Protokoll der Sitzung vom 12.09.2007

Jetzt sage ich Ihnen: Gehen Sie mit einem Kind zum Kinderarzt. Das Kind hat Grippe und braucht Medikamente, die alle nicht mehr verschreibungsfähig sind. Sie kommen mit einer Verschreibung heraus, die von den Kassen aber nicht erstattet wird, müssen Hustensaft und dergleichen kaufen - da lassen Sie mal eben locker 25 Euro für ein Kind in der Apotheke. Das wird nicht mehr verschrieben, das tragen die Kassen nicht mehr.

Das heißt, es gibt Entwicklungen in der Realität, die 2004, vor diesen ganzen Veränderungen im Gesundheitssystem, noch nicht absehbar waren. Sie erzählen uns immer von Ihren Reisen durch das Land. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Kommen Sie einmal nach Strausberg! Dort haben wir vor einer Woche mit Ihren Kollegen der Stadtverordnetenfraktion der Sozialdemokraten eine Benefizveranstaltung durchgeführt. Wir haben 1 800 Euro gesammelt, und zwar für die Kinder aus Familien, die von Sozialgeld leben, deren Eltern Arbeitslosengeld II beziehen. Dieses Geld wird Kindern zur Verfügung gestellt, die zur Musikschule gehen. Davon wird das Sponsoring für Vereine, für Ferienfahrten, für Ferienlager getragen. All diese Dinge können beantragt werden. Dafür gibt es in unserer Stadt ein Büro.

Glauben Sie wirklich, dass Ihre Kolleginnen und Kollegen über die Realität nicht informiert sind? Gehen Sie in die Kindertagesstätten, gehen Sie nach Strausberg zu Ihren Genossen, dann werden Sie dort zumindest die Wahrheit erfahren.

Ich möchte, dass wir einander hier nicht wieder vorwerfen, wir würden Populismus betreiben. Aus verschiedenen Gründen ist es uns bis jetzt nicht gelungen, die Situation dieser Kinder und dieser Familien zu verbessern. In der Debatte um das Essengeld haben wir uns verständigt. Die alljährliche Debatte zum Schulanfang - die Ausstattung dafür kostet leicht 200 Euro, das wissen Sie - hat uns immer wieder darauf aufmerksam gemacht. Würden die Eltern eines Kindes, die von Arbeitslosengeld II leben, das Geld - 1,63 Euro beträgt es, glaube ich -, das man für Schulsachen bei Kindern im Monat einplant,

(Baaske [SPD]: Das ist die reine Theorie!)

sechs Jahre zurücklegen, dann würde die Summe über sechs Lebensjahre nicht reichen, das Kind für die Einschulung auszustatten.

(Baaske [SPD]: Sie haben nicht verstanden, wie Bedarfs- sätze gerechnet werden!)

- Ich habe nicht verstanden, wie Bedarfssätze gerechnet werden? - Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ich übergebe Ihnen das Gutachten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes jetzt, hier und heute. Sie lesen das nach. Wir besprechen dieses Thema und kommen dann möglicherweise zu einem gemeinsamen Ergebnis.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE - Baaske [SPD]: Das glaube ich nicht!)

Was nicht sein kann, ist, dass Sie die Realität ausblenden und nicht handeln. Mit der Zustimmung zu unserem Antrag könnten wir einen Vorschlag machen, der auf Bundesebene möglicherweise Bewegung brächte mit dem Ergebnis, dass man einen Konsens fände. Ich bitte Sie: Gehen Sie diesen Schritt mit uns und verweigern Sie sich nicht dem Einsatz für die Kinder in den Familien, die wirklich in Armut leben - auch in diesem Land.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Die Abgeordnete Lehmann setzt für die SPD-Fraktion die Debatte fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich noch: Als wir im Jahr 2004 die Arbeitsmarktreform im Lande durchführten und es darum ging, Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammenzulegen, war gerade die heiße Wahlkampfphase. Ich erinnere mich sehr gut, wie dort auch vonseiten der - damals noch - PDS argumentiert worden ist, und ich kann deswegen gut verstehen, Frau Kaiser, dass Sie natürlich heute an dem, was Sie damals gesagt haben, krampfhaft festhalten und diese Reform klein-, kurz- und plattreden müssen. Dafür habe ich sehr wohl Verständnis.

