Es geht uns nicht - um das klar zu sagen - um Parteienstreit, darum, auch an dieser Frage einen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition herbeizuführen. Es geht um das Verhältnis von deutscher Schuld und Mitschuld und wie wir damit umgehen. Das ist eine entscheidende Frage, die Demokraten von der politischen Rechten trennt.
Sie, Herr Ministerpräsident, weiß ich auf der Seite der Demokraten. Brandenburg war und ist das einzige Bundesland, das den Völkermord an den Armeniern in den Unterrichtsmaterialien hat. Deswegen können Sie vielleicht verstehen, wie irritiert wir waren, weil wir gerade eine solche Handlungsweise von Ihnen nicht erwartet hatten.
Wir wollen, dass der Landtag für eine kurze Weile innehält und sich fragt: Was ist in dieser Frage eigentlich passiert? Worüber haben wir hier zu diskutieren?
Im 60. Jahr der Befreiung vom Faschismus sollte auf Weisung der Staatskanzlei der Genozid an türkischen Armeniern aus dem Jahr 1915/1916 erstmals aus dem Rahmenlehrplan für den Geschichtsunterricht verschwinden. Jetzt soll er wieder hinein.
Über das Ergebnis sind wir froh. Wir nehmen aber auch zur Kenntnis, nicht die Landesregierung aus sich heraus hat die falsche Entscheidung korrigiert, sondern es war der Druck aus
der demokratischen Öffentlichkeit, der Druck aus der evangelischen Kirche, von Bürgern und Völkerrechtlern, auch der Druck aus den Medien. Die Zivilgesellschaft hat ihre Verantwortung wahrgenommen, als die Landesregierung strauchelte. Das ist uns wichtig.
Die Landesregierung strauchelte im 60. Jahr nach der Befreiung vom Faschismus, zu einer Zeit, in der wir alle besonders aufmerksam gegenüber unserer eigenen Geschichte sind, sie wiederholt und neu durchdenken.
Man kann doch nicht übersehen - das konnte der Ministerpräsident auch nicht übersehen -, dass an den Armeniern ein Verbrechen begangen wurde, das wir im Rückblick als den Vorläufer des einzigartigen Menschheitsverbrechens an den Juden, an den Sinti und Roma betrachten müssen. Der Ministerpräsident kann nicht übersehen haben, dass das Deutsche Reich in den Völkermord an den Armeniern verquickt war und einen Mantel des Schweigens darüber zu breiten verordnete.
Ein einziges Mal kam damals die Armenienfrage in der Öffentlichkeit zur Sprache. Ob der Reichsregierung bekannt sei, dass im verbündeten türkischen Reich die armenische Bevölkerung zu Hunderttausenden von ihren Wohnsitzen vertrieben und niedergemacht worden sei, fragte der Abgeordnete Karl Liebknecht am 11. Januar 1916 im Reichstag. Als Liebknecht von bezeugten Massakern an den türkischen Armeniern sprach, entzog ihm der Reichstagspräsident das Wort.
Heute ist der Völkermord an den Armeniern bekannt. Niemand kann ihn mehr totschweigen. Heute ist die Verquickung des Deutschen Reiches bekannt. Niemand kann sie mehr leugnen. Die Jugendlichen müssen den Teil dieser Geschichte kennen lernen als Teil der Geschichte rassistischer Gewalt und als Teil der deutschen Geschichte. Nur auf dieser Grundlage der Kenntnis ist Versöhnung möglich.
Sie haben einen Fehler gemacht, Herr Ministerpräsident, als Sie diesen Teil aus unserer Geschichte heraustrennten und wegschließen wollten.
Ich erwarte von Ihnen den einfachen und klaren Satz: Meine Handlung war ein Fehler. - Mit einer solchen Klarheit gewinnt man Respekt. Sonst muss der Landtag, wenn Sie das nicht leisten können, Ihr Vorgehen missbilligen.
Lassen Sie mich auch völlig klar sagen: Man muss Trennschärfe an den Tag legen, Trennschärfe zur CDU/CSU, die jetzt die Armenienfrage entdeckt, um hier antitürkische Stimmungen zu schüren. Damit wollen wir nichts zu tun haben.
Wir sind dagegen, dass die Armenienfrage funktionalisiert wird. Man muss Trennschärfe an den Tag legen zur Rechten dieses Hauses, die mit den Hinweisen auf andere Völkermorde den eigenen Völkermord, die eigene Verantwortung relativieren will.
Ich finde, alles das hat die Landesregierung nicht bedacht, indem Sie im 60. Jahr der Befreiung vom Faschismus einen solchen Fehler begangen haben.
