Protokoll der Sitzung vom 28.09.2005

Mit einem Fonds in Höhe von 220 000 Euro unterstützen wir Aktionen von lokalen Initiativen unbürokratisch und schnell. Wir setzen mit unserem weiterentwickelten Handlungskonzept auf der einen Seite neue Akzente, auf der anderen Seite setzen wir auf dringend notwendige Kontinuität, denn die starke und

lebendige Demokratie muss Tag für Tag gelebt werden. Sie geht alle Menschen in Brandenburg an.

In der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus haben wir es nicht mit einer anderen, aber womöglich ebenso legitimen und denkbaren Leitidee des Zusammenlebens der Menschen in unserem Land zu tun. Die Ausbreitung rechtsextremer Vorstellungen würde unsere Gesellschaft ohne jeden Zweifel erneut in tiefstes Unglück stürzen. Wir, die Vertreter der Parteien SPD, CDU und Linkspartei.PDS in Brandenburg sind uns darin einig und sollten an unserer Einigkeit in diesem Punkt keinerlei Zweifel aufkommen lassen.

(Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Keineswegs alle Menschen in unserem Land sind in diesem Punkt genauso überzeugt wie wir. Um noch einmal Toralf Staud zu zitieren: „Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten ist mühsam und Spaß macht sie auch nicht.“ - Das ist leider wahr. Umso dringlicher aber muss diese Auseinandersetzung erfolgen. Das neu aufgelegte Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ soll helfen, sie zu führen und zu gewinnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Für die Linkspartei.PDS spricht der Abgeordnete Dr. Scharfenberg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich noch gut an die würdige Veranstaltung in der Nikolaikirche erinnern, in der im Oktober 1998 das von der damaligen Landesregierung beschlossene Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ vorgestellt wurde. Das war die richtige Antwort auf die fremdenfeindlichen Gewalttaten, die dem Ruf unseres Landes schweren Schaden zugefügt haben.

In den Folgejahren hat es eine Vielzahl von Aktivitäten zur Ausfüllung dieses Konzepts gegeben, das auch auf der kommunalen Ebene stimulierend wirkte. Der Landtag beschäftigte sich mehrfach mit Berichten der Landesregierung zur Umsetzung des Handlungskonzepts. Diese ursprünglich jährlich abgegebenen Berichte sind jedoch gegen den Widerstand der Linkspartei.PDS-Fraktion fragwürdigen Entbürokratisierungsbemühungen der Landesregierung zum Opfer gefallen.

Mit dem Eintritt der CDU in die Landesregierung führten unterschiedliche Sichtweisen der Koalitionspartner zu Auseinandersetzungen über die Weiterführung des Handlungskonzepts. Wenig förderlich waren die Differenzen innerhalb der Koalition zur inhaltlichen Ausrichtung des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und zur Einrichtung eines Landespräventionsrates. Auch der mit der Person der ehemaligen Polizeipräsidentin Uta Leichsenring verbundene Streit um die inhaltliche Ausgestaltung der Funktion eines Koordinators für das „Tolerante Brandenburg“ hat dem guten Anliegen geschadet.

Danach war es um das „Tolerante Brandenburg“ recht still geworden, obwohl ein übergreifendes Handeln der gesamten

Landesregierung und ein breites gesellschaftliches Engagement gegen Rechts dringend gebraucht werden. Das zeigt sich nicht zuletzt an Innenminister Schönbohm. Im März 2000 legte er in einem Erlass ein Bündel repressiver und präventiver Maßnahmen fest, um durch Einschüchterung - so wörtlich - „dem rechten Spuk ein Ende zu machen“. - Schon drei Monate später stellte er den Erfolg dieser Maßnahmen fest. Heute wissen wir, dass die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten in den Folgejahren trotz der verschärften Repression von Jahr zu Jahr zugenommen hat und Herr Schönbohm seine damalige Auffassung korrigieren musste.

