Protokoll der Sitzung vom 23.11.2006

(Frau Kaiser [Die Linkspartei.PDS]: Ja!)

Es macht die Menschen nicht glücklich genug, sage ich einmal ganz schlicht. Deshalb müssen wir uns überlegen, wie wir besser werden können, ich glaube, besser werden müssen.

Unter dem Motto der Erneuerung aus eigener Kraft haben wir hier in Brandenburg nicht erst gestern oder heute, sondern bereits vor zwei Jahren deutliche Konsequenzen gezogen. Die Landesregierung hat sich die vorsorgende Politik für mehr Lebenschancen zum Ziel gesetzt.

Wir können ja auch Erfolge sehen, meine Damen und Herren.

Erstens: Im Landeshaushalt setzen wir systematisch auf die Prioritäten Bildung, Wirtschaft und Technologieförderung sowie Wissenschaft und Forschung. Wir kürzen aus guten, nämlich eben diesen Gründen in diesen Bereichen auch bei der bestehenden schwierigen Haushaltslage nicht. Ich glaube, es wird auch Stück für Stück deutlicher, dass wir die richtigen Prioritäten gesetzt haben.

Zweitens: Unser neues Konzept der Wirtschaftsförderung erfährt zunehmend Anerkennung über die Grenzen unseres Landes hinweg. Ich glaube, Herr Junghanns, die jüngsten Ansiedlungserfolge in Frankfurt (Oder) sind auch Beleg dafür. Auch das, was Herr Rüter von Conergy dort gesagt hat, ist Beleg dafür, dass der Weg der richtige ist.

Drittens: Die Landesregierung hat ein familienpolitisches Leitbild sowie ein Maßnahmenpaket für Familien- und Kinderfreundlichkeit vorgelegt. Wir führen Eltern-Kind-Zentren ein, wir verankern die Sprachförderung und investieren - ich sage bewusst: investieren - in die pädagogische Fortbildung von Erziehern. Das ist für mich eine Investition und keine Konsumtion.

Viertens: Wir geben in diesem Jahr etwa 123 Millionen Euro, im nächsten Jahr 134 Millionen Euro für die Kinderbetreuung aus. Das waren in D-Mark über eine Viertelmilliarde. Damit haben wir als eines der nicht reichsten Länder eines der am besten finanzierten und ausgebauten Kita-Systeme in ganz Deutschland.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das muss einmal gesagt werden, meine Damen und Herren.

Die meisten Eltern vor allem im Westen wären froh, wenn sie auf ein so dichtes und gutes Netz zugreifen könnten. Damit geben wir Kindern eine gute Startchance ins Leben, ermöglichen Eltern - beiden Elternteilen - aber auch, Erwerbstätigkeit nachzugehen, eine der wichtigsten Voraussetzungen gegen Armut.

Fünftens: Wir haben die sechsjährige Grundschule und bauen die Ganztagsschulen aus, weil wir alle Schüler einbinden wollen statt sie auszugrenzen und auszusondern.

Übrigens, wenn in den letzten Tagen - das war ja zu lesen - die Rede davon war, dass das Land Brandenburg die ihm zustehenden Bundesmittel für den Ausbau von Ganztagsschulen zu langsam abrufe, dann gibt es dafür einen einzigen, wie ich finde, sehr plausiblen Grund. Anders als einige andere Länder knüpfen wir nämlich die Zuwendung dieser Mittel ausdrücklich daran, dass sich die Schulen zu einem hohen pädagogischen Standard verpflichten. Wir investieren in die Qualität von Bildung. Das dauert am Anfang etwas länger. Ich bin mir aber sicher, dass es am Ende nachhaltiger und besser für diejenigen, um die es geht, nämlich die Kinder, wirkt.

(Beifall bei SPD und CDU)

Sechstens: Es gibt das Maßnahmenpaket von Bildungsminister Holger Rupprecht, das die Oberschulen stärken und den Wechsel von den Oberschulen in die Ausbildung oder gymnasiale Oberstufe erleichtern soll. Hierfür werden die Oberschulen 19 Millionen Euro ESF-Mittel erhalten - keine kleine Summe -, um die Erfüllung des Erziehungsauftrags und das soziale Lernen zu erleichtern bzw. zu verbessern.

Siebentens: Bei uns im Land haben sich mittlerweile schon 15 Lokale Bündnisse für Familie gegründet. Auch diese Bündnisse sind ein hervorragendes Beispiel dafür, wie vor Ort konkrete Lösungen für mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit entwickelt werden. In diesen Bündnissen arbeiten Kommunen, Unternehmen, Initiativen, Verbände, Gewerkschaften und viele andere mit. Ich appelliere vom Landtag aus an diejenigen, die es noch nicht getan haben: Gründet solche Bündnisse! Es sind hervorragende Gelegenheiten, Familienpolitik zukunftsfähig zu gestalten.

