Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

Danke schön.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 3 und rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

1. Lesung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes und anderer Vorschriften

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 3/5025

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der Landesregierung. Herr Minister Baaske, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 14. Februar dieses Jahres hat das Landesverfassungsgericht die bisherigen Regelungen zwischen Land und Kommunen zur Kostenerstattung für die Sozialhilfe für verfassungswidrig erklärt. Die Landesregierung reagiert auf diesen Spruch mit dem Änderungsgesetz zum BSHG-Ausführungsgesetz, das heute zur 1. Lesung vorliegt.

Die bisherige Kostenregelung zwischen Land und Kommunen im Verhältnis 93 : 7 versuchte insbesondere mit Blick auf den Vorrang der ambulanten Hilfen steuernd und kostensenkend zu wirken. Doch in letzter Konsequenz waren diese Elemente mit dem strikten Konnexitätsprinzip der Landesverfassung nicht in Einklang zu bringen.

Das Urteil fordert, dass bei einer Aufgabenübertragung ein entsprechender Ausgleich im Sinne der strikten Konnexität immer die vollständige Erstattung der Mehrkosten durch das Land bedeutet. Das ist - dies hat der Präsident des Gerichts ganz deutlich ausgeführt - auch auf Kostenerstattungsverfahren auszudehnen, um die es hier zum Teil auch geht. Dabei kann der Ausgleich bei Zugrundelegung von Erfahrungswerten und gerichtlich überprüfbaren Prognosen - auch das wurde am 14.02. deutlich festgestellt - durchaus auch pauschaliert werden. Der Gesetzentwurf greift genau diese Möglichkeit auf.

Der Ihnen vorliegende Entwurf geht jetzt davon aus, dass die Kostenerstattung in einem Dreistufenverfahren neu geregelt wird, wobei die dritte Stufe frühestens im Januar 2006 in Kraft treten soll.

In der ersten Stufe im kommenden Jahr werden die Aufwendungen der Landkreise und kreisfreien Städte für die stationäre und die teilstationäre Sozialhilfe nach den tatsächlichen Istaufwendungen erstattet. Das ist der Zustand, den wir jetzt auch haben.

In der zweiten Stufe in den Jahren 2004 und 2005 soll die Erstattung dann nach kreisbezogenen Pauschalen erfolgen. Diese Pauschalen wollen wir jeweils im Vorjahr gemeinsam mit den Kommunen festlegen. Um hier Sparanreize zu geben, soll bei Über- oder Unterschreitung der Pauschalen nur ein 50%iger Ausgleich erfolgen. Wer die Pauschale unterschreitet, hat Vorteile, eine Überschreitung kann auch Nachteile nach sich ziehen. Aber davon können wir zurzeit nicht ausgehen.

In der dritten Stufe schließlich wollen wir die Kommunalisierung der Ausgaben der Sozialhilfe anstreben. Das soll noch im nächsten Jahr gemeinsam mit dem Innen- und dem Finanzministerium geprüft werden. Damit würden dann bei Wahrung des Verfassungsgebotes der Mehrkostenerstattung durch das Land die Sach- und die Kostenverantwortung wieder zusammengeführt werden. Das wäre dann der Zustand, den wir bis 1994 hatten. Damals war es allerdings beim Land zusammengeführt und jetzt soll es unter der Ägide der Kommunen zusammengeführt werden. Das wollen wir aber erst gründlich prüfen und dann eventuell mit einem gesonderten Gesetz zum Jahre 2006 entsprechend fixieren.

Wir haben bei allen Schritten hin zu diesem Gesetz so frühzeitig wie möglich und auch sehr intensiv die Kommunen einbezogen; ich selbst saß vor einigen Wochen noch auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. Ich kann hier versprechen, dass wir es auch in Zukunft so halten wollen.

Neu ist - das möchte ich herausstellen -, dass wir das kommunale Handeln nicht mehr, wie es jetzt der Fall ist, nachträglich kontrollieren wollen, indem wir etwa sagen, dieser Fall ist in dem Heim nicht richtig untergebracht; vielmehr wollen wir bei schwierigen Fällen schon bei der Aufnahme miteinander beraten. Das heißt, dass sich die Experten aus dem Landesgesundheitsamt mit denen der Landkreise zusammensetzen, den Fall diskutieren und dann die Entscheidung treffen.

Ein weiteres Neues ist, dass wir einen gemeinsamen Ausschuss zwischen Land und Kommunen bilden wollen. Dieser wäre vom Land und den örtlichen Trägern der Sozialhilfe paritätisch zu besetzen.

Alle neuen Regelungen werden bis zum Ende 2004 überprüft. Ebenso ist auch vorgesehen, die Wirkung der neuen Kostenerstattung, die Pauschalierung sowie die eventuelle Überführung der Aufgaben in kommunale Verantwortung, wissenschaftlich zu begleiten.