Das unterstreicht die Richtigkeit des übergreifenden Ansatzes, der mit dem „Toleranten Brandenburg“ verfolgt wird. Die Linkspartei.PDS-Fraktion begrüßt die Bemühungen der Landesregierung um eine Weiterentwicklung des Handlungskonzepts. Ich möchte dem Bildungsminister ausdrücklich für seine engagierte Rede danken.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es wäre gut gewesen, wenn - ohne Ihre Kompetenz infrage zu stellen - der Regierungschef oder sein Stellvertreter gesprochen und damit die gemeinsame Verantwortung der Landesregierung auch auf diese Art und Weise unter Beweis gestellt hätte. Ich muss auch sagen, Herr Rupprecht, Ihre Rede war besser als das vorliegende Konzept.

(Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS)

Ich möchte deutlich hervorheben, dass wir dieses Konzept kritisch bewerten. Auch die heute mehrfach geführte Diskussion beeindruckt uns nicht, denn ich denke, wir sollten uns nichts vormachen, sondern offen auch über Defizite sprechen.

Ich bedauere sehr, dass die Möglichkeit verschenkt worden ist, den Landtag in die Erarbeitung des Handlungskonzepts einzubeziehen. Das wäre zwar nicht die übliche Verfahrensweise gewesen, aber da es sich um ein wichtiges Dokument handelt, hätte es sich angeboten.

Das hätte sicherlich dazu beigetragen, die Qualität des Programms zu erhöhen. Dies ist, wenn man sich vor Augen führt, dass unser Land leider nach wie vor bundesweit bei den rechtsextremistischen Straftaten eine traurige Spitzenposition einnimmt, dringend erforderlich. Insofern reicht es eben nicht, in dem Konzept in epischer Breite und mit pathetischer Verklärung den gegenwärtigen Zustand zu beschreiben, ohne notwendige Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Es ist richtig, dass das Anliegen der Auseinandersetzung mit Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit von einem positiven Ansatz ausgehend vertreten wird. Da gebe ich Ihnen völlig Recht, Herr Minister.

Wir müssen immer wieder bestrebt sein, die gesellschaftlichen Bedingungen so zu gestalten, dass Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremistische Gewalt keinen Nährboden finden. Das müssen wir optimistisch angehen. Dabei helfen allerdings häufig gebrauchte Schlagworte, die wie Zauberworte wirken - zum Beispiel „Vernetzung“ - relativ wenig, wenn sie nicht mit einer klaren Aufgabenteilung verbunden werden; die kann ich in dem Konzept nicht erkennen.

Deshalb ist es auch bedauerlich, dass dem Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit

kein so hoher Stellenwert wie im ersten Handlungskonzept eingeräumt wird. Das ist zum Beispiel eine Frage, über die man reden müsste, anstatt zum vorliegenden Konzept sozusagen nur noch Ja oder Nein sagen zu können.

Dieses unabhängige Aktionsbündnis ist die wirksamste Voraussetzung, um eine landesweite Vernetzung von lokalen Initiativen zu erreichen - weil es eine Verständigung zwischen Gleichgesinnten ist - und bürgerschaftliches Engagement in den verschiedensten Formen zu stärken. Überlegungen aus dem Bildungsministerium - das habe ich aus Ihrem Munde gehört -, die Geschäftsstelle des Aktionsbündnisses wegzurationalisieren, möchte ich entschieden widersprechen. Diese organisatorische Voraussetzung gehört einfach dazu, wenn man es mit der Unabhängigkeit des Bündnisses ernst meint.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulze?

Herr Kollege Scharfenberg, Sie haben eben gesagt, dass über das eine oder andere aus dem Handlungskonzept zu reden wäre. Ich möchte Sie fragen, wer Sie in der Vergangenheit, in der Gegenwart oder in der Zukunft insbesondere in Ihrer Eigenschaft als Vorsitzender des Innenausschusses davon abgehalten hat oder abhalten kann, dieses Thema auf die Tagesordnung des Innenausschusses zu setzen und darüber zu reden?

