Protokoll der Sitzung vom 26.10.2006

Frau Hesselbarth, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man höchst unpopuläre Maßnahmen in schöne Worte kleidet, nennt man das Euphemismus. Dieser Gesetzentwurf ist fast ein Paradebeispiel dafür, Herr Minister.

Wir haben heute den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung des ÖPNV-Gesetzes bei vorgezogener Anwendung des § 10 Abs. 2 aufgrund der Kürzungen der Regionalisierungsmittel zur Debatte vorliegen. Wir haben mithin die unter normalem Verlauf der ÖPNV-Finanzierung erst im Jahr 2008 anstehende Revision bereits heute anzugehen, mit erheblich einschneidenden Maßnahmen zulasten des ÖPNV und der kommunalen Aufgabenträger. Dass die Revision früher erfolgt, ist faktisch die Konsequenz der mit Artikel 13 des Haushaltsbegleitgesetzes bundesseitig mit den Ländern vereinbarten Kürzungen der Regionalisierungsmittel.

Die Frage ist, wie die Landesregierung damit umgeht. Selbstverständlich müssen dringend Auffangmaßnahmen durch dieses Haus erfolgen, und natürlich müssen sie einschneidende Maßnahmen auch den Bürgern vermitteln. Die Abbestellung von SPNV-Leistungen in Höhe von 10 Millionen Euro gegenüber dem bisherigen Volumen ist bereits eine der genannten Grausamkeiten. Was ich als Euphemismus bezeichne, sind die in der Gesetzesbegründung enthaltenen, als milde Maßnahmen getarnten und teilweise nichtssagenden Konsequenzen, aus denen sich vielmehr haushaltspolitische Ratlosigkeit als strukturpolitische Tatkraft der Landesregierung zeigt.

(Beifall bei der DVU)

Darin steht nämlich zum Beispiel, dass den Kommunen zur Abfederung der Kürzung der Aufgabenträgerpauschale ein erweiterter Handlungsspielraum gegeben werden soll, sodass Synergien geschaffen und zusätzliche Effizienzsteigerungen im ÖPNV genutzt werden können. Weiter steht darin, dass sich durch eine pauschalierte ÖPNV-Zuweisung an die Aufgabenträger deren Planungssicherheit erhöht und die erfolgsabhängigen Merkmale, das daraus resultierende Fahrplanangebot, der Erfolg am Fahrgastmarkt sowie die Honorierung des Einsatzes kommunaler Eigenmittel, noch stärker zur Geltung kommen. Es werde sichergestellt, dass sich das System der struktur- und erfolgsabhängigen Mittelverteilung zwischen den kommunalen Auftraggebern weiterentwickeln könne usw.

Gesagt aber, Herr Minister, ist damit letztlich nichts; denn damit haben die Auftraggeber noch weniger Geld für die Wahrnehmung der öffentlichen Daseinsvorsorge im Bereich der Verkehrsversorgung zur Hand als bisher. Auch wenn zum Beispiel nominell der Betrag der Förderung der kommunalen Aufgabenträger von 50 auf 81 Millionen Euro erhöht wird, so geschieht das nur aufgrund der Umschichtungen der bisherigen Landesleistungen nach § 45 a Personenbeförderungsgesetz. Damit wird die Kürzung der Zuweisungen an die kommunalen Aufgabenträger um 4 Millionen Euro pro Jahr aber nur teilweise abgefedert. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Unternehmen des übrigen ÖPNV bereits im Zeitraum von 2004 bis 2006 erhebliche Kürzungen bei Ausgleichszahlungen im Schülerverkehr nach § 45 a Personenbeförderungsgesetz hinnehmen mussten, was sich durch die Pauschalierung ab 2007 noch weiter verschärfen dürfte.

Im Ergebnis, Herr Minister, ist der vorliegende Gesetzentwurf wahrlich kein Ruhmesblatt und gibt den Abgeordneten dieses Hauses auch mit Sicherheit keinen Grund, hier großartig Beifall zu klatschen.