Meine Damen und Herren, ich habe die Beispiele genannt, weil die Opposition - das ist auch ihre Pflicht und völlig okay - natürlich gern sagt: Theoretisch habt ihr es erkannt, praktisch macht ihr nichts. - So ist es eben gerade nicht. Wir machen mit Sicherheit noch nicht alles, was gut, richtig und sinnvoll ist, haben aber in den letzten Jahren ein erhebliches Fundament dessen gebaut, was mit vorsorgendem Sozialstaat gemeint ist: für die Politik, die die Rahmenbedingungen für Kinder und Familien verbessert, für eine Politik, die wirtschaftliche Vernunft und soziale Verantwortung miteinander verbindet, und für Politik, die Lebenschancen schafft, um der individuellen Armut vorzubeugen.

Dabei, Herr Präsident, meine Damen und Herren, ist mir wichtig, auch wenn wir punktuell derzeit mehr Geld für Bereiche ausgeben: Für die Zukunft gilt, es kann und wird nicht immer nur ums Geld gehen können, wir werden in der Zukunft Probleme nicht mehr nur mit Geld lösen können.

Jeder weiß - ich habe manchmal den Eindruck, dass es aus dem Blick gerät -, unser Landeshaushalt, der derzeit ca. 10 Milliar

den Euro umfasst, wird in Kürze nur noch ca. 8 Milliarden Euro zur Verfügung haben. Das ist ein Thema, welches wir nicht wegreden oder ausblenden. Wir können es uns zwar wegwünschen, aber davon wird es nicht verschwinden. Wir müssen uns ihm stellen, und zwar möglichst vorsorgend und nicht, wenn wir nicht mehr zurechtkommen, nachsorgend. Ich möchte verhindern, dass die jungen Menschen, die gerade als unsere Gäste in den Saal gekommen sind, unter der Schuldenlast, die wir auftürmen, zusammenbrechen. Das ist das Unsozialste, was wir tun können. Ich bitte diese Realität anzuerkennen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und CDU - Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])

- Frau Kaiser, ich habe jetzt niemanden speziell gemeint.

(Schulze [SPD]: Jeder zieht die Jacke an, die ihm passt!)

Dieses Gefühl zu verdrängen ist ubiquitär im Landtag, bei manchen politischen Kräften mehr, bei anderen weniger, aber überall ist es irgendwie vorhanden.

Deshalb muss im Mittelpunkt aller weiteren Überlegungen das Kriterium der Qualitätserhöhung stehen. Wir müssen alle bestehenden Strukturen daraufhin überprüfen, wie wir sie qualitativ verbessern können.

Es bleibt dabei: Im 21. Jahrhundert wird Bildungspolitik die mit Abstand wichtigste vorsorgende Sozialpolitik sein, eigentlich ist sie es schon heute. Ich habe vor wenigen Tagen etwas von Christoph Butterwegge, übrigens Professor an der Universität Köln, der neuerlich von der WASG gern zitiert wird und als Stichwortgeber gilt, gelesen. Er hat vor einigen Tagen in der „Tagesschau“ etwas gesagt, was ich - ich sage es einmal ganz vorsichtig - absurd finde:

„Wenn alle Kinder mehr Bildung bekämen, würden sie um die wenigen Arbeitsplätze nur auf höherem Niveau, aber nicht mit besseren Chancen konkurrieren. Es gäbe also kaum weniger Armut.“

Ich halte es mindestens für fahrlässig, so etwas zu sagen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Wenn man das ernst nähme, müssten junge Leute zu dem Schluss kommen: Ich brauche mich gar nicht zu mühen, denn ich komme sowieso nicht voran, ich werde immer arm und arbeitslos bleiben. - Das Gegenteil ist in der gesellschaftlichen Realität richtig.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])

- Er hat es nun einmal gesagt, Frau Kaiser, ich kann doch nichts dafür; ich habe auch gedacht, ich höre nicht richtig.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])

Seit mehr als zehn Jahren sind Menschen ohne Berufsabschluss in Ostdeutschland zu etwa 50 % von Arbeitslosigkeit betroffen. Unter denen, die einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss haben, waren es durchgängig nur etwa 5 %. Das ist das, was man einen signifikanten Unterschied bei den Le

benschancen nennt. Dieser Unterschied ist nicht weit weg, sondern diese Zahlen stammen ganz konkret aus Ostdeutschland. Das heißt, die Faustregel lautet: niedrige Qualifikation - hohes Risiko - das ist nun einmal so -; hohe Qualifikation - nicht ohne Risiko, aber niedriges Risiko. Das war früher so, und das wird in Zukunft noch viel schärfer Wahrheit sein. Wir merken es doch. Wer mit den Leuten spricht, die jetzt hier Betriebe errichten - ich komme noch einmal auf Frankfurt zurück -, ob Odersun, Firstsolar oder Conergy, erfährt, dass sie eben ausgebildete bzw. - wie Herr Rüter sagt - gut ausgebildete Leute suchen. Das kann man in Ludwigsfelde, Dahlewitz und überall sehen. Es ist überall zunehmend dasselbe.

