Protokoll der Sitzung vom 27.10.2004

Dem ist nicht einfach durch Zuhören zu begegnen. Hier muss sich grundlegend etwas an der politischen Kultur in unserem Land ändern.

(Beifall bei der PDS)

Dass rechte Kräfte in unserem Land einen Zulauf haben, dass die rechtsextreme DVU erneut in diesem hohen Haus sitzt, ist eine bittere Niederlage für alle demokratischen Kräfte.

(Beifall bei der PDS)

Wir sind gefordert, das als eine zentrale Herausforderung in der politischen Auseinandersetzung der nächsten Jahre zu begreifen.

Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Nationalismus dürfen in Brandenburg keine Chance bekommen. Gerade angesichts der rechtsextremen Bedrohung ist es nicht hinzunehmen, dass Sie, meine Damen und Herren von SPD und CDU, im Koalitionsvertrag auf ein klares Bekenntnis zur Unterstützung des Aktionsbündnisses gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit verzichtet haben. Nicht zu akzeptieren ist, dass Sie die Büros für Integration und Toleranz und die mobilen Beratungsteams bei der regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen nicht erwähnt haben. Es geht doch nicht nur um die sechs Vertreter, die hier im Parlament sitzen. Es geht um das rechte Potenzial in Brandenburg insgesamt und da ist wesentlich mehr zu tun, als über die Auseinandersetzung in diesem Parlament zu reden.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, das merkwürdige Doppelspiel von Herrn Schönbohm ist gescheitert; auch darüber hat uns der 19. September belehrt. Verstärkung von Repression auf der einen Seite, V-Leute-Affären und intellektueller Flirt mit der „Jungen Freiheit“ auf der anderen Seite - all das hat den rechten Rand eher hoffähig gemacht. Die Statistik der politisch motivierten Kriminalität, der Verfassungsschutzbericht wie auch unser gesellschaftlicher Alltag belegen zudem einen unverändert hohen Zuwachs an jugendlichen Ersttätern. Offensichtlich haben bisherige Konzepte nicht gegriffen und nun lassen Sie denselben Mann weitermachen wie bisher.

Die PDS-Fraktion fordert: Prävention muss erste Priorität haben, und zwar ressortübergreifend. Kinder und Jugendliche müssen so gut es irgend geht gegen rechtsextremes Gedankengut immunisiert werden, durch die Stärkung ihrer Persönlichkeit in den und außerhalb der Familien, durch Aufklärung und Bildung in einer weltoffenen Schule ebenso wie durch gelebte Menschlichkeit und Solidarität in unserem de

mokratisch verfassten Land. Politiker haben hierbei Vorbild zu sein.

(Beifall bei der PDS)

Im Übrigen ist eine Gesellschaft immer schlecht beraten, ihre Normen und Werte sowie ihre Sicherheit allein repressiv durchsetzen zu wollen. Das gilt auch für die Kriminalitätsverhütung. Hier muss mehr getan werden, insbesondere für den Ausbau der kommunalen Kriminalitätsprävention.

Im Koalitionsvertrag versprechen Sie eine Optimierung der Polizeireform. Da dürfen wir gespannt sein. Wir erwarten jedenfalls von Ihnen, dass Sie die Ergebnisse der Evaluierung der Polizeireform unverzüglich aufarbeiten und in Zusammenarbeit mit den Berufsorganisationen Schritte zu ihrer Umsetzung festlegen. Klar ist doch inzwischen eines geworden: Das zentrale Ziel der Polizeistrukturreform, mehr Grün auf die Straße zu bringen, haben Sie nicht erreicht.

(Zuruf von der CDU: Das ist falsch!)

Da muss nachgebessert werden.

