Protokoll der Sitzung vom 09.04.2003

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Siebke. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der DVU, Frau Abgeordnete Fechner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Klein,

(Klein [SPD]: Vielen Dank!)

das Bildungsministerium gibt den kleinen Finger, die PDSFraktion möchte die ganze Hand. Die Landesregierung hat die Regelung getroffen, nur in Grundzentren ausnahmsweise 30 statt 40 Schüler pro Jahrgang zuzulassen. Nun fordert die PDSFraktion, dass diese Regelung auf alle Gesamtschulen im ländlichen Raum auszuweiten ist - und das bereits mit Beginn des kommenden Schuljahres. Damit hat sie eine kürzlich gestellte Forderung der GEW aufgegriffen. Nicht nur die GEW forderte die Regelung, sondern auch die vor wenigen Wochen in Perleberg stattgefundene Konferenz zum Erhalt der weiterführenden Schulen im ländlichen Raum. Die gleiche Forderung kam vom Kreistag Potsdam-Mittelmark, der Stadtverordnetenversammlung der Landeshauptstadt Potsdam usw. usf. Alle fordern den Landtag und die Landesregierung auf, die Absenkung der Mindestschülerzahl für alle weiterführenden Schulen zu ermöglichen.

Die Forderung nach kleineren Klassen ist alt und wird immer wieder gestellt, was verständlich ist, denn erwiesenermaßen lernt und unterrichtet es sich in kleineren Klassen besser als in Klassen mit einer großen Schülerzahl. Auch - das gibt die PDSFraktion in der Begründung ihres Antrages an - könnten so manche Schulstandorte im ländlichen Raum erhalten bleiben. Inwieweit aber tatsächlich längerfristig Standorte erhalten bleiben, ist fraglich, wenn man sich die dramatische Bevölkerungsentwicklung nicht nur in den berlinfernen Regionen ansieht. Ich bin davon überzeugt, dass es niemanden im Saal gibt, der sich nicht kleinere Klassen wünscht, auch in Anbetracht der PISAStudie, die eindeutig belegt hat, wie schlecht der Bildungsstand unserer Brandenburger Kinder ist.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Der PDS-Fraktion geht es mit ihrer heutigen Forderung in erster Linie nicht um die Qualität des Unterrichts, sondern um den Erhalt von Schulstandorten im ländlichen Raum. Wir alle wissen, dass aufgrund der demographischen Entwicklung speziell im ländlichen Raum der Standort vieler Schulen gefährdet ist. Die Schließung dieser Schulstandorte ist mit vielen Unannehmlichkeiten, zum Beispiel mit längeren Schulwegen für unsere Kinder, verbunden. Dass damit auch die Region, in der sich dann keine Schule mehr befindet, für viele Menschen unattraktiver wird, dürfte bekannt sein. Wer hat schon Interesse daran, sich an einem Ort niederzulassen, in dem es keine Schule gibt? Wer mutet seinen Kindern schon gern lange Schulwege zu?

Meine Damen und Herren! Theoretisch müsste jeder in diesem

Haus diesem Antrag zustimmen, wenn da nicht die katastrophale Lage des Landeshaushaltes wäre. Auch als Oppositionsfraktion sollte man die sehr wohl berechtigte Forderung nach ihrer Finanzierbarkeit hin überprüfen. Dass die Umsetzung dieses Antrages viel Geld kosten würde, dürfte jedem einleuchten. Somit kann ich mir nicht recht vorstellen, dass dieser gut gemeinte Antrag heute im Plenum eine Mehrheit findet. Nichtsdestotrotz sollte sich die Landesregierung bewusst sein, wie wichtig die Bildung für unsere Kinder ist. Dieses wird zwar seitens der Landesregierung - ganz speziell von unserem Bildungsminister, Herrn Steffen Reiche - immer wieder betont, aber gehandelt wird danach nicht. Wie anders lassen sich die geplanten Kürzungen im Bildungsbereich erklären?

