Protokoll der Sitzung vom 27.08.2003

Auf ein Beispiel dafür, verehrte Kolleginnen und Kollegen, will ich etwas ausführlicher eingehen, und zwar auf das IV. Hartz-Gesetz. Mit diesem Gesetz sollen die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe für Erwerbsfähige zu einer neuen Leistung unter dem irreführenden Namen „Grundsicherung für Arbeitsuchende bei einheitlicher Trägerschaft“ zusammengelegt werden. Faktisch ist dies jedoch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe. Dabei ist die gesamte Gesetzesargumentation ausschließlich darauf ausgerichtet, Einsparpotenziale aufzuzeigen, und nicht darauf, Arbeitslose tatsächlich in Arbeit zu bringen.

Die weiter steigende Arbeitslosigkeit führte aber insbesondere im vergangenen Jahrzehnt zu einem rasanten Anstieg der Empfängerzahlen. Bezogen 1991 rund 400 000 Menschen Arbeitslosenhilfe, waren es im Jahr 2002 im Jahresdurchschnitt rund 1,66 Millionen Personen. Die Zahl der Empfänger von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz stieg von 2 Millionen im Jahr 1991 auf 2,7 Millionen im Jahr 2002.

In dieser Situation, meine Damen und Herren, will man mit dem IV. Hartz-Gesetz erhebliche Synergieeffekte erzielen, indem die Aktivierung und Betreuung sowie die Erbringung der passiven Leistungen durch einen großen und leistungsfähigen Dienstleister am Arbeitsmarkt allein erfolgen soll. Letztendlich kann man auf die Zusammenarbeit mit den kommunalen Trägern von Beschäftigungspolitik aber nicht verzichten, was sowohl aus dem Gesetzestext wie auch aus Erklärungen von Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement deutlich wird.

Die im Gesetz gepriesene Leistungsfähigkeit der Bundesanstalt für Arbeit steht durchaus infrage, weshalb sich insbesondere der Brandenburger Landkreistag gegen eine Zentralisierung in der Hand der Bundesanstalt ausgesprochen hat. Die These, dass durch die Bundesanstalt der Grundsatz „Arbeit statt passiver Leistung“ besser umgesetzt werden könne als von den Kommunen, ist durch die bisherige Praxis nicht nur nicht bewiesen, sondern vielfaches, erfolgreiches kommunales Engagement weist in genau die andere Richtung.

Die Bundesanstalt will mit mehr Personal und mehr Geld auf einem Feld, das bisher die Kommunen beackert haben, erfolg

reicher sein, obwohl sie doch selbst mit ihren bisherigen Aufgaben hinreichend Probleme zu bewältigen hat. Es ist daher zu befürchten, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass letztendlich die Kommunen wieder die Suppe auslöffeln müssen, dann nämlich, wenn die Bundesanstalt für Arbeit den Langzeitarbeitslosen nach fruchtlosen Versuchen, sie in Arbeit zu bringen, da es ja zu wenig Arbeitsplätze gibt, Erwerbsunfähigkeit attestiert und noch mehr frustrierte Langzeitarbeitslose wieder an die Kommunen zurück verschiebt. Insofern ist das gern gebrauchte Argument des Verschiebebahnhofs auf diesem Wege nicht aus der Welt zu schaffen.

Indirekt, meine Damen und Herren, wird im Gesetzentwurf auch unterstellt, dass die Höhe der Transferleistungen die Annahme einer Arbeit behindert. Angesichts der ständigen Ausweitung von Minijobs und Niedriglohnsektor geht dies an der Realität der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit völlig vorbei. Bereits Hartz II hat zur drastischen Absenkung der Leistungen an die Arbeitslosenhilfeempfänger geführt. Sie befinden sich nun mit Hartz IV weiter auf sozialer Talfahrt.

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, die so genannte Reform wird sich maßgeblich im Bundesrat abspielen, denn Hartz IV bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Dort haben Sie die Interessen Brandenburgs und seiner Bürgerinnen und Bürger, aber auch seiner Städte und Gemeinden zu vertreten. Letzteres betone ich im Hinblick auf die Reform der Gemeindefinanzen sowie auf das Vorziehen der Steuerreform.

Weitere Einnahmeausfälle sind von den Gemeinden nicht mehr zu verkraften, genauso wenig wie vom Land. Sie sollten endlich aufhören, durch Spar- und Kürzungsoperationen in den öffentlichen Haushalten weitere Steuergeschenke an die Vermögenden zu finanzieren.

