Protokoll der Sitzung vom 23.11.2006

Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS

Zu diesem Tagesordnungspunkt begrüße ich ganz herzlich Kolleginnen und Kollegen von Betriebsräten bzw. Personalräten aus dem Stern-Center in Potsdam, die sicherlich sehr daran interessiert sind, wie die Debatte ablaufen wird.

Es beginnt der Abgeordnete Görke von der Linkspartei.PDS.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Die Föderalismusreform hat den Bundesländern mit der Kompetenz zur Regelung der Ladenöffnungszeiten auch eine Debatte beschert, in der die unterschiedlichen Positionen aufeinandertreffen. Dabei betonen die einen die ökonomischen Aspekte, andere verweisen auf gesellschaftliche Werte und deren Bedrohung und wieder andere fragen nach den Konsequenzen für Beschäftigte und Familien. All diese Gesichtspunkte haben ihre Berechtigung, was wir uns nicht nur in der heutigen Debatte eingestehen sollten. Aber das macht es nicht einfacher, die unterschiedlichen Interessen auszugleichen und schließlich einen Kompromiss zu finden.

Für meine Fraktion - das wird Sie nicht überraschen - schlägt das Pendel im Abwägungsprozess eher zugunsten des Schutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der mehr als 32 000 im Handel in Brandenburg abhängig Beschäftigten, aus. Für uns ist es nur folgerichtig, dass mit der Verlängerung der Ladenöffnungszeiten auch die Schutzrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgeweitet werden. Das ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung nicht geschehen. Sie haben die überalterten Schutzrechte aus dem alten bundesdeutschen Ladenschlussgesetz einfach übernommen. Das ist mit einem Slogan wie „Kaufen rund um die Uhr und auch sonntags“ einfach nicht zu rechtfertigen.

Daher beantragt meine Fraktion:

Erstens: Die Ladenöffnungszeiten sind an Werktagen bis 22 Uhr zu begrenzen, um vor allem negative soziale und gesundheitliche Auswirkungen der Nachtarbeit abzumildern.

Zweitens: In § 10 des neuen Ladenöffnungszeitengesetzes soll geregelt werden, dass den Beschäftigten mindestens zwei arbeitsfreie Sonntage im Kalendermonat, also nicht nur in der Adventszeit, zu gewähren sind.

Drittens: Den Beschäftigten, die an einem Sonn- oder Feiertag mehr als drei Stunden arbeiten, ist das Recht einzuräumen, in den folgenden zwei Wochen an einem Werktag freigestellt zu werden.

Viertens: Der in § 10 Abs. 3 garantierte beschäftigungsfreie Sonnabend pro Kalendermonat soll auf Arbeitnehmerwunsch mit einem freien Sonntag gekoppelt werden. Dadurch erhalten die Beschäftigten, Frau Funck, wenigstens ein arbeitsfreies Wochenende.

Fünftens: Die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen nach 20 Uhr ist erziehungsberechtigten und pflegenden Arbeitnehmern zu ermöglichen und nicht etwa an Bedingungen zu knüpfen, wie Sie es wollen.

Diese Vorschläge stärken nicht nur Arbeitnehmerschutzrechte, sondern sollen auch - das wollen wir ebenfalls erreichen - zu

Beschäftigungseffekten im Einzelhandel führen, da zusätzliches Verkaufspersonal vorgehalten werden muss, um von der Erweiterung der Ladenöffnungszeiten vor allem in der vorweihnachtlichen Zeit profitieren zu können. Damit meinen wir nicht vor allem neue Teilzeit- und ungesicherte Arbeitsplätze, die es in Brandenburg mittlerweile zuhauf gibt. Von den 32 000 Beschäftigungsverhältnissen im brandenburgischen Einzelhandel sind in den letzten Jahren 20 000 in Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden. Allein ein Drittel davon liegt im Geringverdienerbereich. Auch das gehört zur Bilanz des alten bundesdeutschen Ladenschlussgesetzes.

