Wenn man davon redet, muss man auch zu strukturschwachen Regionen in unserem Lande etwas sagen. Zwar haben wir das Gebot - ich verkürze das jetzt einmal; denn Sie alle kennen das Verfassungsgebot -, die innere Einheit unseres Landes zu erhalten und zu bewahren; wir haben aber nicht das Gebot - wir müssen auch ehrlich sagen, dass das nicht mehr geht -, in jedem Dorf zu fördern, und zwar alles, was sicherlich förderungswürdig wäre. Vielmehr müssen wir klipp und klar sagen: Es wird Regionen geben, in denen wir unterstützen können, wollen und müssen, sodass Eigenentwicklung möglich wird. Aber wir müssen genauso deutlich sagen: Es wird an manchen Stellen wirklich die Landwirtschaft sein, bei der wir glücklicherweise viele Erfolge vorzuweisen haben, und es werden das Basisnetz in der Tiefe des Raumes und der Tourismus sein. Andere Felder werden es nicht sein, weil wir die geringer werdenden Mittel auf die Räume konzentrieren müssen, in denen es schon eine Entwicklung gibt, die verspricht, eine selbsttragende Entwicklung zu werden. Da es aber nicht nach einem Schwarz-Weiß-Schema gehen kann, soll man nicht sagen, dass deshalb das Leben in den anderen Regionen absterben werde.
So sind gesellschaftliches Leben und Verantwortungswahrnehmung nämlich nicht und so etwas gibt auch unsere Verfassung auf keinen Fall her.
Wir haben hier Debatten über die Frage geführt - ich will diese Debatten nicht aufwärmen -, welche Chancen es noch mit Großprojekten gibt. Wir haben das gemeinsam analysiert und festgestellt, dass die diesbezüglichen Chancen auch aufgrund der europäischen und der deutschen Wirtschaftslage immer geringer werden. Wer solche Projekte noch plant, der geht in den Osten Europas und kommt nicht mehr hierher.
Das heißt für uns ganz klar: Konzentration der Unterstützung der Ideenwettbewerbe und aller Möglichkeiten, die wir haben, auf die Entfaltung des Mittelstandes. Dazu haben Herr Christoffers, Herr Fritsch und andere eben schon gesagt, dass da die Achillesferse ist. Darüber sprechen wir zurzeit mit der KfW. Diese hat nicht gehalten, was ich mir vom ersten Aufschlag versprochen habe. Aber jetzt entwickelt sich etwas im intensiven Gespräch. Wir müssen die Problematik des Eigenkapitals endlich positiv lösen. Anderenfalls reden wir noch in zehn Jahren über Mittelstand und sind keinen Schritt weiter gekommen.
Wir kommen jetzt in die Phase, in der Expansion möglich ist, indem die mittel- und osteuropäischen Märkte erschlossen werden. Bei vielen Unternehmerreisen, an denen ich selbst teilgenommen habe, haben wir erlebt, dass das sehr wohl möglich ist, weil die Mentalitäten stimmen, die Sprachkenntnisse stimmen, die Produkte oft stimmen; man hat zum Teil noch alte Netzwerke, weil man vielleicht gemeinsam studiert hat. Das alles sind wichtige Faktoren, wenn man Wirtschaftsbeziehungen positiv gestalten will.
Dann kommt aber sofort der Hinweis: Ihr müsst erst einmal 6, 12 oder 18 Monate überstehen. - Wer kann das zurzeit? In diesem Zusammenhang müssen wir also - Frau Blechinger, da können Sie sicher sein, dass das heute ein Thema mit dem Bundeskanzler sein wird - noch einmal über das Thema Bürgschaften reden; denn diese Expansionschance nicht zu nutzen hieße, hinzunehmen, dass eine entsprechende Chance so schnell nicht wiederkäme. Wenn die genannten Märkte besetzt sind, dann ist für die nächsten Jahre alles, was in unserer näheren Umgebung ist, was erreichbar und erschließbar ist, für uns erst einmal perdu. Das dürfen wir nicht zulassen.
