Protokoll der Sitzung vom 23.02.2000

region wahr. Auch die hier ansässi gen Unternehmen, zum Beispiel der weltweit größte Schienenfahrzeughersteller ADtranz. unterteilen längst nicht mehr nach den Grenzen zweier Bundesländer. Die Konzernzentrale des Unternehmens sitzt in Berlin, der weltweit größte Produktionsstandort befindet sich in Brandenburg.

Längst beschäftigen sich der Ministerpräsident und der Regierende Bürgermeister einmal sorgenvoll, einmal hoffnungsvoll mit der Entwicklung des internationalen Schienenfahrzeugmarktes. Beide Länder haben auf diesem Gebiet ihren Fokus nicht mehr nur auf dem deutschen Binnenmarkt, sondern auf den Märkten in Europa, Asien und Amerika, wenn sie als gemeinsames strukturpolitisches Entwicklungsziel eine Weltkompetenzregion Verkehrstechnik Berlin-Brandenbur g, postulieren.

Auf der Ebene der kleinen und mittelständischen Unternehmen hat sich spätestens mit der Frage der Osterweiterung der Europäischen Union der Horizont schlagartig erweitert. Die gemeinsamen Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg betrachten aufmerksam die Vorbereitungen zu den Beitrittsverhandlungen mit dem gemeinsamen Nachbarn Polen. Die beiden Bundesländer werden sich bei diesen Verhandlungen nur gemeinsam Gehör verschaffen können, wenn es um Fragen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und möglicher Übergangsregelungen bei der Öffnung der Märkte geht. Das waren nur drei, fast willkürliche Beispiele.

Ich möchte behaupten, dass im privatwirtschaftlichen Bereich die wortreiche Fusions- oder Nichtfusionsdiskussion der vergangenen Tage und Wochen längst von der Realität gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen überholt worden ist.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Es verbleibt uns die Betrachtung des staatlichen Sektors, vor allem der Wirtschaftsförderung, von dem der Ökonom Schumpeter stets etwas ironisch sagte, dort sei man schon erfolgreich, wenn man nicht schade. Das ist aus der Sicht der Gesamtregion nicht nur ein Bonmot, sondern beleuchtet ein vordergründiges Dilemma auch der marktfreundlichsten Wirtschaftsförderungsgesellschaft in Berlin oder in Brandenburg. Per definitionem ist sie zunächst darauf ausgerichtet, die Ansiedlungs- und Struktunnteressen ihres Auftraggebers zu befriedigen. Unterstellt man, dass es volkswirtschaftlich unzweifelhaft nur eine gemeinsame Entwicklung der Region gibt, ist die zwingende Notwendigkeit einer größtmöglichen politischen Abstimmung auf diesem Gebiet offensichtlich. Das Flächenland Brandenburg braucht die wirtschaftliche Anziehungskraft der deutschen Hauptstadt; der Stadtstaat Berlin wird sich ohne die Region Brandenburg in der Mitte einer sich vergrößernden Europäischen Union nicht entwickeln.

Ob es die Zusammenarbeit der gemeinsamen Landesentwicklungsgesellschaften LEG, die Zusammenarbeit von T.IN.A und der Technologiestiftung in Berlin ist; ob es die Zusammenarbeit im Messe-, Ausstellungs- und Kongresswesen, im Tourismusmarketing oder in vordergründig unscheinbaren Bereichen wie dem Mess- und Eichwesen ist - Berlin und Brandenburg sind, ob wir es wollen oder nicht, trotz gelegentlich lustvoller provinzieller Unkenrufe zur Zusammenarbeit verdammt.

Dies gilt auch für den Bereich der gemeinsamen Landesplanung. Dort werden ja gelegentlich fast exotische Diskussionen geführt Lassen Sie es mich mit den Worten des schon ein gangs zitierten ‚Artikels aus der asiatischen Wirtschaftspresse positiver formulieren: Versteht die Region Berlin-Brandenburg, ihre Entwicklungspotenziale gemeinsam zu nutzen, wird sie minelfristig aus einer Förderregion zu einer Wachstumsregion in Europa. Versteht sie es nicht, wird sie dauerhaft der subventionierte Annex einer deutschen Verwaltungsmetropole bleiben.

Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, meine Damen und Herren. dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU und SPD zur Erarbeitung eines Berichts der Landesregierung über die Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg zur Stärkung der gemeinsamen Wirtschaftsregion zu unterstützen. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Herr Dr. Ehler, sehen Sie es mir bitte nach, aber es gab noch eine Frageanmeldung, die ich übersehen habe. Stehen Sie noch zur Verfügung? - Bitte sehr!

Herr Kollege. welche Auswirkungen hat Ihrer Meinung nach das Leitbild der dezentralen Konzentration auf die Wirtschaftspolitik des Landes?

