Protokoll der Sitzung vom 26.10.2006

Drucksache 4/3532

1. Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Herr Minister Szymanski, Sie erhalten das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Einbringung des Dritten Gesetzes zur Änderung des ÖPNV-Gesetzes durch die Landesregierung ist aufgrund verkehrs- und finanzpolitisch veränderter Rahmenbedingungen auf Bundesebene erforderlich. Genannt seien an dieser Stelle das Haushaltsbegleitgesetz und die damit im Zusammenhang stehenden Änderungen des Regionalisierungsgesetzes, die Föderalismusreform und das daraus folgende Entflechtungsgesetz sowie die Änderung des Personenbeförderungsgesetzes, insbesondere von Artikel 45 a, Ausbildungsverkehr.

Das MIR und das MdF haben ein Kompensationskonzept mit den beiden Schwerpunkten „Abbestellung von SPNV-Leistungen“ und „Änderungen des ÖPNV-Gesetzes“ erarbeitet. Dieser Entscheidungsprozess vollzog sich öffentlich und transparent. Ich erinnere zum Beispiel an die drei Regionalkonferenzen mit ca. 300 Teilnehmern.

Das Haushaltsbegleitgesetz des Bundes führt zu massiven finanziellen Einschnitten in die Finanzierung des Gesamtsystems des ÖPNV. In Brandenburg werden es - inklusive Koch-Steinbrück-Kompromiss, der heute noch Thema sein wird - von 2007 bis 2010 142 Millionen Euro sein. Neben der Abbestellung von SPNV-Leistungen im Volumen von 10 Millionen Euro sind weitere verkehrspolitische Maßnahmen vorgesehen: Absenkung der Pauschalzuweisung an die kommunalen Aufgabenträger ab 2007 von 50 Millionen Euro auf 46 Millionen Euro; Anschubfinanzierung von notwendigen Busersatzverkehren infolge von SPNV-Abbestellungen in Höhe von ca. 0,5 Millionen Euro - die Vereinbarung lautete 1 Euro je neuen Buskilometer -; Kompensation von 10 Millionen Euro an Regionalisierungsmitteln durch 10 Millionen Euro aus dem Entflechtungsgesetz als Nachfolgeregelung zum GVFG; Absenkung der Ausgleichszahlungen im Ausbildungsverkehr von 37 Millionen Euro auf 35 Millionen Euro, was für das Jahr 2007 mit den Verkehrsunternehmen einvernehmlich besprochen worden ist.

Die genannten verkehrspolitischen Maßnahmen sind in den vorliegenden Gesetzentwurf eingeflossen. Eine Kompensation der Kürzungen durch originäre Landesmittel ist aufgrund der finanzpolitischen Lage des Landes nur teilweise möglich.

Der vorliegende Gesetzentwurf enthält aber nicht nur Kürzungen. Vielmehr werden durch die Fortführung der Reformvorhaben Rahmenbedingungen geschaffen, die auch in Zukunft einen leistungsfähigen ÖPNV im Land sicherstellen werden.

Die 2005 eingeleitete Reform der ÖPNV-Finanzierung hat sich bewährt. Wir haben insoweit bundesweit eine Vorreiterrolle eingenommen. Unter Berücksichtigung des im Koalitionsvertrag enthaltenen Auftrags hinsichtlich der Evaluierung des ÖPNV-Gesetzes zur Mitte der Legislaturperiode und der oben genannten verkehrspolitischen Maßnahmen soll mit dem vorliegenden Entwurf dieses Reformbestreben fortgeführt werden. Dabei bildet die Einbeziehung des Ausbildungsverkehrs einen Schwerpunkt; ich verweise auf die Summe aus 46 und 35 Millionen Euro. Ermöglicht wird das durch die neue Öffnungs

klausel im Personenbeförderungsgesetz, die auf eine gemeinsame Bundesratsinitiative von Brandenburg und Niedersachsen zurückzuführen ist. Die weitere Zusammenführung der Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für den übrigen ÖPNV führt zu einer weiteren Stärkung der kommunalen Aufgabenträger. Sie ermöglicht es ihnen, in enger Zusammenarbeit mit den Schulträgern den Ausbildungsverkehr vor Ort optimal zu gestalten und zu finanzieren.

Ich fasse zusammen: Das Land Brandenburg verbindet unumgängliche Einschnitte mit zukunftsweisenden Strukturreformen, um das Angebot von Bussen und Bahnen zu sichern. Damit wird ein nicht unwillkommener Nebeneffekt erreicht, nämlich Verwaltungsvereinfachung sowie Abbau von Normen und Standards. Gleichzeitig wird der Förderdschungel gelichtet. Wir geben den Aufgabenträgern vor Ort mehr Handlungsfreiheit und mehr Eigenverantwortung.

