Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

Nach der neuen Verfassungssituation muss sichergestellt werden, dass Verordnungen, Genehmigungen, Erlaubnisse und sonstige Maßnahmen von Behörden nicht nur aus Sicht der Tierhalter und -nutzer, sondern auch dann auf den Prüfstand unabhängiger Gerichte gestellt werden können, wenn tierschutzrechtliche Vorschriften aus Sicht der Tierschützer verletzt werden.

Hierfür besteht ein fundiertes Interesse; denn anerkanntermaßen können Tiere, gleichwohl sie nunmehr durch unsere Verfassung als Mitgeschöpfe anerkannt werden, nicht wie die Menschen subjektive Rechte geltend machen. Hier kann nur die Öffentlichkeit, organisiert in und vertreten durch Vereine und Verbände, als Anwalt der Tiere aktiv werden. Schließlich müssen die im Bereich der Straf- und Bußgeldvorschriften durch Qualifizierungen besonders schweren Fälle kodifiziert und für die Fälle von Einziehungen die finanziellen Folgen der Einziehung von Tieren und die Unterbringung eingezogener Tiere geregelt werden. Das sprachen Sie an, und darum geht es auch in dem Gesetz, Frau Dr. Enkelmann. Hätten Sie es einmal gelesen! Beides findet ebenfalls seine innere Rechtfertigung in der Verfassungsänderung.

Durch die erfolgte Anerkennung des Tieres als Mitgeschöpf in Artikel 20 a des Grundgesetzes wird der besondere Stellenwert der Tiere herausgestellt. Dadurch wird für jedermann mehr als bislang deutlich, dass man mit Tieren nicht nach Belieben verfahren kann. Dies wiederum erhöht den Unrechtsgehalt besonders rücksichtsloser Verhaltensweisen von Menschen erheblich. Zugleich ist durch die verfassungsmäßige Warnfunktion die zu überwindende Hemmschwelle bei besonders rücksichtslosem Tun erheblich heraufzusetzen.

Schließlich ist es unter demselben Gesichtspunkt nur recht und billig, Täter und Beteiligte in Fällen von Einziehungen mit den finanziellen Folgen zu belasten und dies auch im Gesetz selbst mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich appelliere also noch einmal an Ihr Mitgefühl für die Tiere. Stimmen Sie unserem Antrag zu. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Claus. - Wir sind damit am

Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt angekommen. Wir kommen zur Abstimmung.

Die Fraktion der DVU beantragte die Überweisung des Antrags in der Drucksache 3/5039 an den Ausschuss für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung - federführend - sowie an den Hauptausschuss und an den Rechtsausschuss zur Mitberatung. Wer dieser Überweisungsempfehlung folgen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Überweisungsantrag mehrheitlich abgelehnt worden. Wir kommen zur direkten Abstimmung über den Antrag.

Wer dem Antrag in der Drucksache 3/5039 der Fraktion der DVU seine Zustimmung geben will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 7 und rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Bildungsreform

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 3/5045

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der einreichenden Fraktion. - Frau Abgeordnete Große, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Noch ist der PISA-Schock nicht verdaut und schon wieder bekommt das deutsche Bildungssystem durch die aktuelle OECDStudie „Bildung auf einen Blick“ ein äußerst schlechtes Zeugnis ausgestellt. Gut, dass es diese neue Studie gibt! Es war in den letzten Wochen wieder sehr ruhig um dieses Thema geworden.

Wir haben uns hier im Landtag mehrfach gegenseitig versichert, erst besonnen zu analysieren, keine Schnellschüsse zuzulassen, aber eben doch auch aktiv an der Beseitigung der uns bescheinigten Defizite zu arbeiten. Genau das wollen wir mit diesem Antrag befördern. Ergebnisse sind, das wissen wir alle, erst nach vielen Jahren sichtbar.

