Protokoll der Sitzung vom 10.10.2007

Die Debatte wird mit dem Beitrag des Abgeordneten Görke für die Fraktion DIE LINKE eröffnet. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon bezeichnend, was vom Weichenbauunternehmen WBG in Kirchmöser vermeldet wird. Nach Aussagen von Beschäftigten, nachzulesen in der „Märkischen Allgemeinen“ vom 12. September, brummt der Laden. Es boomt regelrecht - bei der Auftragslage, aber auch bei der Beschäftigtenzusammensetzung. So arbeiten zum Beispiel in einer Abteilung des genannten Unternehmens zehn Beschäftigte - drei festangestellte, sieben Leiharbeiter.

Die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung bzw. Leiharbeit wächst seit Jahren auch in Brandenburg. Im Juli war in Brandenburg jede vierte der rund 8 000 neuen offenen Stellen bei einer Zeitarbeitsfirma entstanden. Im August war es laut Regionaldirektion der BA jede fünfte Stelle. In Brandenburg hat sich damit die Zahl der Leiharbeiter seit 2005 - damals 11 500

verdoppelt. Zwar befindet sich die Mehrzahl der Beschäftigten in Brandenburg noch immer in standardisierten Arbeitsverhältnissen, doch zeigen die Zahlen, wie sich teilweise ungesicherte und damit prekäre Beschäftigungsverhältnisse immer weiter ausbreiten.

Wie sieht es mit der konkreten Situation der Leiharbeit in Deutschland und damit auch in Brandenburg aus? Durch die Streichung der Höchstüberlassungsdauer im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ist eine zeitlich unbegrenzte Überlassung möglich, mit der Tendenz, dass insbesondere Großunternehmen Stammpersonal durch Leiharbeit substituieren. Das sind nicht unsere Feststellungen, sondern sie entstammen dem Forschungsinstitut der BA, dem IAB.

Zweitens: Mit den Arbeitsmarktreformen wurden auch Ausnahmeregelungen im Bereich der Zeitarbeit beschlossen. Sie ermöglichen die Aushöhlung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Mit dem Verweis auf Tarifverträge für Leiharbeit werden gültige Branchentarifverträge unterlaufen, und betroffene Leiharbeiter erhalten eindeutig niedrigere Löhne. Lohndifferenzen von bis zu 40 %, wie jüngst auf der DGBKonferenz in Berlin festgestellt, sind hier belegt.

Drittens: Aufgrund dieser niedrigen Löhne kommt es dazu, dass jeder achte Zeitarbeitsbeschäftigte in Brandenburg ergänzende Sozialleistungen erhalten muss.

Viertens: Nicht nur beim Lohn, sondern auch beim Urlaubsanspruch und bei der Arbeitszeit sind Zeitarbeitnehmer oft Arbeitnehmer zweiter Klasse. Abgesehen von den Branchenriesen ist die Leiharbeit praktisch eine mitbestimmungsfreie Zone. Weiterbildung ist in vielen Verleihbetrieben signifikant seltener als in den klassischen Unternehmen.

In diesem Zusammenhang begrüßen wir als Linksfraktion die Ankündigung des EU-Kommissars Spidla, die Bedingungen für Leiharbeit zu verbessern. Mit seinem Vorschlag, Leiharbeitern künftig nach sechs Wochen das gleiche Gehalt zu zahlen und vor allen Dingen die gleichen Sozialleistungen zu gewähren, rennt er - zumindest bei uns - offene Türen ein. Anders ist das sicherlich momentan noch bei der Bundesregierung - zur Landesregierung komme ich gleich -: Im Gegensatz zur EU, die noch in diesem Jahr geeignete Regelungen finden will, um den Missbrauch von Leiharbeit einzudämmen, trat der Bundesarbeitsminister erst einmal auf die Bremse. In Meseberg hat die Bundesregierung beschlossen, zunächst eine Problemanalyse durchzuführen. Eine Reform braucht Zeit, war dazu hören; das kennen wir.

Eine deutliche Positionierung zu diesem Thema war von der SPD-geführten Landesregierung bisher nicht zu vernehmen. Ich konnte leider die Anfrage, die die Kollegin Dr. Schröder heute gestellt hat, noch nicht zur Kenntnis nehmen. Ich hoffe im Nachgang auf deutliche Aussagen der Landesregierung, zum Beispiel solche wie die des Abgeordneten Ludwig Stiegler, SPD, jüngst in der „Welt am Sonntag“, der Zeitarbeitsfirmen, aber auch Entleihunternehmen der Lumperei und des schmählichen Missbrauchs der gesetzlichen Lockerungen bezichtigte und ankündigte, Leiharbeit per Gesetz neu zu regulieren.