Ich wünsche dem Gesetzgebungsverfahren einen guten Verlauf. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Minister, vor allen Dingen für den Wunsch, das Gesetzgebungsverfahren möge gut verlaufen. - Ich rufe Frau Tack zum Rednerpult. Sie spricht für die Fraktion der Linkspartei.PDS.

In der Zwischenzeit begrüße ich ganz herzlich Seniorinnen und Senioren aus Falkensee, die im Saal Platz genommen haben. - Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, meine Kollegen haben mir gesagt, ich solle Sie heute nicht so heftig kritisieren, weil es unsere letzte gemeinsame Sitzung ist. Ich muss es dennoch tun. Auch ich hätte mir gewünscht, dass Sie uns ein anderes Abschiedsgeschenk hinterlassen würden als diesen Gesetzentwurf, den wir, wie ich denke, völlig zu Recht kritisieren.

Wir melden Widerspruch zu Ihrer Aussage von vorhin an, Einschnitte beim Nahverkehr seien aufgrund bundesgesetzlicher Regelungen unumgänglich geworden. Sie erinnern sich, dass wir andere Vorschläge unterbreitet hatten und dagegen waren, dass der Finanzminister die Ausgabenreste erhält. Wenn Sie sich nicht erinnern, können Sie es in unserem Antrag nachlesen.

Ich bin mir ganz sicher - meine Kollegen sind es auch -, dass Sie uns bald besser verstehen werden. Sie werden nämlich in Ihrer Kommune erfahren, dass Sie eine Fehleinschätzung trafen, als Sie meinten, die Aufgabenträger hätten ihre Eigenanteile bei der ÖPNV-Finanzierung deshalb zurückgefahren, weil die Verkehrsunternehmen nicht mehr so hohe Zuschüsse bräuchten. Sie werden es vor Ort anders erleben. Die Landkreise und die kreisfreien Städte können aufgrund ihrer schlechten finanziellen Situation nicht mehr Geld für den ÖPNV aufbrin

gen, schon deshalb nicht, weil Sie den öffentlichen Nahverkehr zu einer freiwilligen Aufgabe degradiert haben. Das war falsch.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Genauso falsch war es, mit dem ÖPNV-Gesetz aus dem Jahr 2004 die Finanzierung, 50 Millionen Euro, ausschließlich aus Regionalisierungsmitteln zu leisten. Die Kürzungen waren damals schon geplant; ich erinnere an das Koch-SteinbrückPapier. Die Regionalisierungsmittel wurden schon ab 2004/05 gekürzt. Die Folgen des Fehlers, die Finanzierung ausschließlich an Regionalisierungsmittel zu knüpfen, spüren wir jetzt. Sie sprechen von „unumgänglichen Einschnitten“. Ich sage: Das ist eine Fehlentscheidung gewesen.

Unsere Kritikpunkte haben Sie damals leider vom Tisch gewischt. Die Auswirkungen des von Ihnen eingebrachten Gesetzes müssen wir jetzt spüren. Deshalb müssen wir Ihren Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung leider ablehnen. Nach der Überweisung wird es aber eine Anhörung geben, in der wir viele kluge Vorschläge hören und die Problemsicht der Brandenburger Verkehrsunternehmen zur Kenntnis nehmen werden. Ich setze sehr darauf, dass die Argumente, die dort vorgetragen werden, bei Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, zum Nachdenken führen.

Ich ermuntere Sie ausdrücklich, sich von Ihrem Leitbild, in dem kluge Sätze stehen, tatsächlich leiten zu lassen. Wenn ich die klugen Sätze jetzt nur schnell finden würde!

(Jürgens [Die Linkspartei.PDS]: Man muss die klugen Sätze suchen! Das ist richtig!)

Da ist zum Beispiel zu lesen, dass Sie den öffentlichen Verkehr vor allen Dingen im ländlichen Raum erhalten und die Angebote besser miteinander verknüpfen wollen. Wir halten das für richtig, fügen aber hinzu: Mit dem vorliegenden ÖPNV-Gesetz wird das nicht möglich sein, weil Sie die Leistungen zurückfahren. Die vorgesehenen Kürzungen gehen zulasten der Verkehrsunternehmen, der Aufgabenträger, vor allem aber zulasten der Bevölkerung, insbesondere der im ländlichen Raum.