Herr Schulze, das will ich ganz einfach beantworten. Hier wird uns ein Konzept vorgelegt, zu dem wir Ja oder Nein sagen können.

(Schulze [SPD]: Das war nicht meine Frage!)

Das ist das Konzept. Unser Ansatzpunkt ist, dass wir über dieses Konzept diskutieren wollen, um es zu verbessern und wirksamer zu gestalten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das ist jetzt nicht möglich. Ich denke, dass das nachvollziehbar ist.

Das Papier weist erhebliche analytische Schwächen aus, insbesondere in der Einschätzung des Einflusses rechtsextremistischer Kräfte auf das gesellschaftliche Leben im Land Brandenburg, aber auch in der Beurteilung der antifaschistischen Erziehung in der DDR. Die gegenwärtigen Bedingungen werden doch nicht dadurch verbessert, dass man den Antifaschismus in der DDR diskreditiert und in Anführungszeichen setzt.

Kritisch zu hinterfragen ist, ob die Gliederung in die drei Handlungsebenen Politik des klaren Signals, soziale Integration und Repression den Erfordernissen entspricht.

Bei der Darstellung der bisherigen Leistungen wird zu wenig sichtbar, welche Wirkungen gegenwärtig von ihnen ausgehen. Warum ist auf eine exakte Analyse der gegenwärtigen Instrumente verzichtet worden? Wie soll evaluiert werden? - und zwar in einem anderen Sinn, als das die DVU möchte. Wie stabil und aktiv sind kommunale Präventionsbeiräte? Wie haben sie sich entwickelt? Wie viele Koordinatoren gegen Fremdenfeindlichkeit gibt es? In welcher Qualität sind diese Stellen besetzt? Machen wir uns nicht etwas vor, wenn wir diese Funktionen herausheben? Ist es vertretbar, das 610-Stellen-Programm aus Sicht des Handlungskonzepts zurückzufahren, wenn zugleich festgestellt wird, dass Jugendlichen überall im Land attraktive Freizeitangebote gemacht werden müssen? Warum muss es in jedem Jahr den Streit um die Förderung des Vereins Opferperspektive geben?

Es bleibt weitgehend offen, mit welchen Instrumenten bei welchen Zielgruppen auf welchen Gebieten was erreicht werden soll. So ist der angefügte Maßnahmenkatalog in seiner Fülle beeindruckend, wirkt aber durch seine schwache Systematisierung und Gewichtung wie ein Sammelsurium.

Wir befürchten, dass das neue Handlungskonzept in der vorliegenden Form nicht die notwendige Schubwirkung entfalten wird. Das ist unsere Kritik. Wir unterstützen das Handlungskonzept und wollen, dass es so wirksam wie möglich ist. Deshalb sollten wir uns offen und kritisch im Bildungsausschuss, im Ausschuss für Wissenschaft und Kultur, im Sozialausschuss, im Ausschuss für Inneres, im Ausschuss für Ländliche Entwicklung sowie im Hauptausschuss mit diesem Konzept befassen und damit von parlamentarischer Seite auf ein übergreifendes Handeln hinwirken. Wir beantragen die Überweisung in die genannten Ausschüsse. - Danke schön.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das Wort erhält die Abgeordnete Dr. Münch von der SPDFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer sich in Brandenburg gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt und für Toleranz einsetzt, weiß, dass wir in den vergangenen sieben Jahren ein gutes Stück Weg zurückgelegt haben, dass aber auch eine lange Wegstrecke noch vor uns liegt. Dabei ist es immer wieder notwendig, innezuhalten, Bilanz zu ziehen, sich zu orientieren und gegebenenfalls auch die Marschrichtung zu überprüfen.

