Protokoll der Sitzung vom 10.04.2003

(Beifall bei der SPD)

Ich danke der Abgeordneten Redepenning. - Für die DVU-Fraktion hat die Abgeordnete Fechner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Genossen der PDS, über Ihre parlamentarischen Aktivitäten in diesem Hause bin ich doch ziemlich erstaunt. Ich habe den Eindruck - ich denke, nicht nur ich, sondern auch andere Kollegen -, dass Sie hier nach Ihrer alten sozialistischen Planmethode arbeiten.

(Beifall bei der DVU)

Sie haben sich das Ziel gestellt, innerhalb der Legislaturperiode soundso viele Anträge einzubringen, egal, ob sie sinnvoll sind oder nicht.

(Frau Siebke [SPD]: Das trifft wohl eher auf Sie zu! - Klein [SPD]: Darauf kommen wir nachher noch einmal!)

Zum Beispiel mussten wir uns gestern mit einem Antrag beschäftigen, der bereits mehrmals im Ausschuss behandelt wurde und wo bereits im Ausschuss festgelegt wurde, dass dieser im Ausschuss verbleibt. Leider sollte er gestern auf Ihren Antrag hin noch einmal interpretiert werden. Heute stellen Sie den Antrag, dass Ergebnisse eines Modellversuchs publiziert werden sollen. Diese Ergebnisse wurden bereits publiziert. Der Bericht liegt vor.

(Frau Fechner zeigt ein Dokument. - Zuruf von der PDS: Haben Sie ihn auch gelesen?)

- Den habe ich auch gelesen.

(Frau Siebke [SPD]: Aber nicht verstanden!)

Damit hat sich der erste Teil Ihres Antrages schon erledigt.

Des Weiteren fordert die PDS im zweiten Teil ihres Antrags, dass die Landesregierung bis Juli 2003 - also innerhalb von wenigen Monaten - verbindliche Maßnahmen zur Entwicklung des Sprechverhaltens und der Sprachförderung in Kindertagesstätten formulieren soll. Ich kann nicht recht nachvollziehen, warum Maßnahmen formuliert werden sollen. Wäre es nicht sinnvoller, sie zu beschließen und umzusetzen? Diesen Teil des Antrags hätten Sie sich ebenfalls sparen können; denn auch Ihnen dürfte die angespannte Haushaltslage nicht entgangen sein.

Die finanziellen Mittel, die nötig wären, um Maßnahmen zur Entwicklung des Sprechverhaltens und der Sprachförderung in Kindertagesstätten umzusetzen, wurden gestern und heute in das Milliardenloch des Haushalts geworfen.

Für die wenigen Millionen, die dafür hätten investiert werden müssen und die wir jetzt sparen, werden wir in wenigen Jahren spätestens in einem Jahrzehnt - die Quittung bekommen. Bereits jetzt entstehen erhebliche Kosten durch Schulabbrecher und Schulversager, die keinen Arbeitsplatz finden und von der Allgemeinheit finanziert werden müssen. Von den Kosten, die durch kriminelle Jugendliche entstehen, will ich gar nicht sprechen.

Die Ursachen der mangelnden Sprachentwicklung liegen bei vielen in der Kindheit. In Brandenburg weist eine seit Jahren steigende Zahl von Kindern im Vorschulalter Sprachentwicklungsstörungen auf. Die Folge sind zwangsläufig Probleme in der Schule. Die Kinder können dem Unterricht nicht recht folgen oder werden verhaltensauffällig.