Herr Abgeordneter. was die Beantwortung dieser Frage angeht, so trete ich normalerweise zur Seite und würde das gern der Landesregierung überlassen. Die Frage der Auswirkungen der dezentralen Konzentration auf die Wirtschaftsentwicklung berührt ein außerordentlich allgemeines Thema, das den Rahmen dieses Antrags meines Erachtens sprengt.

Das Wort geht an die PDS-Fraktion. Herr Ab geordneter Vietze, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Höhepunkt der heutigen parlamentarischen Arbeit ist mit diesem Tagesordnungspunkt erreicht. Das Parlament wird mit der ersten Zustimmung zu einem Antrag der heutigen Tagesordnung ein Zeichen setzen. Es ist erfreulich, dass zwei bedeutende Fraktionen, die die Regierung in diesem Land tra gen, sich dazu durchgerungen haben, die Regierung zu bitten. im September, also in sieben Monaten, diesem Hohen Haus einen Bericht vorzulegen. Das ist Ausdruck von Führungsstärke, Führungsqualität und Akzentsetzung. Ich möchte mich dafür ausdrücklich bedanken.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der SPD)

Ich will auch dazu sagen, dass Sie die Opposition zu dieser Frage mit ins Boot geholt haben. Wir würden dem Anliegen sehr

zustimmen, weil wir an dem Bericht der Regierung gleichfalls sehr interessiert sind.

(Zuruf von der CDU: Das haben wir gar nicht erwartet!)

Damit man möglicherweise, weil wir auch der Begründung zustimmen. noch ein paar Akzente für das mitnehmen kann, was man uns im September vorlegt, lenke ich Ihre Aufmerksamkeit auf Folgendes - ich nehme an, auch den anderen Abgeordneten ist dies zugänglich -:

(Zuruf von der CDU: Das macht uns misstrauisch!)

Am 9. Februar dieses Jahres gab es bereichs- und projektbezogene Erläuterungen und Bewertungen der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg zum Thema Wirtschaft - einige sehr interessante Detailinformationen zu dieser Art der Zusammenarbeit.

Worte, die ich in dem Bericht unter dem Gesichtspunkt der Bewertung der Arbeit gern wieder finden würde, sind „abgestimmte Wirtschaftsförderung", „Zusammenarbeit der Wirtschaftsförderungsgesellschaften"„,Zusammenarbeit der Landesentwicklungsgesellschaften", "Technologieentwicklung", also T.IN.A und die entsprechende Technologiestiftung sowie das Innovationszentrum in Berlin, „Zusammenarbeit bei Messen, Ausstellungen und Kongressen". sind des Weiteren Fragen des Tourismus. der Zusammenarbeit mit der Tourismus Marketing GmbH und der entsprechende Kooperationsvertrag sowie die Materialprüfung.

Wir sollten vor allen Dingen auch über das hier Angesprochene reden, über die dezentrale Konzentration und über die Überlegungen bezüglich Standortwettbewerb unter den Bedingungen von zwei Ländern oder eines Landes und über den Standortwettbewerb, der unter allen Bedingungen - ob in zwei Ländern oder in einem Land - auf alle Fälle stattfinden wird.

Wir gehen davon aus, dass es sicherlich sehr interessant sein wird. über die Fragen zu reden: Wie wird sich die Region BerlinBrandenburg in den Teilräumen dieses Landes - Potsdam, Oberspreewald-Lausitz, Berlin, Frankfurt, Havelland, Uckermark entwickeln? Wie werden wir sie gestalten, die Regionen in unserem Land? Wer wird die Potenzen des berlinnahen Raumes unter welchen Bedingungen wirklich für eine Angleichung der Lebensverhältnisse im Land nutzen können und unter welchen Bedingungen werden wir das tun? Welche Anzeichen für nachhaltige Entwicklung gibt es und was ist unter gemeinsamen Bemühungen ausbaufähig?

Ich will damit nur andeuten, dass wir uns auf einen solchen Bericht freuen, weil wir uns sehr gut vorstellen können, dass dieser auch die politische und die fachlich sachgerechte Diskussion in diesem Parlament belebt. Möglicherweise haben wir dann sogar einmal einen Bericht, den wir in einen Ausschuss überweisen können - vielleicht sogar in mehrere. Damit hätten wir dann sogar eine Diskussionsbasis in einem Ausschuss, was für viele Abgeordnete nach einem halben Jahr parlamentarischer Arbeit auch eine Beglückung wäre.

(Zuruf des Abgeordneten Klein [SPD])

Es wäre auch ein Beitrag, ein Parlaments gewinn sozusagen für Demokratie in der Gestaltung der Beziehungen in diesem Hause. Das ist das Erste, was ich sagen wollte.

Das Zweite: Wenn man dann seitens der Regierung noch ein besonderes Interesse hätte und nicht nur für die Medien mitteilte, dass man unsere Mitwirkung wünsche, will ich auf Folgendes aufmerksam machen: Unser wirtschaftspolitischer Sprecher, und unser wohnungspolitischer Sprecher, Herr Christoffers und Herr Markov - einigen ist er bekannt -, hatten sich damals mit der Frage beschäftigt, was die Fusion der Wirtschaft - übri gens auch mit den Ansprüchen, Herr Ehler. die Sie artikuliert haben - unter dem Gesichtspunkt des einheitlichen Wirtschafts- und Sozialraumes mit den entsprechenden Grenzen bringt. Ich finde, wir haben genügend sachliche Anknüpfungspunkte für eine vernünftige Arbeit.