Uns allen, insbesondere der Landesregierung, sollte bewusst sein: Wer bei der Bildung spart, nimmt unseren Kindern die Chance auf eine gute Ausbildung und damit die Chance auf eine positive berufliche Perspektive. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der CDU, Frau Abgeordnete Hartfelder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe die Begeisterung in Ihren Augen, zu dieser fortgeschrittenen Stunde schon wieder - um genau zu sein, zum dritten Mal seit 2002 über die Schulen im ländlichen Raum zu sprechen. Als manchmal verständnisvoller Mensch fasse ich mich deshalb kurz und verweise auf die diversen Reden, die ich schon gehalten habe.

Damit am Ende niemand sagen kann, dass die CDU-Fraktion keine Sorge um die Schulen im ländlichen Raum habe, Folgendes: Sie alle wissen, dass ich aus einem Raum komme, der nicht gerade überbevölkert ist. Die Sorge um jeden Schulstandort treibt jeden Kommunalpolitiker um. Dennoch: Die CDU-Fraktion trägt die Beschlüsse der Landesregierung bezüglich der Absenkung der Schülerzahlen bei der Errichtung der 7. Klassen zum Schuljahr 2004/05 mit und wird diese auch mit umsetzen, wohl wissend, dass Kreistagsabgeordnete und Landräte der CDU schon in diesem Jahr eine Absenkung fordern.

Wichtiger, meine Damen und Herren, ist mir allerdings etwas anderes: Wenn es um die Frage geht, ob 7. Klassen errichtet werden oder nicht, dann muss vor Ort das Verfahren zur Errichtung bzw. Nichterrichtung solcher Klassen auch transparent sein. Aber darüber werden wir morgen in der Fragestunde noch einmal zu reden haben. Als Landtagsabgeordnete, Frau Große, müssten Sie wie alle Mitglieder Ihrer Fraktion wissen, dass wir zwar die Vorsorge für die Schulen und für viele andere Dinge im Land zu treffen, aber auch die Sorge um die Zukunft im Auge zu behalten haben. Die Zukunft unseres Landes ist auch mit der Frage verbunden, ob wir künftig die Dinge, die wir tun müssen, auch finanzieren können. Was wir heute verspielen, Frau Osten, müssen unsere Kinder morgen ausbaden.

(Zuruf der Abgeordneten Osten [PDS])

Das haben die Kollegen Ihrer Partei in Berlin anscheinend erkannt.

(Frau Osten [PDS]: Das sind doch ganz andere Sachen!)

Denn in Berlin haben viele Maßnahmen der rot-roten Koalition, die Sie heute hier einfordern und die Sie gern durchführen möchten, gar keine so großen Früchte getragen.

Meine Damen und Herren, ein letztes Wort dazu: Wenn Sie aufhören, „Tischlein deck dich!“ oder „Wünsch dir was!“ zu spielen und sich mit den wirklich schmerzhaften Realitäten, die wir haben, auseinander setzen,

(Zuruf der Abgeordneten Wehlan [PDS])

dann werden Sie vielleicht auch in Brandenburg wieder etwas ernster genommen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hartfelder. - Ich gebe das Wort an die Landesregierung. Herr Minister Reiche, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Liebe Frau Große, gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht. Sie sagen zu Recht: In einem der hinsichtlich der Schulentwicklungsplanung schwierigsten Gebiete unseres Landes, in der Prignitz, traut man sich aus Angst vor den erschreckenden Folgen nicht, deutlich zu sagen, was man will und wohin man will. Deshalb empfand ich es als gute Regelung, mit dem dortigen Landrat in Gegenwart von Herrn Gemmel und Herrn Domres zu verabreden, nach dem Vorliegen einer einvernehmlichen Planung, in deren Folge es möglich sein könnte, über die drei Standorte Wittenberge, Pritzwalk und Perleberg hinaus einen, vielleicht gar zwei weitere Schulstandorte durch Absenkung der Zügigkeit an den drei genannten Standorten zu erhalten, miteinander zu reden und das Ergebnis dann auch gemeinsam vor den Bürgern zu vertreten.

