Protokoll der Sitzung vom 22.05.2003

Ich habe gestern in der Fragestunde gefragt, was den Ministerpräsidenten Brandenburgs veranlasst hat, sein Einverständnis dazu zu geben, dass im Zusammenhang mit dem Abbau von Gemeinschaftsaufgaben, bei den Mischfinanzierungen und den dafür vorgesehenen Sachverhalten der besondere Förderzweck zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht erforderlich ist.

Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern hat in dieser Ministerpräsidentenkonferenz - und deshalb komme ich darauf zurück - Einspruch erhoben, wie man dem Protokoll entnehmen kann, weil er sehr wohl eine besondere Verantwortung sieht, diesen Förderzweck einzufordern.

Ich frage: Wie erklärt sich die Position Brandenburgs in nachvollziehbarer Weise? Warum sind wir in der Situation, dies nicht zu fordern? Wäre es nicht vielmehr eine Forderung aller Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer? Müssten wir als Parlamente nicht auch die Forderung erheben, dass die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ein besonderer Förderzweck ist? Denn es geht um nichts anderes als um die Ausfüllung von Artikel 104 a Abs. 4 Grundgesetz.

Meiner Meinung nach wird hier ein berechtigter Anspruch artikuliert. Wenn der stellvertretende Ministerpräsident darauf verweist, dass das eine Einzelfrage sei, mache ich darauf aufmerksam, dass das nicht so ist. Die Angleichung der Lebensverhält

nisse ist keine Einzelfrage, sondern ein Gegenstand von grundsätzlicher Bedeutung.

Herr Ministerpräsident und Herr stellvertretender Ministerpräsident, ich bin der festen Überzeugung, dass Sie das glauben; denn das ist in der von Ihnen unterzeichneten Koalitionsvereinbarung nachzulesen. Warum tun Sie nicht, wozu Sie sich verpflichtet haben, nämlich diesen Prozess tatkräftig zu unterstützen?

Herr Schönbohm, Sie haben uns des Öfteren vorgehalten, wir seien nicht reformfreudig genug. Schließen Sie sich den Reformbemühungen an! Bringen Sie sich mit uns gemeinsam in den Diskussionsprozess ein! Machen Sie es Ihren Kollegen aus Sachsen nach! Wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht und sind dazu bereit. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Klein.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich außergewöhnlich beginnen und eine - zugegebenermaßen rhetorische - Frage stellen, das heißt, ich möchte keine Antworten aus dem Publikum hören, sondern selbst darauf antworten. Wer mag wohl so etwas gesagt haben? - Einheit bedeutet Aufstieg. Föderalismus bedeutet Niedergang. - Die SED im Jahre 1946!

Konsequent, wie sie war und ist...

(Unruhe bei der PDS - Heiterkeit bei der CDU)

Entschuldigung! Das war wirklich ein Versprecher, Herr Vietze. Es muss heißen: Konsequent, wie sie war!

(Vietze [PDS]: Herr Klein, ich kann damit umgehen! Ich bin im Jahre 1947 geboren! - Homeyer [CDU]: Sie waren ja auch der größte Föderalist!)

1952 wurden demzufolge die Länder zugunsten des Einheitsstaates nicht abgeschafft, sondern liquidiert. Nach derselben Logik wurde 1958 die Länderkammer abgeschafft. Dass dies der falsche Weg war, ist heute den Vertretern aller demokratischen Parteien im Landtag wohlbekannt - die Notwendigkeit der Reform des Föderalismus allerdings auch!

Ich erinnere daran: Während sich bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Länder eine Bundesrepublik leisteten, ist nach den Worten des ehemaligen Vorsitzenden meiner Partei, Herrn Lafontaine, die Situation inzwischen so, dass sich der Bund die Länder leistet. Das Bekenntnis zur föderalen Grundordnung müssen wir deswegen nicht im Zwei-Monats-Rhythmus neu beschließen. Kollege Vietze, insofern vermag ich beim besten Willen nicht zu erkennen, warum der bekräftigende Beschluss, den die PDS-Fraktion fordert, notwendig sein soll. Der Landtag Brandenburg hat seine Auffassung in dem am 05.03.2003 beschlossenen Antrag zum Ausdruck gebracht. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und

Kommunen ist nicht mehr ausgewogen. Die Spielräume für die Länder werden immer enger. Darum wollen wir eine Stärkung der Rechte der Länder und Landesparlamente. Für meine Fraktion kann ich feststellen, dass diese Auffassung weiterhin besteht. Wir müssen sie nicht noch einmal beschließen.

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Herr Kollege Vietze hatte den Bonus von fünf Minuten. Ich verzichte auf einen Bonus und lasse keine Zwischenfrage zu. Das Parlament hat den genannten Antrag auf Vorschlag des Landtagspräsidenten beschlossen. Dies entspricht unserem Selbstverständnis als Gesetzgeber.

