Protokoll der Sitzung vom 29.01.2003

(Vereinzelt Beifall bei der SPD - Vietze [PDS]: Wir haben die SPD zitiert, Herr Fritsch!)

Meine Damen und Herren, ich kann mich auch nicht mit der Einschätzung des Kollegen Christoffers zum Verlauf dieser Debatte einverstanden erklären. Es ist in der Tat eine Art Lehrstunde und eine Koalition ist keine Einheitspartei. Das wissen wir seit langem.

(Zurufe von der PDS)

Aber an den Ergebnissen von Koalitionsentscheidungen kann man die unterschiedlichen Ausgangspositionen beider Partner nicht erkennen. Heute haben wir deutlich gemerkt: Die Koalition besteht aus zwei Parteien. Jeder weiß, was Herr Lunacek und was Herr Bischoff gesagt haben und kann dies bewerten. Jetzt hören Sie auch noch, was Herr Fritsch sagt.

(Zuruf von der PDS)

Über die Haushaltslage muss ich nicht noch einmal ausführlich referieren. Das ist von den Vorrednern getan worden. Ich glaube auch - so viel Optimismus habe ich immerhin noch und behalte ihn auch -, dass es niemanden hier im Hause gibt, der an der

Notwendigkeit eines rigorosen Sparkurses oder an dem Satz „Es geht wirklich um die Zukunftsfähigkeit Brandenburgs.“ zweifelt.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD) Ich trübe den Optimismus gleich wieder. Das ist wirklich nur der kleinste gemeinsame Nenner, den ich feststellen kann. Ich glaube nicht, dass jedem klar ist, was dieser Satz in seiner Konsequenz bedeutet. Die Debattenbeiträge heute haben mich in dieser Auffassung bestärkt. Der erste Schritt - wenn man denn daran glaubt - muss natürlich eine Bestandsaufnahme sein. Es gibt überhaupt nichts daran zu kritisieren, wenn ein verantwortlicher Politiker sagt, dass wir in der Vergangenheit über unsere Verhältnisse gelebt haben, auch dann nicht, wenn er daran beteiligt war. Wer hier in diesem Hause war eigentlich nicht entweder als Beschlussfassender, als Fordernder oder als dankbarer Empfänger von Fördermitteln beteiligt? (Zuruf von der PDS: Wir waren nicht alle gleich beteiligt!)

Wir alle waren beteiligt, auch diejenigen, die damals nicht Abgeordnete waren. Wir müssen also für die Zukunft einen Gestaltungsprozess organisieren. Die Koalition hat vereinbart, dass ab März alle kritischen Themenfelder einer Strategiedebatte unterzogen werden. Dann, meine Damen und Herren, werden wir Fragen stellen, an die wir heute noch gar nicht denken.

Ich habe gestern, ohne Herrn Lunacek zu fragen, ein paar Fragen öffentlich diskutiert. Ich halte das nicht für einen schlechten Stil. Wenn sich kein anderer traut, an Tabuthemen heranzugehen, mache ich es eben.

Übrigens brauchen Sie sich nicht zu beklagen: Die Forderung, die Naturwacht ersatzlos abzuschaffen, kam unabgestimmt wohl aus Ihrer Fraktion, was ich Ihnen nicht übel nehme; denn auch über dieses Thema werden wir reden müssen. Wir werden über alle Themen reden müssen.

Mich irritiert allerdings etwas, dass das bloße Stellen von Fragen bereits so viel Unruhe auslöst. Was soll denn erst passieren, wenn die Antworten kommen? Es wird aber möglicherweise dem einen oder anderen beim Stellen solcher Fragen klar, wie schwer der Weg in den nächsten Monaten sein wird. Ich kann durchaus verstehen, dass der eine oder andere sich die Frage stellt, ob er es aushält, diese Verantwortung mitzutragen. Denn das wird kein leichter Weg.

