Ich begrüße als Gäste Schüler der 11. Jahrgangsstufe des Goethe-Gymnasiums in Nauen. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg und viel Spaß bei uns!
Ihnen liegt die Tagesordnung vor. Heute gibt es keine Änderungswünsche, sodass wir direkt darüber abstimmen können. Wer nach der vorliegenden Tagesordnung arbeiten möchte, den bitte ich um sein zustimmendes Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.
Wir müssen heute die Abwesenheit einiger Regierungsmitglieder verkraften. Minister Schönbohm wird bis 11 Uhr und Ministerin Ziegler ab 13 Uhr abwesend sein. Minister Szymanski ist ganztägig abwesend. Aber alle drei haben eine wohl organisierte Vertretung.
Thema: Zur Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren in Brandenburg - aktuelle Anforderungen an die Landespolitik
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Hochaltrigkeit ist eine Chance und Altern in Würde eine Forderung, die sich in vielen Reden von Politikern und Politikerinnen unterschiedlichsten Spektrums findet. Wenn die Menschen immer älter werden, dann ist das wahrlich eine Chance - zum einen für die Menschen, die immer älter werden, zum anderen für jene Menschen, die dadurch Arbeit haben oder bekommen können. Es ist eine Chance für Heranwachsende, länger auf die Erfahrungen der Älteren zurückzugreifen. Aber Altern in Würde heißt eben auch, in Würde alt zu werden, nicht aber, mit Sorgen zu altern und dann, wenn man irgendwann alt ist, von seiner dann einsetzenden Würde nichts mehr zu haben.
Viele jetzige und zukünftige Rentner waren in den letzten Jahren durch eine Reihe von Einschnitten und Kürzungen betroffen. Der volle Pflegeversicherungsbeitrag ist seit April 2004 zu zahlen. Das Aussetzen von Rentenerhöhungen in den letzten beiden Jahren stand auf der Tagesordnung. Ich verweise ferner auf die Halbierung der Ansprüche während des Bezugs von Ar
beitslosengeld II und auf die höheren Belastungen durch die Gesundheitsreform. Die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre ist ein weiterer gravierender Einschnitt.
Seit Jahren fordert die EU-Kommission eine Politik des aktiven Alterns. Es ist durchaus richtig: Wenn man aktiv ist, kann man das in der Regel auch länger sein. Zunehmendes Älterwerden erweitert die Möglichkeiten, länger im Arbeitsprozess zu stehen. Deshalb aber das Renteneintrittsalter zu erhöhen ist unverantwortlich.
Wie sieht es mit der Aktivität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bis zum Erreichen des Rentenalters aus? Fast 40 % der Arbeitslosen in Brandenburg sind 50 Jahre und älter. Nun kann man nicht nur im Arbeitsleben aktiv sein. Solange sich unser Leben aber über Arbeit definiert und wir dadurch die Voraussetzungen für die Rente schaffen, ist eine gewisse Inaktivität durch Arbeitslosigkeit nicht hilfreich. Das macht mir mit 50 Jahren schon klar, dass ein Altern in Würde nicht möglich ist. Was bitte soll daran ein höheres Renteneintrittsalter ändern? Gar nichts! Die Erhöhung des Renteneintrittsalters bedeutete eindeutig eine weitere Rentenkürzung.
Mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters wird nur ein Ziel verfolgt: die Auszahlungen der Rentenkasse zu reduzieren. Die Rente mit 67 Jahren ist nichts weiter als eine Rentensenkung um zwei Jahreszahlbeträge. Geht man von heutigen Relationen aus, werden dem Durchschnittsrentner 30 000 Euro weggenommen - ein eindeutiger Angriff auf ein Altern in Würde.
In die Rentenkassen wird eingezahlt, wenn die Menschen in Arbeit sind - in existenzsichernder Arbeit! Eine Unterbrechung der Erwerbsbiografie von 36 Monaten bis zum Alter von 45 Jahren ist leider nichts Ungewöhnliches. In vielen Branchen liegt das wahre Renteneintrittsalter heute bei 55 bis 57 Jahren. Das bedeutet ein früheres In-die-Rente-Gehen mit Abzügen und Arbeitslosigkeit vor der Rente. Letzteres trägt nicht dazu bei, das Altern in Würde vorzubereiten.