In der Anhörung zur Neuordnung der Ladenöffnungszeiten in der letzten Woche wurde von Unternehmerseite geäußert, dass die bisherigen Ladenschlussregelungen ein großes Hemmnis für das Wirtschaftswachstum in der Region dargestellt hätten. Diesem Argument kann ich beim besten Willen nicht folgen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Das größte wirtschaftliche Problem der Region sind eben nicht die Ladenöffnungszeiten, sondern ist die mangelnde Kaufkraft.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Nicht akzeptabel ist in diesem Zusammenhang der neue Kurs des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels, der den Manteltarifvertrag zum 31. Dezember dieses Jahres einseitig gekündigt hat. Damit wird das Ziel verfolgt, Spät-, Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge zu verändern. Die Beschäftigten sollen also doppelt belastet werden. Neben den ungünstigeren Arbeitszeiten müssen sie zudem wahrscheinlich noch mit Lohneinbußen rechnen. Mit diesem unsozialen Vorstoß verringert der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels die gesellschaftliche Akzeptanz auch von veränderten Ladenöffnungszeiten. Das wird sich mit Sicherheit auch im Abstimmungsverhalten meiner Fraktion widerspiegeln.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Zu kritisieren ist auch der Landkreistag, der den Gesetzentwurf, mit dem die Ladenöffnungszeiten freigegeben werden, begrüßt, aber anscheinend überhaupt keine Vorstellung davon hat, welche Bedarfe sich daraus entwickeln. Auf die Nachfrage, welche zusätzlichen Bedarfe er bei der Kinderbetreuung oder beim öffentlichen Personennahverkehr sieht, ließ der Vertreter des Landkreistages in der Anhörung wissen, mit dieser Fragestellung habe man sich nicht beschäftigt. - Das ist ja wohl ein Ding aus dem Tollhaus.

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu unserem Antrag auf eine Bundesratsinitiative zum Arbeitszeitgesetz, den mein Kollege Ralf Christoffers initiiert hat. Ziel unseres Antrags ist es, die Arbeitnehmerschutzrechte des Einzelhandels in das Arbeitszeitgesetz des Bundes zu überführen, um bundeseinheitliche Standards für die Beschäftigten im Einzelhandel zu erreichen. Unsere Initiative soll die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten sozialverträglich gestalten. Deshalb bitte ich gerade die Kollegen von der SPD-Fraktion, nachher in der namentlichen Abstimmung richtig zu stimmen, und zwar in unserem Sinne.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zuruf der Abgeordne- ten Melior [SPD])

Aufgrund der Liberalisierung der Ladenschlusszeiten und der zu erwartenden unterschiedlichen Regelungen in den Ländern,

beispielsweise in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Berlin und Nordrhein-Westfalen, ist das aus unserer Sicht zwingend erforderlich.

Bei der eingangs in meiner Rede beschriebenen unterschiedlichen Grundposition zu den Ladenöffnungszeiten, die hier noch einmal deutlich wird, möchte ich an alle Abgeordneten ein Zitat des Schriftstellers William Faulkner richten, der Folgendes zutreffend formuliert hat:

„Die Dinge, auf die es im Leben wirklich ankommt, kann man nicht kaufen.“

Deshalb vertritt meine Fraktion mehrheitlich die Auffassung, dass die Freigabe von Ladenöffnungszeiten an sechs Tagen in der Woche, und zwar unter anderem bis 22 Uhr, die Sonntagsöffnungszeiten überflüssig macht. Behalten wir uns die Sonntage für die wirklichen Dinge im Leben vor! - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Görke. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Lehmann.

Herr Präsident! Sehr geehrte Gäste! Meine Damen und Herren! Ich verstehe Politik so, dass fast alle Entscheidungen einen Kompromiss darstellen. Ich habe die Anhörung ein Stück weit anders verstanden, Herr Görke. Die große Mehrheit der Anzuhörenden hat die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten nicht nur schlechthin begrüßt, sondern hatte sogar noch viel mehr gewünscht, erhofft und erwartet. Wir haben natürlich auch die Bedenken seitens der Gewerkschaften und der Kirche gehört. Aus den Meinungen beider Seiten muss dann eben ein guter Mix, ein guter Kompromiss gefunden werden. Ich denke, dass wir mit unserem Vorschlag und der Änderung, die sich nach der Anhörung noch ergeben hat, einen guten Kompromiss gefunden haben: Arbeitnehmerschutz und Arbeitnehmerrechte auf der einen Seite, Intentionen des Handels, Wirtschaftlichkeit und Gleichbehandlung mit Berlin auf der anderen Seite.

