Protokoll der Sitzung vom 31.08.2005

- Hören Sie bloß auf! Das haben wir tausendmal gehabt und Sie wissen ganz genau, dass das nicht funktioniert.

(Vietze [Die Linkspartei.PDS]: Geben Sie sie dem Lau- sitzring wieder! Da fehlt es!)

Außerdem sage ich Ihnen Folgendes: Wenn Sie mit dem Armuts- und Reichtumsbericht argumentieren und dann zu erzählen anfangen, im Osten sei es schlimmer als im Westen,

(Frau Dr. Enkelmann [Die Linkspartei.PDS]: Da haben Sie nicht richtig zugehört!)

dann kann ich nur sagen: Sie müssen sich einmal genauer damit beschäftigen, was in diesem Bericht steht.

(Frau Dr. Enkelmann [Die Linkspartei.PDS]: Ich habe über Kinder gesprochen!)

- Sie haben es in Ihrer Begründung für diese Aktuelle Stunde erwähnt; gucken Sie einmal hinein!

(Zuruf der Abgeordneten Dr. Enkelmann [Die Links- partei: PDS])

- Wenn Sie es nicht geschrieben haben, dann hat Ihnen das vielleicht jemand anders hineingeschrieben; jedenfalls kommt das von Ihnen.

(Zuruf der Abgeordneten Dr. Enkelmann [Die Links- partei.PDS])

Frau Dr. Enkelmann, bitte keine Zwiegespräche!

Wenn Sie dann sagen, die Situation in Ostdeutschland sei schlimmer als die in Westdeutschland, so liegt dies natürlich darin begründet, dass derjenige arm ist, der weniger als 60 % des durchschnittlichen Nettos zur Verfügung hat. Wir wissen doch alle, dass der seit 1990 im Osten stattfindende Angleichungsprozess weiterhin läuft. In diesem Bericht steht auch, dass der Angleichungsprozess vorangekommen ist und von Jahr zu Jahr stärker vorankommt. Auch das können Sie darin nachlesen. Aber Prozentrechnung ist vielleicht nicht Ihr Ding.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [Die Linkspartei.PDS])

Dazu fällt mir eine schöne Begebenheit ein: Ein Bengel aus der dritten Klasse kam mit einer Drei in der Mathearbeit nach Hause. Die Eltern fragten ihn: Wieso kommst du mit einer Drei

nach Hause? Was soll denn das? Darauf sagte der Bengel zu seinen Eltern: 80 % der Klasse hat noch schlechtere Noten. Die Eltern antworteten unisono: 80 %? - So viele seid ihr doch gar nicht.

(Heiterkeit bei der SPD)

Sie schreiben in Ihre Begründung hinein, in dieser Situation säßen in der Landesregierung nur Frustrierte;

(Frau Dr. Enkelmann [Die Linkspartei.PDS]: Das habe ich auch nicht gesagt!)

gucken Sie doch einmal in die Begründung, die Sie für die Aktuelle Stunde geschrieben haben, Frau Dr. Enkelmann. Aus Ihrem Redebeitrag eben kam der Frust der Opposition, nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall bei der SPD - Zurufe des Abgeordneten Vietze und der Abgeordneten Dr. Enkelmann [Die Linkspartei. PDS])

Wenn wir nun einmal bei dem Armuts- und Reichtumsbericht sind und anschließend gleich zum Vergleich mit den Ländern kommen, in denen Sie mitregieren, dann lassen Sie mich noch einmal ganz deutlich sagen: In diesem Bericht steht auch, dass gerade noch Schweden und Dänemark

(Lachen bei der Linkspartei.PDS)

eine geringere Armutsquote als Deutschland haben. Auch das sollten wir einmal zur Kenntnis nehmen.

Viele Länder, auch im OECD-Vergleich, blicken nach Deutschland, streben den hiesigen Standard an, überlegen sich, welche Transfers man vornehmen kann. Sie schauen sich genau an, wie man einen Sozialstaat aufbauen kann. Dass dabei in Deutschland nicht alles richtig läuft, will ich überhaupt nicht leugnen; ich will überhaupt nicht schönreden, was hier nicht läuft. Niemand käme heute auf den Gedanken, zu fordern, die Gesundheitskosten müssten gesplittet werden und wer mehr als 3 700 Euro verdiene, könne sich aus dem Sozialsystem verabschieden. Das ist Blödsinn, so etwas will man heute nicht mehr. Das wollen wir auch nicht.

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: Es ist aber so!)