Dies sind die Arbeitsplätze, die wir in unserem Land brauchen. Nur diese sorgen für Einkommen, schaffen Kaufkraft und sichern das gesellschaftliche und soziale Gefüge. Deshalb müssen wir zum Nutzen aller Bürger dieses Landes Bildungspolitik als wichtigste Vorsorgepolitik erkennen und weiter ausformen. Deshalb lasse ich mir auch von niemandem einreden, es wäre im Grunde genommen ganz egal, wie gut oder schlecht die Bildung ist, Chancen hätte man sowieso nicht. Ich halte diese Meinung für fatal.

(Beifall bei SPD und CDU)

Meine Damen und Herren, genau deshalb basiert unsere Bildungspolitik auf der Grundüberzeugung, die die Erfolgreichen in Europa erfolgreich machen. Es gelten ohne Wenn und Aber die fünf Leitprinzipien der brandenburgischen Bildungspolitik.

Erstens: Die brandenburgische Schule sichert gleiche Chancen für alle beim Zugang zur Bildung, weil kein einziges Kind zurückgelassen werden darf.

Zweitens: Die brandenburgische Schule setzt auf mehr Leistung, auf bessere Ergebnisse, auf höhere Qualität von Bildung. Dabei geht es mir um Förderung jeder Begabung, nicht um das Aussortieren von Menschen.

Drittens: Die brandenburgische Schule nimmt ihren Erziehungsauftrag ernst. An unseren Schulen wird Wissen vermittelt und das Lernen gelehrt. Es geht auch um die Einübung von Toleranz und Demokratie, Verantwortung und Selbstverantwortung. Ich habe mich unheimlich gefreut, dass so viele Schülerinnen und Schüler mit hochkreativen Vorschlägen an der Demonstration in Halbe teilgenommen haben. Das ist ein gutes Zeichen dafür, dass unsere Bemühungen schon Früchte tragen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und der Linkspartei.PDS)

Viertens: Die brandenburgische Schule ist eine zunehmend selbstständige Schule. Wir setzen auf die Initiative und Vorbildwirkung unserer Lehrerinnen und Lehrer, weil nur selbstständige Institutionen geeignet sind, am Ende selbstständige Menschen hervorzubringen.

Fünftens: Die brandenburgische Schule ist eng verwoben mit ihrer lokalen Gemeinschaft. Sie sucht die Vernetzungen mit den Akteuren vor Ort, mit ihrer Kommune, der Wirtschaft, den örtlichen Vereinen und natürlich zuvorderst mit den Eltern.

Meine Damen und Herren, ich will noch mit einem Missverständnis, das bei Frau Kaiser anklang, aufräumen. Ein Sozial

ren wir in Brandenburg in die Menschen. Wir tun das schon seit längerem, und wir tun es zunehmend mit Erfolg. Ich sage genauso deutlich: Wir müssen hier noch besser werden. Günter Baaske hat es bereits erläutert. Der vorsorgende Sozialstaat ist ein anspruchsvolles Vorhaben, und das wird nicht über Nacht verwirklicht werden. Es geht um den grundlegenden Bezugsrahmen, um die grundlegende Richtung unserer Politik in den nächsten Jahren. Die Richtung, die wir eingeschlagen haben, werden wir weiterverfolgen, ich hoffe, mit vielen Ideen, mit vielen Anregungen aus dem gesamten Gefüge des Landtags und aus dem ganzen Land, denn es ist der richtige Weg für die Menschen in unserem Lande. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei SPD, CDU und vereinzelt bei der Linkspar- tei.PDS)

Ich danke dem Ministerpräsidenten und begrüße unsere Gäste von der Käthe-Kollwitz-Oberschule in Mühlenbeck. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg!

(Allgemeiner Beifall)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag des Abgeordneten Baaske von der SPD-Fraktion fort. - Er verzichtet. Dann erhält die Abgeordnete Große von der antragstellenden Fraktion der Linkspartei.PDS das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! In der Frankfurter Kita „Spatzenhaus“ lebten 2004 10 % der Kinder von Sozialhilfe. Im September 2005 stieg die Zahl dieser Kinder um 32 % auf 42 %. Die offenen Forderungen beim Essengeld entwickelten sich im gleichen Zeitraum von 160 auf 290 Euro. Die Zahl der Diebstähle im Hortbereich nahm zu, die Zahl der wegen Karies zu behandelnden Kinder stieg erheblich. Einige Kinder erhalten im Hort die einzige Mahlzeit am Tag. Viele Kinder kennen bestimmte Obstsorten nicht. Eltern sind wegen fehlender Festnetzanschlüsse zunehmend telefonisch nicht mehr erreichbar. Hortkinder kennen oft nur noch ihr unmittelbares Umfeld, keine kulturellen Einrichtungen in ihrer Umgebung. Dies kann man im Kinderarmutsbericht der Stadt Frankfurt nachlesen. So viel, Herr Kollege Baaske, dazu, dass Armut nur sichtbarer geworden sei. Ich meine, diese Angaben belegen, dass sie auch größer geworden ist. Frau Kollegin Schier, wie viel Freiheit Eltern dieser Kinder noch in Anspruch nehmen können, das bleibt wirklich Ihr Geheimnis.