(Beifall bei der DVU)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält der Abgeordnete Schrey. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

„Wir werden auch weiterhin den ÖPNV mit einem ausreichenden Finanzierungsbeitrag auf hohem Niveau fördern.“

Das steht in der Koalitionsvereinbarung des Bundes. Aus diesem Grunde hat das Ministerium einen Gesetzentwurf erarbeitet, der dies versucht. Ich möchte jetzt nicht alle Zahlen wiederholen, die genannt wurden. Ich möchte aber auf Herrn Dr. Klocksin eingehen und sagen: Es ist wichtig, dass man sich die Organisation der Gesellschaften ansieht, dass man auf Ausschreibungen achtet und den neuen Nahverkehrsplan, den auch ich bei der Landesregierung anmahne, in einer Form erstellt, die es uns ermöglicht, auch für die Zukunft einen ÖPNV zu gestalten, der den Menschen die Sicherheit gibt, vom Land in die Stadt zu kommen und umgekehrt.

Wir beraten den Entwurf in der 1. Lesung. Ich möchte nicht alle Zahlen wiederholen. Die Präsidentin hat angemahnt, wir sollen unsere Redezeiten einhalten und kürzen. Das tue ich hiermit. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen. - Danke schön.

(Beifall bei CDU und SPD)

Wenn so reagiert wird, ist das natürlich sehr erfolgversprechend. Danke schön, Herr Schrey.

Wir kommen zur Abstimmung. Das Präsidium empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs in Drucksache 4/3532 an den Ausschuss für Infrastruktur und Raumordnung. Wer dieser

Überweisung folgt, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Also ist der Gesetzentwurf einstimmig überwiesen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 9 und rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Gesetz zur Neuordnung der Ladenöffnungszeiten im Land Brandenburg

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 4/3592

1. Lesung

Ich gebe zur Aussprache zunächst Frau Ministerin Ziegler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorgestern stimmte das Kabinett dem Gesetzentwurf zur Neuordnung der Ladenöffnungszeiten im Land Brandenburg zu. Parallel dazu geschah dies in Berlin. Wir wissen ja, wie sehr Handel und Verbraucher darauf dringen, dass endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Das Artikelgesetz fasst die hierzu erforderlichen Regelungen zusammen. Damit hat die Landesregierung zunächst die Hausaufgaben gemacht und alle Voraussetzungen erfüllt, damit das Gesetz in Kraft treten kann.

Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, so schnell zu sein, und ich werde bei jeglicher Befindlichkeit und bei jeglichem Anwurf, dass wir zu langsam gewesen seien, zelebrieren, wann 1. Lesungen und 2. Lesungen in allen anderen Bundesländern gewesen sind.

Ich bin sehr froh, dass es so weit ist. Verständlicherweise wollen die Händler mehr Flexibilität. Da sind die Verbraucher mit mehr Ansprüchen und anderen Kaufgewohnheiten. Es sind da die Gewerkschaften, die natürlich auch berechtigte Schutzinteressen wahrnehmen müssen. Da sind die Kirchen und die Verbände, die unter anderem den Sonntag als Ruhetag erhalten wollen. Kein Wunder also, dass die Diskussion um dieses Thema sehr heftig war und ist. Meine Damen und Herren, ich will auch sagen: Wir mussten die Interessenlage natürlich erst einmal genau ausloten und alles, was an Anregungen kam, aufnehmen. Erstmalig waren wir im August mit allen Interessenvertretern beisammen, um das zu eruieren. Da war noch nicht einmal die Übertragung der Regelungskompetenz an die Länder beschlossen. Das erfolgte erst zum 1. September dieses Jahres. Das muss man einmal deutlich hervorheben.

Ich glaube, mit der Vorlage ist ein Ausgleich dieser Interessenvielfalt gelungen. Das Gesetz entspricht sowohl dem Wunsch des Handels und der Verbraucher nach mehr Flexibilität als auch den berechtigten Interessen der Arbeitnehmer und der Kirchen, den Schutz der Sonn- und Feiertage weitgehend zu wahren.

Das Gesetz sieht die Freigabe der werktäglichen Ladenöffnungszeiten von 0 bis 24 Uhr vor. Man muss wirklich sagen:

Es gleicht fast einer Revolution. Werktags entfallen alle bisher geltenden Regularien. Das trägt zum modernen Kaufverhalten bei und macht die Händler flexibler. Ob das in Anspruch genommen wird, obliegt den Handelseinrichtungen und den Personalvertretungen, sofern es sie gibt.