Mich stimmt zuversichtlich, dass die größere Partei in diesem Haus, die auch die Regierung trägt, das Problem erkannt hat und dass nötige Änderungen folgen.

Leiharbeit ist in Brandenburg sowie in ganz Deutschland nicht mehr ein Instrument zur Abdeckung von Produktionsspitzen, sondern längst zum strategischen Mittel der Unternehmen gegen Tarife und Arbeitsmarktgesetze geworden. Für die Beschäftigten ist das ein unhaltbarer Zustand. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Abgeordneten Dr. Schröder fort, die für die SPD-Fraktion spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leiharbeit, Zeitarbeit, Personalleasing - alles Termini, die ein und dieselbe Beschäftigungsform bezeichnen, wobei sich die Dreieckskonstellation erheblich vom sogenannten Normalarbeitsverhältnis abhebt. Bereits die Begriffsvielfalt spiegelt die kontroverse Debatte um die Arbeitsform wider, die seit Jahren - nicht erst jetzt - gesellschaftlich wie politisch geführt wird.

Der Gesetzgeber regulierte 1972 unter dem Begriff „Arbeitnehmerüberlassung“ den gewerbsmäßigen Verleih von Arbeitskräften. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zeugt seit Bestehen vom Bemühen des Staates einerseits, einem flexiblen Personalbedarf der Wirtschaft - im Übrigen auch arbeitnehmerseitigen Flexibilitätsinteressen - Rechnung zu tragen, andererseits aber auch einem Missbrauch entgegenzuwirken.

Leiharbeit bzw. Zeitarbeit unterliegt allgemein dem Konjunkturzyklus der Wirtschaft und ist von jeher stark prozyklisch. Die Leiharbeitsbranche boomt auch deswegen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass derzeit, in der Hochkonjunktur, ein enormer Anstieg zu verzeichnen ist. Die Entwicklung zeigt, dass hier in Brandenburg 2007 im Vergleich zu 2006 die Anzahl der Leiharbeitskräfte um 22,6 % stieg, im Bundesdurchschnitt um 30,4 %, jedoch - das muss man hinzufügen - auf einem sehr niedrigen Niveau und mit einem geringen Anteil an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. In Brandenburg betrug die Leiharbeitsquote im Jahr 2004 0,81 %, also nicht einmal 1 %. Das ist immer noch der geringste Wert im Ländervergleich. Im Bundesdurchschnitt lag er bei 1,37 %. Das sind die Fakten.

Im September 2007 waren im Bereich der wirtschaftsnahen Dienstleistungen in Brandenburg laut Bundesagentur 8 700 Personen mehr beschäftigt als noch im September 2006. Es wird davon ausgegangen, dass die Zahl derzeit bundesweit auf über 600 000 angestiegen ist.

Die Inanspruchnahme von Leiharbeit bzw. Zeitarbeit ergibt sich aus der Einsatzlogik der Entleihbetriebe, traditionell also aus der Abdeckung eines vorübergehenden - temporären - Personalbedarfs. Aufseiten der Arbeitnehmer entwickelt sich angesichts der Massenarbeitslosigkeit die Überwindung der Arbeitslosigkeit und die Hoffnung auf eine Brücke in reguläre Arbeitsverhältnisse durch den sogenannten Klebeeffekt, der laut IAB derzeit bei 15 % liegt, immer mehr zum Hauptmotiv.

Bei all diesen Fakten muss unser Interesse, unser politisches Augenmerk darauf gerichtet sein, dass die Randbelegschaft nicht dauerhaft als prekäre Beschäftigung im Vergleich zur

besser bezahlten Stammbelegschaft bzw. auf Kosten des Abbaus von Stammpersonal etabliert wird.

Meine Damen und Herren! Die EU-Kommission und die SPD in Regierungsverantwortung auf Bundesebene stellen sich aktuell mit Nachdruck dem Problem und möglichen Missbräuchen. EUKommissar Spidla thematisiert aktuell europaweit das Thema „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bei Leiharbeit. Sein Vorschlag lautet - der Kollege Görke hat es bereits gesagt -: nach sechs Wochen Gleichstellung von Stamm- und Randbelegschaft.