Wenn wir von wahlkämpfenden Politikerinnen und Politikern vernehmen, welche Berufsgruppen durchaus mit anderen Regelungen rechnen könnten, fallen auch mir noch einige ein, obwohl ich gerade nicht im Wahlkampf stehe. Die Belastungen einer Erzieherin sind nicht zu vernachlässigen. Ihre Arbeit bringt viel Freude - aber eben nicht nur, mit 66 Jahren lässt die Freude sicherlich auch nach. Auch darf dieser Beruf dann nicht mit der Rolle der Großmutter verwechselt werden, die natürlich nichts lieber macht, als ihr Enkelkind zu betreuen. Ich denke auch an Krankenschwestern und an Verkäuferinnen.
Dass es sich um typische Frauenberufe handelt, ist mir nicht unterlaufen, sondern war Absicht; denn den Frauen wurde bereits eine Anhebung des Renteneintrittsalters zugemutet. Der Zustand der Glückseligkeit auf dem Arbeitsmarkt blieb aus.
Ich komme auf die Forderung der EU-Kommission nach aktivem Altern zurück. Auch wir sind der Meinung, dass eine höhere Erwerbsbeteiligung Älterer wünschenswert und notwendig ist. Das setzt aber voraus, dass sie kontinuierlich im Arbeitsprozess stehen und schon als Jüngere Arbeit hatten.
Deshalb muss auch im Land Brandenburg ein Arbeitsmarktprogramm entwickelt werden, das ungebrochene Erwerbsbiografien sichert, die wiederum ein Sichern der Rente ermöglichen.
Ständiges Reden über Rente und leere Rentenkassen verbreitet Unsicherheit, Sorge und Angst. Unsicherheit entsteht bei mir auch, wenn ich mein gesamtes Arbeitsleben, sofern es denn ein solches ist, an die Rente denke und daran, ob ich sie noch bekommen werde, um meine Lebensansprüche im Alter sichern zu können. Ich bin keine Verfechterin der Spaßgesellschaft nach dem Motto „Leben jetzt, alles andere später!“. Dennoch weise ich darauf hin, dass es zermürbt, nur auf etwas hinzuleben, was man vielleicht doch nicht erreicht.
Vergleiche hinken immer. Mir fällt dennoch einer ein: Sie können keinen Schüler dadurch motivieren, dass Sie ihm in Klasse 1 sagen, er lerne für seine Zukunft, wenn Sie ihm nicht zeigen, dass das Lernen selbst eine große Freude ist. Halten Sie einmal jemanden zehn oder zwölf Jahre bei der Stange, noch dazu mit einer nicht so rosigen Zukunftsaussicht!
Geht es um die Erhöhung des Renteneintrittsalters, um Kürzung der Renten, fragen wir uns, ob wir in Deutschland 5 Millionen Arbeitslose haben, weil die Menschen schon mit 65 Jahren in Rente gehen. Hätten wir weniger Arbeitslose, wenn die Menschen jetzt schon bis zum 67. Lebensjahr arbeiten müssten?
Arbeitsprogramme für Menschen über 50 Jahre, aktuell auch für Menschen über 58 Jahre, sind ein Beitrag, ältere Menschen in Arbeit zu bringen, bedeuten aber noch nicht die Lösung des Problems. Warum schafft die Bundesrepublik ein zusätzliches Problem, indem sie zwei weitere Jahrgänge um nicht vorhandene Arbeitsplätze konkurrieren lässt? Wir bleiben dabei: Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ist Rentenkürzung!
Wir lassen uns nicht dadurch beruhigen, dass nicht die heutigen Rentnerinnen und Rentner, sondern erst eine spätere Generation betroffen wäre. Gucken wir uns diese und die Situation auf dem Arbeitsmarkt aber an, können wir nicht ruhiger werden. Zum anderen will die Bundesregierung 2012 schrittweise mit der Anhebung beginnen. Das betrifft die heute 58-Jährigen. Ich schaue mich im Saal um. - Erhöht sich dadurch die Betroffenheit?
Immer wieder hören wir, dass Rentenvorsorge nicht nur Aufgabe des Staates ist. Dem letzten Armuts- und Reichtumsbericht entnehmen wir, dass es 5 Billionen Euro Vermögen in den privaten Haushalten gibt. Zwischen 1998 und 2003 ist dieses Vermögen um 17 % gewachsen. Eine äußerst ungleiche Verteilung dieses Vermögens muss auch die Bundesregierung eingestehen. Sie kennen eine alte Forderung der PDS - da hießen wir noch so -, das Vermögen anders zu verteilen, die Vermögensteuer wieder einzuführen. Auch eine höhere Erbschaftsteuer ist ein Weg. Mit einer längeren Lebensarbeitszeit lässt sich hier aber überhaupt nichts bewirken.
