Protokoll der Sitzung vom 23.02.2000

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und erteile der einreichenden Fraktion das Wort. Herr Abgeordneter Warnick, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Ostdeutschland tickt schon seit Jahren eine Zeitbombe. Diese Situation von Wohnungsunternehmen und teilweise auch von Wohnungsgenossenschaften in vielen Regionen Ostdeutschlands ist dramatisch. Mehrere stehen kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch.

Die PDS macht schon seit Jahren darauf aufmerksam. Gerade in den letzten Wochen hat die PDS wieder verstärkt auf mehreren Expertenforen und in Beratungen mit Geschäftsführern der Wohnungswirtschaft auf dieses Problem aufmerksam gemacht.

Ich habe den Geschäftsführern immer wieder gesagt: Ihr müsst viel lauter schreien. Ihr müsst dieses Problem viel mehr in die Öffentlichkeit tragen. Sonst wird es nicht wahrgenommen. In der Politik ist es immer so, dass erst reagiert wird, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, nicht in dem Moment, wenn das Kind drei Millimeter vom Abgrund entfernt balanciert. Paradoxerweise ist es so: Umso besser ein Geschäftsführer einer solchen Wohnungsgesellschaft versucht, das Krisenmanagement zu gestalten und umso besser er mit der verfahrenen Situation klarkommt, umso geringer ist seine Öffentlichkeit. Erst wenn sozusagen alles gelaufen ist, findet er Gehör.

Wir freuen uns deshalb, dass jetzt auch andere Parteien aufgewacht sind und reagieren. Ich denke zum Beispiel an die Expertenkommission, die gestern von Bundesminister Klimmt vorgestellt wurde. Ich höre schon, wie mir Herr Minister Meyer erklären wird dass auch die Landesre gierung meine Einschätzung der Situation teilt und dass sie schon lange reagiert hat. Ich sehe dabei den Entschließungsantrag zum AHG von Ihnen, der in unsere Richtung geht, der uns in unserem Antrag unterstützt. Ich fände es gut, wenn auch Sie unsere Initiativen aufgriffen und unterstützten.

Die Wohnungsunternehmen sind ein Hauptwirtschaftsfaktor in diesem Land. Mit 200 Milliarden DM Jahresumsatz Liegen sie noch vor der Autoindustrie. Wirtschaftlich starke Wohnungsunternehmen sind wichtig, sind wichtig für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, sind wichtig auch für Mieterinnen und Mieter. Auch sie haben ein Interesse daran, dass die Wohnungsunternehmen stark bleiben und nicht verunsichert werden.

Zum Leerstand in diesem Land: Wir haben nur konkrete Zahlen aus dem Oktober 1995 von der damaligen Wohnraum- und Gebäudezählung. Damals standen 456 282 Wohnungen in Ostdeutschland leer. Ich hielt das damals schon für ein riesiges Problem. Es ist aber kaum thematisiert worden. Allein in Brandenburg waren es damals 60 000 Wohnungen. In Sachsen als Spitzenreiter waren es 185 000 Wohnungen.

Heute hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt. Ich bin bisher immer von 650 000 bis 700 000 leer stehenden Wohnungen ausgegangen und habe das so verkündet, weil man ja sonst immer sagt, dass die PDS nur Panik mache. Nachdem auch die Bundesregierung gestern diese Zahlen so vorgebracht hat, kann ich beruhigt von dieser einen Million sprechen.

In einzelnen Regionen gibt es Spitzen, die Besorgnis erregend sind. In Wittenberge in der Prignitz sind es 38 % LeerstancL mit steigender Tendenz in Richtung 50 %. Das kann kein Wohnungsunternehmen auf Dauer tragen. In Hoyerswerda - im Norden von Sachsen, an der Grenze zu Brandenburg - musste ein Kredit von 50 Millionen DM bei der Stadt aufgenommen werden, uni überhaupt überleben zu können.

Wir können hier nur über Lösungsmöglichkeiten diskutieren, wenn wir den Aspekt beachten, wie die Situation entstanden ist. Eine klare Kausalkette: Einführung der D-Mark, Wegfall der Arbeitsplätze, Wegzug der Bevölkerung und nachfolgender Wohnungsleerstand in diesen Regionen.

