Protokoll der Sitzung vom 08.06.2005

- Ich bin ganz friedlich.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Gestern waren Sie doch in der Fraktion! Oder habe ich Sie übersehen?)

Meine Damen und Herren, die Sehnsucht nach einer friedlichen, europäischen Integration wurde im Ergebnis zweier Weltkriege geboren. Von der Idee Robert Schumans bis zur Europäischen Union war es ein langer Weg, der zu diesem Jahrhundertergebnis führte. Mit Genugtuung können wir auf das Erreichte blicken und zufrieden sein. Jedoch ist der Weg noch lange nicht beendet und das Ziel erreicht.

In den vergangenen Monaten haben wir uns gemeinsam an das Kriegsende und die schrecklichen Ereignisse vor 60 Jahren erinnert. Heute sind wir von Freunden umgeben, mit denen wir Werte und Interessen teilen. Das Ziel der Europäischen Union war es, eine Friedenspolitik zu schaffen, die den Anforderungen der Aufklärung standhält. Beginnend in Westeuropa ist mit dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten endlich die gesamteuropäische Integration vollzogen. Das ist die eigentliche Erfolgsgeschichte der Europäischen Union. Die Idee war letztendlich stärker als alle Vorbehalte und geschichtlichen Erfahrungen. Die Vereinigung Europas ist ein wahrhaft historisches Ereignis.

Mit dem Beitritt von weiteren zehn Staaten am 1. Mai letzten Jahres ist Europa enger zusammengewachsen. Wer hätte vor zehn oder 15 Jahren gedacht, dass Polen, Tschechen und Deutsche gemeinsam in der EU sind, frei, einig und friedlich miteinander leben und offene Grenzen haben? Dem war der Beitritt dieser Staaten zur NATO vorausgegangen. Unser Europa wächst zusammen, was wir in Brandenburg in besonderer Weise erleben.

Die EU-Erweiterung ist der vorläufige Schlusspunkt einer Entwicklung, die sich niemand vor Jahren so dynamisch und positiv hätte vorstellen können. Jedoch wurde die EU nicht einfach nur erweitert. Sie ist nicht länger auf die vorwiegend westliche Hälfte unseres Kontinents begrenzt, sondern trägt das Attribut „europäisch“ zu Recht. Mittel- und Westeuropa sind in der Europäischen Union als ein Europa vereint.

Die Europäische Union garantiert uns etwas Einzigartiges, was es in der europäischen Geschichte bisher nicht gegeben hat: Zukunftsplanung für unsere Kinder in Frieden, Freiheit und Stabilität - ohne Angst vor kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Staaten oder einem Kalten Krieg zwischen zwei Machtblöcken, wie wir ihn alle erlebten.

Deutschland ist mit diesen Entscheidungen von der Randlage der Europäischen Union in die Zentrallage und Brandenburg das bisher die Ostgrenze der EU vertrat - in die Mitte der Europäischen Union gerückt. Dies ist für unser Land von großem Vorteil.

(Gehrcke [PDS]: Das muss man auch begreifen!)

- Ja, das muss man begreifen und auch erklären. Sie sprechen nur über Geld und nicht darüber, worum es eigentlich geht.

Unsere Nachbarn aus den Beitrittsländern suchten zunächst die Sicherheit der westeuropäischen Wertegemeinschaft; denn für sie sind die Europäische Union und die NATO Stabilitätsanker, die zusammen gehören.

Vor allem Deutschland und Brandenburg profitieren in wirtschaftlicher Hinsicht von dieser Entwicklung, denn 60 % der Exporte werden in den EU-Binnenmarkt geliefert.

Unsere Erfahrungen zeigen, dass Brandenburg innerhalb der EU gute Entwicklungschancen hat. Im Zuge der deutschen Einheit wurden wir zugleich und automatisch Teil der Europäischen Union. Jedoch wurde Brandenburg - wie alle anderen ostdeutschen Länder - als besonders entwicklungsbedürftiges Ziel-1-Gebiet definiert.