Die Rente muss reformiert werden. Dem verschließen auch wir uns nicht, nur unsere Wege würden andere sein. Wir brauchen eine Erweiterung der solidarischen Basis der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht auf alle Er
werbseinkommen, die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. „Ja“, werden Sie sagen, „alles schön und gut,“ - Entschuldigung, nicht einmal das werden Sie vermutlich sagen - „aber all das sind Bundesaufgaben.“ „Weit gefehlt“, werden wir Ihnen dann antworten. Denn wir als Landespolitiker haben die Aufgabe, zu mahnen, einzufordern, aufmerksam zu machen, noch dazu, wenn wir in unserem Land eine Koalition haben, die sich abbildungsgleich im Bund wiederfindet.
Nun mag es ja sein, dass bei der Fülle der Informationen der Protest des Ministerpräsidenten unseres Landes gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters unterging. Aber bei genauerer Auseinandersetzung mit diesem Thema wäre uns das dann sicher doch aufgefallen. Es gibt ihn nicht, diesen Protest. Fehlt er, wird Einverständnis dokumentiert. Es ist die Aufgabe einer Landesregierung, anhand eigener Erfahrungen darauf hinzuweisen, was geht und was nicht geht. Rente erst mit 67 Jahren geht bei der Situation in unserem Land überhaupt nicht. Da unterscheiden wir uns wenig von anderen Bundesländern.
Wir werden uns heute mit einem weiteren Antrag der Koalition beschäftigen. Was brauchen wir unbedingt? Wir brauchen ein Arbeitsmarktprogramm, wir brauchen ein Infrastrukturprogramm für unser Land Brandenburg, wir brauchen ein Programm zur Bekämpfung und Verhinderung von Altersarmut.
Diskriminierung im Alter, es gibt sie nicht? Es gibt sie sehr wohl. Unsere Infrastruktur weist darauf hin. Die Gemeindeund Kreisstrukturreform hat nicht dazu beigetragen, hier Veränderungen herbeizuführen. Betrachten wir den ÖPNV, den Schienenpersonennahverkehr. Ich denke an die Festlegungen von gestern im Bundestag. Das alles trägt nicht dazu bei, Altersdiskriminierung zu beseitigen.
Wir dürfen nicht nur darauf aufmerksam machen, dass viele Jugendliche das Land verlassen. Wir haben eine Sorgfaltspflicht gegenüber jenen Menschen, vor allem älteren, die hier bleiben, oftmals allein, weil die Jungen der Arbeit hinterherziehen. Wir wissen, wie die Infrastruktur im ländlichen Raum aussieht. Man muss mobil sein oder mobil gemacht werden. Ich meine, dass wir eine große Unterstützung für das Ehrenamt brauchen. Daher setzen wir uns dafür ein, dass ein Bundesseniorenvertretungsgesetz auf die Tagesordnung kommt, und wissen uns dabei mit Vereinen und Verbänden auch aus dem Land Brandenburg einig. - Danke.
Vielen Dank. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Prof. Heppener.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als nun schon langjährige Vorsitzende des Seniorenrates des Landes Brandenburg wäre ich wohl die Letzte, die die Gelegenheit nicht mit beiden Händen ergreifen würde, über Existenzfragen der älteren Generation in Brandenburg, also Menschen meines Alters, zu sprechen. Es bereitet uns Alten Genugtuung und Freude, dass sich in letzter Zeit so viele um uns kümmern wol
len. Deshalb möchte ich mich auch im Namen meiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter bei den Initiatoren dieser Aktuellen Stunde bedanken.
Über Seniorinnen und Senioren, ihre Leistungen für Familie und Gesellschaft und ihre Forderungen an die Gesellschaft kann, wenn es nur nach uns ginge, nicht oft genug geredet werden. Trotzdem kann ich nicht verhehlen, dass wir diesen Zeitpunkt, im Landtag so umfassend über Seniorenpolitik zu debattieren, was ja nicht so oft vorkommt, nicht für den allergünstigsten halten.