Eine Reduzierung der Zügigkeit hat natürlich auch immer Gegner. Wir haben das im letzten Jahr erlebt. Damals habe ich die Zügigkeit an der Gesamtschule Pritzwalk von fünf auf vier reduziert. Sofort gab es laut Protest von sehr vielen Putlitzern, die ihr Kind nicht nach Putlitz bringen wollten, sondern es gern an die Gesamtschule nach Pritzwalk gebracht hätten, es aber nicht konnten, weil die Zügigkeit nicht vorhanden war. Das ist das Problem. Deshalb muss man in dieser Hinsicht ehrlich miteinander umgehen.

Wenn der Landrat - meinetwegen auch mit Unterstützung meiner Kollegen - seine Hausaufgaben gemacht hat, bin ich gern bereit, die schwierige Situation der Absenkung der Zügigkeit an den Gymnasien und Gesamtschulen der drei großen Orte, um ein oder zwei weitere Schulstandorte erhalten zu können, zu besprechen.

Viele von Ihnen werden in den letzten Tagen eventuell den Film

„Haben und Sein“, der den französischen Kurzfilmpreis bekommen hat, gesehen haben.

(Klein [SPD]: „Goodbye Lenin!“ haben wir gesehen!)

- Der Film „Goodbye Lenin!“ ist sehenswert, aber „Haben und Sein“ lohnt sich auch. Es ist ein Film über eine französische Grundschule. An den Reaktionen einiger Abgeordneter merke ich, dass sie den Film gesehen und genossen haben. Sie sehen in dem Film, dass in der Auvergne in Frankreich eine kleine Gruppe von Schülern natürlich auch in ein Collège einer größeren Stadt geht. Warum auch nicht?

Frau Große, schauen Sie sich bitte an, was Sie hier fordern, und rechnen einmal mit! Sie sagen: Wir wollen nicht zweimal 30 Schüler haben. Zweimal 30 Schüler in vier Jahrgangsstufen bedeuten auch nur 120 Schüler. Ich will vorrechnen, dass die Schülerzahl nach dem Vorschlag von Frau Große auf 100 oder gar unter 100 sinken würde. Nach der Lehre von den sinnvollen Größen - Sie als Lehrerin wissen das vielleicht besser als manch anderer hier im Raum - kann eine solche Schule für 12- bis 16-/ 17-jährige Schüler überhaupt nicht funktionieren, weil sie diesen Schülern nicht vermitteln kann, was sie brauchen und worauf sie Anspruch haben.

Insofern, Frau Große, meine ich: Seien Sie redlich! Sie sagen aus pädagogischen Gründen zu Recht, dass Sie gegen die Hauptschule sind. Die Schulen, die Sie im ländlichen Raum gründen wollen, würden bestenfalls Hauptschulen sein, weil alle anderen Schüler natürlich in die größeren Städte an die Gymnasien, an die Gesamt- und die Realschulen fahren werden. Nur die Schüler, die sich nicht von dem Ort wegbewegen, bleiben dann dort. Insofern beißt sich das, was Sie zu Recht in pädagogischer Hinsicht anstreben - die pädagogische Forderung ist allemal die hochwertigere, auch für Sie -, mit dem, was Sie aus eher populären Gründen - um nichts Schlimmeres zu sagen für den Erhalt von Schulen im ländlichen Raum fordern.

Liebe Frau Große, es geht hier wirklich nicht um Geld, sondern es geht um eine sinnvolle Pädagogik, wozu wir eine bestimmte Zahl von Schülern haben müssen, um auch die notwendige Zahl von Fachlehrern auf Dauer an den Schulen beschäftigen zu können.

Das ist der Punkt, an dem ich Sie unterbrechen kann, Herr Minister. Es sind Fragen angemeldet. Würden Sie diese bitte beantworten?

Aber gern.

Bitte schön, Herr Abgeordneter Dellmann.