Das Altschuldenhilfe-Gesetz hat diese Situation unnötigerweise enorm verschärft. Wir sind jedes Jahr als Landtage in den ostdeutschen Bundesländern über den Bundestag Regen das Altschuldenhilfe-Gesetz vorgegangen und haben diese Situation geschildert. Bisher blieb das ohne Erfolg. Morgen fuhren wir dazu die Debatte. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir das heute zu einem Debattenpunkt hätten zusammenziehen sollen, weil es fachlich zusammengehört.

Die Situation ist auch entstanden durch die so genannte SonderAfA. die Abschreibungsmöglichkeiten. Das hat dem Bund insgesamt einen Einnahmenverlust von zirka 200 Milliarden DM beschert. Ich möchte kurz einige Zahlen nennen: Einkommen

steuer in Deutschland 1963 13 Milliarden DM, 1970 16 Milliarden DM, 1980 36 Milliarden DM. 1991 waren wir bei 41 Milliarden DM. Das macht noch Sinn, wenn man sich die Entwicklung der Löhne und Gehälter und der Kosten anschaut. Dann kam die Sonder-AfA: 1993 33 Milliarden DM, 1994 25 Milliarden DM, 1995 13 Milliarden DM. Dabei fielen wir auf den Stand von 1963 zurück. 1996 waren es 1 1 Milliarden DM, 1997 4,7 Milliarden DM Einkommensteuer. Wäre die Entwicklung weitergegangen, hätten wir bei 45 Milliarden DM hegen müssen. Die Zahlen von 1998 liegen noch nicht vor, denn es dauert ja in dieser Bundesrepublik immer zwei Jahre, bevor man diese Zahlen bekommt. Man arbeitet noch daran. Ich habe in Berlin nachgefragt.

Wenn man das hochrechnet, sind das Einnahmenverluste in Höhe von 200 Milliarden DM. Und da reden wir heute über 25 Millionen DM, die in Bezug auf das Kita-Problem fehlen. Ich habe diese Zahl immer vor meinem geistigen Auge, wenn ich mir Politik in diesem Lande ansehe. Ich meine damit nicht nur Brandenburg, sondern die Bundesrepublik Deutschland insgesamt.

Die Finanzberater haben vom Steuergeschenk des Jahrhunderts gesprochen. Dieses Geld ist fast zu 100 % nach Westdeutschland in die Taschen von Gutbetuchten. die dabei Steuern gespart haben, geflossen. Damit sind falsche Wohnungen zum falschen Preis am falschen Ort gefördert worden. in einigen Regionen sind sogar Konkurrenzwohnungen gebaut worden. Es wurden 800 000 neue Wohnungen gebaut. Im Ge genzug haben wir jetzt eine Million Wohnungen in Ostdeutschland leer stehen.

Es ist auch richtig, dass teilweise Wohnungen am richtigen Ort und auch zu vernünftigen Preisen gebaut wurden. Man hätte hier mit Steuerungsmechanismen ganz anders eingreifen sollen. Diejenigen, die die Steuerabschreibungen durchführten, hätten sie auch gemacht. wenn man eine Kostenobergrenze pro Quadratmeter für die Erstellung vorgegeben hätte, wenn man gesagt hätte, welche Mieten entstehen müssen, und wenn man gesagt hätte, dass ökologisch gebaut werden muss. Man hätte auch die Regionen nennen müssen, in denen gebaut werden soll.

(Minister Meyer: Machen wir. Ist das nicht bis nach Bonn gedrungen?)

Nein, da ist nichts passiert. Man sieht es ja eindeutig. Es ist noch ewig mit der Sonder-AfA so weitergelaufen. Es sind keine Steuerungsmechanismen eingebaut worden. Es ist mit der Gießkanne verteilt worden. Das Motto hieß: Den Geldhahn weit aufl Das Geld ist in Strömen geflossen. Danach ist abrupt zugedreht worden. Das ist keine weitsichtige Politik. So kann man nicht arbeiten. Mit diesem Zyklus fördert man Probleme.

