Protokoll der Sitzung vom 27.10.2004

Die neue Koalition hat, auch wenn Frau Enkelmann das wiederum nicht wahrhaben will, aus den Erfahrungen der alten Koalition gelernt. Die Koalition hat mit der Umsetzung entscheidender Reformen begonnen und wird diese Reformen auch weiter verfolgen. Wir sind jetzt angetreten, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, unser Land weiter zu erneuern und aus eigenen Kräften zu neuer Stärke zu führen. Dabei, Frau Enkelmann, müssen wir keineswegs und an keiner Stelle die Richtung wechseln. Wir müssen schneller werden, wir müssen auf die Überholspur gehen. Man muss nicht alles in einen Koalitionsvertrag schreiben, wenn man sich in vielen Dingen einig ist. Man muss nicht kleinkariert handeln, sondern darauf achten, dass man in der Sache vorankommt.

(Zurufe von der PDS)

Mit Ihnen hätten wir wahrscheinlich fünf Jahre lang über diesen Koalitionsvertrag verhandelt und im Lande wäre nichts passiert.

(Beifall bei SPD und CDU)

Die Aspekte des „mobilen Teams“, von dem Sie sagten, es sei gar nicht erwähnt worden, sind unter anderem in diesem Koalitionsvertrag enthalten. Die Prävention ist ebenfalls darin enthalten. Wir haben Ihnen den Koalitionsvertrag vorab übergeben. Vielleicht hätten wir darüber schreiben sollen, dass das Schwarze die Schrift ist.

(Heiterkeit bei SPD und CDU)

Wir wollen im Zeichen der Offenheit und der Kooperation arbeiten, im Zeichen der Ehrlichkeit gegenüber dem Land und gegenüber uns selbst. Wir wollen zusammen- und nicht gegeneinander arbeiten. Das gilt für die Koalitionsparteien, das gilt genauso für die Zusammenarbeit von Regierung und Parlament.

Frau Enkelmann, wir alle erinnern uns sehr gut an diesen Sommer der Unzufriedenheit. Es war notwendig, in die Säle und auf die Marktplätze zu gehen, dort ehrlichen Herzens zu argumentieren und zuzuhören. Die meisten Menschen wollten keine Randale, sondern ehrliche und objektive Information. Die haben sie von Ihnen nicht bekommen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Der Ministerpräsident hat zugehört und mit den Menschen gesprochen, während andere populistische Sprüche klopften und irgendwelche Alternativen, die so, wie Sie sie vorgestellt haben, nach den ersten drei Buchstaben, nämlich nach „alt“, aufhörten. Wir hingegen haben echte und ehrliche Alternativen geboten. Matthias Platzeck hat in dieser Zeit Probleme in diesem Land gelöst. Ihm ist auch zu verdanken, dass ostdeutsche Besonderheiten in die Arbeitsmarktpolitik dieses Jahres eingeflossen sind.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

In einem Punkt, Frau Enkelmann, gebe ich Ihnen Recht: Die Menschen haben in diesem Jahr gemerkt, dass es eine große Kluft zwischen ihnen und der Politik gibt. Damit meine ich nicht nur meine Partei, sondern auch Ihre Partei, die CDU und alle, die im Politikgeschäft sind. Ich habe es selbst sehr häufig erlebt. Wir haben daraus gemeinsam eine Lehre zu ziehen: Der einzige Weg, neues Vertrauen aufzubauen, ist zweifelsohne der Weg zu den Menschen. Wir müssen gemeinsam mehr vor Ort sein, müssen mehr zuhören. Wir werden mehr erklären, mehr mit den Menschen reden müssen. Auf diese Weise und mit konkretem politischen Handeln werden wir neuen Optimismus und neues Vertrauen in die Politik schaffen. Wir stehen für eine Politik der Offenheit und der Ehrlichkeit, wobei alle Fakten auf den Tisch müssen. Alle Probleme müssen ehrlich und kritisch benannt werden. Leere Versprechungen darf es nicht geben.

Ich sage ganz offen: Wir haben in den vergangenen Jahren Fehler gemacht. Zweifelsohne haben wir uns über viele Jahre etwas vorgemacht und uns in die Tasche gelogen. Wir haben gehofft Sie tun dies heute noch, wie ich vorhin wieder erfahren habe -, dass die Erneuerung Deutschlands quasi über Nacht und von ganz allein kommt, nach dem Motto: „Die Zukunft wirds schon richten.“ Das geht so nicht mehr. Wir müssen in höherem Maße auf unsere eigenen Stärken, auf unsere eigenen Impulse setzen. Wir müssen beherzt an die Erneuerung unserer Heimat gehen.