(Frau Stobrawa [PDS]: Das hat nichts mit Geld zu tun?)

- Das hat immer mit Geld zu tun.

(Frau Stobrawa [PDS]: Aha!)

- Frau Stobrawa, Sie reden nur über Geld. Ich aber rede über die Idee, damit Sie begreifen, was sich verändert hat.

(Zurufe von der PDS)

Sie wollen einen Teil der Vergangenheit verdrängen. Sie wollen nicht zugeben, wie es früher hier aussah. Daran möchte ich einfach erinnern.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD - Zurufe von der PDS)

Infrastrukturausbau und Wirtschaftsförderung waren ohne Hilfe der Europäischen Union nicht möglich. Das sollte hier auch deutlich gesagt werden. Auch in Ihrem schönen Bad Saarow ist vieles mithilfe der Europäischen Union erreicht worden. Auch das sollte hier einmal lobend festgestellt werden.

(Beifall bei der PDS)

- Danke.

Auch für die Bürger ist das Europa ohne Grenzen inzwischen so selbstverständlich, dass sie sich dies als Errungenschaft schon fast gar nicht mehr vergegenwärtigen, und die Jugendlichen, die hier bei uns sitzen, gar nicht mehr verstehen können, wovon wir reden, wenn es um die Zeit geht, in der dieses Europa geteilt war. Jetzt sind wir vereint und es ist eine große Sache, dass dies möglich gewesen ist.

Wir als Landesregierung haben in dem Prozess der europäischen Integration das Interesse Brandenburgs vertreten und von Anfang an in konstruktiver Weise daran mitgewirkt, und zwar zum einen, damit im Osten unseres Landes nicht eine neue Wohlstandsgrenze entsteht; denn Wohlstandsgrenzen führen zur Abschottung, weil sie grenzüberschreitende Kriminalität und Schwarzarbeit provozieren. Zum anderen lag der Landesregierung daran, das Land aus der entwicklungshemmenden Randlage herauszubekommen und in die Mitte der Europäischen Union zu rücken.

Wir haben unsere Landesinteressen in die Erweiterungsverhandlungen eingebracht, und zwar zum einen hinsichtlich der verhandelten Beitrittsverträge in Form der zeitweisen Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit für die neuen Mitgliedsstaaten und zum anderen mit Blick auf das so genannte EU-Grenzlandprogramm zur Unterstützung des außenwirtschaftlichen Engagements brandenburgischer Unternehmen in den neuen Mitgliedsstaaten und zur Förderung von Städte- und Schulpartnerschaften sowie anderer Formen von Bürgerbegegnungen.

Ein Jahr nach der Erweiterung können wir eine positive Bilanz ziehen. Befürchtungen etwa hinsichtlich des Ansteigens der grenzüberschreitenden Kriminalität haben sich nicht bestätigt. In der deutsch-polnischen Region ist Normalität eingezogen. Die Europäische Union setzt das um, was sie sich vorgenommen hat, nämlich eine Entwicklung hin zu einem Raum der Freiheit, des Rechts und der Sicherheit. Das eröffnet den Menschen ganz andere Möglichkeiten des Zusammenwirkens.

Die belastenden Staus an den Grenzübergängen nach Polen gehören der Vergangenheit an und auch sonst kommen wir leichter zueinander. Ich erinnere dabei an die Diskussionen, die wir hier geführt haben: Grenzstau in Guben, Belastungen für die Mitbürger. - Erkennen Sie also bitte einmal, dass sich in den letzten zwölf Monaten hier etwas positiv geändert hat, und bauen Sie hier nicht irgendwelche anderen Gedanken auf.

(Beifall bei der CDU)

Gemeinsame Projekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit können besser entwickelt werden, seitdem Polen die gleichen EU-Richtlinien umsetzen muss und auf die gleichen EU-Finanzfonds zurückgreifen kann wie in diesem Fall.