Ich muss gleichzeitig deutlich machen: Artikel 14 unserer Landesverfassung und Artikel 14 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung beschränken bis auf wenige Ausnahmen den Verkauf an Sonn- und Feiertagen. Das angemessene Regel-Ausnahme-Verhältnis an solchen Tagen beschreibt den Kompromiss mit Gewerkschaften und Kirchen. Dieser darf aufgrund von rein wirtschaftlichen Interessen auch nicht aufgekündigt werden. Die bestehenden Ausnahmen für den Sonntagsverkauf in Apotheken, in Tankstellen, auf Bahnhöfen und Flughäfen decken das erforderliche Versorgungsinteresse dieser Einrichtungen ab und haben auch weiterhin Bestand. Auch die Läden in unseren mehr als 550 tourismusrelevanten Orten - das sind unsere Kurorte, die Ausflugsund Erholungsorte - werden an maximal 40 Sonn- und Feiertagen ihre regionalen und ortstypischen Waren und Produkte anbieten können. Das ist wichtig für die Wirtschaft und auch für den Tourismus in unserem Land. Gleiches gilt für die so genannten Hofläden mit ihren Produkten, aber auch mit den Produkten des Nachbarn. Sie sollen auch an Sonntagen öffnen und eine größere Palette regionaler Produkte anbieten können.

Was weitere verkaufsoffene Sonntage betrifft, so geht unser Entwurf eben in Anerkennung des verfassungsrechtlich begründeten Regel-Ausnahme-Verhältnisses von den bisher nach Bundesrecht schon möglichen Ausnahmen aus und erweitert dieses nach unserer Auffassung maßvoll. Die Festsetzung zusätzlicher Öffnungszeiten an maximal sechs Sonn- und Feiertagen im Jahr anlässlich besonderer Ereignisse, die jetzt noch von den Kreisordnungsbehörden oder kreisfreien Städten vorgenommen wird, erfolgt künftig durch die örtlichen Ordnungsbehörden. Das ist ganz im Sinne der Funktionalreform und ermöglicht damit auch flexible und orts- und bürgernahe Entscheidungen.

Um den Schutz bestimmter Feiertage zu wahren, gibt es Ausnahmen. Vor allem die so genannten hohen und stillen Feiertage wie Karfreitag, Oster- und Pfingstmontag, Volkstrauertag, Totensonntag und die Weihnachtsfeiertage bleiben von zusätzlichen Sonntagsöffnungen ausgenommen. Auch hier bemühten wir uns um einen Ausgleich und ermöglichen mit dem Gesetz, dass für die Ladenöffnungen an den sechs zusätzlichen Verkaufssonntagen auch zwei Adventssonntage genutzt werden können. Dies gibt dem Handel weiterhin Freiräume im Weihnachtsgeschäft, soll aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Überbelastungen gerade in dieser Zeit schützen. Ich weiß, dass diese Auffassung nicht von allen geteilt wird, insbesondere von der Wirtschaft nicht.

Für die Diskussion hierzulande kommt erschwerend hinzu, dass in Berlin mit dem dortigen Gesetz eine erhebliche Ausweitung der Ladenöffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen geplant ist. Generell sollen die Läden an allen vier Adventssonntagen von 13 bis 20 Uhr geöffnet haben können. Darüber hinaus können Läden in Berlin bei besonderen Anlässen wie Straßenfesten, Firmenjubiläen an bis zu zwei Sonntagen öffnen. Das muss lediglich dem zuständigen Bezirksamt vorher gemeldet werden. Schließlich kann die zuständige Senatsverwaltung in Berlin weitere Ausnahmen für das gesamte Stadt

gebiet zum Beispiel für die Grüne Woche und die Funkausstellung zulassen.

Berlin geht damit sehr weit über geltendes Bundesrecht hinaus und befördert damit auch einen bundesweiten Wettbewerb um die weitestgehenden Regelungen. Wir wollen und können uns dem nicht anschließen und befinden uns damit in guter Gesellschaft. So sehen die Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen die Öffnung der Läden bisher nur für den ersten Adventssonntag vor. Sachsen-Anhalt, Thüringen, Rheinland-Pfalz, NordrheinWestfalen und Baden-Württemberg wollen die Öffnung der Verkaufsstellen auf höchstens vier Sonn- und Feiertage im Jahr begrenzen, wobei Sachsen mit fünf Sonn- und Feiertagen plant. Unser Gesetzentwurf geht weit darüber hinaus.