Mit dem vorliegenden Handlungskonzept der Landesregierung hat die Regierung genau dies getan. 1998 war es ein notwendiger und zugleich mutiger sowie ehrlicher Schritt, den wachsenden Problemen des Rechtsextremismus, des Antisemitismus und der Fremdenfeindlichkeit ins Auge zu sehen und das Regierungshandeln auf allen Ebenen zu seiner Bekämpfung entsprechend auszurichten.

Wer die gesellschaftliche Realität wahrnimmt oder auch nur im Verfassungsschutzbericht und in der Polizeistatistik liest, weiß, dass diese Anstrengungen unvermindert fortgesetzt werden müssen und dass es zum Ausruhen viel zu früh ist.

Das vorliegende Konzept ist eine Fortschreibung und Nachjustierung des ersten Handlungskonzepts und fasst die Ausrichtung des Regierungshandelns konzeptionell und praktisch zusammen.

Ein zentrales Thema ist die bereits erwähnte ressort- und strukturübergreifende Kooperation, die Vernetzung unter den verschiedenen Ministerien und die intensive Zusammenarbeit und Unterstützung der Zivilgesellschaft.

Klar ist, dass der Einsatz gegen Gewalt und Rechtsextremismus eine Querschnittsaufgabe aller Ressorts ist. Daher begrüßen wir es auch ausdrücklich, dass alle Ministerien am Handlungskonzept mitgearbeitet haben, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, aber das lässt sich noch erweitern.

Wir unterstützen das Leitbild „Heimat mit Zukunft“ ausdrücklich, denn was Heimat bedeutet, wissen wir selbst viel besser als die braunen Gesellen am rechten Rand der Gesellschaft.

(Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Die Zukunft unserer Heimat Brandenburg wird nur in Freiheit und Solidarität, mit Demokratie und Toleranz gelingen, und zwar ohne Angstmacherei. Eine offene und freiheitliche Gesellschaft kann nur dort entstehen, wo sich aktive Bürgerinnen und Bürger tatkräftig mit Zivilcourage und eigener Initiative an der Gestaltung ihres Gemeinwesens beteiligen. Um die richtigen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus ergreifen zu können, muss eine Analyse der Ursachen erfolgen.

Hier werden zu Recht, Herr Dr. Scharfenberg, im Handlungskonzept exemplarisch die mangelhafte Geschichtsaufarbeitung in der DDR genannt, aber auch fehlende Toleranz im Umgang mit anderen Lebensformen, ebenso persönliche Entwertungserfahrungen, Verlust des Zugehörigkeitsgefühls zu einer Gemeinschaft und mangelnde Planbarkeit des eigenen Lebensentwurfs. Der teilweise Verlust der elterlichen Erziehungskompetenz, aber auch die unreflektierte autoritäre Erziehung, das Fehlen glaubwürdiger Vorbilder, übermäßiger Medienkonsum, Verrohung und Gewaltbereitschaft durch Gruppendruck und Alkoholmissbrauch - sie alle tragen ebenso zur Anfälligkeit junger Menschen für rechte Ideologie bei und dazu, dass anscheinend einfache Antworten auf komplexe Problemstellungen gewünscht werden. Eine gründliche Analyse - das Handlungskonzept liefert diese Analyse - ist Voraussetzung, um diesen Ursachen gegensteuern zu können.

Konsequenterweise liegt ein weiterer Schwerpunkt des Handlungskonzepts auf Aufklärungsmaßnahmen, vielfältigen Bildungs- und Begegnungsangeboten. Machen wir es uns jedoch nicht zu einfach: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sind kein reines Jugendphänomen. Der Rechtsextremismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Mancher gewalttätige Übergriff, etwa auf Asylbewerberheime, hätte nicht stattfinden können, wenn nicht mindestens eine schweigende Mehrheit weggesehen, vielleicht sogar klammheimlich Zustimmung signalisiert hätte.

(Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Daher müssen Aufklärung und Bildung absolute Priorität haben. Das beginnt mit Toleranzerziehung in der Kita, setzt sich fort über Schule und Erwachsenenbildung und geht hin bis zu