Die brandenburgischen Unternehmen nutzen die Chancen, die sich ihnen durch die neue EU-Binnengrenze bieten. Die Zahl der Kontakte Brandenburger Firmen nach Polen hat allein im vergangenen Jahr um 10 % zugenommen. Polen steht jetzt an erster Stelle der brandenburgischen Exportländer, noch vor den Vereinigten Staaten von Amerika. Zeichen für eine weitere positive Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sind ganz deutlich zu sehen. Die Reisen des Ministerpräsidenten in die mittel- und osteuropäischen Staaten unterstreichen, dass wir gemeinsam mit der brandenburgischen Wirtschaft die hier bestehenden Chancen zu nutzen versuchen.

Die Überwindung der Spaltung Europas kann aber nur ein Teil der europäischen Vervollkommnung sein. Mit der Erweiterung der Europäischen Union von 15 auf 25 Mitgliedsstaaten muss auch eine inhaltliche Vertiefung einhergehen. Das ist das Thema des Verfassungsvertrags.

Der Verfassungsvertrag wurde in einem Konvent ausgearbeitet. Das bedeutet, dass Brandenburg wie alle anderen deutschen Länder über den Bundesrat daran beteiligt war. Wir konnten erstmals mitbestimmen, welches die Inhalte eines solchen Vertrags sein sollen. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass auch die Vertreter derjenigen Staaten, die damals noch vor der Tür zur Europäischen Union standen, an der Ausgestaltung der Verfassung beteiligt waren.

Der Verfassungsvertrag ist auf der Basis einer breiten Diskussion entstanden, allerdings einer Diskussion unter Fachleuten und Politikern. Die Diskussion ist nicht mit den Menschen in den einzelnen Ländern geführt worden, ganz besonders nicht mit den Menschen in den Ländern, die sich dazu entschlossen haben, zu dem Verfassungsvertrag ein Referendum durchzuführen. Das ist ein Teil des Problems.

Des Weiteren ist in der Verfassung festgeschrieben, dass die nationalen Parlamente und damit eben auch der Bundesrat, in die europäische Gesetzgebung unmittelbar eingebunden werden. Die nationalen Parlamente sollen künftig das Recht haben, mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip schon gegen Entwürfe

zu europäischen Gesetzgebungsakten Einwände zu erheben. Das ist eine wesentliche Verbesserung.

Ein weiteres Plus für die deutschen Länder stellt die vorgesehene Stärkung der Stellung der Regionen dar. Der Ausschuss der Regionen bei der Europäischen Union wird durch die europäische Verfassung mehr Rechte erhalten. Im Interesse der Subsidiaritätskontrolle wird dem genannten Ausschuss ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof eingeräumt. Auch das ist ein Fortschritt.

Auch für die Brandenburgerinnen und Brandenburger selbst bringt die europäische Verfassung eine Stärkung ihrer Rechte mit sich. Die Einbeziehung der Grundrechtecharta in den Verfassungsvertrag bedeutet, dass alle Rechtsvorschriften der Europäischen Union und alle darauf beruhenden Handlungen ihrer Institutionen und der Mitgliedsstaaten dieser Grundrechtecharta künftig entsprechen müssen. Angesichts der fortschreitenden Integration unter anderem im Bereich Justiz und Inneres wird dies für die Bürger immer mehr an Bedeutung gewinnen. Sie werden sich künftig auf einen geschriebenen Verfassungsvertrag berufen können.