Aber Sie haben schon Recht: Wir sind auf einem guten Weg; das sollten wir tatsächlich weiter verfolgen.

In der Tat führen wir seit Februar dieses Jahres eine gute Diskussion in diesem Land; damit komme ich zum Ende Ihres Debattenbeitrags. Es geht um die Zukunft dieses Landes. Dabei kann man sich ehrlich und offen einbringen und das tun die Menschen auch; ich fahre gern zu solchen Veranstaltungen und rede mit ihnen über ihre Vorschläge. Diese Debatte ist auch mehr als überfällig.

Ich nenne drei Punkte, die uns dazu bewegt haben, diese Debatte auszulösen. Einer dieser Punkte ist die demografische Entwicklung, die Sie gern leugnen, die aber so ist, wie sie ist. Zum einen gibt es zu wenige Geburten in diesem Land; die Ursachen dafür sind sehr vielschichtig. Wir als SPD-Fraktion hatten dazu gerade einen „Treffpunkt Landtag“, der sich dieser

Thematik gemeinsam mit Bundesministerin Renate Schmidt sehr intensiv angenommen hat.

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es eben so ist: Die Generation der Töchter ersetzt die Generation der Mütter mit 1,2 Geburten pro Frau gerade einmal zur Hälfte. Bis zum Jahr 2020 werden wir bei der Bevölkerung im äußeren Entwicklungsraum ein Minus von 15 % verzeichnen. Bis zum Jahr 2020 werden wir bei der erwerbsfähigen Bevölkerung ein Minus von 22 % haben. Dies birgt natürlich eine riesengroße Gefahr für die Fachkräfteentwicklung in diesem Land.

Dabei darf man auch die Abwanderung nicht außer Acht lassen. Es werden nicht nur weniger Kinder geboren; sondern Menschen verlassen auch das Land. Im Übrigen, Frau Enkelmann: Der Abwanderungsfaktor ist in Mecklenburg-Vorpommern, wo Sie mitregieren, wesentlich größer.

(Frau Dr. Enkelmann [Die Linkspartei.PDS]: Wer regiert da eigentlich noch? Das ist doch peinlich, Herr Baaske!)

Er ist im Übrigen auch wesentlich größer als beispielsweise in Sachsen. Im vergangenen Jahr im September war der Zeitpunkt erreicht, zu dem saldiert so viele Menschen das Land Brandenburg verlassen hatten, wie Sachsen jedes Jahr verlassen.

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: Erzählen Sie mal Ihren Lebenslauf!)

Aufgrund dieser Situation in Sachsen hat man dort herauszufinden versucht, wer das Land verlässt. Man ist den Gründen dafür nachgegangen, hat nachgefragt. Die Gründe werden in Brandenburg keine anderen sein. 97 % derer, die das Land verlassen, haben eine abgeschlossene Schulausbildung. 80 % haben eine berufliche Ausbildung abgeschlossen, 20 % eine Hochschulausbildung und 8 % eine Meister- oder eine Fachhochschulausbildung. 50 % derjenigen, die Sachsen verlassen haben - sicherlich auch derjenigen, die Brandenburg verlassen -, verlassen ihre Länder aus einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis, also weil sie schlicht und ergreifend woanders mehr verdienen. Auch das sollte uns gerade dann zu denken geben, wenn wir über Niedriglöhne und Ähnliches diskutieren.

(Frau Dr. Enkelmann [Die Linkspartei.PDS]: Ja!)

Ein zweiter Punkt, der Auslöser für die Debatte war, ist die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit bei uns im Land; man könnte bereits von struktureller Arbeitslosigkeit sprechen. Obwohl ich ganz deutlich herausstelle, dass 233 000 Menschen, die in Brandenburg arbeitslos sind, viel zu viele sind und dass auch eine Quote von 17,4 % viel zu hoch ist, will ich gern auf die von Ihnen vorhin diskutierte Situation in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern zurückkommen. Wir haben - das sind die Zahlen, die die Bundesanstalt, wie ich immer noch sage, heute verkünden wird - eine Arbeitslosenquote von 17,4 % und somit im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang um 1,1 %. Berlin wird heute mit 19 % und einem Zuwachs von 1,4 % erwähnt werden, Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls mit 19 %; dort wird man sagen, dass der Rückgang gerade einmal 0,1 % beträgt.

(Frau Dr. Enkelmann [Die Linkspartei.PDS]: Und wer re- giert da?)