Ich denke schon, dass wir die Arbeitnehmerrechte in besonderer Weise berücksichtigt haben, indem wir regeln: Beschäftigte, die länger als drei Stunden arbeiten, sind in derselben Woche einen halben Tag freizustellen. Beschäftigte, die länger als sechs Stunden arbeiten, sind in derselben Woche einen ganzen Werktag freizustellen. Mindestens jeder dritte Sonntag muss beschäftigungsfrei bleiben. Werden Beschäftigte bis zu drei Stunden beschäftigt, so muss jeder zweite Sonntag oder in jeder zweiten Woche ein Nachmittag ab 13 Uhr beschäftigungsfrei bleiben. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen an höchstens zwei Adventssonntagen im Jahr beschäftigt werden. Beschäftigte, die mit einem Kind unter zwölf Jahren in einem Haushalt leben oder eine pflegebedürftige angehörige Person im Sinne des § 14 des SGB XI versorgen, sind auf Verlangen von einer Beschäftigung nach 20 Uhr freizustellen.

(Zuruf des Abgeordneten Görke [Die Linkspartei.PDS])

Ich denke, dass wir damit die Arbeitnehmerschutzrechte be

rücksichtigt haben und somit Ihrem Antrag in der Drucksache 4/3728 voll und ganz entsprechen.

Im Ergebnis der Anhörung haben wir in § 3 - Allgemeine Ladenöffnungszeiten - noch einmal den 24. Dezember genau definiert, indem wir gesagt haben: An Sonn- und Feiertagen und am 24. Dezember, sofern dieser Tag auf einen Adventssonntag fällt, sind die Verkaufsstellen für Kunden geschlossen. - Aus diesem Grund haben wir die Formulierung, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur an zwei Adventssonntagen beschäftigt werden sollen, ganz bewusst in den Gesetzentwurf hineingenommen, weil wir im Ergebnis der Anhörung zwar bei den sechs Sonntagen geblieben sind, jedoch die Einschränkung, „davon maximal zwei Adventssonntage“, herausgenommen haben. Das war eine Forderung im Rahmen der Anhörung. Letztlich können wir, wie gesagt, nur Kompromisse eingehen.

Gemäß ihrem Änderungsantrag in Drucksache 4/3726 möchte die Fraktion der Linkspartei.PDS den § 5 - darin geht es um gesonderte Sonntagsöffnungszeiten - um den Hinweis ergänzen, dass die Erweiterung des Warenkorbs berücksichtigt wird. Beim Lesen Ihres Antrages dachte ich: Einerseits drängen Sie so sehr auf den Schutz der Arbeitnehmer und würden am liebsten zwar nicht alles schließen, aber doch noch viele Einschränkungen vornehmen; andererseits drängen Sie auf eine Erweiterung. Das war in meinen Augen ein Widerspruch.

(Zuruf des Abgeordneten Görke [Die Linkspartei.PDS])

In Ihrem Änderungsantrag in Drucksache 4/3727 fordern Sie, dass die Öffnungszeiten bis 22 Uhr und nicht bis 24 Uhr geregelt werden sollen, und begründen das damit, dass die Nachtarbeit zu einem Regeltatbestand werden könnte. Das ist eine Behauptung. Ich behaupte, dass es so nicht sein wird. Nun steht also Aussage gegen Aussage.

Gemäß Ihrem Änderungsantrag in der Drucksache 4/3725 möchten Sie den § 4 neben den landwirtschaftlichen Produkten noch um die regionaltypischen Produkte ergänzen. Sie sollten sich das Gesetz genau ansehen. In § 5 Abs. 2 haben wir das bereits formuliert, und ich denke, dass dies auch angemessen ist. Unter der Überschrift „Weitere Verkaufssonntage“ heißt es dort, dass Verkaufsstellen in Kurorten, Ausflugs- und Erholungsorten an höchstens 40 Sonn- und Feiertagen von 11 bis 19 Uhr geöffnet haben dürfen und Waren verkaufen dürfen, die für diese Orte kennzeichnend sind. Darunter fallen die von Ihnen gewünschten regionalen Produkte.