Sie scheinen auch vergessen zu haben, dass Sie noch vor einem Dreivierteljahr gegenüber der Bundesregierung ein kommunales Investitionsprogramm gefordert haben. Jetzt tun Sie genau das Gegenteil. Eine Steuerreform, die Spitzenverdiener stark und Normalverdiener kaum entlastet, die den sozial Schwächsten weiter Kaufkraft entzieht und die öffentlichen Investitionen zurückschraubt, wird auf die versprochenen volkswirtschaftlichen Wachstumsimpulse nicht setzen.

Bevor Sie, meine Damen und Herren von der Landesregierung, im Bundesrat Ihre Stimme abgeben, sollten Sie den Bürgerinnen und Bürgern im Land erklären, warum das, was Sie entscheiden, nach Ihrer Auffassung gut und richtig ist. Der vorliegende Antrag der PDS-Fraktion will Ihnen dazu die Gelegenheit geben. Mit allgemeinen Floskeln jedoch von einem angeblichen Über-die-Verhältnisse-Leben werden wir uns nicht zufrieden geben. Wir brauchen endlich eine andere Politik, die auf einer soliden Einnahmebasis der öffentlichen Haushalte fußt. Dazu halten wir es für notwendig, diejenigen angemessen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben zu beteiligen, die dazu in der Lage sind, statt diejenigen weiter zu schröpfen, die ohnehin jeden Cent dreimal umdrehen müssen. Unsere Angebote und Forderungen liegen auf dem Tisch.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen auch, Herr Abgeordneter Thiel, und gebe jetzt das Wort an die Fraktion der SPD, Herrn Abgeordneten Kuhnert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Thiel, was Ihre Rede mit dem Antrag zu tun hat, ist mir nicht ganz klar, denn Sie beantragen ja hier einen Bericht und keine Debatte über die aktuelle Situation in der Bundespolitik. Diesen Antrag lehnt die SPD ab, und zwar aus folgenden Gründen:

Erstens: Sie haben selbst gesagt, dass es ein Beschluss der Bundesregierung ist und dass es noch durch den Bundestag und den Bundesrat muss. Erst danach haben wir die fertigen Gesetze und können einen Bericht der Landesregierung fordern.

Zweitens ist zu undifferenziert dargestellt, was im Einzelnen erwartet wird.

Drittens: Wenn zu all diesen Gesetzen ein Bericht sozusagen schon aus dem Kaffeesatzlesen heraus geschrieben werden soll, dann hätte die Landesregierung in den nächsten Monaten nichts anderes zu tun, als diesen Bericht zu schreiben. Das kann man nicht verantworten. Insofern meine ich, ist es sinnvoll, dass wir uns, wie wir es bisher schon immer gehandhabt haben, zeitnah im Ausschuss vom Minister berichten lassen. Bisher haben uns weder er noch seine Vorgänger einen Bericht vorenthalten. Danach können wir dann auf die jeweils aktuellen getroffenen Entscheidungen auf Bundestags- und Bundesratsebene eingehen. Insofern lehnen wir den Antrag ab. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herr Abgeordneter Kuhnert, ich bin bei Ihrer Satzbildung nicht dazwischengekommen, aber es wurde eine Frage angemeldet. Wollen Sie diese Frage beantworten? - Danke.

Damit gebe ich das Wort an die Fraktion der DVU. Frau Abgeordnete Fechner, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS möchte von der Landesregierung einen Bericht über die Auswirkungen der Umsetzung der Agenda 2010. Herr Kuhnert sagte bereits, das Ganze erinnert an das Lesen von Kaffeesatz. Das trifft zwangsläufig auch auf mich zu. Jedoch sind wir der Meinung, dass die Landesregierung einen Bericht erstellen sollte. Sie soll sich im Vorfeld schon einmal damit vertraut machen, welche negativen Auswirkungen mit der Agenda 2010 verbunden sind. Allerdings halten wir den Zeitpunkt Ihres Antrags für verfrüht und werden ihn deshalb ablehnen. - Danke.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner, und gebe das Wort an die Fraktion der CDU, Herrn Abgeordneten Dr. Wagner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man könnte es sich eigentlich ganz einfach machen, indem man sich den Vorrednern anschließt und sagt: Der Zeitpunkt ist nicht richtig. Aber so einfach sollte man es sich nicht machen.