Ungeachtet dessen müssen wir den Dialog mit der Landesregierung suchen. Die PDS-Fraktion fordert dies in der Antragsbegründung selbst. Die Debatte darf keinesfalls auf die Landtagssitzung im Juni beschränkt sein.

Die antragstellende Fraktion kann einwenden, der Landtag Brandenburg habe sich mit zahlreichen Gesichtspunkten noch nicht hinreichend beschäftigt. Dies betrifft gerade jene Punkte, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den gestern und heute vielfach erörterten finanziellen Nöten des Landes stehen. Ich nenne die Stichworte Kompetenz für die Steuergesetzgebung, Ausgabenlast und Bund-Länder-Finanzausgleich. Die Auseinandersetzung mit solch wesentlichen Punkten vermisse ich allerdings in Ihrem Antrag.

Im Zusammenhang mit der Lübecker Erklärung wurde der Beschluss gefasst, eine Verhandlungskommission einzusetzen. Hierdurch sind Vertreter der Landesparlamente in den Dialog der Bund-Länder-Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung mit dem Europäischen Konvent eingebunden. Dass die Stimmen der Bundesländer gehört werden, ist damit sichergestellt. Was wäre schädlicher für eine Föderalismusdebatte als eine Vielzahl sich womöglich widersprechender Beschlüsse von Landesparlamenten?

Kollege Vietze hat gesagt, im Sächsischen Landtag sei ein gleichlautender Beschluss gefasst worden. Dies sehe ich allerdings als kontraproduktiv an. Es könnte sogar als Beleg dafür bewertet werden, dass man dem Bund weitere Kompetenzen übertragen müsse. Föderalismus bedeutet unserer Meinung nach konstruktiver Streit statt unproduktive Zerstrittenheit. Föderalismus bedeutet, dass die Bundesländer eigene Gesetzeszuständigkeiten innehaben. Föderalismus bedeutet nicht an Einzelinteressen orientierte Rechtszersplitterung. Föderalismus bedeutet, politische Entscheidungen zeitnah und sachgerecht umzusetzen, nicht jedoch, Verwaltungen künstlich zu beschäftigen.

In diesem Prozess ist auch der Bund gefordert. Nicht die Länder sollen erklären, warum sie eine bestimmte Kompetenz haben wollen; beim Bund liegt die Begründungspflicht, warum er die Zuständigkeit für bestimmte Regelungsbereiche nicht auf die Länder übertragen kann. Dieses Ansinnen ist, wie man so schön sagt, des Schweißes der Edlen wert.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss Ihres Beitrags!

Meine Damen und Herren! Jeder Schritt auf dem Weg zu einer bundesstaatlichen Ordnung, die den Anforderungen unserer Zeit gerecht wird, führt uns weiter in Richtung gestärkte Parlamente und damit letztlich zu einer gestärkten, bürgernahen Bundesrepublik Deutschland. - Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herr Abgeordneter, Sie hatten keinen Bonus.

Aber ich hatte fünf Minuten Redezeit.

Sie haben länger als fünf Minuten gesprochen.

Dann muss ich künftig etwas flotter sprechen.

Das Wort geht an die DVU-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Schuldt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist an der Zeit, in Deutschland Föderalismus endlich in die Tat umzusetzen und Europa ein föderales Gesicht zu geben. Die Lübecker Erklärung bedeutet ein klares Bekenntnis zum Subsidiaritätsgrundsatz. Das bedeutet konkret, Probleme vorrangig dort zu lösen, wo sie entstehen: auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene.

Wir als DVU-Fraktion wollen deshalb mehr als bloße Bekenntnisse. Wir wollen klare Konzepte zur Entflechtung eines unsinnigen nationalen und supranationalen Kompetenzknäuels, das mit ursächlich für die tiefgreifende Strukturkrise in Deutschland ist.

Bereits in meiner Rede im Februar zur Drucksache 3/5569 wies ich mit Nachdruck auf die Zuständigkeits- und Selbstentscheidungskompetenzen hin, bei denen vieles im Argen liegt, nämlich angefangen von der Steuer- und Finanzpolitik über die Sozialpolitik bis hin zur Bildungspolitik. Realität ist dort ein Konsensföderalismus, ein sich gegenseitig lähmendes und unüberschaubar verflochtenes System der Verwaltungsebenen. Die Probleme, in denen alle Bundesländer, insbesondere Brandenburg, stecken, reichen von der katastrophalen finanziellen Lage über das unübersichtliche Gesetzgebungs- und Finanzierungsgeflecht bis zu dem starken politischen Bedeutungsver

lust, den die Länderparlamente in den letzten Jahrzehnten erlitten haben, indem sie viele Aufgaben an den Bund und die Europäische Union, aber auch an die Landesregierungen abgegeben haben. Diese Entwicklung hat letztlich erst zu dem allgemeinen Bewusstsein der Notwendigkeit geführt, den Föderalismus in Deutschland und damit regionale Identität und Bürgernähe zu retten. Es müssen Taten folgen, insbesondere vor dem Hintergrund der Veränderungen, die die aktuelle Krise der Bundesrepublik und die Reform der EU im Zeichen der Osterweiterung mit sich bringen werden.