(Beifall bei der PDS)

Hier ist schnelle Hilfe notwendig. Ich will auch vor langen Analysen der Expertenkommission, die gebildet wurde, warnen. Wir diskutieren wie gewohnt zwei bis drei Jahre über Probleme und inzwischen ist der Patient gestorben. Die Probleme sind hinreichend bekannt. Es gibt eine sehr gute Analyse des GdW, des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft, auch vom Bund freier Wohnungsunternehmen und vom Mieterbund. Die Frage

ist, wie wir helfen können. Uns nützen keine klugen Ratschläge

einer Expertenkommission etwas - diese Ratschläge sind ohne Finanzhilfen sinnlos. Hier muss Geld her. Anders wird man die Situation nicht bewältigen können. Wir brauchen ein Sofortprogramm, und zwar spätestens bis zum Sommer dieses Jahres. Es nützt nichts, wenn wir erst im nächsten Jahr zu reagieren anfangen.

Ich bin weiterhin der Meinung: Wir müssen auch analysieren. ob es nicht sinnvoller ist, in Regionen, in denen der Abriss droht. Arbeitsplätze zu fördern, anstatt den Abriss zu fördern. Das ist nirgends wissenschaftlich durchgerechnet worden. Es geht um die Frage, ob es nicht billiger ist, dort Geld hineinzugeben, uni Arbeitsplätze in der Region zu erhalten oder neue zu fördern, und zwar mit den gesamten Folgekosten. Hier tut sich eine große Kausalkette auf. Jede Mark, die heute bei der Problembewältigung gespart wird, kostet morgen den Bund und das Land das Zigfache. Wir können uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir können das Problem gar nicht anders in den Griff bekommen. Der massenweise Ruin von Wohnungsunternehmen würde zur Destabilisierung ganzer Regionen führen. Er ist politisch unverantwortbar.

Minister Meyer, ich bitte Sie, insofern Druck in Berlin zu machen: denn auf Landesebene ist dieses Problem allein nicht zu lösen. Das Land hat diese Situation zum Teil auch selbst zu verantworten, denn auch Brandenburg hat sich für meine Begriffe gegen die Folgen des Altschuldenhilfe-Gesetzes viel zu wenig stark gemacht. Es ist in Teilen reformiert worden, aber auch das Land Brandenburg hat immer sehr zögerlich agiert. Oberste Priorität hat für uns jetzt schnelles Handeln. - Schönen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Warnick. - Das Wort geht an die Fraktion der SPD, Herrn Abgeordneten Dellmann_

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Warnick, wenn man Ihren Ausführungen folgt, dann könnte man den Eindruck haben, dass die brandenburgische Landespolitik diese Fragen in den letzten Jahren vernachlässigt hat. Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass dies nicht der Fall ist.

(Zuruf von der PDS)

Es entsteht der Eindruck.

(Zuruf von der PDS)

Brandenburg war immer Vorreiter der Bundesländer, die diese Probleme einer Lösung zugeführt haben.

Sie sprachen von einer Kausalkette. Wenn man von einer Kette redet, sollte man das erste Glied in dieser Kette nie vergessen.

Das erste Glied in dieser Kette war nun einmal die verfehlte Wirtschafts- und Wohnungspolitik der ehemaligen DDR.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie, Herr Warnick, die Behauptun g aufstellen, das Kind sei in den Brunnen gefallen, dann muss man auch die Frage stellen: Wann ist das Kind eütentlich in den Brunnen gefallen? Es ist nämlich bereits spätestens 1990 in den Brunnen gefallen. Glücklicherweise gab es dann aber doch einen demokratischen Umbruch, der dazu geführt hat, dass dieses Pflänzchen noch einmal herausgezogen werden konnte.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Bisky [PDS])

Aber worum geht es? Es geht natürlich um die Einschätzung der tatsächlichen Situation: Wie ist es um die Wohnun gsunternehmen bestellt? Da stimmt die Statistik natürlich und da stimmen wir auch beide überein, dass sehr, sehr viel passieren muss. Ich glaube aber schon. dass wir sagen können - das muss auch das Signal nach außen sein -: Wir haben in Brandenburg sehr viele Erfolge.