Lassen Sie mich zu dem Thema Bürokratieabbau, das hier mehrfach angeklungen ist, noch kurz etwas sagen. Ich bin sehr dafür. Wir haben im Lande auch schon sehr deutliche Schritte gemacht. Wenn mit „Sonderwirtschaftszone“ gemeint ist, dass der Bund bereit ist, Planungsrechte und baurechtliche Bestimmungen zu vereinfachen, dann bin ich sehr dafür, dass dies, unter welcher Überschrift auch immer, realisiert wird; denn wir haben mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz sehr gute Erfahrungen gemacht, die sich mit Sicherheit erweitern lassen.
Jetzt leuchtet hier das rote Licht. Eigentlich wollte ich noch etwas zu Wissenschaft, Bildung und Forschung sowie Transfer von Technologie sagen, weil das mit das wichtigste Thema ist, wenn es darum geht, Zukunft in unserem Lande zu gestalten. Lassen Sie mich einen allerletzten Satz sagen, ehe der Strom hier abgestellt wird. Bei manchen Punkten müssen wir uns
klarmachen, dass es wichtig ist, dass wir einmal eingeschlagene Wege auch eine Weile beschreiten können.
Das Land Bayern hat ebenfalls 35 Jahre gebraucht, ehe es vom Agrarland zum Technologieland geworden war.
Abschließend geht das Wort noch einmal an die Fraktion, die das Thema für die Aktuelle Stunde beantragt hat. Bitte, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, trotz aller Dramatik werden wir den Strom noch eine Weile behalten.
Herr Christoffers, herzlichen Dank an Sie für die erwünschte Reaktion auf das Wort „Schicksalsgemeinschaft“. Ich habe dieses Wort mit Absicht gebraucht; denn uns muss deutlich sein, dass es dem Osten und dem Westen nur gemeinsam gut oder schlecht gehen kann. Ich weiß, dass das ein pathetisches Wort ist.
Wir haben in der heutigen Debatte viel über Forderungen an Dritte gehört, auch an Dritte, die wir wenig oder gar nicht beeinflussen können. Die Föderalismuskommission wird mit ihren Entscheidungen mit Sicherheit den Rahmen verändern, hoffentlich auch verbessern. Damit setzt aber hier nicht automatisch der Aufschwung Ost ein. Darüber müssen wir uns ganz klar sein.
Inhaltlich und strukturell umsteuern? Okay. Aber auch damit setzt nicht automatisch der Aufschwung Ost ein. Auch da werden nur die Rahmenbedingungen verbessert.
Bundesregelungen als Obergrenze, Frau Blechinger? Natürlich haben wir darüber schon oft diskutiert. Bei der Bauordnung oder beim Naturschutzgesetz haben wir uns dieses Themas angenommen. Das kann helfen. Aber damit setzt nicht automatisch der Aufschwung Ost ein. Wir müssen mit der Erkenntnis in die Köpfe hinein: Wenn wir Gesetze anwenden, können wir restriktiv oder konstruktiv vorgehen. Wenn wir konstruktiv vorgehen wollen, müssen wir sagen: Obwohl es dieses Gesetz gibt, will ich dies genehmigen, allerdings nicht gegen das Gesetz. Es ist ja immer eine Abwägung zwischen den rechtlichen Normen und dem öffentlichen Interesse. Da haben wir, glaube ich, sehr viel Spielraum.
Das Gleiche gilt für das Thema Bildung. Ich erinnere zum Schluss an Folgendes: Wir haben mit dem Hauptausschuss und gemeinsam mit dem Berliner Ausschuss die Viadrina und das Collegium Polonicum besucht. Die Situation der dortigen Studenten war dadurch gekennzeichnet, dass sie etwa 200 Euro Studiengebühr bezahlen müssen - viel Geld für polnische Studenten -, dass sie das Wort Abbrecherquote im Polnischen überhaupt nicht kennen, dass sie eine Mobilität aufweisen, die bewundernswert ist, dass sie zurückkommen und Polnisch, Englisch, Französisch und Deutsch können und unseren Jugendlichen Angst machen in diesem deutsch-polnischen Wirtschaftsraum.
Wir sind am Ende der Rednerliste. - Ich schließe die Aktuelle Stunde, damit den Tagesordnungspunkt 1 und rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Das Wort erhält der Abgeordnete Sarrach, der seine Dringliche Anfrage 62 (Gefängnisskandal) vortragen wird.
