Protokoll der Sitzung vom 08.06.2005

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Plenarsitzung und begrüße als Erstes Schülerinnen und Schüler einer 11. Klasse des Goethe-Gymnasiums Nauen sowie zehn Schülerinnen und Schüler der Rahn-Schule in Fürstenwalde. Ich wünsche euch einen interessanten Vormittag. Herzlich willkommen bei uns!

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Abgeordnete, Ihnen liegt der Entwurf der Tagesordnung vor. Gibt es zu diesem Entwurf Bemerkungen, Änderungswünsche oder Ergänzungen? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse deshalb über die Tagesordnung abstimmen. Wer ihr zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung in der vorliegenden Fassung beschlossen.

Wir müssen heute leider auf die Anwesenheit des Ministerpräsidenten, der Abgeordneten Münch und des Abgeordneten Nonninger ganztägig verzichten. Ich bitte Sie, das mit Fassung zu tragen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Perspektiven und Chancen Brandenburgs in der Europäischen Union

Ich eröffne die Debatte mit dem Beitrag der CDU-Fraktion. Zu uns spricht die Abgeordnete Richstein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle kennen Europa, die schöne Tochter des Königs Agenor, die von Zeus in der Gestalt eines Stieres geraubt und auf die Insel Kreta verschleppt wurde - eine Figur der griechischen Mythologie, nach der unser Kontinent benannt ist.

Wenn wir uns heute Europa anschauen, meinen wir manchmal, noch immer eine Mythologie zu betrachten, und wundern uns über diesen Mythos Europa. Woher kommt dieser Eindruck? Meines Erachtens auch daher, dass Europa heutzutage kaum noch rational erfassbar ist. Zwar bedingen Logos und Mythos einander, aber in Bezug auf die Europäische Union scheinen sie einander geradezu abzustoßen.

Ein Beispiel bieten die aktuellen Geschehnisse im Zusammenhang mit den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden. Die Bevölkerung beider Länder hat klar und eindeutig gegen den Vertrag über eine Verfassung für Europa gestimmt.

Es mag dahingestellt sein, ob sie ihr Votum als Abstimmung über innenpolitische Fragen, über die europäische Währung oder über die Agrarsubventionen verstanden wissen wollen, entscheidend ist, dass sie mit dieser Abstimmung den Integrationsprozess der Europäischen Union im Mark getroffen haben.

Dabei ist es keine singuläre Entscheidung, die in Frankreich oder den Niederlanden zu treffen war, sondern alle 25 Mitgliedsstaaten der Union müssen den Verfassungsvertrag ratifizieren. Es ist ein laufender Prozess, der in zehn Staaten, so auch in der Bundesrepublik Deutschland, bereits erfolgreich durchlaufen worden ist.

Der Deutsche Bundestag hat dem Vertrag mit überwältigender Mehrheit zugestimmt. Im Bundesrat haben immerhin 15 Länder zugestimmt. Allein das Land Mecklenburg-Vorpommern hat, um den Koalitionsfrieden mit der PDS, die den Verfassungsvertrag und wahrscheinlich noch vieles mehr in Europa ablehnt,

(Einzelbeifall bei der PDS)

zu bewahren, nicht zugestimmt. Daher kann ich mir den Duktus Ihrer Rede, Frau Stobrawa, schon jetzt sehr gut vorstellen.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Sind Sie Hellseherin?)

Dieser laufende Ratifizierungsprozess ist durch die Entscheidungen in Frankreich und in den Niederlanden nachhaltig gestört. Großbritannien und Dänemark verschieben die geplanten Termine ihrer Abstimmungen; Diskussionen darüber, ob wir unsere alte Währung zurückhaben wollen, keimen auf und alle sitzen vor der „Zukunftsfrage“ Europa wie das Kaninchen vor der Schlange.

(Zurufe von der PDS)

Teilen wir Europa jetzt in ein Europa der Befürworter und ein Europa der Ablehner auf? Kann Europa noch seinem Anspruch, eine Solidargemeinschaft zu sein, gerecht werden? Was sind die Ursachen - was die Konsequenzen? Welche Auswirkungen hat dies auch auf unser Land, auf Brandenburg? Das sind Fragen, die wir uns jetzt stellen müssen. Wir müssen sie vor allem beantworten, denn es gibt durchaus auch Menschen außerhalb der Union, die sich diese Fragen stellen.

Wir - sowohl Europa als auch Brandenburg - haben nur dann eine Perspektive, wenn es uns gelingt, diese vermeintliche Krise rasch und nachhaltig zu überwinden, denn die Weltmärkte, Amerika und Asien schauen auf Europa und weiden sich an seiner momentanen Schwäche, denn unsere Schwäche ist eventuell ihre Stärke.