Bereits heute ist in § 9 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz der Grundsatz „equal pay“ verankert - mit Ausnahmen, wenn der Tarifvertrag etwas Abweichendes regelt. Zeitarbeit darf nicht billige Dauerbeschäftigung, sondern muss möglichst Sprungbrett in existenzsichernde Festanstellung sein. Darin sind wir uns, denke ich, einig.

Die jüngste Intervention des EU-Kommissars entspricht also dem Anliegen Ihres Antrags. Nicht Spidla rennt bei Ihnen offene Türen ein, sondern Sie rennen Spidla hinterher. Auch hat meine Partei auf Bundesebene längst angekündigt, dass Missbräuche von Zeitarbeit - Unterlaufen von Tarifverträgen, Betreiben von Lohndumping - notfalls per Gesetz eingeschränkt werden sollen. Ich zitiere aus unserem Leitantrag für den kommenden Bundesparteitag:

„Leiharbeit ist nur vorübergehend und nur für einen kleinen Teil der Belegschaft akzeptabel.“

Denkbar ist, zeitlich begrenzt die Überlassungsdauer zu regeln oder die Aufnahme der Zeitarbeitsbranche in das Arbeitnehmerentsendegesetz, um die Einhaltung der Mindeststandards bei Löhnen und den Arbeitsbedingungen sicherzustellen.

Ich denke, ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Thema wird auf Bundesebene praktiziert. Wir brauchen uns mit diesem aus meiner Sicht überflüssigen Antrag hier nicht zu befassen. Wir sind auch dagegen, ihn zu überweisen, da die Probleme - wie gesagt - auf EU- und auf Bundesebene mit Kreativität und Engagement angegangen werden.

Meine Damen und Herren! Der Traum eines jeden Leiharbeitnehmers ist es, Stammarbeitnehmer zu werden. Der Albtraum eines jeden Stammarbeiters ist es, Leiharbeiter zu werden. Diese Konstellation birgt - da gebe ich Ihnen Recht - beschäftigungspolitisch, aber auch gesellschaftspolitisch erheblichen Sprengstoff und übt im Übrigen erheblichen Druck auf das Lohnniveau aus. Darum arbeiten wir kreativ und engagiert weiter an dem Thema, um sozialdemokratische Zielstellungen durchzusetzen, auch - hier geht mein Blick zur CDU-Fraktion gegen konservative Blockaden.

Ihren Antrag brauchen wir dazu nicht. Die SPD-Fraktion lehnt Ihr durchsichtiges Manöver deswegen ab. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Die Abgeordnete Fechner spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im Juni ha

ben die Brandenburger linken Genossen angekündigt, parlamentarische Initiativen sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene zu starten, um das mit den Hartz-Gesetzen ausgehöhlte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu reformieren. Fürwahr, die Genossen sind laufauf, landab aktiv tätig geworden. Doch soweit ich informiert bin, haben diese parlamentarischen Aktivitäten nicht gefruchtet. Viele Gründe sprechen einfach dagegen. So wünschen sich die linken Genossen zum Beispiel, dass sich der Landtag für eine sozial gerechte Regulierung der Leiharbeit ausspricht. Das klingt gut. Aber was würde es denn bedeuten, wenn ein solcher Beschluss zustande käme? Was wäre dem Arbeitslosen in Cottbus oder dem Leiharbeiter in Schwedt damit geholfen, wenn der Landtag tatsächlich eine solche Erklärung verabschieden würde?

Ich kann es kurz machen. Frau Dr. Schröder hat etliche Gründe genannt, warum dieser Antrag überflüssig ist. Auch die DVUFraktion wird ihn ablehnen.

(Beifall bei der DVU)

Die Abgeordnete Schulz spricht für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben für Ihren Antrag eine große Überschrift gewählt: „Leiharbeit sozial gerecht regulieren“. Um Ihnen die Dimension zu verdeutlichen, greife auch ich auf das IAB zurück, das im vorigen Jahr eine Studie angefertigt hat. Die durchschnittliche Überlassungsdauer von Leiharbeitern beträgt demnach 4 bis 6 Monate. Insgesamt liegt der Anteil der Leiharbeiter bei 2 % der Erwerbstätigen.