Sie haben schöne Formulierungen in den Gesetzestext aufgenommen: mehr Eigenverantwortung, mehr Planungssicherheit, mehr Handlungsfreiheit, weniger Bürokratie. Sie haben nur vergessen, zu sagen, dass alles mit weniger Geld verbunden ist. Damit wird nämlich alles viel schwieriger.

Das neue ÖPNV-Gesetz ist im Juni 2004 beschlossen worden. Da es keine Planungssicherheit gab, haben Sie es nicht geschafft, einen Nahverkehrsplan des Landes aufzustellen. Er war laut Gesetz bis Juni 2005 zu erstellen. Das haben Sie leider nicht geschafft. So viel zur Planungssicherheit. Es ist bedauerlich, dass es so ist.

Sie kürzen die ursprünglich eingestellten 50 Millionen Euro auf 44 Millionen Euro, weil Sie sagen, dass die Busverkehre, die jetzt aufgrund der Abbestellung von Zugleistungen zusätzlich zu fahren sind, auch noch von den Trägern des ÖPNV finanziert werden sollten. Wir meinen, das ist der falsche Ansatz. Auch ist die Kürzung der Ausgleichsleistungen für den Schüler- und Ausbildungsverkehr laut § 45 der falsche Ansatz. Wir haben auch rechtliche Bedenken. Darauf möchte ich noch einmal deutlich hinweisen. Zum einen bestehen sie darin, dass die

Ausgleichsleistungen aus Regionalisierungsmitteln zu finanzieren sind, und zum anderen darin, dass sie zugleich Bestandteil der ÖPNV-Pauschale werden, die die Aufgabenträger erhalten, und die Landesleistungen nach § 45 a Personenbeförderungsgesetz nicht wie bisher an die Aufgabenträger gehen. Also zusammengefasst: Weniger Geld und Leistungen und mehr negative Auswirkungen vor Ort.

Wir wollen - ich komme zum Schluss - in diesem Zusammenhang noch ankündigen, dass wir die Initiative der Gewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg und des DGB aufgreifen und uns im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für das ÖPNVGesetz für ein Sozialticket für Brandenburg, ähnlich wie es in Berlin schon lange gültig ist, einsetzen. Diese Kampagne werden wir unterstützen, damit sie erfolgreich wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herzlichen Dank. - Es spricht der Abgeordnete Dr. Klocksin.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Tack, wir sind bei der 1. Lesung. Ich finde, Frau Tack, auch wenn Sie sich beim Minister verabschieden wollen, so viel Zeit muss sein. Nehmen Sie bitte Platz, damit wir uns hier unterhalten können.

Wir beraten heute in 1. Lesung. Ich würde mir wünschen, Sie verschössen nicht gleich alles Pulver, denn wir wollen ja noch darüber beraten. Beratungsresistenz ist uns an sich nicht eigen; das gilt für die Koalition in Gänze. Das quittierende Lächeln werden Sie bereuen, wenn wir uns zur nächsten Runde zusammenfinden, nachdem wir die Anhörung durchgeführt haben werden. Wir machen die Anhörung nicht als Zirkusveranstaltung, sondern wir haben Leute eingeladen - ich hoffe, Sie haben da mitgemacht -, die ihre Kompetenz nutzbringend einsetzen und vielleicht einige Empfehlungen geben.

Dass dieser Diskussionsprozess natürlich auch vor der Anhörung und vor dem heutigen Tage stattgefunden hat, ist uns nicht entgangen. Wir beide, liebe Frau Tack, sind beispielsweise gern gesehene Gesprächspartner der Brandenburger Unternehmensgemeinschaft ÖPNV.

Wenn ich die Kritiken des Vorsitzenden BUG, der im Übrigen Cottbusverkehr repräsentiert, zusammenfasse, dann stelle ich fest: Erstens gibt es aus Sicht der Kommunen bzw. der kommunalen Verkehrsgesellschaften sicherlich Handlungsbedarf. Zweitens gibt es sehr wohl die Bereitschaft, einen Beitrag zu dem, was hier noch möglich gemacht werden kann, zu leisten. Drittens ist ein ausgeprägtes Interesse am vernünftigen Umgang mit der Landesregierung wahrzunehmen.

Ich bedauere im Übrigen, dass wir demnächst wieder bei diesem Thema sein werden, denn leider war aus bekannten Gründen die Evaluierung, die uns sehr am Herzen liegt, nicht Gegenstand dieser Novelle.

