15 Unterpunkte enthalten soll. - Das ist nicht einfach. Noch schwerer machen Sie es mir als Rednerin, dem, was Sie gesagt haben, in fünf Minuten Paroli zu bieten. Das ist schier unmöglich, nicht inhaltlich, aber aus Zeitgründen.

Reaktionen auf zwei Punkte: Frau Große, das Thema Finnland sprechen Sie immer wieder an. Ich kann das sehr gut verstehen. Wenn Sie allerdings über das finnische Bildungssystem sprechen, dann möchte ich Sie bitten, zukünftig auch einige Faktoren zu nennen, die Sie bisher nie nannten, die aber auch Bedeutung haben.

Punkt 1: Finnland ist von der Bevölkerungsstruktur her einfach nicht mit Deutschland zu vergleichen: 5 Millionen Einwohner; 10 % dieser Einwohner, also 500 000, leben im Ballungsraum Helsinki, im übrigen Land leben zwei bis drei Menschen auf einem Quadratkilometer.

Punkt 2: Frau Kollegin Große - das ist auch unangenehm zu sagen, aber der Ehrlichkeit halber muss man es tun -, in Finnland erhalten die Lehrer nur fast die Hälfte des Lohnes der Lehrer in Deutschland. Das heißt, der große Ausgabenpool der Bildung in Deutschland betrifft die Lehrergehälter. Natürlich das gebe ich zu - haben sie ein anderes Unterrichtsvolumen, allerdings leisten sie auch freiwillig in der Schule bedeutend mehr. Das hat auch etwas mit Lehrerbild und mit Akzeptanz der Lehrer zu tun. Sie sollten auch diesen Fakt nicht vergessen.

Die CDU-Fraktion und auch der Landesfachausschuss Bildung der CDU haben sich zeitnah mit PISA und PISA-E beschäftigt. Dazu liegen fast sieben Seiten Schriftmaterial vor. Wer Interesse daran hat, sich unser Bildungspapier „Fördern und fordern“ anzuschauen, den lade ich herzlich ein, es zu lesen. Wir wollen für Brandenburg eine Partnerschaft der Bildungs- und Erziehungsträger Eltern und Schule und darum rankend Verbesserungen des Systems. Mehr sage ich dazu nicht.

Frau Kollegin Große, meine Kollegin Siebke hat ausgeführt, was von der Landesregierung und der Koalition auf den Weg gebracht wurde. Zwei Punkte Ihres Antrages möchte ich näher beurteilen: Sie verlangen Aussagen zu einer Strukturreform mittelfristige Überwindung des dreigegliederten Schulsystems.

Nun kenne ich die Bildungspapiere der PDS seit Jahren. Es ist logisch, dass ich mich damit beschäftige, und ich beschäftige mich damit auch gern. Eigentlich geht die PDS in Richtung Einheitsschule. Das hatten wir schon einmal, das kennen wir. Wir wissen auch, dass die Finnen davon ein Stück abgeschaut haben. Allerdings - Kollegin Fechner betonte es - leben wir seit zwölf Jahren in einer anderen Tradition. Wir haben Schulformen in Deutschland, die sich speziell in Deutschland bewährt haben. Wenn ein Chirurg an einer Hand ein Geschwür feststellt, das den Knochen zerfrisst, dann entfernt er nicht zwei oder drei

Finger bzw. die ganze Hand, sondern nur das, was faul ist. Das heißt, wir haben Schulen in diesem Land, die anerkannt, bewährt und gut sind. Diese haben auch ihre Berechtigung. Dort, wo es nicht klappt, müssen wir darüber nachdenken, wie wir es anders machen können.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Zweiter Gedankengang: Frau Kollegin Große, Sie forderten schon gestern und auch heute wieder, dass wir die Gymnasialquote erhöhen. - Hören Sie bitte einmal zu, das ist vielleicht auch noch ein bisschen Erinnerung. - Das kann man ja tun und das kann man wollen. Es gibt in der Bildungspolitik sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, wie viele Schüler zum Abitur gehen sollen. Es ist bis heute noch nirgendwo, gerade in Deutschland, untersucht worden, welche Abiturienten aus welchen Bundesländern a) ein Studium aufnehmen und b) das Studium auch erfolgreich abschließen. Eine solche Erhebung gibt es auch in anderen Ländern der Erde nicht. Das heißt also, wie hoch die Erfolgsquote für den Einstieg in einen akademischen Beruf wirklich ist, ist zu hinterfragen. Und wenn ich an die „Eliteausbildung“, die Sie und ich ja zu DDR-Zeiten genossen haben, denke - weniger als 5 % der Schüler durften das Abitur ablegen -, dann kann ich Sie heute eigentlich nicht verstehen, wenn Sie bis zu 60 % Abiturienten fordern. - Danke.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hartfelder. - Das Wort geht an die Landesregierung. Herr Minister Reiche, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Eulen der Medava beginnen erst bei der einbrechenden Dämmerung ihren Flug. Insofern herzlich willkommen und schönen Dank, dass Sie Eulen nach Athen tragen oder, weil heute Abend Harry Potter startet, schönen Dank, dass Sie Eulen zu Harry Potter bringen.

(Zurufe von der PDS)

Denn fast alle Ihrer genannten Eckpunkte sind schon in der Umsetzung. Das will ich den Jugendlichen, die gerade den Saal verlassen, mit auf den Weg geben. Die Situation an Brandenburgs Schulen ist besser, als Sie sie heute von manchen dargestellt bekommen haben.