Aber Sie gestatten, dass wir natürlich ein Stück weit dagegen argumentieren. Wir sagen Ihnen hier und heute, dass wir insbesondere drei Gründe haben, die uns dazu veranlassen, Ihren Antrag abzulehnen.

Erstens: Eine Höhe des Regelsatzes von 420 Euro tragen wir so nicht mit. Sie erklären mit dem Antrag in keiner Weise, wie Sie zu diesem Betrag kommen. Wenn Sie auf Berechnungen der Wohlfahrtsverbände verweisen - das haben Sie hier getan, Sie haben ja die Broschüre hochgehalten -, dann sollten Sie der Wahrheit halber ergänzen, dass es auch Verbände gab, die für eine Absenkung der Regelsätze plädierten.

Im Übrigen, weil Sie auch heute in Ihren Statements so getan haben, als liefen wir blind durch die Welt und wüssten gar nicht, was sich im täglichen Leben tut, darf ich Ihnen sagen, dass der zuständige Arbeitskreis der SPD-Fraktion nächste Woche Dienstag beim Paritätischen Wohlfahrtsverband sein und die dortige Ausstellung anschauen wird, bei der es um die Lebenslage der Menschen hier im Lande geht.

Der zweite Grund, warum wir Ihren Antrag ablehnen, ist: Ein Regelsatz für Erwachsene und Kinder ist wirklich eine unseriöse Forderung.

Frau Lehmann, gestatten Sie Zwischenfragen?

Nein, ich möchte meine Ausführungen gern zu Ende bringen. Nennen Sie mir eine Leistung in Deutschland oder einem anderen Staat, bei der nach diesem Grundsatz verfahren wird! Bitte sagen Sie auch noch, wie Sie gewährleisten wollen, dass dieses Geld auch bei den Kindern ankommt.

Ein dritter Punkt, den wir benennen möchten, ist: Sie unterstellen, dass der Regelsatz und Hartz IV insgesamt nicht armutsfest ausgestaltet sind, ohne das näher zu untersetzen. Ich erinnere nur an das Bundesverfassungsgericht. Es ist noch gar nicht so lange her, da ist die Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze jedenfalls vom Gericht erst einmal festgestellt worden.

Aber genau das ist der Kern der Debatte; Günter Baaske hatte das hier schon eingeworfen: Keiner sagt, Frau Kaiser, dass Hartz IV einen hohen oder durchschnittlichen Lebensstandard gewährt. Das ist nicht Aufgabe und Funktion des Regelsatzes. Er soll die Existenz sichern.

Die Diskussion um den Regelsatz ist jetzt dadurch erneut angeheizt worden, dass die Preise für Strom, Gas und zahlreiche

Lebensmittel angestiegen bzw. Preissteigerungen angekündigt worden sind. Deswegen diskutieren wir ja darüber. Wir haben uns auch öffentlich dazu geäußert. Wir finden es gut und begrüßen, dass es schon eine Überprüfung der Regelsätze gibt.

Ich weiß nicht so recht, warum wir uns hier eigentlich aufregen, denn die Maschinerie auf Bundesebene ist längst in Gang gesetzt. Müntefering prüft und will bis zum November ein entsprechendes Ergebnis vorlegen. In dieser Prüfungsphase werden wir doch nicht daherkommen und sagen: Aller Prüfung widerstreben wir und sagen: Wir legen per Dekret schon mal die 420 Euro fest. - Lassen Sie diese Überprüfung also erst einmal zum Zuge kommen.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

- Jawohl, ich komme auch gleich zum Schluss; noch eine Minute.

Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen: Wir warnen ausdrücklich davor, dass es zu große Sprünge bei Hartz IV gibt, denn es ist ein steuerfinanziertes System, das die Existenz arbeitsuchender Menschen sichern soll, und es soll kein Staatszuschuss für Dumpinglöhne sein. Wir wissen, dass es bereits heute Unternehmen gibt, die dies schamlos ausnutzen. Das wollen wir jedenfalls nicht. Wenig Lohn und den Rest zahlt der Staat - das kann nicht die Devise sein.

(Beifall des Abgeordneten Schulze [SPD])

- Danke, lieber Christoph. - Insofern brauchen wir den existenzsichernden und flächendeckenden Mindestlohn.

(Zuruf der Fraktion DIE LINKE: Damit haben Sie zuge- stimmt!)

Dafür streiten wir weiter. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Für die DVU-Fraktion setzt die Abgeordnete Fechner die Debatte fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es kurz machen: Eine Anhebung der Regelsätze ist durchaus begrüßenswert, und im Gegensatz zu Frau Lehmann ist uns kein Verein bekannt, der eine Absenkung der Regelsätze gefordert hätte - mal was ganz Neues!

Also: Die DVU-Fraktion wird dem vorliegenden Antrag zustimmen, obwohl sie weiß, dass seine Umsetzung nicht dazu beitragen wird, die soziale Schieflage zu beseitigen.

(Beifall bei der DVU)

Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Schulz.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, in einem sind wir uns alle einig, nämlich in dem Ziel,

Armut konsequent zu bekämpfen. Für die sicherste Armutsbekämpfung halte ich nach wie vor Investitionen in Arbeit und Bildung.

(Beifall bei der CDU)

Ihr Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren - das wäre dann mein zweiter Punkt -, kommt zur Unzeit; Sylvia Lehmann hat schon darauf hingewiesen. Auch Unionspolitiker haben sich vor dem Hintergrund der steigenden Preise bereits positioniert, und die Bundesregierung hat verabredet, die Anpassungsmechanismen zu Hartz IV zu überprüfen und noch im November einen Bericht vorzulegen sowie noch in diesem Jahr eine Entscheidung herbeizuführen. Von daher kommt Ihr Antrag zur Unzeit.

Frau von der Leyen prüft die Wirksamkeit des Kinderzuschlags, den Sie gleich in Bausch und Bogen canceln, was ich nicht so recht verstehen kann.

Im Übrigen - das ist mein nächster Punkt - wird es noch ein Präventionsgesetz geben - das ist ja angekündigt -, auch unter Berücksichtigung der Kindergesundheit.

Von daher, denke ich, sind auf Bundesebene in diesem Jahr noch einige Vorlagen und Entscheidungen zu erwarten, und wir müssen erst einmal abwarten, bis der Bericht vorgelegt wird, um hier sachgerechte Entscheidungen herbeizuführen.

Der Aufforderung zum Handeln bedarf es dann von Ihrer Seite, bitte schön, auch nicht. Wir sind in ständigem Kontakt mit unseren Bundestagesabgeordneten. Das sehen Sie auch daran, dass dieser Bericht vorgelegt wird. Es war die Forderung nicht zuletzt auch vieler Unionspolitiker. Ich schlage vor, wir warten ab. Es bedarf da nicht Ihrer Aufforderung. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort erhält Ministerin Ziegler.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Ausführungen der Abgeordneten der Koalitionsfraktionen ist nichts hinzuzufügen. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort erhält abschließend für zwei Minuten noch einmal die antragstellende Fraktion. Bitte, Frau Kaiser.

Dass die Sozialministerin dieses Landes zu diesem Thema nichts zu sagen hat, wäre mir heute Morgen nicht eingefallen, meine Damen und Herren.