Als Oppositionspartei, meine ich, müssen Sie solche Anträge einbringen. Sie haben sich aber etwas in der Zeitschiene vertan. Es lässt sich wirklich noch nicht einschätzen, wie diese Gesetzlichkeit, dieses Paket, wirken wird.

Ich gebe Ihnen zu - das ist vielleicht ein ganz persönliches Gefühl -, dass einen beim Betrachten der Gesetzeswerke ein so genanntes nicht zu greifendes Gefühl beschleicht. Ich bin der Auffassung: Es ist an so vielen Stellschrauben gedreht worden, dass man die Angst hat, dass letztendlich, wenn man zur Bestandsaufnahme kommt, gar nicht mehr deutlich wird: Welche Maßnahme hat was bewirkt?

Ich möchte Sie um eines bitten: Missachten Sie bei Ihren Anträgen nicht ständig, dass es in Deutschland einen demographischen Wandel gegeben hat und dass dieser fortschreitet. Gerade bezüglich der Passage des Gesundheitsreformgesetzes bitte ich: Missachten Sie auch nicht, dass es immer noch einen medizinischen Fortschritt gibt. Man muss wissen, ob man ihn will oder nicht, und dann muss gesellschaftlich definiert sein, was man sich leisten möchte. Dann kann man sich diese Frage sicherlich besser beantworten. Es ist einfach so, dass die Wohlstandsgewinne, die in der Vergangenheit zu fast 33 % in soziale Belange geflossen sind - man konnte es sich leisten - nicht in demselben Maße weiterfließen können, weil in absehbarer Zeit - man schätzt, in 30 Jahren - 50 % notwendig wären. Das geht so nicht, sonst würde man sich in den freien Fall begeben.

Ein Punkt allerdings brennt mir auf den Nägeln; das ist eine Denkaufgabe, die wir im Ausschuss schon formuliert haben - Herr Minister, die Staatssekretärin war anwesend -, bzw. ist die Frage - wenn sie auch nicht unbedingt in den Verantwortungsbereich der Landesregierung fällt -: Wie wird die Bundesanstalt für Arbeit mit dem ihr übergebenen Auftrag umgehen? Ich befürchte ein wenig, dass die zur Errichtung der ServiceCenter notwendige Logistik fehlt und man daher in der notwendigen Zeit gar nicht zu dem entsprechenden Ergebnis kommen kann und diese Maßnahme verpufft.

Zur Gesundheitsreform noch ein Wort: Es entspricht einfach nicht den Tatsachen, dass immer mehr bezahlt werden muss. Wenn nichts getan worden wäre, hätte man noch mehr zahlen müssen. Dann wäre es eben auf den Beitragssatz abgewälzt worden. Also lassen Sie uns bitte vernünftig analysieren und darüber reden.

(Zuruf des Abgeordneten Klein [SPD]: Wegen der Fair- ness!)

Ich glaube, so viel Vernunft ist auf Ihrer Seite vorhanden.

Ein letztes Wort: Was wir von der CDU bei all den Gesetzen immer wieder vermissen, sind Passagen, die eindeutig klarmachen, dass man es wirklich ernst meint damit, eine Atmosphäre in Deutschland zu schaffen, die den Unternehmer wieder dazu anregt, Unternehmer sein zu wollen,

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

das heißt eine Atmosphäre der Sicherheit. Diese Punkte werden noch zu wenig beachtet bzw. angepackt. In einer Zeitschrift habe ich folgenden Vergleich gelesen, der mir durchaus gefallen hat: Es nutzt nichts, neue Segel zu setzen, wenn eine Flaute herrscht. - Dem kann man sich nur anschließen.

Wir werden Ihrem Antrag, obwohl Evaluation notwendig ist, wegen der nicht einhaltbaren Zeitschiene natürlich nicht zustimmen können. Was haben Sie auch erwartet? - Danke.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke Ihnen, Herr Dr. Wagner. - Ich gebe der Landesregierung das Wort. Herr Minister Baaske, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch einige Worte dazu: Herr Thiel, wir reden hier über prospektive Veränderungen. Sie unterstellen, dass all das, was an Wirkungen zu erwarten ist, vorgestern hätte eintreten müssen. So kann es einfach nicht gehen.

In der Tat gibt es Bevölkerungsgruppen - Arbeitslose, vor allem Arbeitslosenhilfebezieher -, die sich in einem bestimmten Kontext, einer bestimmten Einnahmesituation in der Familie, in der Häuslichkeit befinden und jetzt schon - seit dem 01.01. dieses Jahres - Verlierer sind. Aber das ist auch das Einzige.