Meine Damen und Herren, der Landtag des Landes Brandenburg hat sich zur Funktionalreform bekannt. Mit der Verfassungsänderung von vor zweieinhalb Jahren haben wir uns auch zur strikten Konnexität bekannt. Wie schwer beides in Einklang zu bringen ist, das erleben wir exemplarisch in diesem Bereich. Funktionieren wird das Ganze nur, wenn Land und Kommunen kompromissbereit sind, bereit sind, aufeinander zuzugehen, und wenn es gelingt, an der einen oder anderen Stelle zu erkennen, dass die Kostenverantwortung in diesem Bereich nicht allein beim Land und nicht allein bei den Kommunen, sondern im vernünftigen Miteinander liegt. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an die PDS-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Domres.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bekanntlich hat das Landesverfassungsgericht das im Jahr 2000 novellierte Gesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt und damit den Klagen von Kreisen stattgegeben. Das ist der Hauptgrund, weshalb wir uns heute mit dem vorgelegten

Gesetzentwurf beschäftigen. Leider wurden bei der Beratung des Haushaltsstrukturgesetzes 2000 alle Warnungen und Hinweise der Wohlfahrtsverbände, der kommunalen Spitzenverbände und der PDS-Fraktion durch die Koalition missachtet.

Mit der Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes haben die Regierung und die Koalition ihre Quittung für die politische Fehlleistung bekommen, den Landeshaushalt auf Kosten der Landkreise und der Anspruchsberechtigten zu entlasten. Das AG-BSHG regelt die Zuständigkeit und die Kostenerstattungsregelung für alle relevanten Bereiche zwischen den überörtlichen und den örtlichen Sozialhilfeträgern. Ursprünglich war dies etwas vereinfacht so geregelt, dass das Land die stationäre und die teilstationäre Hilfe finanziert hat und die Kreise die ambulante Hilfe finanziert haben.

Dies hat nach Auffassung der Landesregierung zur Vernachlässigung des Aufbaus ambulanter Strukturen geführt, ohne dass dies durch sie belegt wurde. Die Kreise hätten - so die Landesregierung damals - die Leute lieber in die Heime abgeschoben, weil sie dann nicht mehr für die Kosten hätten aufkommen müssen. Die Landesregierung hatte deshalb zwei Steuerungsinstrumente eingeführt. Ich möchte daran erinnern: Die Kostenverteilung sollte nicht mehr zu 100 % vom Land für die stationären und teilstationären Hilfen und von den Kreisen für die ambulanten Leistungen erbracht werden, sondern für beide Bereiche sollte die Kostenverteilung nach dem Schlüssel „93 % das Land - 7 % die Kreise“ erfolgen. Die PDS hatte seinerzeit eine andere, für die Landkreise günstigere Abstufung vorgeschlagen.

Der zweite Steuerungsversuch war die Festlegung von Obergrenzen für stationäre und teilstationäre Fälle, wobei bei einer Überschreitung der Fallzahl der Kreis allein zahlen sollte. Das war gerade der Punkt, der von den Kommunen beklagt und vom Landesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass der Grundsatz „ambulant vor stationär“ von allen demokratischen Fraktionen des Landtages unterstützt wird. Menschen mit Behinderungen und pflegebedürftige Menschen sollen möglichst lange in ihrer gewohnten Umgebung leben und ihre sozialen Kontakte aufrechterhalten können. Dem muss sich die Politik stellen und gerade deshalb ist bedachtsame Abwägung aller Interessenlagen notwendig. Diesem Problem wird sich meine Fraktion in den Beratungen des Gesetzentwurfs stellen.

Der Gesetzentwurf beinhaltet einige Knackpunkte, die noch zu besprechen sein werden. So werden gerade die §§ 2 a und b hier besonders der Abschluss von Landesrahmenverträgen, die Einrichtung des sozialpädagogisch-medizinischen Dienstes und die Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers - für Diskussionsstoff sorgen.

Grundsätzlich sollten die regionalen Besonderheiten für ambulante Hilfen berücksichtigt werden und sollte ein erneuter Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung unterbleiben.

Der Vorrang ambulanter Hilfe ist unstrittig. Es sollten unbedingt Anreize für den Ausbau ambulanter Strukturen und verlässliche Finanzierungsmodelle geschaffen werden. Die Mitfinanzierung der ambulanten Angebote durch das Land muss

erhalten bleiben, weil sonst Anreize für den Ausbau ambulanter Strukturen entfallen. In diesem Zusammenhang warne ich davor, die Unterstützung und Förderung ambulanter Dienste durch das Land aufzugeben. § 16 a des Gemeindefinanzierungsgesetzes darf - wie immer er dann auch heißen mag - in einem künftigen Finanzausgleichsgesetz nicht zur Disposition gestellt werden.