Herr Ministerpräsident, meine Bitte ist: Sagen Sie klar, es war ein Fehler. Dann kann man darüber reden. Ansonsten wird der Landtag Ihr Verhalten missbilligen müssen. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei der PDS - Schulze [SPD]: Den Splitter im Auge des anderen sehen, aber nicht den Balken im eige- nen! - Gegenruf des Abgeordneten Sarrach [PDS]: Die Bergpredigt bringt uns weiter!)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Kollegin Klara Geywitz fragte eingangs ihrer Rede: Wo liegt Armenien? - Ich frage eingangs meiner Rede: Wie oft haben wir im Landtag über dieses Thema, das hier heute aktuell behandelt wird, schon gesprochen? Oder anders herum gefragt: Wer hat sich eigentlich in diesem Haus mit diesem Thema beschäftigt?
Erstens: Wir haben eine Geschichte, alle haben eine Geschichte und alle müssen einen ehrlichen Umgang mit dieser Geschichte pflegen. Das gilt gerade auch im Zusammenhang mit dem heute zur Debatte stehenden Thema - wenige Tage vor dem 90. Jahrestag des Beginns des Völkermordes an den Armeniern.
Zweitens haben wir die Tatsache, dass Brandenburg bisher das einzige Bundesland war, in dem dieses Thema Bestandteil des Rahmenlehrplans war. In allen anderen Bundesländern - auch in denen, in denen die PDS regieren darf, soll, muss; wie auch immer - ist es kein Thema. Deswegen muss das an dieser Stelle auch einmal so betont werden.
in dem als gemeinsamer Wille steht, dass wir weiterhin diesen Bestandteil im Brandenburger Rahmenlehrplan haben wollen. Das heißt, Brandenburg war, ist und bleibt geschichtlich wahrhaftig, auch wenn Sie auf der linken Seite des Landtages das manchmal nicht wahrhaben wollen.
Wir haben aber festzustellen, meine Damen und Herren, dass es die Gespräche, die Diskussionen gab, dieses Thema auch innerhalb von diplomatischen Beziehungen zu verändern oder zumindest dieses Thema im Rahmenlehrplan anders darzustellen. Das führte zu Verärgerungen, auch zu diplomatischen Verwicklungen außerhalb des Landes Brandenburg und zu Diskussionen innerhalb des Landes Brandenburg, weil die Leute ganz einfach nicht verstanden haben, wieso man diesen Weg eventuell auch mit diesen Mitteln geht.
Deswegen war diese Debatte nicht im Interesse unseres Landes, aber sie ist letztlich - wie wir heute gemeinsam feststellen - mit diesem gemeinsamen Antrag, der Ihnen vorliegt, sinnvoll zu lösen. Deshalb ist es auch zu loben, dass es die Regierung bereits Anfang Februar geschafft hat, sich mit der armenischen Botschafterin auf das Thema zu verständigen
und gemeinsam zu sagen: Wir wollen das nicht wegdrängen, wir wollen es nicht verschweigen, wir wollen aber mit anderen Beispielen inhaltliche Geschichte weiter voranbringen, um den Schülerinnen und Schülern dies nahe zu bringen, um aber auch in diesem Land ein klares Bild von Geschichte zu vermitteln. Deshalb gibt es auch einen engen Zusammenhang mit diesem Thema und sollten andere diesem Beispiel folgen. Wenn die grüne Menschenrechtsexpertin, wie sie sich selbst nennt, Christa Nickels, sagt: „Ich bin über dieses Thema empört; ich habe dafür kein Verständnis“, dann frage ich: Wo ist ihr Urteil geblieben, um dieses Thema auch anderswo im Lehrplan zu verankern, anstatt Brandenburg an dieser Stelle einen Vorwurf zu machen?
Dort, wo Sie, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, regieren, ist das - ich habe es bereits angesprochen - kein Thema und wird es mit Sicherheit auch in absehbarer Zeit nicht sein. Geschichte muss - wir, das deutsche Volk, wissen das am besten - aufgearbeitet werden, weil sich nur daraus Handlungen für ein demokratisches Miteinander ableiten lassen. Wir in Deutschland sind diesen Weg gegangen und haben den Aufarbeitungsprozess vollendet. Das Grundgesetz und die Verfassungen aller Bundesländer sind Ausdruck dessen, was wir aufgearbeitet haben. Wir müssen auch am 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs daran arbeiten. Wir müssen der Türkei sagen, dass auch sie diesen demokratischen Schritt tun muss. Wir müssen sie auffordern, sich dazu zu bekennen, dass auch in ihrem Land Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden. Das ständige Leugnen muss ein Ende haben.