(Unruhe bei der PDS)

Wir haben Erfolge erzielt in der Frage: Wie stellt sich insgesamt die Situation für unsere Bürger, für unsere Mieter dar? Wir haben keine Wohnungsnot. Wir haben allerdings Unternehmen und Städte, die sich in einer sehr, sehr schwierigen Situation befinden. Was ist auf den Weg gebracht worden? Auf den Weg gebracht worden ist - denken Sie an die Aufstockung des KfWProgramms - eine große Hilfe. Wir werden uns in Brandenburg ganz stark auf die Modernisierung und Instandsetzung konzentrieren. Durch unsere Initiative haben wir gegenüber dem Bund auf den Weg gebracht, dass in der Frage der Altschuldenhilfe auch deutlich darauf geschaut wird, dass den strukturschwachen Regionen Sonderhilfen gewährt werden. Es ist auch eine Initiative ganz wesentlich von Brandenburg und auch des MSWV - Sie haben es vielleicht der Presse entnommen dass eine Expertenkommission ein gesetzt worden ist, um sich diesen speziellen Fragen zu widmen.

Mitunter kann man die Frage stellen: Hätte das nicht eher geschehen können? Ich hätte es mir auch einige Monate oder vielleicht auch zwei Jahre eher gewünscht. Aber es muss natürlich nüchtern analysiert werden, wo Hilfe hin muss und wie diese Hilfe gestaltet werden kann. Ich bin sehr froh, dass in dieser Expertenkommission, in der unter anderem eine Vertreterin der Stadt Schwedt, Frau Rücken - vielen von uns als engagierte Kämpferin auch in solchen Fragen bekannt - sein wird, wirklich mit allen Beteiligten, einschließlich des Mieterbundes, nach Lösungen gesucht wird.

Es wird dann darum gehen, dass die von der Expertenkommission gemachten Vorschläge den entsprechenden politischen Druck bekommen und natürlich auch gegenfinanziert werden. Denn diese speziellen Probleme - ich nenne Schwedt, Eisenhüttenstadt, Wittenberge - müssen einer Lösung, zugeführt werden.

Als Koalition werden wir die Gemeinden, Städte und (Homeyer [CDU]: Genau!) Wohnungsbaugenossenschaften auf ihrem Weg begleiten und sie

nicht allein lassen. Das will ich hier noch einmal ganz deutlich sagen.

Was Ihren Antrag betrifft, möchte ich sagen: Wir haben über die Expertenkommission den Weg gefunden, um zu Lösungen zu kommen. Deshalb bitte ich darum, dass wir diesen Antrag ablehnen, aber inhaltlich am Thema dranbleiben. - Danke.

(Beifall bei der SPD - Gelächter bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Delimann. - Das Wort geht an die Fraktion der DVU, Frau Abgeordnete Hesselbarth.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir sind der Meinung, dass das ein zu komplexes Thema ist. Der PDS-Antrag hat zwar tendenziell richtige Ansätze, aber er müsste eingebunden sein in ein Programm, durch das mehr Arbeitsplätze geschaffen werden und für soziale Sicherheit gesorgt wird. Wir würden uns bei der Abstimmung über diesen Antrag enthalten. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hesselbarth. - Das Wort geht an die Fraktion der CDU, Herrn Abgeordneten Schrey.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Warnick, ich kann dem, was Sie hier gesagt haben, nicht ganz folgen, aber Herrn Dellmann nur beipflichten, dass wir an diesem Problem natürlich weiter arbeiten müssen. in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der PDS, steht, dass der vorhandene Wohnungsbestand belebt werden soll. Wohnungsbestand beleben - das heißt für mich, Mieter für die Wohnungen zu gewinnen. Das ist aber nur möglich, wenn die Bevölkerungszahl in den betroffenen Kreisen ansteigt. Wir können Belebungen nicht staatlich verordnen. Wir können höchstens Wohngebiete und Wohnungen attraktiver machen und langfristig für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen sorgen.

(Zuruf von der PDS)