Wir wissen auch: Die staatlichen Kassen, die Sozialkassen sind leer. Wir brauchen die entsprechenden Reformen; das bestreitet heute niemand ernsthaft. Die ersten Reformen zeigen entgegen allen Unkenrufen bereits positive Effekte. Die Krankenkassen sind endlich in der Lage, Schulden zu tilgen und Gebühren zu senken.

(Zuruf von der PDS: Auf wessen Kosten?)

- Sie können über die Kosten lange reden; aber Ende 2002 hatten die gesetzlichen Krankenkassen ein Defizit von 3,5 Milliarden Euro. Da kann man nicht einfach zusehen, wie die Karre weiter in den Dreck gefahren wird, sondern muss steuernd eingreifen. Steuern muss man auch über die Patientinnen und Patienten. Genau das ist geschehen und hat Früchte getragen.

(Beifall bei der SPD)

Ohne Sinn für Realitäten, den Sie offensichtlich nicht haben, kann man nicht regieren. Wem dieser Sinn für das Nötige und Machbare fehlt, der ist auch nicht in der Lage, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die PDS hat im vergangenen Sommer gezeigt, dass sie die Menschen verunsichert und in großen Teilen sogar belügt.

(Beifall bei SPD und CDU - Zuruf von der PDS: Das müssen Sie beweisen!)

Damit sind Sie nicht in der Lage, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Sie sind an vielen Stellen über sich selbst gestolpert. Sie haben hoch gepokert und hatten ein miserables Blatt in der Hand.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Wir hatten ein sehr gutes Er- gebnis!)

- Wenn Sie so gute Ideen haben, warum haben Sie Ihre 50 Mi

nuten Redezeit nicht genutzt, sie Ideen zu präsentieren? Ich habe nicht eine vernünftige Idee gehört.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich habe nur gehört, dass dies schlecht sei und jenes schlecht sei. Nichts anderes kam herüber.

(Zurufe von der PDS)

Sie sprachen von den gut geölten Rädern. Da lassen Sie mich bitte zum Thema Flughafen kommen, Frau Enkelmann. Die PDS wirkt in Berlin-Tempelhof in einer Bürgerbewegung der Anwohner gegen den Flughafen mit. Wenn es um die Mitarbeiter geht, sind Sie natürlich für den Flughafen. In unserem Land wird es ähnlich sein, auch da werden Sie in zwei Bürgerbewegungen vertreten sein. Jedenfalls ist die PDS in Berlin ganz klar für den Flughafen, in Brandenburg scheint sie ein bisschen gegen den Flughafen zu sein, aber so richtig wissen Sie das auch nicht, sondern überlegen sich das noch ein wenig.

Ähnlich ist es übrigens bei Hartz IV. Wenn Sie auf dem Marktplatz stehen und mit den Leuten unter dem roten Schirm sprechen, dann sagen Sie: Das mit Hartz IV wird ganz schrecklich, es wird wahrscheinlich unheimlich viele Menschen geben, die im nächsten Jahr kein Geld mehr bekommen werden. - Dann reden Sie in Ihrem kommunalpolitischen Forum mit Ihren Landräten und Bürgermeistern und erzählen denen genau das Gegenteil, nämlich: Da werden so viele Leute Ansprüche haben, dass das Geld, das euch der Bund und das Land zur Verfügung stellen, nicht reichen wird, die Kosten der Unterkunft zu bezahlen. - Genau so agieren Sie zurzeit in diesem Land.

(Beifall bei SPD und CDU)

Frau Enkelmann, gerade haben Sie noch einmal das FAG angefochten und gesagt, Sie wollen, dass den Kommunen mehr Geld für eigenverantwortliche Verwendung zur Verfügung gestellt wird. Ich erinnere mich noch an das Trara, das Sie veranstaltet haben, als das Geld aus dem § 16 den Gemeinden nicht mehr zweckgebunden, sondern ohne Zweckbindung zur Verfügung gestellt wurde. Damals haben Sie genau andersherum argumentiert.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU - Wider- spruch bei der PDS)

Ich komme noch einmal zum Thema Flughafen. Natürlich braucht die Region den geplanten Flughafen. Die SPD steht ganz klar zum Flughafen und zum verabredeten Verfahren. Wir werden die Finanzierung des Baus klären und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abwarten. Es sind schon heute im Süden des Landes - wer will davor die Augen verschließen - große Impulse gerade durch diesen Bereich zu spüren. Luftfahrttechnik, Fachhochschule, Rolls-Royce und MTU will ich nur als Stichworte nennen. Die Luftfahrtbranche in Berlin und Brandenburg ist inzwischen auf dem dritten Platz in Deutschland. Ein leistungsfähiger Flughafen bringt diesen Standort weiter voran. Um den Flughafen herum wird es - das sehen wir jetzt schon - Tausende neue Jobs geben. Auf diese können wir nicht verzichten. Wir brauchen diese Arbeitsplätze im Land Brandenburg und darum brauchen wir auch diesen Flughafen.