Hat sich Europa denn so sehr von seinen Bürgern entfernt oder konnte die Politik die Bürger einfach nicht auf diese Reise mitnehmen? Es wird beklagt, Europa sei zu weit weg, zu undemokratisch, zu bürokratisch und zu technisch, Entscheidungswege und -gründe seien nicht nachvollziehbar.

Das alles mag richtig sein, paradoxerweise zerstören wir jedoch gerade mit der Ablehnung des Verfassungsvertrages das Werkzeug, das uns helfen könnte, diesen Zustand zu reparieren.

Mehr Demokratie durch Stärkung des Europäischen Parlaments, mehr Bürgerrechte durch Einführung des Instruments der Bürgerinitiative, die Aufnahme der Charta der Grundrechte, mehr Kontinuität durch eine zweieinhalbjährige Ratspräsidentschaft, mehr Subsidiarität als Stärkung der nationalen Parlamente, höhere Flexibilität durch Einführung einer qualifizierten Mehrheit, all das - so scheint es - ist von den Bürgern

Frankreichs und den Niederlanden nicht gewollt. Dabei wäre diese Diskussion sehr viel einfacher zu führen, wenn nicht irgendjemand auf den Gedanken gekommen wäre, diesen Vertrag einen „Vertrag über die Verfassung Europas“ zu nennen. Es ist lediglich die Aufnahme der Grundrechtecharta, es ist lediglich die Zusammenführung von bestehenden Verträgen der Europäischen Gemeinschaft und keine Konstitution, die nationale Identitäten abschaffen soll. Das war dem Bürger leider nicht zu vermitteln. Ich möchte hier jedoch kein Plädoyer für den Verfassungsvertrag halten, sondern auf andere noch zu beantwortende Fragen eingehen.

Felsenfest bin ich davon überzeugt, dass die gemeinsame Haltung Frankreichs und Deutschlands auch ein Grund dafür war, dass Europa gespalten wurde. Die Alleingänge Frankreichs und Deutschlands in Bezug auf den Irakkrieg, in Bezug auf Mehrheitsentscheidungen und in Bezug auf die Deckelung der Zahlungen haben Europa zutiefst gespalten.

Welche Konsequenzen müssen wir aus der Verweigerungshaltung der Bürger ziehen, meine Damen und Herren? Ich glaube, dass wir uns auf die Grundwerte von Politik, auch von europäischer Politik, besinnen müssen. Dabei ist das Wichtigste, dass Politik verlässlich ist und dass Politiker sich eindeutig äußern und ehrlich zu den Bürgern sind. Dabei müssen wir auch Risiken offen und ehrlich benennen und proaktiv an ihrer Minimierung arbeiten. Ebenso müssen wir auch Vorteile und Chancen der Europäischen Union deutlicher formulieren.

Dabei hilft es uns wenig, wenn wir bei allem Schlechten nach Brüssel weisen und alles Gute immer auf unsere eigenen Fahnen schreiben; denn wenn Schlechtes aus Europa kommt, dann auch deswegen, weil wir versäumt haben, an den Entscheidungsprozessen mitzuwirken. FFH-Richtlinie und Feinstaubrichtlinie - Begriffe, die allgemein bekannt sind - waren in Deutschland erst dann ein Thema, als sie nationales Recht wurden. Als sie aber im vorigen Jahrhundert in Brüssel beratschlagt wurden, gab es kaum ein wahrnehmbares Veto. Daher gibt es diese Richtlinien. In diesem Zusammenhang ist es auch wenig hilfreich, wenn die Bundesregierung schon bei der Umsetzung in nationales Recht versucht, höhere Maßstäbe zu setzen. Schauen wir uns das Antidiskriminierungsgesetz an.

Es ist zumindest die Festschreibung im Koalitionsvertrag zu begrüßen, dass im Umweltrecht auf Landesebene nicht über europäische Standards hinausgegangen werden soll.

Ich werde auch weiterhin dafür kämpfen, dass dies, wie im Entschließungsantrag zum Haushalt 2005/2006 festgelegt, für alle Politik- und Rechtsgebiete gilt, denn nur dann ist gewährleistet, dass Deutschland und insbesondere Brandenburg im europäischen Wettbewerb keine Nachteile erleiden.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Als weitere Konsequenz ist aber auch wichtig, dass wir Europa stärker in unseren Alltag integrieren. Das fängt sehr früh an: in der Bildung, in der Jugendarbeit, in der Ausbildung und im Studium. Ich weiß, dass es heutzutage schwierig ist, gerade jungen Menschen Politik näher zu bringen; aber nur, weil wir eine Aufgabe als schwierig ansehen, dürfen wir sie nicht unbearbeitet liegen lassen.

An dieser Stelle äußere ich den Appell an die Medien und die

Medienvertreter - es ist bezeichnend, dass kaum welche anwesend sind, was wiederum das mangelnde Interesse an Europa zeigt -: Ich bitte Sie, Europa nicht immer nur als Randthema zu betrachten, das sich nicht verkauft, sondern wirklich als Kernstück einer gestalterischen Politik. Wir Politiker haben nur einen sehr beschränkten Radius unseres Informationsflusses. Sie jedoch können die Menschen erreichen, wenn Sie es denn wollen.