Wir müssen bei alledem im Hinterkopf behalten: Wir geben im Land pro Einwohner 500 Euro mehr an Zuwendungen und Zuschüssen aus als vergleichbare Länder. Nun kann jeder rechnen, dass es bei 2,6 Millionen Einwohnern mal 500 Euro ungefähr 1,3 Milliarden Euro im Jahr sind. 1,3 Milliarden Euro sind aber gerade einmal der Betrag, der uns in diesem Jahr im Haushalt fehlt. Wenn wir den hätten, dann lägen wir im Durchschnitt der Vergleichsländer. Ich denke nicht, dass die Einwohner von Schleswig-Holstein den Eindruck haben, sie lebten unter menschenunwürdigen Verhältnissen. Diesen Durchschnitt anzustreben halte ich für durchaus zumutbar. Das Problem ist, dass wir im Land einen anderen Durchschnitt installiert haben und es uns nun einmal unheimlich schwer fällt, auf Gewohntes und Liebgewonnenes zu verzichten. Man könnte auch die Lehre daraus ziehen, dass solche Dinge gar nicht erst eingeführt werden sollten.

Trotzdem wird es in den nächsten Jahren besonders schwer; denn wir haben eine Übergangsphase zu gestalten, die mit Personalabbau zu tun hat, der uns auch keine Entlastung bei den Personalkosten bringt, wie wir leider gerade zur Kenntnis nehmen mussten. Wir haben eine Übergangsphase zu gestalten, die die 800 Millionen Euro an Zinsen möglichst bald möglichst weit zurückfährt; denn diese Summe fehlt uns auch. Hätten wir sie, würden wir heute ganz anders diskutieren. Dass das jeden Tag 2 Millionen Euro sind, hat Mike Bischoff schon konkret dargestellt.

Ich will auch nicht darauf eingehen, welches nun unsere Prioritäten sind. Das ist bereits von mehreren Vorrednern gesagt worden. Ich bin nur immer erstaunt, dass offenbar einige Abgeordnete nicht mehr wissen, dass der Pfad Bildung, Wirtschaft, Wissenschaft die Strategielinie der Landesregierung ist.

(Frau Osten [PDS]: Die Worte hört ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!)

Dass sie sich in den Haushaltsentwürfen widerspiegeln muss, ist klar; das wird sie auch. Dass man Prioritäten nicht in dieser oder jener Einsparliste findet, ist auch klar. Prioritäten beziehen sich immer auf den Gesamthaushalt und nicht auf den einzelnen Diskussionspunkt.

Wir haben eine ganze Reihe von Punkten zu bearbeiten: Die Zinslast muss gesenkt werden: die 800 Millionen Euro brauchen wir selbst und nicht die Banken; die Ausgaben müssen dauerhaft um 700 bis 800 Millionen Euro verringert werden - wir liegen dann aber immer noch nicht unter dem Durchschnitt der Vergleichsländer des Bundes - und wir müssen die Kommunen wirksam entlasten. Die Vorschläge hierzu müssen noch mit Beträgen untersetzt werden; das ist klar, sonst kann man die Wirkung nicht überprüfen.

Einige Schritte sind bereits gegangen worden. Das Schulressourcenkonzept wurde auf den Weg gebracht. Die Möglichkeiten zu eigenem Handeln müssen wir wahrscheinlich unseren Kindern verstärkt anerziehen. Bildung heißt nicht nur Wissen zu vermitteln, Bildung heißt auch, Einstellung zum Leben zu vermitteln, zu selbstbestimmtem Leben, zu selbstgestaltetem Leben, zu kreativem Leben. Helfen Sie uns alle dabei! Wir haben es bitter nötig.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke dem Abgeordneten Fritsch. - Wir sind am Ende der Rednerliste zum Tagesordnungspunkt 2. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 2 und unterbreche die Sitzung des Landtages bis 13 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung: 12.19 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung: 13.01 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich eröffne den Nachmittagsteil der heutigen Sitzung und rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

2. Lesung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes und anderer Vorschriften

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 3/5025

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen

Drucksache 3/5318

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält die PDS-Fraktion. Bitte, Herr Abgeordneter Domres.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der 1. Lesung hatte ich Ihnen im Namen der PDS-Fraktion versprochen, dass sich die Fraktion aktiv an der Qualifizierung des Gesetzentwurfs beteiligen wird. Ich glaube, dies wurde sowohl in der Anhörung des Ausschusses als auch in der Antragssitzung deutlich.

Ich möchte auch gern eingestehen, dass wir uns mit den von uns gestellten Änderungsanträgen mehr Erfolg gewünscht hätten. Gerade nach der Pleite vor dem Landesverfassungsgericht hätte ich mir bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, ein größeres Problembewusstsein gewünscht.