Im Rahmen des Modellprojektes „Sprechverhalten und Sprachförderung in der Kita“ wurden Methoden entwickelt und erprobt, mit denen solche Probleme bereits im Vorschulalter massiv reduziert werden können. Durch vergleichsweise wenig zusätzliche Förderung der Kinder während der normalen KitaZeit durch Erzieherinnen mit Zusatzausbildung lässt sich die Mehrzahl dieser Entwicklungsstörungen aufhalten. Die meisten

sprachentwicklungsgestörten Kinder könnten auf diese Weise effektiv und relativ kostengünstig ohne diese Vorbelastung in die Grundschule gehen. Doch wann das Land Brandenburg bereit sein wird, in die Zukunft dieser Kinder zu investieren, steht in den Sternen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der PDS geht in die richtige Richtung, ist aber aus den anfangs genannten Gründen abzulehnen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Für die CDUFraktion hat die Abgeordnete Marquardt das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich tue mich mit dem Antrag der PDS allein von der Interpretationsleistung her, wie er gestellt ist, schwer. Es geht erstens darum, die Sprachkompetenzen unserer Kinder in der Hauptentwicklungsphase des Sprechens - Frau Redepenning hat dazu bereits Ausführungen gemacht - weiterhin zu stärken, um Entwicklungsverzögerungen oder Sprachauffälligkeiten zu verhindern. Das ist der erste Auftrag, den Eltern und auch Kindereinrichtungen, die mit Fachpersonal ausgestattet sind, einfach zu leisten haben.

Zum Zweiten, denke ich, muss man sicherlich prüfen, inwieweit wir in der Erzieherausbildung stärker für ein frühzeitiges Signalisieren - sprich diagnostischer Fähigkeiten, psychologischer Fähigkeiten - sorgen, damit die Erzieher in der Lage sind, erste Ansätze von Entwicklungsabweichungen oder einer verzögerten Entwicklung zu diagnostizieren, um geeignete Frühmaßnahmen zu tätigen.

Was sie nicht leisten kann und wird - das wird sicherlich auch künftig nicht zu leisten sein -, sind Sondersprachleistungen, also Sondersprachförderung. Dafür haben wir Fachpädagogen, Sprachtherapeuten und Logopäden, die das leisten sollen und müssen. Diesbezüglich tue ich mich etwas schwer; denn der Ansatz ist sicherlich folgender - so lautet auch das Modellprojekt -: „Sprechverhalten und Sprachförderung in der Kita“

Seit 1963 bin ich mit dem Tätigkeitsfeld befasst und weiß, dass die Sprechentwicklung und Sprachförderung von Anfang an ein Brennthema war, das uns immer beschäftigt hat, weil wir nie auch nicht zu DDR-Zeiten - mit den Ergebnissen zufrieden waren, wenn man das Gefälle betrachtet. Die Verweildauer der Kinder in den Einrichtungen - beispielsweise in den Wochenkrippen - ist immer mit erheblichen Sprachdefiziten einhergegangen. So neu ist das Problem also nicht. Wir haben diesbezüglich sicherlich noch sehr viel mehr zu leisten.

Mir kommt es darauf an, die Bedingungen für die Sprechentwicklung zu stärken, also eine Umwelt zu schaffen, die entwicklungsgerecht ist, um die Kinder, die von Hause aus neugierig und interessiert sind, anzuregen, Dinge zu erkunden und Dinge zu erfassen, um auch sprachlich animiert zu werden. Sprache entwickelt sich, indem die Kinder Gegenstände, Erscheinungen, Personen benennen möchten, um sich verständlich zu machen. Das ist sicherlich der Ansatz.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Marquardt?

Bitte schön, Frau Faderl.

Es ist allerdings schon zwei Minuten her.

Ich hatte keine Chance, Frau Marquardt zu unterbrechen.

Frau Marquardt, wir sind ja ehemalige Kolleginnen in der Ausbildung von Erzieherinnen. Nachdem Sie die über 100 Seiten des Projektes gelesen haben, frage ich Sie: Kommt es Ihrer Meinung nach nicht nur darauf an, Logopäden einzusetzen, sondern kann die bewusste Spracherziehung in den Kindertagesstätten nicht auch genau die Defizite abbauen, die nach allen Schülerstudien als Sprachauffälligkeiten zu beklagen sind?