Wir fordern deshalb von der Landesregierung, speziell von Ihnen, Herr Ministerpräsident, all diese Prozesse in den Länderparlamenten positiv zu begleiten und zu unterstützen. Landesregierungen und -parlamente müssen endlich an einem Strang ziehen, um gegenüber der Bundesregierung und der Europäischen Union etwas zu erreichen.

Die Details der Krise der Steuergesetzgebung im Rahmen von Artikel 105 Grundgesetz im Bereich der Mischfinanzierung und der Gemeinschaftsaufgabe nach Artikel 91 a Grundgesetz erspare ich mir an dieser Stelle; denn dazu habe ich im Plenum sowie im Hauptausschuss bereits vieles gesagt. Das können Sie selbstverständlich in den Protokollen nachlesen.

Wir als DVU-Fraktion fordern von der Landesregierung, dass der Landtag in den Abstimmungsprozess der Landesregierung im Bundesrat endlich angemessen einbezogen wird, und zwar bevor die Abstimmung erfolgt.

Wir machen uns lächerlich, wenn wir hier im Plenum Bundesratsentscheidungen diskutieren, die gleichzeitig oder schon vorher im Bundesrat entschieden worden sind. Wir fordern von der Landesregierung, den Landtag zum frühestmöglichen Zeitpunkt über alle wesentlichen Bundesratsangelegenheiten zu unterrichten. Dies gibt uns als Parlament die Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, und diese Stellungnahme muss dann die Landesregierung bei ihrer Abstimmung im Bundesrat berücksichtigen. Das wäre Demokratie.

Noch ein abschließendes Wort zur PDS-Fraktion und ihrem Antrag: Es ist schon sehr erstaunlich, dass gerade Sie sich jetzt zum dritten Mal in diesem Hause den Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente auf den Bauchladen schnallen, haben Sie doch, betrachtet man Ihre Parteigeschichte, eine ganz andere geistige Herkunft, nämlich die der Zentralisierung.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Was ist denn Ihre geistige Herkunft?)

Außer Ihrem Antrag kommt demgemäß

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [PDS])

auch nichts Substanzielles zu den echten Problemen auf allen staatlichen und supranationalen Ebenen. Deshalb sollten Sie lieber erst einmal in Ihren eigenen Reihen Transparenz schaffen, damit die Bürgerinnen und Bürger des Landes erkennen, mit wem sie es bei der PDS zu tun haben. Aber das wollen Sie anscheinend nicht, Herr Vietze, oder wollen Sie vielleicht die Länder wieder in Bezirke aufteilen, regiert von einer PDS-Bezirksleitung? - Danke.

(Beifall bei der DVU)

Wir sind bei der CDU-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Homeyer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-Fraktion hat sich seit jeher für Subsidiarität und Föderalismus eingesetzt. Deshalb stehen wir auch voll hinter der Intention des Lübecker Konvents. Tatsächlich wurde in den letzten Jahrzehnten, insbesondere in den letzten Jahren, der Rahmen, der den Ländern für eigene Regelungen bleibt, zunehmend enger. Wir alle spüren das in unseren Sitzungen hier und in unserem parlamentarischen Leben.

(Vietze [PDS]: Sehr richtig!)

Weite Teile der von den Vätern unseres Grundgesetzes vorgesehenen Landeszuständigkeiten werden zunehmend durch Staatsverträge, Vereinbarungen oder auch EU-Bestimmungen stark reduziert. Die Landeskompetenzen beschränken sich derzeit hauptsächlich auf kommunales, Polizei-, Ordnungs-, Kultur-, Bildungs-, Presse- und Rundfunkrecht. Um diese Fehlentwicklungen zu stoppen, ja sogar umzukehren, werden derzeit die Initiativen der Landesparlamente mit dem Ziel gebündelt, den Landtagen mehr gesetzgeberische Zuständigkeiten zu geben bzw. diese zurückzugewinnen.

Das Besondere, meine Damen und Herren, am Lübecker Verfassungskonvent war, dass sich zum ersten Mal in der Verfassungsgeschichte Deutschlands die Präsidentinnen und Präsidenten sowie die Fraktionen der deutschen Landesparlamente gemeinsam zu Wort meldeten. Eine Bündelung dieser Kräfte über Partei- und Fraktionsgrenzen hinaus ist eine Legitimationsbasis, die es bisher nicht gab.