Die problematischen Befunde des neuen OECD-Bildungsberichts zeigen erneut dringenden Handlungsbedarf in Bereichen, die durchaus zu den Aufgaben der Länder gehören, neben vielen Aufgaben, bei denen auch der Bund anders gefordert ist. Trotz richtiger Entscheidungen im Koalitionsvertrag zur Erweiterung der Kita-Angebote und dem Ausbau der Ganztagsschulen ist das nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Bei den Investitionen im Vorschulbereich und in den Grundschulen liegt Deutschland weit unter dem OECD-Durchschnitt. Die Kita-Gebühren sind doppelt so hoch wie im OECD-Durchschnitt. Neunjährige Kinder bekommen 77 Unterrichtsstunden weniger erteilt als in eben diesem Durchschnitt. Sie sitzen dafür in größeren Klassen und haben weniger Zugang zu Computern.

Im Bereich der Sekundarstufe II haben wir dagegen die zweithöchsten Ausgaben. Dennoch nehmen nur 30 % der Schüler

einer Jahrgangsstufe ein Hochschulstudium auf, was uns den drittletzten Platz unter den OECD-Ländern beschert. Der Durchschnitt liegt bei 45 %. Nach uns kommen nur noch Mexiko und die Türkei. 70 % ist der Standard bei allen skandinavischen Ländern. In den USA sind es sogar 87 % der Kinder eines Jahrgangs, die ihr Abitur ablegen.

Aber Bildungschancen sind Lebenschancen. Wir haben vorhin vom neuen Wirtschaftsminister etwas von der Wissensgesellschaft und neuen Technologien gehört. Daher bedarf es aus unserer Sicht einer grundlegenden Reform. Das haben glücklicherweise inzwischen auch Vertreter der Wirtschaft erkannt, so die Unternehmensberatung McKinsey, der Handwerkstag in Baden-Württemberg und die Bertelsmann-Stiftung. Ich zitiere aus einer Schrift der Bertelsmann-Stiftung, die „Wir brauchen eine andere Schule“ heißt:

„PISA zeigt deutlich, dass weder die frühe Aufteilung der Schüler auf verschiedene Schulformen noch die vermeintliche Homogenität Voraussetzungen für gute Schülerleistungen und eine hohe Bildungsbeteiligung sind.

Vielmehr muss es Ziel sein, durch eine Kultur der Förderung jedes einzelnen Schülers möglichst viele Schüler möglichst weit mitzunehmen auf dem Weg zu einer umfassenden Bildung und Erziehung.“

(Beifall bei der PDS)

Dass dies durchaus möglich und auch finanzierbar ist, bekamen wir bildungspolitischen Sprecher der PDS kürzlich bei einer Studienreise nach Finnland bestätigt. Sie müssen also heute noch einmal eine Prise Finnland vertragen, Herr Minister. 60 % der dortigen Schüler erhalten ein hochwertiges Abitur, zu dem sie durch ein auf individuelle Förderung eines jeden Einzelnen setzendes System vorbereitet werden. Es gibt einen Rechtsanspruch auf zwei Wochenstunden Muttersprachunterricht für Migrantenkinder, bis zum Ende der Schulzeit ein gebührenfreies Vorschuljahr, in der Grundschule prinzipiell zwei Lehrerinnen bzw. Lehrer oder einen Lehrer und einen Assistenten für 20 Kinder.

Kinder mit in der Kita erkannten Defiziten - der Betreuungsschlüssel liegt dort bei einer Betreuerin für sieben Kinder werden ein Jahr eher eingeschult, damit sie mehr Zeit haben. Es gibt keine Noten bis zur Klasse 6, kein Sitzenbleiben. An jeder etwas größeren Schule gehören Psychologen, Sonderpädagogen, Kuratoren - das sind Sozialpädagogen -, Arzt, Zahnarzt, Beratungslehrer zum festen Team. Schulen an sozialen Brennpunkten erhalten mehr Geld für Lehrerstellen. Schulessen und Schülerfahrkosten sind frei. Die Kinder gehen dort grundsätzlich gern zur Schule. Finanziert wird es mit einem Anteil von 7 % am Bruttoinlandsprodukt. Bei uns sind es 4,5 %.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Große?

- Ich möchte erst einmal weitersprechen.

In Finnland kommt das Geld auch wirklich beim Schüler an. Es

gibt nur eine Unterrichtsbehörde mit 200 Mitarbeitern, keine als überflüssig geltenden staatlichen Schulämter. Schulen arbeiten weitgehend selbstständig. Ich könnte das fortsetzen.