Nun zu Ihrem Antrag auf eine Bundesratsinitiative zum Arbeitszeitgesetz. Darin geht es zunächst um § 6 Abs. 4 Buchstaben b) und c), die nach Ihrem Antrag so formuliert werden sollen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Kinder oder pflegebedürftige Menschen im Haushalt haben, diese selbst betreuen bzw. pflegen können. Den Verweis auf andere Familienangehörige in diesen Regelungen, die das übernehmen könnten, möchten Sie herausgenommen wissen. Ich sage Ihnen: Das ist „weltfremd“ wäre vielleicht ein bisschen zu hart formuliert nicht realistisch. Solche Dinge müssen innerhalb der Familienorganisation abgedeckt werden. Hinzu kommt, dass wir von staatlicher Seite bemüht sind, ein flächendeckendes Versorgungsnetz anzubieten: die Sozialstation. Das tun wir nicht ohne Grund. Wenn es Möglichkeiten gibt, Abhilfe zu schaffen, sollte man sie nutzen. Das ist bisher ganz gut gelaufen und das wird man künftig in den Familien auch weiter regeln können.

Zu der von Ihnen des Weiteren gewünschten Änderung des § 10 des Arbeitszeitgesetzes möchte ich sagen: Meine Güte, warum haben wir immer Angst vor der eigenen Courage? Der Bundesgesetzgeber hat das doch nun eben auf die Landesebene delegiert. Haben wir Mut und nehmen wir unsere Verantwortung wahr! Wir rufen doch immer nach Verantwortung, die wir wahrnehmen wollen. Wenn es dann ernst wird, haben wir Angst vor unserer eigenen Courage.

In dem Bereich sollten wir erst einmal ein bis zwei Jahre abwarten und unsere Erfahrungen sammeln, ob wirklich alles so schwarz wird, wie Sie es hier ausmalen.

Meine Damen und Herren, Ihre Anträge sind aus unserer Sicht abzulehnen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank, Frau Lehmann. Es wurde rechtzeitig eine Zwischenfrage angemeldet. Möchten Sie diese noch beantworten?

Nein, jetzt nicht mehr.

Das tut mir leid für die Fragesteller. Wir müssen dies aber so akzeptieren. - Für die DVU-Fraktion erhält die Abgeordnete Fechner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor 50 Jahren - fast auf den Tag genau - wurde das Gesetz über den Ladenschluss verabschiedet. Im November 1996 - vor genau zehn Jahren - wurden die Ladenöffnungszeiten drastisch gelockert. Seitdem darf wochentags zwischen 6 und 20 Uhr und an Sonnabenden bis 16 Uhr geöffnet werden.

Die Änderungen, die heute beschlossen werden sollen, sind jedoch viel weitreichender. Diese Änderungen werden von vielen begrüßt, aber auch von vielen abgelehnt. Wie kaum in einem anderen Bereich wird das Ladenschlussgesetz von einer angeregten und nicht selten emotional geführten Diskussion begleitet. Es gibt kaum jemanden, der dieser Thematik gleichgültig gegenübersteht. Die Gewerkschaften sehen in der Öffnung der Ladenschlusszeiten eine Aufweichung des Arbeitnehmerschutzes. Außerdem sind sie der Ansicht, dass die bisherigen Lockerungen kein Anwachsen der Umsätze erwirkt und stattdessen die Chancen des Kleinhandels im Wettbewerb mit Großhandelsunternehmen geschwächt haben.

Die beiden großen christlichen Kirchen stehen dem Bestreben einer weiteren Lockerung der Ladenöffnungszeiten ebenfalls kritisch gegenüber. Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche wollen vor allem die Sonntagsruhe sichern. Neben der religiösen Bedeutung haben sich die Kirchen aus gesellschaftlichen und sozialpolitischen Gründen immer für die grundgesetzlich garantierte Sonn- und Feiertagsruhe eingesetzt.

Es sprechen mindestens genauso viele Gründe für die Öffnung der Ladenschlusszeiten wie dagegen. Auch innerhalb der DVUFraktion gibt es Befürworter und Gegner dieses Gesetzes. Wir haben sehr ausführlich darüber diskutiert und sind zu keiner einstimmigen Meinung gekommen. Worin wir uns jedoch einig sind, ist: Das grundsätzliche Verbot der Ladenöffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen soll - wie es das Bundesverfassungsgericht im Juni 2004 entschieden hat - bestehen bleiben.

(Beifall bei der DVU)

Einigkeit herrscht auch darüber, dass zum Rund-um-die-UhrGlück die Erweiterung der Öffnungszeiten für Behörden gehört. Ich glaube, damit würde man dem Anliegen vieler Bürger Rechnung tragen.