Wenn wir über Zahnersatz sprechen, reden wir über den Zeitraum ab 2005. Wenn wir über Krankengeld sprechen, reden wir über den Zeitraum ab 2006. Wenn wir über Bestandsschutz beim Arbeitslosengeld sprechen, reden wir über den 31.12.2006. Ich bitte Sie ernsthaft, die Kirche im Dorf zu lassen und nicht alles, was jetzt angelaufen ist, zu zerreden. Wir können nicht ernsthaft erwarten, dass wir Umstellungen auf dem Arbeitsmarkt vornehmen und plötzlich Millionen Menschen wieder Arbeit finden. Die Bundesregierung hat immer gesagt - auch ich habe es immer wieder gesagt -: So bald kann man dies nicht erwarten.

Zu den Vermittlungen: Ich will hier sowohl in Richtung von Herrn Dr. Wagner als auch in Ihre Richtung, Herr Thiel, sagen, dass auch ich diese Probleme sehe. Ich glaube auch nicht, dass die Bundesanstalt für Arbeit über die Job-Center im nächsten Jahr der Dienstleister par excellence sein und die Vermittlung so, wie wir es uns vorstellen - Schlüssel 1 : 75 -, wird vornehmen können. Diese Befürchtung hege ich in der Tat auch.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?

Ja.

Bitte schön, Herr Abgeordneter Vietze.

Herr Minister, können Sie mir sagen, an welcher Stelle wir mit diesem Antrag etwas zerreden? Könnten Sie mir möglicherweise zustimmen, dass man, wenn ein so wichtiges Programm wie die Agenda 2010 verkündet wird und die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, möglicherweise nicht nur auf Bundesebene, sondern, wenn man zustimmt, auch auf Landesebene die Auswirkungen - angesichts der Haushaltssituation gerade auch die finanziellen Auswirkungen - des neu geschaffenen Gesetzeswerkes zu bedenken hat?

Zu dem in der zweiten Frage angesprochenen Thema wäre ich ohnehin noch gekommen.

Sie zerreden etwas, wenn Sie sagen: Die Verschlimmerungen kommen mit Sicherheit, aber wir sehen noch keine positiven Wirkungen. - So hat es Herr Thiel gesagt. Ich habe angemerkt: Die positiven Wirkungen können noch gar nicht eintreten. Die meisten Teile des Gesetzes wirken erst seit dem 01.04. dieses Jahres. Die Umsetzung bei der BA braucht, wie gesagt, noch ein wenig Zeit. Daher kann man noch nicht erwarten, dass große Veränderungen eintreten.

Die Vermittlung, denke ich, kann nur funktionieren, wenn die BA das zusammen mit den Kommunen bewerkstelligt. Allein wird es die BA nicht können. Die Kommunen allein - dies ist im Gesetzestext verankert - werden es ebenfalls nicht können, weil es einige Länder gibt, die das etwas anders sehen.

Dramatisch wird es allerdings, wenn wir auf das Pferd springen, das momentan von einigen Bundesländern gesattelt wird, wonach dann die ALG-II-Bezieher bei den Kommunen gelassen und die ALG-I-Bezieher bei der BA angesiedelt werden. Dann hätten wir uns das ganze Theater sparen können, denn dann hätten wir wieder eine getrennte Vermittlung, und das wollten wir gerade nicht.

Meine Idee geht dahin, mit all den Möglichkeiten, die wir haben - auch über den IESF -, zusammen mit dem Arbeitsamt, mit den Landkreisen und den kreisfreien Städten zu versuchen, Gebilde in Brandenburg zu errichten, in denen wir das, was an kommunaler Kompetenz vorhanden ist, was die Arbeitsämter können, in einer Struktur zusammenbringen. Darüber, ob dies eine GmbH oder eine Behörde beim Arbeitsamt sein soll, muss man vor Ort verhandeln. Wir sollten das zusammenbringen und die Kompetenzen jeweils in den Landkreisen und in den kreisfreien Städten bündeln, um hier etwas, was Sie mit Job-Centern bzw. kommunaler Vermittlung beschrieben, zu installieren. Darüber werden wir in der nächsten Woche noch einmal mit dem Landesarbeitsamt und den Kommunen reden und dann das weitere Vorgehen beraten.