Ich bedauere, dass wir bei dieser 1. Lesung sehr prinzipiell aufeinanderstoßen. Ich glaube schon, dass man sich darüber unterhalten muss, wie man künftig den öffentlichen Nahverkehr,

insbesondere den Busverkehr, im Land Brandenburg organisieren wird. Es gibt eine Reihe von Aspekten, die das Gesetz berührt. Ich denke beispielsweise an die eingangs vom Minister angesprochene Kostenstruktur; wir müssen darüber nachdenken, ob sie ausreichend ist. Diesbezüglich werden wir wohl in der Anhörung auch Informationen bekommen, die über das, was wir heute wissen, hinausgehen.

Außerdem werden wir uns darüber unterhalten müssen, wie ein Busnetz in Ergänzung des SPNV-Systems in der Fläche aussieht. Das werden wir im Zusammenhang mit Ihrem Antrag bezüglich des Mobilisierungskonzepts gleich zu diskutieren haben. Das ist etwas, was bereits seit geraumer Zeit in der Pipeline ist. Insofern ist es von Ihnen formulierter alter Wein in neuen Schläuchen, denn daran arbeiten wir bereits seit einiger Zeit. Das ist bekannt. Immer wieder zu monieren, dass das Ergebnis noch nicht vorliegt, obwohl man sich über einen Zeitplan verständigt hat, Frau Tack, ist irgendwann nicht mehr fair. Ist das okay? Der Minister hat eine Zusage gegeben. Warten wir doch einmal den Prozess ab bzw. nehmen wir doch bitte schön daran teil, anstatt zu lamentieren und darauf hinzuweisen, dass das Geforderte noch nicht erfüllt ist. Die Zielmaßgabe ist bereits gegeben.

Ich habe auch bestimmte Bedürfnisse hinsichtlich der gesetzlichen Ausformulierung der Datenerhebung und -beschaffung. Seitens des VBB, der ja nun die Koordination der Unternehmen im Land organisiert, wird immer wieder moniert, dass die Datengrundlage nicht hinreichend sei, um beispielsweise vernünftige Tarifstrukturen anbieten zu können. Das werden wir uns sicherlich auch noch einmal genauer anschauen können.

Schließlich müssen wir darüber nachdenken, ob die Unternehmensstruktur im Land zukunftsorientiert ist, ob die Zahl der Gesellschaften nicht zu hoch und der Versorgungsbereich zu klein ist. Das heißt konkret, auch in diesem Geschäftsbereich sind Fusionen nicht auszuschließen.

Abschließend ein Appell an diejenigen, die fordernd an uns herantreten, die Kreise und kreisfreien Städte: Es kann nicht sein, dass Landesmittel für den ÖPNV eingesetzt werden, die Aufgabenträger gleichzeitig aber ihre Anteile kontinuierlich absenken. Das ist sicherlich nicht in Ordnung. Das wäre ein Durchreichen der Landesmittel, die nicht mehr zweckentsprechend eingesetzt würden. Im Vergleich der Jahre 2004 und 2006 haben die 18 Aufgabenträger des Landes Brandenburg im Bereich des ÖPNV im Durchschnitt eine Absenkung in Höhe von knapp 17 % vorgenommen. Da gibt es Ausreißer - die ich nicht namentlich nennen will, weil wir ja alle wieder zurückholen wollen -, die von 2004 auf 2006 bis zu 53 % ihres Plafonds gesenkt haben. Gleichzeitig zu fordern, „Liebes Land, finanziere uns stärker“, passt nicht. Ich glaube, aus der Anhörung und dem nachfolgenden Dialog werden wir lehrreiche Ergebnisse ziehen können.

Für heute, so glaube ich, besteht kein Dissens, dass wir den Entwurf an den Ausschuss überweisen. Ich sehe einer interessanten Diskussion entgegen und hoffe sehr, dass wir in gemeinsamer Anstrengung die erforderlichen Anpassungen vornehmen.

Ich will noch einmal ausdrücklich sagen, dass natürlich in der Koalitionsfraktion ein pragmatischer Ansatz hinsichtlich der Möglichkeiten der Ausfinanzierung, der Kompensation gege

ben ist. Das sollten wir aber dann im Fachgremium beraten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank. - Frau Hesselbarth, ich rufe Sie an das Rednerpult.

Ich möchte in der Zwischenzeit einen kurzen Hinweis geben. Zeitlich sind wir heute etwas im Rückstand. Das liegt daran, dass bisher fast alle Redner ihre Redezeit überzogen haben. Es liegt also in Ihrer Hand.

Frau Hesselbarth, bitte.