Ich habe immer ein bisschen, liebe Frau Große, den Eindruck, als ob Sie die Prioritätensetzung nach der „Melodie“ von Ostfriesland machen. Die Ostfriesen haben so viele Verkehrsprobleme, weil dort die Busse 30 Meter breit und einen Meter lang sind, da immer 30 Leute in der ersten Reihe sitzen.

Die von Ihnen genannten Eckpunkte - das wissen Sie genau, Frau Große, und deshalb ist es nicht ganz fair, das hier so einfach mit Nachdruck vorzutragen - sind in der Umsetzung bzw. in der Vorbereitung - Bildungsauftrag Kita, Vernetzung von Kita und Grundschule, Stärkung der Grundschule. Wir haben zwölf Stunden mehr hineingetan. Wir haben die FachLeistungs-Differenzierung und vieles andere mehr.

Sie tun so, als ob das alles nicht als Gesamtkonzept vorliegen würde. Ich möchte nur daran erinnern: Wir haben am 17. Juni 2002 die Maßnahmen vorgestellt. In neun Handlungsfeldern sind es 49 einzelne Maßnahmen, die in Vorbereitung bzw. in Umsetzung sind. Das ist, liebe Frau Große, ein Gesamtkonzept. Wir haben jetzt eine Broschüre zu PISA veröffentlicht. Die kennen Sie, die habe ich im Ausschuss verteilt. Darin steht Weiteres.

Mein Kollege Böger versucht gerade, in Berlin seine erste Schulgesetznovelle gemeinsam mit der PDS auf den Weg zu bringen. Wir haben hier in Brandenburg schon drei Schulgesetznovellen verabschiedet. Insofern: Bitte reden Sie nicht immer so kritisch. Sie wissen es besser, als Sie es hier vortragen.

Zum einen bitte ich Sie auch zu bedenken, dass die Bildungskommission Berlin-Brandenburg unter Leitung von Herrn Baumert im Frühjahr nächsten Jahres ihren Bericht vorlegen wird. Er ist also eine weitere Ergänzung. Zwischen Ostern und Pfingsten können wir darüber dann im Parlament diskutieren. Zum anderen - auch darüber habe ich im Ausschuss informiert - werden wir die Berichte der von mir im Haus eingesetzten Arbeitsgruppe PISA aller Voraussicht nach im Dezember im Ausschuss diskutieren können. Das ist also noch ein weiterer wichtiger Baustein für das Gesamtkonzept.

Eines möchte ich zu dem sagen, was Sie in Bezug auf den OECD-Vergleich vorgetragen haben. Liebe Frau Große, Deutschland ist nicht Brandenburg und Brandenburg ist nicht Deutschland.

(Zuruf: Was?)

- Ja, Brandenburg ist ein gutes Stück von Deutschland. Das stimmt. Aber es ist keine Identität vorhanden.

Das, was Sie in Bezug auf Deutschland gesagt haben, das ist für Brandenburg so nicht richtig; denn wir haben ja im deutschlandweiten Vergleich durchaus einen klaren Akzent bei den Ausgaben für Kita und Grundschule, das heißt für die Basis, gesetzt. Insofern ist der Vergleich für uns nicht so verheerend wie für die anderen Länder in Deutschland.

Was das betrifft, was Sie zu den Bildungschancen gesagt haben, will ich Ihnen ausdrücklich Recht geben und sagen, dass das auch mein Konzept ist. Wir haben der OECD-Studie „Education at a glance“ entnommen, dass in anderen Ländern 44 % eines Altersjahrgangs studieren. Frau Wanka und ich bedauern immer, wie wenig Jugendliche hier in Brandenburg studieren. Wir müssen in der Tat mehr Jugendlichen die Möglichkeit geben, ein Studium anzupacken, und werden deshalb aller Voraussicht nach auf eine Abiturquote an OSZ, Gymnasien und Gesamtschulen von perspektivisch 50 % zugehen müssen, damit Frau Wanka dann auch eine Hochschulbeteiligung von 44 % eines Altersjahrgangs verzeichnen kann.

Ich wünsche mir, sehr geehrte Kollegin, nicht nur eine Brise von Finnland, sondern ich wünsche mir einen richtigen finnischen Sturm.

Allerdings muss ich zu dem, was Sie in Bezug auf den Ausgleich der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten gesagt haben, entgegenen: Vor 20 oder 30 Jahren war das katholische Arbeitermädchen vom Lande sozusagen das Paradebeispiel, das Para

digma für Benachteiligungen. Heute ist es der muslimische Zuwandererjunge in einer Großstadt. Das schwache Geschlecht sind nicht mehr wie zu unserer Jugend die Mädchen. Wir müssen uns darum bemühen, die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten insbesondere für die Jungen an den weiterbildenden Schulen unseres Landes zu beseitigen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Bei Folgenden werde ich nicht schlau aus dem, was Sie sagen. In der ersten Unsicherheit, als das Schulressourcenkonzept vorlag, haben Sie deutlich gesagt - ich habe es in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ gelesen -:

„Das ist viel zu gut, das wird die Finanzministerin aller Voraussicht nach nicht akzeptieren.“

(Zuruf der Abgeordneten Frau Große [PDS])

- Ich habe ja gelesen, dass Sie es gesagt haben.

Heute sagen Sie, es reicht nicht, das ist kein Lösungsansatz. Meine herzliche Bitte: Sagen Sie uns, was Sie wirklich darüber denken! Machen Sie es nicht einmal so und einmal so. Ein bisschen Kontinuität wünsche ich mir da auch von Ihnen. Wir sind auf einem guten Weg und man sollte, liebe Frau Große, nicht alle vierzehn Tage ein neues Gesamtkonzept vorlegen. Wir brauchen Kontinuität.

Herzlichen Dank dafür, dass dieser Antrag heute abgelehnt wird.