Meine Damen und Herren! Vor allem kommt es auf eines an: Die Menschen wollen als mündige Bürger wahrgenommen und akzeptiert werden. Sie wollen, dass ihre Sorgen ernst genommen werden. Sie wollen rechtzeitig und umfassend informiert sein über das, was Landesregierung und Landtag planen. Sie wollen dazu nicht nur angehört werden, sondern mitreden können, und zwar rechtzeitig, damit sie Einfluss auf ihre eigenen Geschicke nehmen können - nicht zuletzt auch über Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide.

Genau dazu aber bekennen Sie sich nicht. Vielmehr verstecken Sie sich hinter wohlfeilen Formulierungen wie der von der „Bündelung und konstruktiven Zusammenarbeit aller verantwortungsbewussten Kräfte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unseres Landes“. Herr Ministerpräsident, Sie können nicht alles auf das Ehrenamt und auf die Eigeninitiative abschieben;

(Beifall bei der PDS)

manches muss auch noch von der Landesregierung bewältigt werden. Jedenfalls leisten Sie damit keinen Beitrag gegen den zunehmenden Politikfrust. So, Herr Ministerpräsident, wird der Funke der Erneuerung ganz sicher nicht überspringen.

(Zuruf des Abgeordneten von Arnim [CDU])

Politik- und Politikerfrust entstehen nämlich auch dort, wo der Bürger den Eindruck gewinnt, dass gemauschelt, vertuscht und nicht verantwortungsbewusst mit öffentlichen Geldern umgegangen wird.

Immer wieder wird brutalstmögliche Aufklärung aller Affären versprochen. Wie ernst ist das gemeint? Was ist mit den Trennungsgeldern? Herr Ministerpräsident, sind Sie endlich gewillt, die seit mehr als einem Jahr durch die Öffentlichkeit geisternden Vorwürfe gegen Spitzenpolitiker und -juristen, aber auch gegen andere Landesbedienstete abschließend in Ihrem Kabinett zu bewerten und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen? Sind Sie bereit, Rückzahlungen an den Landeshaushalt

zu fordern und eine neue Trennungsgeldregelung in Kraft zu setzen?

(Frau Stobrawa [PDS]: Das ist hier versprochen worden!)

Die Entlassung der alten und die Einsetzung einer neuen Justizministerin löst das Problem, das sich in den letzten Jahren zu einem politischen Skandal aufgebaut hat, jedenfalls nicht.

(Beifall bei der PDS)

Was haben Sie zur Aufklärung in Bezug auf die Vorwürfe gegen die Viadrina unternommen? Sie werden Gelegenheit haben, darauf morgen in der Fragestunde zu antworten.

Wir, die PDS, streben ein sozial gerechteres Brandenburg an. Gerechtigkeit bedeutet für uns mehr als Umverteilung von Geld. Gerechtigkeit bedeutet die uneingeschränkte Teilhabe an Bildung, an Arbeit und an kulturellem und sozialem Leben für jedes Mitglied der Gesellschaft. Soziale Benachteiligung ist kein Verschulden des Einzelnen, sondern hat strukturelle Ursachen, die es zu beseitigen gilt. Selbstverwirklichung ist kein Privileg der jungen, dynamischen erfolgreichen Generation, sondern muss jedem und jeder möglich sein. Gerechtigkeit bedeutet eine Arbeits- und Wirtschaftspolitik, die nicht im Dienste des globalen Wettbewerbs um die geringsten Sozialstandards und Lohnnebenkosten steht und dafür Kündigungsschutz und Mindestlöhne abschafft. Gerechtigkeit bedeutet auch, dass Menschen, die Verantwortung tragen, zu ihrer Verantwortung stehen. Missmanagement, politische Fehlentscheidungen dürfen nicht auch noch mit einem goldenen Handschlag belohnt werden.

Gerechtigkeit bedeutet schließlich, alles in eine friedliche Zukunft zu investieren. Deswegen sprechen auch wir uns gegen eine Wiederinbetriebnahme des Bombodroms in der KyritzRuppiner Heide aus und sind froh, dass Sie das heute auch bekräftigt haben.