Nach eigener Aussage war Justizministerin Richstein erst seit dem 30. April über konkrete Vorwürfe mutmaßlicher Misshandlungen von Gefangenen in der JVA Brandenburg informiert. Auch im Ministerium soll vorher nichts bekannt gewesen sein. In der Sitzung des Rechtsausschusses am Montag legte sich die Ministerin auf Nachfrage fest, dass vor dem 30. April 2004 überhaupt keine Hinweise auf angebliche Misshandlungen von Gefangenen an das Ministerium herangetragen wurden.
Vor zwei Jahren protestierten hungerstreikende Gefangene in dieser JVA jedoch gegen die Haftbedingungen und diktatorisches Verhalten von Bediensteten. In den letzten fünf Jahren gab es aus dieser JVA 57 Anzeigen bzw. Beschwerden über Bedienstete, von denen einige direkt an das Ministerium gerichtet waren, weil diese Post nicht geöffnet werden darf. Im Juni 2003 berichtete der ORB in Bild und Ton über Bedienstete dieser JVA, die Gefangene misshandelt haben sollen, wobei der damalige Abteilungsleiter Strafvollzug im Ministerium sogar hierzu interviewt wurde. Schließlich warnte Ende März 2004 der Leiter dieser JVA den zuständigen Referatsleiter im Ministerium, dass der Besuch der „Klartext“-Redaktion bei dem herzkranken Gefangenen Friedrich F. heikel sei, weil „der Querulant uns alle in die Pfanne hauen“ werde.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: Weshalb hat die zuständige Justizministerin Informationen über mutmaßliche Misshandlungen von Gefangenen nicht unverzüglich an den Landtag und an die Landesregierung weitergegeben?
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Sarrach, am 30. April nachmittags - es war ein Freitag - wurde ich von meiner Pressesprecherin informiert: nicht über konkrete Misshandlungen in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg, sondern darüber, dass am kommenden Mittwoch, dem 5. Mai, in einer Sendung des RBB ein Beitrag laufen werde, der zum Gegenstand habe, dass es Körperverletzungen durch Bedienstete an Gefangenen gebe. Ich habe daraufhin den Anstaltsleiter angerufen und gefragt, was er mir hierzu sagen könne. Er teilte mir mit, dass es Vorwürfe gegen Bedienstete gebe, dass ein Gefangener, der als Querulant bekannt sei, wiederholt in den besonders gesicherten Haftraum überstellt worden sei und hierzu ein Ermittlungsverfahren laufe. Da der Fall schon im Januar stattgefunden haben soll, ist ein Bericht angefordert worden.
Erst am Montag, dem 3. Mai, ist mir in dem Bericht bekannt gegeben worden, dass Bedienstete, die mit einem Schutzanzug und mit einer so genannten Sturmhaube, einer Maske über dem Kopf, bekleidet waren, in den Gefangenenraum zu einem Häftling gegangen sein sollen, welcher dann auch in einen besonders gesicherten Haftraum überstellt worden sei. In dem Moment, als mir bekannt gegeben wurde, dass es solche Sturmhauben gibt, habe ich deren Einsatz sofort verboten und sie einziehen lassen.
Die Vorwürfe, die dann in der „Klartext“-Sendung erhoben wurden, dass es regelrechte Schlägertrupps gebe, dass diese Justizvollzugsanstalt schon aus DDR-Zeiten eine gewisse Tradition habe, dass noch weitere Zeugen in der Sendung vorgestellt würden, sind Vorwürfe, die erst am Mittwochabend dargestellt wurden. Zum Glück haben sich diese Vorwürfe in vielen Bereichen bislang nicht bestätigt.
Fest steht - das hat mich sehr getroffen und das trifft mich noch heute -, dass solche Vorwürfe erhoben werden und dass sie sich zum Teil bestätigt haben. Richtig ist, dass ein bekanntermaßen herzkranker Gefangener zu nächtlicher Zeit, als er um medizinische Hilfe bat, nicht einen Arzt, sondern lediglich einen Krankenpfleger gesehen hat, der sagte, es lägen keine Beschwerden vor, und dass er dann durch Bedienstete, die Schutzanzüge und Masken trugen, in einen besonders gesicherten Haftraum überstellt wurde. Ob er zu diesem Zeitpunkt verletzt oder sogar, wie dargestellt, körperlich misshandelt wurde, ist bisher nicht erwiesen. Auch der behandelnde Arzt in einem städtischen Krankenhaus, der ihn zugegebenermaßen erst am nächsten Tag untersuchte, stellte fest, dass er einen Herzinfarkt erlitten hat. Es sind aber keine sonstigen Verletzungen diagnostiziert worden.