Im Vergleich zum Vorjahr ist es uns gelungen, die Jugendarbeitslosigkeit um 5 % und die Frauenarbeitslosigkeit um 7,6 % zu senken. Das gebe ich Ihnen noch einmal mit auf den Weg.

(Beifall des Abgeordneten Schulze [SPD])

Das Problem der Arbeitslosigkeit muss wesentlich vehementer angegangen werden, als es in den letzten 15 Jahren der Fall war. Das haben wir erkannt; genau darum wollen wir über neue Strukturen und eine neue Förderpolitik in diesem Lande reden.

Dazu kommt der dritte Punkt, den man ebenfalls nicht außer Acht lassen darf: In den nächsten Jahren wird weniger Geld zur Verfügung stehen. Wir haben momentan noch ein Budget von etwa 10 Millarden Euro. Im Jahr 2019 wird es ein Viertel weniger sein; wir werden mit 7,5 Millarden Euro auskommen müssen, und dies auch vor dem Hintergrund einer riesengroßen Verschuldung des Landes. Daher sollten wir durchaus den Mut zur Wahrheit und zur Diskussion haben. Wir haben ihn an den Tag gelegt. Das Problem ist in der Tat, dass wir die Chancen der Regionen erkennen, aber auch die Schwierigkeiten in den Regionen sehen müssen.

Es ist doch gut, dass sich die Regionen jetzt aufmachen, über eigene Ideen und eigene Konzepte nachdenken und sie umsetzen. Zeichen dafür gibt es. Nehmen wir als Beispiel einmal Lauchhammer mit seiner Kinderklinik, wo man - gerade, weil wir weniger Kinder haben - ernsthaft darüber nachdenkt, eine intensivere Betreuung der dort geborenen Kinder zu gewährleisten. Ich nenne den Bürgerbus in Gransee. Dort hat man sich gefragt, wie es auf lange Sicht gelingen kann, auch in sehr strukturschwachen Regionen mit viel ehrenamtlichem Engagement eine solche Busbewegung aufrechtzuerhalten.

Was die emotionale Seite dieser ganzen Diskussion angeht, so kann ich mich gut an meine Reisen durchs Land im vergangenen Jahr und auch noch im Frühjahr dieses Jahres entsinnen. Die Wirtschaftsförderer und die Unternehmer beklagten überall, es sei gar nichts passiert, alles sei schlecht und man könne überhaupt nicht erkennen, wo sich etwas Positives entwickele.

Der Argumentation „Stärken stärken“ konnte man nicht so folgen. Mittlerweile aber sagen die Leute, sie hätten das und das schon erreicht und wollten dort und dort weiter gestützt und gefördert werden. Da hat tatsächlich ein Umdenken eingesetzt; man hat darüber nachgedacht, was man aus der Region machen könnte. Auch dies ist ein positiver Ausfluss dieser Debatte.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Zum Stichwort gleichwertige Lebensverhältnisse: Ich komme vom Land; ich gebe es ehrlich zu. Inzwischen kann ich Rolltreppe fahren und weiß auch, wie man an einer Ampel die Straße überquert. Da ich vom Land komme, weiß ich, dass die Menschen im Lande weiter sind als so mancher Politiker, erst recht als Politiker von der PDS.

(Bischoff [SPD]: Die Linkspartei!)

- Oder wie sie auch immer heißen mag. - Wir wissen, dass die Menschen auf dem Land längere Wege zum Kulturangebot haben als Menschen in der Stadt. Wir wissen, dass der Weg zum Arzt länger ist und dass das Krankenhaus nicht gleich um die Ecke liegt. Wir wissen auch, dass man ein bisschen weiter fah

ren muss, um das Kind in die Kita zu bringen. Das ist uns allen klar. Wir wissen auch, dass die Wege angesichts der demografischen Entwicklung in diesem Lande noch länger werden. Aber wir als Koalition werden sicherstellen - dies haben wir den Menschen in diesem Lande versprochen -, dass eine soziale Infrastruktur aufrechterhalten bleibt, dass ein Arzt in der Nähe ist, dass das Krankenhaus dort bleibt und dass auch die Einrichtungen, die man zur Deckung des täglichen Bedarfs braucht, bleiben, wo sie sind. Natürlich werden auch Schulstandorte gesichert, das ist keine Frage. Die Wege werden aber weiter werden. Etwas anderes zu behaupten ist illusorisch und scheint lediglich der Versuch zu sein, die Menschen für dumm zu verkaufen.

(Beifall bei SPD und CDU)