Ich will damit nur andeuten, dass zwischen uns und dem PISASiegerland Finnland Welten liegen. Dass Bildung dort einen völlig anderen Stellenwert hat, kommt nicht von allein, ist aber gesellschaftlicher Konsens. Um eben diesen müssen wir hier offensichtlich noch ringen.

Das Modernisierungsdefizit in Deutschland und eben auch in Brandenburg ist so groß, dass es höchste Zeit für eine innere und äußere Reform des Bildungswesens wird. Es bedarf einer Reform, die zwei Elemente miteinander verknüpft: eine breite Beteiligung an Bildungsgängen, die zu höheren Abschlüssen führen, und die Sicherung eines hohen Leistungsniveaus. Eine Modernisierung des Bildungswesens, die allen Begabungen gerecht zu werden versucht, steht an. Das muss den Abbau sozialer, ethnischer und geschlechtsspezifischer Ungleichheiten einschließen.

So gesehen sind alle Maßnahmen der Bildungsoffensive des Landes Brandenburg zu überprüfen. Insbesondere gehören die Maßnahmen auf den Prüfstand, die auf eine Verknappung des Angebotes an hoher Bildung setzen. Ich denke hierbei an die mit der Schulgesetznovelle beschlossenen schärferen Versetzungsbedingungen, an die Querversetzung oder auch an die gestern debattierten fehlenden Lösungen zum Standorterhalt.

Ich sehe bisher keine Ansätze für eine durch das Prinzip „Fördern statt Auslesen“ getragene Bildungspolitik. Auch unsere Schulen funktionieren wie Sortiermaschinen, weil Bildungspolitiker eher an naturgegebene verschiedene Begabungstypen als an die universelle Bildungsfähigkeit eines jeden Menschen glauben. Dieser mehr oder minder naturalistische Ansatz dient der Rechtfertigung der Verknappung der Bildung, das heißt der Praxis der Auslese. Daraus kann höchstens der für eine frühe Industriegesellschaft geeignete Nachwuchs erwachsen. Für die Informations- oder Wissensgesellschaft ist die bisherige Praxis untauglich. Es ist zu befürchten, dass künftig Evaluationen, Abschlussprüfungen, vielleicht auch das Zentralabitur dies noch verschärfen.

Noch ist also nicht sichtbar, wie in Brandenburg das Problem der nötigen höheren Bildungsbeteiligung einschließlich der Reduzierung der abgebrochenen Schullaufbahnen gelöst werden soll. Noch ist nicht erkennbar, was die Landesregierung unternehmen will, um die Lehrer auf schwieriger gewordene Schüler, auf völlig neue fachliche und didaktische Anforderungen vorzubereiten. Noch ist kein Konzept zur Qualifizierung der diagnostischen Fähigkeiten der Lehrerinnen und Lehrer zu erkennen. Das von uns geforderte Konzept muss auch den im Schulwesen Beschäftigten verdeutlichen, welche Anforderungen an sie gestellt werden und welche Entwicklungen sie zu erwarten haben.

Wie sollen künftig Fördersysteme installiert und ausgebaut werden, wenn es wegen der Stellenreduzierung schon jetzt völlig unzureichende Ausstattungen im Förder-, Teilungs- und Arbeitsgemeinschaftsbereich gibt? Pauschale zusätzliche Stundenzuweisungen, wie sie für den Grundschulbereich vorgesehen sind, damit wir uns in etwa bayerischen Standards nähern, sind aus unserer Sicht der falsche Weg. Es bedarf vielmehr einer deutlichen Erweiterung des Förder- und Teilungsunterrichts.

Ein Beispiel: An einem Gymnasium im Landkreis Barnim mit etwa 1 200 Schülern stehen in diesem Schuljahr ganze vier Lehrerwochenstunden für Arbeitsgemeinschaften zur Verfügung - eine lächerliche Zuweisung für eine Schule, die künftigen Hochschulnachwuchs fördern soll.

(Beifall bei der PDS)

Wenn wir uns entscheiden, den Anteil an Ganztagsschulen zu erweitern und deren Qualität zu verbessern, dann ist sicherzustellen, dass für die dafür benötigten Lehrkräfte, sozialpädagogischen und schulpsychologischen Fachkräfte die entsprechenden Stellen geschaffen werden und das Land Arbeitgeber für alle in Ganztagsschulen beschäftigten Pädagoginnen und Pädagogen ist. Mit der Haushaltssperre gibt es gerade in diesem Bereich Kürzungen.