(Beifall bei der PDS)

Hier drohen geförderte Wirtschaftsstrukturen zerstört und droht Eigentum entwertet zu werden. Weder hier noch sonst irgendwo sollen Kriege geprobt werden dürfen.

Gesellschaftliche Entwicklung vollzieht sich nicht begrenzt auf die Zeit zwischen zwei Landtagswahlkämpfen, schon gar nicht angesichts der schwierigen Lage unseres Landes. Es wird mehrere Legislaturperioden dauern, die Dinge nachhaltig zum Besseren zu wenden. Umso wichtiger wäre es, jetzt damit zu beginnen. Sie haben sich anders entschieden. Ich fürchte allerdings - Herr Innenminister ist heute leider nicht da -, dass der Kollege Merz - CDU - Recht behalten wird: Fünf Jahre endloses Gewürge, fünf Jahre Stillstand stehen Brandenburg bevor.

Wir werden Ihnen aber Brandenburg nicht einfach überlassen. In Verantwortung für Brandenburg ist die PDS in den letzten anderthalb Jahrzehnten - im Gegensatz zu den jeweils Regierenden - kontinuierlich erstarkt. Wir werden alles dafür tun, dass es so bleibt. Die nächsten fünf Jahre dürfen keine verlorenen Jahre für Brandenburg werden. - Ich danke Ihnen.

(Starker Beifall bei der PDS)

Ich danke der Abgeordneten Frau Dr. Enkelmann. - Der Ministerpräsident hat Bedarf angemeldet, einen Korrektursatz vorzutragen. Bitte, Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin bei der Angabe der Rückführung der Nettoverschuldung - da war wahrscheinlich der Wunsch der Vater des Gedanken - eine zu niedrige Zahl genannt. Statt „175“ habe ich „145“ gesagt. Die Zahl 175 Millionen ist richtig. Das wollte ich nur der Vollständigkeit halber noch angeben.

Wenn es gestattet ist - es wird gleich hinreichend kommentiert werden -: Frau Kollegin Enkelmann, ich kann allerhand Frust in einer solchen Situation verstehen.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Frust ist da nicht!)

Aber in Anbetracht dessen, wie Sie unsere Hochschulen und Universitäten geschildert und beschrieben haben, würde ich Ihnen einfach empfehlen: Beantragen Sie eine Westreise, damit Sie die Relationen erkennen. Dann werden Sie wissen, dass wir über hervorragende Hochschulen und Universitäten verfügen.

(Heiterkeit und Beifall bei SPD und CDU)

Zum Thema „Reisekader“ keine weiteren Ausführungen. - Ich nutze die Gelegenheit der Pause, Gäste bei uns zu begrüßen, und zwar die Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen der Realschule Cottbus-Karen. Herzlich willkommen und einen interessanten Vormittag für Sie!

(Allgemeiner Beifall)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Es spricht der Abgeordnete Baaske.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen schönen guten Morgen!

Wir sind im Herbst eines Jahres, das Brandenburg verändert hat. Es ist ein Jahr, das vor allen Dingen den Realitätssinn gestärkt hat, wenn auch - das haben die letzten 50 Minuten gezeigt - nicht bei allen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

In den letzten 50 Minuten hat ein Gewürge angefangen, von dem ich hoffe, dass es bald wieder aufhört.

Es ist ein Jahr, das auch geholfen hat, sich davon zu verabschieden, selbst das Unmögliche für möglich zu halten und in das Unmögliche auch noch Kraft, Zeit und Geld zu investieren, auch wenn Sie, Frau Enkelmann, da noch Unkenrufe vorbringen.

Es ist ein Jahr, das uns sehr deutlich gemacht hat, dass wir vor

allem auf uns selbst vertrauen und auf unsere eigenen Stärken bauen müssen, ein Jahr, in dem der technokratische Begriff „Demographie“ in viele Köpfe gekommen ist und man endlich kapiert hat, dass das nichts mit Wahrsagerei zu tun hat, sondern ein politisches Thema und knallharte Mathematik ist.