Es handelt sich hierbei um Vorwürfe, die mich sehr betroffen machen. Ich kann Ihnen sagen, dass ich in dem Moment, als ich von den Vorwürfen erfahren habe, sofort die notwendigen Maßnahmen einleitete. Ich kann Ihnen versprechen, dass zu den weiteren Vorwürfen, deren Richtigkeit noch nicht erwiesen ist - es sind zum Teil Gefangene, die bereits in eine andere Anstalt und ein anderes Bundesland verlegt wurden oder in Frei
heit sind -, die Unterlagen gesichtet bzw. aus MecklenburgVorpommern angefordert werden müssen. Ich kann Ihnen versichern, dass hier wie auch bei allen anderen Vorwürfen, die im Zusammenhang mit dem Strafvollzug erhoben werden - wir hatten auch Vorgänge, was Trennungsgeld betrifft -, umfassend und zügig aufgeklärt wird.
Ich kann Ihnen aber auch versprechen, dass ich es nicht zulasse, dass hier quasi ungerechtfertigte Vorwürfe gegen alle Bediensteten im Strafvollzug erhoben werden, dass die Mitarbeiter, die wirklich eine harte Arbeit machen, hier unter Generalverdacht gestellt werden, dass es heißt: Wir haben im Knast nur noch prügelnde Bedienstete.
Es ist durchaus eine schwere Arbeit, die im Strafvollzug geleistet werden muss. Ich würde nicht unbedingt mit den Bediensteten tauschen, weil es wirklich eine harte Arbeit ist.
Es sind keine Chorknaben, die in Brandenburg an der Havel einsitzen. Gerade in Brandenburg an der Havel befinden sich die Gefangenen, die Langzeitstrafen absitzen, und es kann durchaus wie in jedem Strafvollzug zu Stress- oder Krisensituationen kommen.
Es muss ganz klar gesagt werden, dass es auch in anderen Ländern, in anderen Strafvollzugsanstalten - das ist durch das Strafvollzugsgesetz geregelt und somit gewährleistet - manchmal notwendig ist, Sicherungsmaßnahmen einzuleiten, und dass es manchmal auch notwendig ist, unmittelbaren Zwang gegenüber Gefangenen auszuüben, wenn sie sich gegen Bedienstete zur Wehr setzen oder renitent sind. Unmittelbarer Zwang - so definiert es das Gesetz - umfasst auch körperliche Gewalt. Sie muss allerdings verhältnismäßig sein. Es ist nicht so, dass ein Bediensteter von sich aus sagen kann: "Ich ziehe mir jetzt meinen Schutzanzug an", sondern das erfolgt auf Anweisungen, die von Vorgesetzten gegeben werden.
Ich verwahre mich dagegen, dass hier ein Generalverdacht ausgesprochen wird und dass Zeitungen mittlerweile nur noch von Folterknechten schreiben. Wir sind nicht im Irak, sondern in Brandenburg, in einem Rechtsstaat, und bislang haben sich solche Vorwürfe, wie sie hier erhoben wurden, nicht bestätigt.
Ich danke Ihnen, Frau Ministerin Richstein. - Es sind einige Nachfragen angemeldet worden. Der Fragesteller, Herr Abgeordneter Sarrach, erhält zuerst das Wort.
Ich habe drei Nachfragen. Frau Ministerin Richstein, bestätigen Sie also das bereits vor dem Rechtsausschuss am Montag vom Ministerium gezeichnete Bild vom herzkranken Gefangenen Friedrich F., nämlich das Bild eines wenig glaubwürdigen Querulanten, der offensichtlich nicht geschlagen worden sei, da er keine äußeren Verletzungen aufweist?
Zweitens: Trifft es zu, dass der dem Ministerium vorliegenden Akte dieses Gefangenen zu entnehmen ist, dass der Gefangene