Sehr geehrter Herr Minister! In einigen Landkreisen gibt es bezüglich der Schulen des weiterführenden Bereichs die Diskussion darüber, ob die Mindestzügigkeit drei- oder zweizügig sein

sollte. Teilen Sie meine Auffassung, dass es gerade für den Erhalt der Schulen im ländlichen Raum ausgesprochen sinnvoll wäre, im Sekundarbereich als Mindestzügigkeit die Zweizügigkeit vorzuschreiben?

Es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die sagen, dass dreizügige Schulen besser funktionierten als zweizügige. Diese Menschen haben Recht. Gerade weil sie Recht haben und wir zumindest im ländlichen Raum in einer Vielzahl von Orten in den Grundzentren noch weiterführende Schulen haben, müssen wir dort die Zweizügigkeit zulassen, um Standorte zu erhalten. Ansonsten würde ich - da sind sich Frau Große, Frau Siebke und Frau Hartfelder völlig einig - im Sinne der pädagogischen Entwicklung letztlich immer für Schulgrößen sein, die im weiterführenden Bereich auf über 150 oder gar 200 Schüler kommen. Eine Schule mit 200 bis 600 Schülern hat die optimale Größe. In Zukunft werden wir vermutlich in Brandenburg außer den Oberstufenzentren fast keine Schulen mehr mit über 600 Schülerinnen und Schülern haben. Wir haben im Moment deutlich größere Schulen - 800 bis 1 000 Schüler -, zum Beispiel in Luckenwalde. Aber Derartiges ist bei dem Rückgang der Schülerzahlen überhaupt nicht mehr darzustellen.

Insofern, Frau Große: Hand aufs Herz, geben Sie sich einen Ruck! Sagen auch Sie in Zukunft: Pädagogik geht vor Schulstandorterhaltung! Wir treffen diese Entscheidung im Interesse einer guten Pädagogik, denn wir machen doch Schule für Schüler und nicht für Bürgermeister und Orte.

Herr Minister, ich unterbreche Sie ungern. Aber es war noch eine weitere Frage angemeldet. Herr Domres, bitte.

Herr Minister, ich habe zwei Nachfragen.

Erstens: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie dem Landrat vorwerfen, er hätte seine Hausaufgaben nicht gemacht?

Zweitens: Kann es sein, dass die Rahmenbedingungen für die Schulentwicklungsplanung im ländlichen Raum nicht stimmig sind?

Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe lediglich wiederholt, was ich dem Landrat - auch in Ihrer Gegenwart - gesagt habe. Wir sehen ein, dass der Landrat dafür Zeit braucht. Er befindet sich im normalen Verfahren und prüft, welche Erstwünsche es gibt und welche Standorte gefährdet sind. Wir verzeichnen insoweit sowohl in der Prignitz, aber auch in anderen Landesteilen eine sehr dramatische Entwicklung. Nach unserer Prognose sollten zwischen 50 und 70 Schulen schon in diesem Schuljahr keine 7. Jahrgangsstufen mehr bilden. Diese Prognose trifft aller Voraussicht nach zu. Insofern halten wir den Zeitplan ein. Ich hoffe, dass meine Gespräche mit dem Landrat bis Ende April/Anfang Mai so weit gediehen sind, dass vor Ort seine Schulentwicklungsplanung präsentiert werden kann. Er darf mir nicht, etwa aus Sorge vor seinen Bürgern, eine ihm vom Gesetz

übertragene Aufgabe überhelfen. Wenn er seine Aufgabe gelöst hat, bin ich gern bereit, das Ergebnis mit ihm gemeinsam vor Ort vor den Bürgern zu vertreten; denn ich bin mir sicher, dass Herr Lange eine für die Schulstandorte und für die Schulen in der Prignitz gute Lösung findet.

(Beifall bei der SPD - Domres [PDS]: Die Frage nach den Rahmenbedingungen ist noch nicht beantwortet!)

Ich danke Ihnen, Herr Minister Reiche. - Wir sind am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt angelangt und kommen zur Abstimmung.

Ich rufe den Antrag der Fraktion der PDS, der Ihnen in der Drucksache 3/5530 vorliegt, zur Abstimmung auf. Wer dem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 14.