Die bundesrechtlichen Bestimmungen zu Arbeitszeiten und Arbeitsschutz für das Verkaufspersonal wurden fast unverändert in den Gesetzentwurf übernommen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Bestimmungen mit den Ladenöffnungszeiten untrennbar verbunden sind und dass sie dem Schutz der Beschäftigten dienen, was wir ihnen auch schuldig sind, zum Beispiel in der Form der Gewährung von Ausgleichen für Sonn- und Feiertagsarbeit.

Unser Gesetzentwurf ist auch ein Beitrag zur Vereinfachung und zum Bürokratieabbau. Die im Ladenschlussgesetz des Bundes enthaltenen Einzelregelungen und Vorgaben wurden landesrechtlich gebündelt und gestrafft, und die Öffnungszeiten wurden weitgehend vereinheitlicht. Da die Ladenöffnungszeiten an Werktagen unbeschränkt freigegeben werden, entfallen damit auch Verbotsregeln und die Aufsicht über die Einhaltung der Schließzeiten. Verwaltungsaufwand zum Beispiel für die Erteilung von Sondergenehmigungen entfällt damit ebenfalls.

Mit dem Gesetz erhält der Einzelhandel auf dem Gebiet der Ladenöffnungsregeln insgesamt gleichartige Wettbewerbsbedingungen. Der Sonn- und Feiertagsschutz bleibt gewahrt. Das alles könnte sich auf die Verbraucher, die Wirtschaft und die Verwaltung positiv auswirken.

Gleichzeitig haben wir aber die Interessenunterschiede zu beachten und setzen alles daran, dass das auch im parlamentarischen Verfahren ernst genommen wird. Die Gesellschaft besteht nicht nur aus Shopping und Events in Einkaufstempeln. Vielmehr sollten Adventssonntage auch dazu genutzt werden, in der Familie zu spielen, sich zu unterhalten, zu lesen und andere Freizeitaktivitäten zu unternehmen. Das sage ich in meiner Eigenschaft als Familienministerin.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der Linkspartei. PDS)

Man sollte also die Kirche im Dorf lassen und nicht alles dem Konsum unterwerfen. - Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Das Wort erhält für die Fraktion der Linkspartei.PDS der Abgeordnete Christoffers. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass die Neuregelung der Ladenöffnungszeiten weder den Untergang noch die Rettung des Abendlandes bedeuten wird. Es gibt ein verändertes Freizeit- und Konsumverhalten. Das kann man als gut oder als schlecht empfinden; jedenfalls ist es Realität. Seit der Föderalismusreform gibt es die Möglichkeit, auf diese Realität auf Landesebene zu reagieren. Ich bin dafür, dass wir diese Möglichkeit nutzen.

Dabei gibt es aus meiner Sicht vier Probleme, die wir in der Anhörung, über die wir uns bereits verständigt haben, klären sollten.

Erstens: Bei der Regelung der Arbeitszeiten muss vom Landtag ein ganz deutliches Signal ausgehen dahin gehend, dass die Kündigung des Manteltarifvertrages durch die Arbeitgeber in Vorbereitung der Beschlussfassung über die Ladenöffnungszeiten für eine gedeihliche Entscheidung nicht gerade förderlich ist.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Zweitens: Wir müssen prüfen, ob der für den Bereich der Kurorte definierte Warenkorb tatsächlich zutreffend ist oder ob der im Gesetzentwurf beschriebene Warenkorb weiter geöffnet werden muss. Es macht nämlich keinen Sinn, für Kur- und Bäderorte insofern Einschränkungen vorzunehmen, weil sich gerade in diesem Bereich ein anderes Freizeit- und Einkaufsverhalten durchsetzt.

Drittens: Wir sollten prüfen, inwieweit die für Flughäfen und für Bahnhöfe vorgesehene Ausnahmeregelung auf Häfen ausgedehnt werden sollte. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Ausflugshäfen, die nicht in Kur- oder Bäderorten liegen. Aus diesem Grunde sollten wir also prüfen, ob auch hier ein Ausnahmetatbestand geschaffen werden sollte.

Viertens: In § 4 des Gesetzentwurfs geht es im Zusammenhang mit der Direktvermarktung nicht nur um landwirtschaftliche Produkte, sondern auch um regional typische Produkte. Auf einer ganzen Reihe von Märkten werden nicht nur landwirtschaftliche Produkte, sondern auch handwerkliche Produkte aus der Region angeboten. Dies sollte auf jeden Fall berücksichtigt werden, wenn wir hier denn eine gesetzliche Neufassung erreichen können.