Ich kann nicht akzeptieren, dass - auch in der Öffentlichkeit spekuliert wurde, unser Rahmenlehrplan sei dafür verantwortlich, dass Türken in Brandenburg verfolgt würden oder eventuell mit Gewalt zu rechnen hätten. Das ist eine glatte Lüge, die ich als Brandenburger, der auch für Bildungspolitik steht, nicht im Raum stehen lassen kann.
Es ist merkwürdig, dass die PDS-Fraktion heute einen Antrag stellt, einzelnen Mitgliedern der Regierung die Missbilligung auszusprechen. Dies tut sie, erwähnt jedoch mit keinem Wort, dass sie sich für einen Beitritt der Türkei zur EU ausspricht. In den letzten Jahren hat die PDS häufig betont, die Türkei sei ein Partner auf gleicher Augenhöhe. Heute spricht sie davon, dass dieses Thema nicht entsprechend aufgearbeitet sei. Sie sollten bei Ihrer Argumentation besser aufpassen, um hier nichts durcheinander zu bringen.
Sie haben es in Ihrer Regierungszeit - ich sage es ganz deutlich -, die Sie immer wieder gern darstellen, nicht geschafft, dieses Thema in die Rahmenlehrpläne der Länder zu integrieren, also können Sie uns für Brandenburg daraus auch keinen Vorwurf machen.
Herr Präsident, wir haben mit dem Antrag einen klaren Auftrag zu erfüllen, nämlich den, die Bildungs- und Erziehungsarbeit an Brandenburger Schulen weiterhin zu gewährleisten und dafür Sorge zu tragen, dass sich die Darstellung von Genoziden im Rahmenlehrplan findet. Dabei spielt nicht die Anzahl der aufgeführten Beispiele eine Rolle, sondern es geht um die Schlussfolgerungen, die Brandenburger Schülerinnen und Schüler daraus ziehen können. Deswegen muss eine Handreichung gegeben werden, die in diesem Zusammenhang im Unterricht verwendet werden kann, um wirklich jedem einzelnen Schüler in Brandenburg vor Augen zu halten, was Geschichte ist und welche Konsequenzen wir daraus für unser Handeln in Brandenburg und darüber hinaus ableiten müssen. Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur wir als DVU-Fraktion stellen uns die Frage, warum der Massenmord an den Armeniern überhaupt aus dem Lehrplan gestrichen wurde. Wurde der Ministerpräsident nun von türkischen Diplomaten unter Druck gesetzt oder nicht? Gab es in diesem Zusammenhang vielleicht wieder Morddrohungen von türkischen Vereinen? Die Wahrheit werden wir wohl nie erfahren, doch eines ist Fakt: Immer mehr deutsche Politiker bringen sich selbst in eine missliche Lage, da sie sich von fast jedem beeinflussen und „fremdregieren“ lassen.
Die Vergangenheit hat leider gezeigt, was passiert, wenn man bestimmten Interessenvertretern nicht hörig genug ist. Die wohl bekanntesten Fälle sind Hohmann und Möllemann. Vielleicht wollte der Ministerpräsident auch nur einem derartigen politischen Absturz entgehen.
Über die ganze peinliche Affäre kann sich eigentlich nur einer freuen: Finanzminister Speer. Denn man braucht sich nur einmal vorzustellen, welche Einsparmöglichkeiten sich im Bildungsbereich ergäben, wenn nicht mehr die zuständigen Bildungsexperten die Lehrpläne aufstellten, sondern der Ministerpräsident und der Landtag.
Meine Damen und Herren, über den gemeinsamen Antrag der Regierungsfraktionen verliere ich an dieser Stelle lieber nicht allzu viele Worte. Nach dem Willen von SPD und CDU soll das Parlament die Regierung bitten, den Mist, den der Ministerpräsident gebaut hat, wegzuschaffen und das Porzellan, das er zerschlagen hat, zu kitten.
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Das Parlament - die Volksvertretung - soll die Regierung bitten, eine schon längst von der Regierung verkündete Entscheidung wirklich umzusetzen. In der Volkskammer hätte ein solcher Antrag durchaus seine Daseinsberechtigung gehabt, aber in einem demokratischen Rechtsstaat ist dieser Antrag ein regelrechtes Armutszeugnis, meine Damen und Herren von der CDU.
Mit diesem Antrag degradiert sich der Landtag Brandenburg erneut zum Akklamationsorgan für Regierungsbeschlüsse. Aus diesem Grund werden wir diesem Antrag nicht zustimmen.