Natürlich - das sage ich ganz offen - ist der Flughafen für Menschen, die in seinem Umfeld wohnen, eine Belastung. Wer wollte das ernsthaft bestreiten? Bei vernünftiger Abwägung dieser Belastung und auch in Anbetracht der Arbeitsplätze, die dort geschaffen werden können und die Brandenburg für seine Entwicklung braucht, bleibt uns doch schlicht und ergreifend keine Wahl. Dabei gibt es Fraktionen, die zulassen, dass einer ihrer Abgeordneten, der davon betroffen ist, auch einmal anders argumentiert. Bei Ihnen wäre ein Abgeordneter, der so handelte, wahrscheinlich abgekanzelt und womöglich aus der Fraktion geworfen worden.

(Beifall bei SPD und CDU - Lachen bei der PDS)

Der Flughafen ist in den kommenden Jahren das zentrale Projekt für Berlin und Brandenburg. Dieses Projekt wird auch ein Gradmesser für die Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg sein. Dabei sind wir schon viel weiter, als manche glauben: Es gibt gemeinsame Obergerichte, eine gemeinsame Landesplanung, den Verkehrsverbund und vieles mehr. Auch hier muss ich deutlich sagen: Es ist viel mehr erreicht worden, als Frau Enkelmann vorhin eingestehen wollte. Es ist einiges auf den Weg gebracht worden, was die Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg angeht. Ich erinnere daran, dass inzwischen das Brandenburger Agrarressort auch für die Berliner Landwirtschaft verantwortlich ist, auch wenn es dort nicht sehr viel Landwirtschaft gibt. Ich meine, dass auch die Fusion der Landesversicherungsanstalten, übrigens mit Sitz in Frankfurt (Oder), ein weiterer wichtiger Baustein zu diesem Haus sein wird.

Aber wir brauchen noch mehr solcher Schritte, auch das ist unstrittig. Ich begrüße ausdrücklich die Initiative des Wirtschaftsministers zur Zusammenlegung der Förderagenturen beider Länder genauso wie die Idee der gemeinsamen Verkehrsplanung. Das müssen wir weiter verfolgen. Wir können niemandem erklären, dass die Straßen vierspurig durch Brandenburg bis an Berlin herangeführt werden und in Berlin in einer Sackgasse enden. Hier brauchen wir weitere Klärung.

Natürlich wäre auch eine gemeinsame Krankenhausplanung zwischen den beiden Ländern sinnvoll, aber nicht mit dem Duktus, dass Berlin seine abzubauende Anzahl von Krankenhausbetten in Reha-Betten umwandelt und damit die brandenburgische Reha-Struktur gefährdet.

Ich kann nur noch einmal deutlich sagen, Frau Enkelmann, dass wir keinesfalls die Zusammenarbeit mit Berlin vernachlässigen werden. Wir werden alle möglichen Felder zu erschließen versuchen. Das setzt natürlich voraus, dass die Berliner Seite mitzieht. Hier appelliere ich noch einmal an die dortigen Senatorinnen und Senatoren und Abgeordneten, mitzumachen und uns nicht Steine in den Weg zu legen und vielleicht hochnäsig gegenüber Brandenburg zu argumentieren.

(Heiterkeit bei der PDS)

- Ja, auch das hatten wir bereits reichlich.

Durch die verstärkte Kooperation wird mit Sicherheit einiges erleichtert. Wir werden merken, dass wir mehr Botschaften und mehr Botschafter für diese Fusion erhalten.

Ich war, bin und bleibe ein ganz klarer Fusionsbefürworter. Die Koalition legt sich, weil sie diese Fusion will, auf keinen

Zeitplan fest; denn nichts wäre falscher, als den Menschen in diesem Land ein Ultimatum zu setzen und zu sagen: Ihr müsst euch bis zu diesem oder jenem Zeitpunkt entscheiden. Wenn ihr das nicht tut, dann wird es zu euer aller Nachteil sein.

(Zurufe von der PDS)

Diesen Druck können wir den Menschen nicht zumuten. Wir brauchen kleine, praktische Schritte und müssen zeigen, dass die Zusammenarbeit funktioniert.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das ist so ähnlich wie bei einer Lebenspartnerschaft. Man lebt lange mit jemandem zusammen und wenn man dann merkt, dass dies richtig gut funktioniert - es sind vielleicht schon ein paar Kinder da -, sagt man sich: Jetzt gehen wir los, holen uns den Trauschein und profitieren vom Ehegattensplitting. - Das ist der richtige Weg.

(Beifall bei der SPD)

Allerdings muss das Problem des Ehegattensplittings gerade für Berlin und Brandenburg noch geklärt werden. Das heißt, an dieser Stelle ist die Finanzfrage entscheidend.

(Bischoff [SPD]: Genau!)