(Vereinzelt Beifall bei CDU und SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu der Frage kommen, welche konkreten Auswirkungen der laufende Prozess auf Brandenburg hat, welche Perspektive und welche Chancen Brandenburg in der Europäischen Union vor diesem Hintergrund hat.

Eines sei vorweg geschickt: Brandenburg hat Chancen in der Europäischen Union, und dies aus mehreren Gründen: Als eine der wenigen Regionen in Europa empfängt Brandenburg die absolut mögliche Höchstförderung, eingebettet in einen entsprechenden Beihilferahmen.

Wir leben im Zentrum und damit im Herzen einer Solidargemeinschaft, die uns seit über fünfzig Jahren den Frieden in Europa sichert. Diesen Zustand hatte Europa mehrere Jahrhunderte nicht mehr erlebt.

Geografisch gesehen sind wir Dreh- und Angelpunkt zwischen den neuen und den alten Mitgliedsstaaten. Wir sind nicht nur das Tor zum Osten, sondern wir sind genauso das Tor zum Westen. Wir sind die Eingangspforte Europas.

Europa ist auch schon lange nicht mehr nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern darüber hinaus eine Wertegemeinschaft, die uns einen verbindenden demokratischen, rechtsstaatlichen und kulturellen Wertekanon bietet.

Aber Brandenburg hat trotz dieser Chancen nur dann eine Perspektive, wenn wir unsere Hausaufgaben machen, wenn wir diese Chancen erkennen und fördern. Damit meine ich das Land, aber ich meine vor allen Dingen die Bundesregierung, denn sie als Vertreterin des Nationalstaats und nicht die „Region“ Brandenburg ist Verhandlungspartner in Brüssel. An uns ist es aber, dem Bund unsere Bedürfnisse, Wünsche und Forderungen ganz klar und unmissverständlich darzulegen und ihn aufzufordern, diese in Brüssel zu vertreten. Diese Auffassung das können Sie mir glauben - werde ich auch nach der zu erwartenden Bundestagswahl und auch nach einem Regierungswechsel weiterhin vertreten.

Meine Damen und Herren, der Bund muss aufhören, auf dem europäischen Parkett Solovorstellungen zu liefern: kein Aufweichen des Solidarpaktes, da es zu einer Schwächung des Euros kommt; keine Deckelung der Zahlung an Brüssel auf 1 % des Bruttonationaleinkommens, da dies uns hier in Brandenburg zuallererst treffen würde. Nach der im letzten Jahr erfolgten Osterweiterung, welches die bisher größte der Europäischen Union war, brauchen wir eine Zeit der Regeneration. Insbesondere können wir nicht immer mehr neue Aufgaben mit immer weniger Geld bewältigen.

Gerade das Abstimmungsverhalten der Menschen in Frankreich und in den Niederlanden hat gezeigt, dass sie den Marschtakt, den wir ihnen vorgegeben haben, nicht mitmachen

wollen. Wir brauchen ein Europa der Vertiefung und kein Europa der Erweiterung.

Sie müssen sich nur einmal Folgendes vorstellen: Sie wollen einen Kuchen backen und rollen den Teig aus. Je dünner der Teig wird, desto brüchiger wird er. Er wird dann auch irgendwann reißen. Also müssen Sie den Teig erst einmal durchwalken, damit Sie ihn dann noch einmal neu ausrollen können.

(Zuruf von der PDS: Keine Ahnung! Haben Sie schon einmal Kuchen gebacken?)

Das müssen wir auch bei den Beitrittsverhandlungen mit Rumänien und Bulgarien beachten; wir müssen diese Verhandlungen fair und kritisch begleiten: kein Automatismus, sondern klare Einhaltung der Regeln für alle. Auch die am 3. Oktober aufzunehmenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei dürfen nicht unweigerlich nur in eine Richtung führen, nämlich in die Richtung zur Aufnahme; vielmehr müssen sie offen und nicht vorbestimmt geführt werden.

(Schippel [SPD]: Das steht geschrieben!)

Das heißt, es muss auch die Möglichkeit einer privilegierten Partnerschaft gegeben sein.

Meine Damen und Herren, wir müssen unsere Hausaufgaben auch im eigenen Lande machen. Dass es hierbei nicht in allen Bereichen zum Besten bestellt ist, haben wir bei der Haushaltsdebatte gesehen. Dabei hat man sich so geschickt um das Thema Europa herumlaviert, dass man meinen könnte, Brandenburg finanziere sich allein aus eigenen Mitteln und sei ein Eiland der Glückseligkeit in einem großen Meer.

(Zuruf von der PDS: Ihre Regierung!)