Die Koalitionsparteien werden Sie im weiteren Verlauf der heutigen Sitzung um Ihre Zustimmung zu ihrem Antrag „Brandenburger Seniorenpolitik aktivieren“ bitten. Ohne der Begründung dieses Antrags vorgreifen zu wollen, möchte ich schon jetzt auf seinen Kern hinweisen. Er umreißt ein der demografischen Entwicklung, der wissenschaftlichen Erkenntnis und unserer Lebenserfahrung entsprechendes Bild vom alten Menschen und einer Gesellschaft des langen Lebens. Ausgehend davon soll die Landesregierung ihre Position zur Seniorenpolitik in Form von Leitlinien darlegen sowie die Handlungsfelder engagierter Seniorenpolitik bestimmen und beschreiben. Ein solches Dokument, das, wenn auch unterschiedlich in Herangehensweise und Umfang, in Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen in den letzten Jahren vorgelegt wurde, fordern die Brandenburger Seniorenbeiräte auch für Brandenburg.
In den Gesprächen des Ministerpräsidenten mit dem Vorstand des Seniorenrates und mit einer Anhörung des Seniorenrates vor dem Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie kamen wir diesem Ziel jetzt schon sehr nahe. Wir wollen, dass ein diskussionswürdiger Entwurf dieses Dokuments Anfang Juni zur 13. Brandenburgischen Seniorenwoche vorliegt und auf ihren Veranstaltungen diskutiert wird. Wir werden uns über unsere Lebensbedingungen unterhalten, darüber, was wir nach einem langen, arbeitsreichen Leben von der Gesellschaft verlangen und was die Gesellschaft von uns erwarten kann. Es sollen die Menschen gefragt werden, die Seniorenpolitik direkt und am meisten angeht und die folglich hierbei die sachkundigsten Berater sind. Wir Alten mögen es nicht so sehr, wenn so viel über uns und so wenig mit uns geredet wird.
Deshalb hätten sich die 2 000 in den mehr als 180 Brandenburger Seniorenbeiräten engagierten Frauen und Männer auch die heutige Debatte besser nach und im Ergebnis der Seniorenwoche gewünscht.
Für besonders wenig hilfreich halte ich es, wenn die seniorenpolitische Sprecherin der Linkspartei, wie aus der Presse zu erfahren war, schon jetzt weiß, dass diese erst zu formulierende Seniorenpolitik der Landesregierung nebulös ist. Seniorenpolitik muss die demografische Entwicklung sowohl als gesellschaftliche Herausforderung begreifen als auch in einem harmonischen Miteinander der Generationen gestalten.
Um deutlich zu machen, worum es geht, einige Zahlen, die in der Debatte sicher noch oft genannt werden. Von 1990 bis 2002 wuchs in Brandenburg die Zahl der Menschen, die 65 Jahre
und älter sind, um 50 %. Im Jahre 2020 werden 25 % der Brandenburger Gesamtbevölkerung zu denjenigen zählen, die älter als 65 Jahre sind. Seniorinnen und Senioren sind also keine kleine Randgruppe, und wenn man genau hinhört, auch keine Gruppe mit partiellen Interessen. Sie sind gleichberechtigter und gleichverpflichteter Teil der Gesellschaft. Politik, die ältere Menschen mit ihren Kenntnissen und Lebenserfahrungen mit anderen Generationen gleichberechtigt beteiligt, stärkt die ganze Gesellschaft.
Wir sind eine Gesellschaft des langen Lebens. Gemessen an unseren Großeltern werden uns Alten Lebensjahre geschenkt, die wir gut nutzen wollen. Nach 1990 stieg innerhalb von 15 Jahren die Lebenserwartung der alten Frauen von 81 auf 84 Jahre und der alten Männer von 78 auf 81 Jahre. Schon 2003 gab es in Brandenburg 622 Frauen und 210 Männer, die ihren 100. Geburtstag gefeiert haben. Im Vergleich mit der Zeit von vor 100 Jahren hat sich die Lebenserwartung der Menschen verdoppelt.
Die unter den Bedingungen einer geringeren Lebenserwartung zwangsläufig das Bild vom alten Menschen prägende Hilfeund Pflegebedürftigkeit kennzeichnet heute weitgehend nur die letzten Lebensjahre - die Lebensphase der Hochaltrigkeit. Während von den über 85-Jährigen 20 % in Pflegeheimen leben, sind es bei den über 75-jährigen 5 % und bei den über 65-Jährigen ist es nur 1 %.