Nach bisheriger Kenntnis bietet auch das Schulressourcenkonzept keine Lösungsansätze, die auf die Verbesserung der Qualität gerichtet sind, weil es nicht von einem nach PISA dringend zu ermittelnden neuen Bedarf ausgeht. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, die Aufgaben der Schule in ihrer gesamten Komplexität zu definieren und die dafür notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen.

Eine Reduzierung der Berechnungsgrundlage für die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen auf die Lehrer-SchülerRelation reicht nicht aus. Schon heute gibt es erhebliche Verwerfungen und damit Chancenungleichheit, weil die stellenweise günstige Lehrer-Schüler-Relation im äußeren Entwicklungsraum durch extrem schlechte Bedingungen, zum Beispiel pädagogisch unzumutbare Klassenfrequenzen, im engeren Verflechtungsraum erkauft wird.

Eine Bildungsreform, die ihren Namen auch verdient, bedarf natürlich der Einsichten und der Anstrengungen der gesamten Gesellschaft. Dennoch sollten wir mit größerem Tempo als bisher und unter Einbeziehung aller Betroffenen eine bildungspolitische Gesamtkonzeption, wie sie im Übrigen auch die GEW fordert, diskutieren und Maßnahmen zu deren Umsetzung möglichst schnell einleiten. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Große, und gebe das Wort an die Fraktion der SPD, an Frau Abgeordnete Siebke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja nicht unbekannt, dass ich, wenn über Bildungspolitik gesprochen wird, in prinzipiellen Dingen mit Frau Große oft einer Meinung bin. Aber diese Rede und der Antrag, der dieser Rede zugrunde liegt, passen irgendwie nicht zusammen. Hier wurde immer wieder eine Rede gehalten - nach PISA und auch allgemein. Sie fordern - das haben Sie zum Schluss gesagt - eine bildungspolitische Gesamtkonzeption. Sie vermittelten hier den Eindruck, als würde darüber nicht nachgedacht, als ob es keine Bausteine gebe, die in diese Richtung orientierten, und als ob nicht an einem Konzept gearbeitet würde.

Wir als SPD-Fraktion haben uns nach PISA sehr zeitnah mit

den Ergebnissen und Wirkungen befasst und forderten auf unserer Klausurtagung im Mai 2002 die Erstellung eines bildungspolitischen Reformkonzeptes, in dem dargelegt wird, was man kurz-, mittel- und langfristig verändern kann, um Schule so zu gestalten, dass die Ergebnisse besser werden.

Wir haben auch Schwerpunkte benannt, die in diesem Reformkonzept bearbeitet werden sollen. Ich möchte einige nennen: Stärkung des Bildungsauftrages in Kitas, die Verzahnung von Kita und Grundschule, die Stärkung der Grundschule und damit der Basis. Darin stimmen wir völlig überein. Wir haben gesagt, dass dieses Konzept Chancengleichheit, Flexibilität und eine lange gemeinsame Schulzeit beinhalten soll. Wir haben des Weiteren gesagt, dass die Schüler differenziert gefördert und gefordert werden müssen, dass in diesem System mehr als bisher Ganztagsschulen eine Rolle spielen müssen, dass die Einzelschule gestärkt werden muss, um entsprechend ihren Bedingungen arbeiten zu können, dass ein vernünftiges Evaluationskonzept erstellt werden muss, auf dessen Grundlage spezielle Förderung gestaltet werden kann, und dass besondere Maßnahmen ergriffen werden müssen, die die Lese- und Sprachkompetenz der Schülerinnen und Schüler beinhalten.

Wir haben erklärt, dass in diesem Sinne eine Reform der Lehrerbildung notwendig ist, und gefordert, dass es eine stärkere Verzahnung von Jugendhilfe und Schule geben muss.

Unsere Ansprüche an solch ein umfängliches Konzept liegen darin, noch einmal zu sagen, was man davon kurz-, mittel- und langfristig umsetzen kann. Alles zugleich zu tun wird nicht möglich sein.