Nun ist natürlich auch die Frage zu beantworten: Ist dieser Antrag der Vorbote einer Variante. nach der wir jetzt mit Regelmäßigkeit in jedem Monat zu einem ganz spezifischen Thema einen Koalitionsantrag für eine Berichterstattung sieben Monate später bekommen?

(Klein [SPD]: Oder Sie nehmen uns die Arbeit ab, Herr Vietze!)

Also im nächsten Monat Umwelt, dann Kultur, Wissenschaft, Bildung und Krankenhausplanung.

Wenn das so wäre, würden wir eine Form praktizieren, ohne dass wir darüber geredet haben, welche geeignete Form dieses Parlament für seine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Thema wählt. Nun haben Sie, Herr Klein, gesagt, das sei nicht zu befürchten. Das finde ich sehr gut; denn wir sollten uns über das unterhalten, was machbar ist.

Ich habe heute in einem Interview in der „Märkischen Oderzeitung" gelesen, dass sich der SPD-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus eine gemeinsame Kommission vorsteilen kann. Auch der Regierende Bürgermeister hat gesagt, er könne sich eine gemeinsame Kommission vorstellen; Herr Reiche kann sich die Kommission vorstellen. Vielleicht sollten wir uns alle noch einmal zusammensetzen und uns fragen, was gegen eine gemeinsame Kommission spricht. Ob sie nun Enquetekommission oder nur gemeinsame Kommission heißt, ist für mich völlig uninteressant. Die Hauptsache ist, wir finden einen Weg, um die Fragen der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg und auch die Fragen, die länderübergreifend zu klären sind, in einer vernünftigen Form zu beraten.

(Klein [SPD]: Wir bleiben doch bei den Berichten, Herr Vietze, das ist doch besser. - Heiterkeit)

- Herr Klein, ich will Folgendes sagen. Es ist heute bekannt geworden, dass Herr Schönbohm gesagt hat, er habe bezüglich der Enquetekommission den Eindruck, sie sei ein akademischer Fachzirkel mit geringem Wirkungsgrad für Politik.

Wenn man nun wieder alles aufdie Regierung reduziert, was er als institutionelle Regelung vorschlägt, gehe ich davon aus, dass wir möglicherweise die gleiche Erwartungshaltung wie im Jahr 1996

haben werden. Wenn wir bei den Menschen diesmal wirklich mit anderen Denkansätzen, mit anderen überzeugenden Argumenten anfangen wollen, ein Stimmungsbild zu beeinflussen...

HerrAbgeordneter Vietze, machen Sie keine Analyse der letzten Volksabstimmung; Ihre Redezeit ist zu Ende.

Nein, Herr Präsident, das ist nicht zu befürchten. - Ich wollte nur Folgendes sagen: Wenn wir uns für eine Form entscheiden, über die wir reden sollten, sollten wir davon ausgehen, dass es in diesem Land eine Enquetekommission gab, die sehr erfolgreich war. Das war die Enquetekommission „Verfassung-. Mit ihr haben wir in bedeutendem Maße Öffentlichkeit hergestellt, haben viele Menschen angesprochen und mitgenommen.

Jetzt sind Sie beim nächsten Thema. Würden Sie bitte zum Schluss kommen!

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Diese Erfahrungen sollten wir für die Zusammenarbeit bei der Auseinandersetzung mit der Problematik Berlin-Brandenburg nutzen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Auch ich danke Ihnen, dass Sie endlich zum Schluss gekommen sind, Herr Vietze. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der SPD. Herrn Abgeordneten Müller.

(Vietze [PDS]: Er wird jetzt bestätigen, dass das vernünftig ist!)

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Herr Vietze, zunächst will ich Ihnen bestätigen. dass sieben Monate kein neuer Regelzeitraum werden sollen - so ähnlich, wie bei Ihnen einmal die Zahl fünf ganz wichtig war, nämlich ftinfJahre.

(Klein [SPD]: Neun Monate sind wichtig!)

- Neun Monate ist auch ein wichtiger Zeitraum, ohne Zweifel. Aber fünf Jahre sind nicht das Maß aller Dinge, sieben Monate sind nicht das Maß aller Dinge. Vernünftige Zeiträume sind das Maß aller Dinge.

Wir sind uns in vielem einig, habe ich zur Kenntnis genommen. Es wundert mich im Übrigen nicht so sehr.

Ein Wirtschaftsstandort, der hier entstanden ist und der sich hier weiterentwickeln wird, wird in der nächsten Zeit auf zwei Länder orientiert sein. Dabei wird sich auch herausstellen, dass es