Für uns ist die Herstellung des Einvernehmens mit den örtlichen Sozialhilfeträgern beim Abschluss von Leistungsvergütungsund Prüfungsvereinbarungen mehr als nur eine kosmetische Änderung am Gesetz. Für eine Einschränkung gäbe es weder sachliche noch rechtliche Gründe, denn sie entspricht nicht der derzeitigen Rechtslage nach dem BSHG.

Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Fragen der Kostenerstattung und der Finanzierung der Personal- und Sachaufwendungen von der Koalition sensibler behandelt werden. Auch wenn dieses Gesetz nicht mehr so viel verfassungsrechtlichen Sprengstoff in sich birgt, ist doch eine ganze Reihe von finanziellen Unwägbarkeiten speziell für die Landkreise und kreisfreien Städte enthalten. Ich möchte Sie an dieser Stelle zunächst noch einmal benennen.

Auch eine geringfügige Über- oder Unterschreitung der Pauschalen, also eine Veränderung unter 1 %, sollte aus unserer Sicht bei der Kostenerstattung Berücksichtigung finden. Ich hätte nicht gedacht, dass die volle Kostenerstattung für die Fälle, die in der Kostenzuständigkeit anderer Bundesländer liegen, von der Koalition abgelehnt wird. Aus Sicht der PDS-Fraktion

muss es darum gehen, dass die örtlichen Träger der Sozialhilfe eine volle Kostenerstattung außerhalb der pauschalen Kostenerstattung erhalten. Für die genannten Fälle bedarf es einer Klärung auf Länderebene, und leider konnte die Koalition, aus welchen Gründen auch immer, unserer Auffassung nicht folgen.

Zum Ausgleich der Personal- und Sachaufwendungen erhalten die Kreise 0,9 % der nach Absatz 3 ermittelten Pauschale. Dies entspricht nicht den tatsächlichen Aufwendungen. Ein der Realität angemessener Ausgleich würde bei 1,5 % liegen, was also einem zusätzlichen Finanzbedarf von 1,8 Millionen Euro entspricht. Hier liegen Belastungen für die ohnehin angespannten Haushalte der Kreise und kreisfreien Städte, die leider in der aktuellen Diskussion um die Finanzen der Kommunen vonseiten der Landesregierung ausgeblendet werden.

(Beifall bei der PDS)

Ich halte also fest: Eine angemessene Kostenerstattung, sprich eine angemessene Erstattung der Personal- und Sachkosten, erfolgt auch mit diesem Gesetz nicht. Dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ wird mit diesem Gesetz ebenfalls nicht stärker Rechnung getragen.

Mit den von der PDS eingebrachten Änderungsvorschlägen sollten zusätzliche Anreize zur Entwicklung ambulanter Strukturen gesetzt werden. Die Änderung würde gegenüber den örtlichen Trägern ein höheres Maß an Verbindlichkeit und Planungssicherheit schaffen. Aber auch hier hatten wir keine Chance, bei der Koalition ein offenes Ohr zu finden. Die Förderung ambulanter Strukturen braucht Anreize. Hier darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Landesregierung ausschließlich nach Kassenlage entscheidet. In diesem Zusammenhang warne ich erneut davor, § 16 a des Gemeindefinanzierungsgesetzes zu streichen.

(Beifall bei der PDS)

Nicht zuletzt möchte ich bedauernd erwähnen, dass es nicht möglich war, entsprechend § 11 im gemeinsamen Ausschuss fünf Vertreter der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege zu verankern.

Dem gemeinsamen Ausschuss wird eine Reihe von Aufgaben übertragen, die das Gebot der Zusammenarbeit der Sozialhilfeträger mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften und den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege gemäß § 10 BSHG berühren. Die Ablehnung ist uns nicht verständlich.

Zum Schluss bleibt festzuhalten:

Erstens: Die Chance, die Kommunen zumindest nicht weiter zu belasten, wurde nicht genutzt.

Zweitens: Die Stärkung des ambulanten Bereichs ist nicht verbindlicher geworden und hat nicht mehr Planungssicherheit erfahren.

Drittens: Das Gesetz bringt keine wirklich durchgreifende Reform. Meines Erachtens fällt es sogar hinter den Ansatz der letzten Novellierung zurück. Spielräume, die das Landesverfassungsgericht gelassen hat, sind nicht ausgeschöpft worden.

Die PDS-Fraktion lehnt diesen Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort erhält die SPD-Fraktion. Für sie spricht die Abgeordnete Konzack.