Ich möchte es auf den Punkt bringen: Brandenburg verbindet mit der europäischen Verfassung die Perspektive hin zu einem auf gemeinsamen Überzeugungen und Werten beruhenden, demokratisch legitimierten und kontrollierten Europa. Folgerichtig hat die Landesregierung gemeinsam mit den anderen deutschen Ländern vor knapp zwei Wochen den letzten Schritt auf dem Wege zur Ratifikation des ersten gemeinsamen europäischen Verfassungsvertrags getan und den Vertrag im Bundesrat bestätigt, und zwar mit großer Mehrheit und mit nur einer Stimmenthaltung. Sie kennen das Problem, das in Mecklenburg-Vorpommern bestand.

Diese Entscheidung war und ist an den Interessen Brandenburgs ausgerichtet. Ich bin mir sicher, dass es keine Probleme gibt, die nicht auf der Grundlage des europäischen Verfassungsvertrags besser zu lösen sein werden, als dies mit den bisherigen Verträgen möglich ist. Unser Motto lautet auch hier: Das Bessere ist des Guten Feind.

Ich möchte Folgendes deutlich machen: Nein zum Verfassungsvertrag hieße Nein zu einer demokratisch besser legitimierten und handlungsfähigen Europäischen Union, hieße Nein zu einer besseren Definition des Subsidiaritätsprinzips und zu Fortschritten in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Ein Nein würde nach meiner Überzeugung dem Streben nach mehr Demokratie und Bürgernähe zuwiderlaufen.

Das Scheitern der Referenden in Frankreich und in den Niederlanden stellt die EU vor eine neue Herausforderung. Mich hat es schon überrascht, mit welcher Häme die DVU und die PDS dies kommentieren, statt zu sagen, wie wir das gemeinsam weiterentwickeln wollen. Wir wollen Europa doch gemeinsam entwickeln, ein Europa, in dem auch Sie vorkommen.

Nach einer von der „Bild“-Zeitung veröffentlichten TED-Umfrage haben sich von 400 000 Teilnehmern rund 96 % gegen den vorliegenden EU-Verfassungsvertrag ausgesprochen. Das bedeutet, dass wir auch in Deutschland hierüber diskutieren müssen. Bei uns gibt es bekanntlich im Gegensatz zu anderen Ländern nicht das Instrument des Referendums. Aber wir müs

sen mit den Bürgern darüber sprechen. Dabei dürfen wir die Europäische Union nicht nur auf die Frage zurückführen, wie viel Fördermittel, wie viel Prozent wir hier bekommen, sondern müssen auch auf die Dimensionen hinweisen, die hier insgesamt zu betrachten sind.

Wenn etwas nicht funktioniert, dann heißt es oft, dass Europa daran schuld sei. Die Regierungen stimmen europäischen Richtlinien zu, die anschließend in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Es kann nicht sein, dass die Regierungen Richtlinien zustimmen und dann hinterher die Meinung vertreten, dass diese nicht in Ordnung seien. Auch hierüber müssen wir einmal diskutieren und diese Diskussion wird geführt werden.

Wenn eine Denkpause vorgesehen ist, dann kann das meiner Meinung nach helfen. Die Denkpause sollte aber dazu benutzt werden, Wege zu finden, auf denen wir den Verfassungsvertrag gemeinsam ratifizieren können. Die Mehrzahl der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wird den Verfassungsvertrag ratifizieren.

Frau Stobrawa, bezogen auf Ihre Darlegungen hier möchte ich sagen: Ich weiß zwar nicht, was Sie wollen, aber ich weiß, was Sie nicht wollen. Was Sie nicht wollen, ist der Verfassungsvertrag. Aber wie soll Europa nach Ihren Vorstellungen dann aussehen?

(Zuruf der Abgeordneten Stobrawa [PDS])

Wie stellen Sie sich das alles vor? Wir sind das größte Land und liegen im Herzen Europas. Wir müssen das gemeinsam mit unseren Nachbarn erreichen.

(Zurufe von der PDS)

Der deutsche Sonderweg ist zu Ende. Wir müssen das gemeinsam mit den Nachbarn erreichen. Reden Sie also mit den Nachbarn und nicht mit sich selbst!