Diesen Zusammenhang sehe ich so nicht. Es ist keine Frage des einfachen Verbalisierens, sondern ich sehe auch zeitbezogene Probleme, wenn ich an Sprechgeschwindigkeit oder an die Mängel in den Familien denke. Es setzt sich im gesamten Alltag der Kita sicherlich fort, dass mitunter zu wenig Zeit bleibt, um sich zu artikulieren. Die Studie zeigt, dass sprachauffällige Kinder in einer Gruppe sehr gut sprechender Kinder - das wird in der Studie eindeutig gesagt - ganz einfach auch zurückgedrängt werden. Das können wir nicht zulassen. Da gibt es schon Bezüge und ich glaube, dass wir fachlich gar nicht sehr weit auseinander liegen. Ich tue mich aber einerseits mit der Formulierung des Antrags schwer, andererseits stört mich wieder, dass in der Kürze der Zeit - Juli 2003 - Dinge festgelegt werden sollen, die innerhalb dieses Zeitraums nicht mit langfristigen Zielen zu versehen sind. Lassen Sie uns doch erst einmal in Ruhe die Studie überdenken. Die Forderung, dass sie weiter publiziert wird, ist nicht wichtig. Jeder Pädagoge im Landesdienst, der die Kinder betreut, ist dazu verpflichtet, ins Internet zu schauen. Der Bericht ist daher jederzeit zugänglich, sodass wir ihn nicht weiter streuen müssen. Damit haben wir überhaupt nichts gewonnen. Die Studie ist schon bisher jedem Erzieher zugänglich gewesen. In seinem Interesse liegt es, die Ergebnisse der Studie in seiner Arbeit auch zu bewerten. Darin steckt meiner Ansicht nach das Problem. Für mich ergibt sich allein schon aus der Zeitschiene, dass wir den Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Marquardt. - Ich gebe das Wort der Landesregierung. Herr Minister Reiche, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wenn die Opposition der Regierung bestätigt, dass ein Projekt der Landesregierung - ich zitiere Frau Große - „ungewöhnlich nützlich war“, dann ist im Parlament eine Sternstunde erreicht.

(Oh, oh! bei der PDS sowie weitere Zurufe)

- Ich habe Ihre Zwischenrufe leider nicht verstanden. - Dem Anliegen des Antrags, die Sprachförderung in den Kindertagesstätten des Landes zu verbessern, kann ich zumindest uneingeschränkt zustimmen. Ich freue mich auch über die zu so später Stunde erreichte Aufmerksamkeit für dieses Thema. Ob es allerdings wirklich stimmt, Frau Große, dass immer alles schlechter wird und dass das Sprechverhalten der Kinder in unseren Kindertagesstätten heute wirklich so viel schlechter ist, weiß ich nicht. Allerdings fällt es uns heute mehr und stärker als früher auf. Darin stimme ich Ihnen zu. Insofern können, müssen und sollten wir heute auch mehr machen und mehr intervenieren als früher.

Die Förderung des Sprechverhaltens und der Sprachförderung in den Kitas ist ganz gewiss ein zentraler Baustein zur Stärkung des Bildungsauftrags der Kindertagesstätten. Das gleichnamige Projekt des Landesjugendamtes reiht sich in vielfältige, aber gleichzeitig auch gezielte Maßnahmen ein. Dazu gehören für mich die Grenzsteine der Entwicklung, mit deren Hilfe Entwicklungsprobleme von Kindern ab dem ersten Lebensjahr mit einer sehr einfachen Methode erkannt werden können.

Im nächsten Monat wird der Qualitätswettbewerb Kita ausgewertet und es werden dann auch die Preise verliehen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt werde ich offen darlegen können, dass sich von den rund 2 000 Kitas über 350 Kitas diesem Qualitätswettbewerb gestellt haben. All denen wird die Teilnahmebereitschaft bestätigt werden.

Wir haben zum Bildungsauftrag ein Buch mit vielen Praxisvorschlägen publiziert. Dieses Buch ist an alle Kitas verteilt worden. Sie kennen sicherlich die nicht nur in Brandenburg, sondern mittlerweile auch in Deutschland sehr beliebte Reihe „Kita-Debatte“, in deren Rahmen wir in den letzten Jahren eine große Anzahl von Themen bearbeitet haben. Mittlerweile sind neun Hefte dieser „Kita-Debatte“ erschienen.