Ich möchte auch darauf hinweisen - vieles ist schon gesagt worden, ich muss also nicht alles wiederholen -, dass laut Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Betriebsräte sowieso zu beteiligen sind.

Ich bitte Sie auch, zur Kenntnis zu nehmen, dass Arbeitslose durch Zeitarbeit durchaus die Chance erhalten, wenigstens zeitweise in Arbeit zu kommen. In einigen Fällen ist Zeitarbeit ein Sprungbrett in dauerhafte Beschäftigung. Das sollte man nicht ganz unter den Tisch fegen.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Gleichwohl - da stimme ich Ihnen durchaus zu, ich denke, insoweit herrscht hier im Haus große Einigkeit - muss man die Thematik intensiv und mit großer Verantwortung begleiten; denn auch wir sehen natürlich - wir gehen nicht blind durch die Welt; das ist auch keine Blockade -, dass zum Teil bei Auftragsvergaben nicht nur noch die Spitzen abgefangen werden. Es vollziehen sich Entwicklungen, die man sehr genau prüfen und eventuell gegensteuern muss. Da gebe ich Ihnen Recht, insoweit sind wir sicherlich alle beieinander. Von daher kann man nicht von Blockade sprechen.

Ich wiederhole: Wir sollten sehr verantwortlich mit dem Thema umgehen und sehr genau hinschauen. Sie sprachen auch von Diskontinuität und Abhängigkeit von der jetzigen Arbeitsmarktlage. Von daher sollten wir nicht immer gleich hektisch

reagieren. Wenn wir Entwicklungen sehen, die für die Arbeitnehmer sehr schlecht sind, dann sind wir alle beieinander. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Zum Schluss hat Ministerin Ziegler für die Landesregierung das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jawohl, Frau Schulz hat Recht, wenn sie sagt, dass wir inhaltlich sehr nah beieinander seien. Ich hoffe sehr, die Ablehnung des Antrags der Fraktion DIE LINKE führt nicht dazu, dass die Vertreterinnen und Vertreter dieser Fraktion - wie schon beim Thema Mindestlohn - im Lande herumerzählen, wir seien dagegen, Leiharbeit sozial gerecht zu regulieren.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

- Frau Kaiser, lesen Sie bitte alle Protokolle der letzten Monate; dann werden hoffentlich auch Sie das wahrnehmen. Jedenfalls hat Herr Görke heute bestätigt, dass er schon bemerkt hat, welche Haltung wir zum Thema Mindestlohn haben.

Ich finde den Antrag erstaunlich. Wie auch schon Frau Dr. Schröder gesagt hat, kommen Sie damit zu spät; denn das Thema ist sowohl auf EU- als auch auf Bundesebene bereits besetzt, und zwar in positivem Sinne. Das war das Erste, was ich dazu sagen wollte.

Das Zweite ist - Kollegin Schulz hat es gesagt -, dass es hier einen Bereich gibt, der sehr genau und kritisch zu beobachten ist, wobei dieser Bereich aber nicht nur Risiken in sich birgt, sondern auch Chancen bietet; denn Leiharbeit kann sehr wohl als Brücke zu einem regulären Arbeitsverhältnis dienen. Im Übrigen handelt es sich um ein ganz wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument, auf das wir auch in Zukunft nicht werden verzichten können. Wer davon träumt, dass es Zeitarbeit oder Leiharbeit irgendwann nicht mehr geben werde, der verkennt die tatsächliche Tendenz. Die Auftragslage bzw. die Marktsituation wird dazu führen, dass es gerade bei Leih- und Zeitarbeit noch einen großen Boom geben wird. Deshalb ist es richtig, dass man sehr genau hinschaut, was dort passiert.

Wenn Sie fordern: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, dann klingt das zwar ganz toll; dennoch ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Wenn Sie sich vor Augen führen, dass nach der IAB-Studie, die auch Sie zitiert haben, schon mehr als jeder sechste Vollzeitbeschäftigte für einen Niedriglohn arbeitet, wobei es im Osten ein Anteil von mehr als 17 % ist, und dass es gerade auch in Brandenburg Tarifverträge mit einem darin festgelegten Stundenlohn von unter 5 Euro brutto gibt, etwa in der Überwachungsbranche, dann werden wahrscheinlich auch Sie gar nicht erst darüber reden wollen, was in Branchen ohne Tarifbindung gezahlt wird.