Der Gesetzentwurf ist der krampfhafte Versuch, mit noch komplizierteren Instrumenten Steuerungsmöglichkeiten des Landes zur Eindämmung stationären Hilfebedarfs aufrechtzuerhalten. Bestimmte Regelungen versteht kein Mensch mehr. Ich hoffe, dass dieses Gesetzgebungsverfahren nicht Maßstab der Entbürokratisierung der Landesregierung ist.

Die alte Kostenerstattungsregelung war in Bezug auf die 93:7%Regelung übersichtlicher und hatte eine deutliche finanzielle Anreizfunktion, immer vorausgesetzt, die ambulante statt der stationären Hilfe deckt den rechtlichen Bedarf ab, entspricht dem realisierbaren Wunsch der Betroffenen und führt nicht zu ungerechtfertigten Kostenverlagerungen auf Landkreise und kreisfreie Städte.

Kritisch anmerken möchte ich noch etwas zum § 5: Der zuständige Fachausschuss sollte schon über das normale Selbstbefassungsrecht hinaus beteiligt werden.

Die PDS-Fraktion wird einer Überweisung zustimmen und sich an der Qualifizierung des Gesetzentwurfs aktiv beteiligen. Danke sehr.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die Abgeordnete Konzack. Sie spricht für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf leistet die Landesregierung die erforderlichen Vorarbeiten zur Umsetzung des Landesverfassungsgerichtsurteils vom 14. Februar dieses Jahres. Auch ich möchte dies noch einmal betonen. Das Gericht folgte darin hauptsächlich der Argumentation der klagenden Landkreise, die in der 93 : 7%Regelung für die Kostenerstattung in der Behindertenhilfe eingeführt durch das Haushaltsstrukturgesetz 2002 - sowie der Fallzahldeckelung einen Verstoß gegen das in der Verfassung festgeschriebene Konnexitätsprinzip erkannten. Herr Domres, ich verstehe allerdings nicht, warum Sie in dem Zusammenhang sagen, dass das Land eine Quittung bekommen habe. Was für eine Quittung? Ein Gericht hat entschieden, dass eine Festlegung des Landes nicht rechtens ist.

(Domres [PDS]: Darauf haben wir ja auch hingewiesen!)

Das bedeutet doch nicht, dass das Land eine Quittung bekommen hat. Ich kann Ihre Rechtsauffassung nicht verstehen.

Vor dem Hintergrund des Gerichtsurteils brauchen wir eine stabile Neuregelung. Deshalb spreche ich mich für eine gründliche - allerdings auch zügige - Befassung mit dem Gesetzentwurf

aus, da seine Regelungen bereits im kommenden Jahr in Kraft treten sollen.

Zum Entwurf selbst möchte ich an dieser Stelle nur zwei konkrete Bemerkungen machen.

Erstens: Den Landkreisen und kreisfreien Städten werden sicherlich zu ihrer Zufriedenheit - im Jahre 2003 die tatsächlichen Istausgaben bei den in Rede stehenden Sozialhilfeausgaben voll erstattet. Für das Land fällt die finanzielle Belastung jedoch höher aus, als man es sich angesichts der aktuellen Haushaltssituation wünschen würde. Für die Jahre 2004 und 2005 erfolgt dann eine auf jeden Kreis und jede kreisfreie Stadt einzeln bezogene pauschale Kostenerstattung.

Zweitens: Der Grundgedanke „ambulant vor stationär“ bleibt erhalten. Ein Anreiz- und Prüfungssystem soll diesem Leitmotiv Nachdruck verleihen. Minister Baaske hat es vorhin genau erläutert.

Über Neufälle im Bereich der stationären Hilfe entscheidet der zuständige Träger der Sozialhilfe in der Regel nach Durchführung einer Fallkonferenz. Ich begrüße, dass die Verpflichtung in den Gesetzentwurf aufgenommen wurde, den stationären Hilfebedarf zu überprüfen. Ich begrüße ebenfalls, dass beim überörtlichen Träger der Sozialhilfe ein sozialpädagogisch-medizinischer Dienst angesiedelt wird, der an der Durchführung der Fallzahlkonferenzen zu beteiligen ist. Weshalb diesbezüglich besonderer Diskussionsstoff vorhanden sei, wie Herr Domres sagte, kann ich allerdings nicht nachvollziehen.

Meine Damen und Herren, die laufende Überprüfung und wissenschaftliche Begleitung der praktischen Umsetzung der Regelungen halte ich für richtig und notwendig, da wir zum 01.01.2006 eine weitergehende Kommunalisierung der Sozialhilfe anstreben. Das verdeutlicht, dass uns dieses komplizierte Thema nicht nur jetzt berührt, sondern auch weiterhin beschäftigen wird. Den vorliegenden Gesetzentwurf bitte ich in den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen zu überweisen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, unsere jungen Gäste, die auf den Besucherplätzen Platz genommen haben, sind Schüler der Gesamtschule aus Bad Wilsnack. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Das Wort geht an die Abgeordnete Fechner. Sie spricht für die DVU-Fraktion.