Zuletzt habe ich ein Gutachten zum Bildungsauftrag erstellen lassen, das in seinem zweiten Kapitel die Bausteine für die Weiterentwicklung von Kindergärten als Bildungsorte darstellt. Als solche Bausteine werden dort genannt: sprachliche Kompetenz, logische, mathematische und wissenschaftliche Kompetenz, musikalische Kompetenz, körperliche Kompetenz, die darstellende künstlerische Kompetenz und die personale Kompetenz. Diese verschiedenen Kompetenzbereiche werden beschrieben und praxisnah erläutert. All diese Texte sind übrigens auch auf den Internetseiten meines Ministeriums unter dem Stichwort Kita nachzulesen.

Auf meine Initiative hin wird in der Kultusministerkonferenz und in der Jugendministerkonferenz die Diskussion über ein Verfahren zu nationalen Bildungsstandards für Kitas geführt werden. Ich habe damals zumindest mit der heute nicht mehr im Amt befindlichen Bundesfamilienministerin Bergmann einen Konsens für einen nationalen Bildungsplan für Kindertages

stätten erreicht. Leider will Frau Ministerin Schmidt dieses Projekt nicht fortführen.

Ich habe meine Kollegen sowohl in der KMK als auch in der Jugendministerkonferenz aufgefordert, uns über ein Verfahren über einen solchen nationalen Bildungsplan zu verständigen und uns darüber zu unterhalten, wie wir zu solchen nationalen Bildungsstandards für Kindertagesstätten kommen. Denn dass Schweden sowohl in der IGLU-Studie als auch in der PISAStudie definitiv besser abgeschnitten hat, hängt für mich damit zusammen, dass die Schweden ein Curriculum für Kindertagesstätten bzw. für die Vorschule haben. Deshalb halte ich es für notwendig, an diesem Projekt zu arbeiten. Sie sehen, wir haben uns intensiv auf den Weg gemacht.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gern.

Bitte sehr, Frau Faderl.

Herr Minister, wenn Sie sagen, konkrete Maßnahmen seien nicht notwendig, weil sich die Erzieherinnen in den Kitas das Wissen im Internet selbst aneignen und es umsetzen können, frage ich Sie, ob Ihnen zur Kenntnis gekommen ist, dass die Kommunen aufgrund ihrer Finanzknappheit den freien Trägern anerkennungsfähige Kosten der Fort- und Weiterbildung nicht vollständig zurückerstatten und dass damit genau das konterkariert wird, was Sie eigentlich erreichen wollen? Das ist meine erste Frage.

Die zweite Frage lautet: Kennen Sie die Ergebnisse der Reihenuntersuchungen von Einschülern, die eindeutig belegen, dass die Zahl sprachauffälliger Kinder jedes Jahr steigt und damit die Umsetzung eines solchen Modellprojektes als besonders dringlich erscheint?

Verehrte Abgeordnete Faderl, ich weiß nicht, wo Sie gehört haben wollen, ich hielte keine konkreten Maßnahmen für notwendig, weil ich doch eine Vielzahl konkreter Maßnahmen genannt und weitere konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht habe, die wir für notwendig erachten und auch umsetzen.

Ein zweiter Punkt in diesem Zusammenhang: Natürlich weiß ich, dass die finanzielle Situation der Kommunen außerordentlich angespannt ist. Dennoch habe ich für den 28. April dieses Jahres die kommunalen Spitzenverbände eingeladen, darüber zu diskutieren, wie wir den bundesgesetzlich normierten Bildungsauftrag umsetzen können. Das bereitet keine zusätzlichen Kosten. Es wurde doch immer ein Bildungsauftrag für Kindertagesstätten normiert. Wir haben aber diesen Bildungsauftrag in den letzten Jahren nicht oder nur ungenügend umgesetzt, weil viele Eltern 1991 und 1992 gesagt haben, wir wollen, dass unsere Kinder in den Kindergärten nicht mehr indoktriniert, sondern liebevoll betreut werden.